Kolonialwaren, Kaffee und Aufklärung
Kolonialwaren, Kaffee und Aufklärung
Die Legende besagt, dass die Türken, als sie 1683 Wien belagerten, zwei Dinge nach Österreich brachten, die das Frühstück bis heute nachhaltig beeinflussen: Das halbmondförmige Kipferl und den Kaffee. Wie es tatsächlich geschah, dass das exotische Getränk seinen Weg von den Anbaugebieten in Übersee in die deutschsprachige Welt kam, ist wohl nicht mehr einwandfrei nachzuvollziehen, auf dem Schlachtfeld vor Wien zurückgelassene Säcke voll mit Kaffeebohnen waren es aber wohl nicht. Zurückzuführen ist diese Urban Legend wohl auf den Zeitpunkt im späten 17. Jahrhundert, als sich die Kaffeebohne als Genussmittel der politischen und wirtschaftlichen Elite in Europa zu etablieren begann. Es war die Epoche der großen Handelskompanien, der ersten Börsen und der Philosophen, Rechtsgelehrten und Ökonomen der frühen Aufklärung, in der der lukrative Überseehandel die Kaffeebohne und die sich daraus entwickelnden Wirtschaftszweige in die Städte Europas brachte. Innsbruck war als Teil des Habsburgerreichs und Handelsstadt seit dem 16. Jahrhundert Teil des imperialen Business. Der Fernhandel war ein integraler Teil der Wirtschaft. Dank der Innbrücke und seiner günstigen Position war die Stadt seit dem 12. Jahrhundert in die europäischen Netzwerke eingebunden. Die wohlhabende Elite der Stadt, die über den Stadtrat auch politischen Einfluss hatte, entstammte zu einem guten Teil aus der Schicht der Händler.
Anfang des 18. Jahrhunderts erschien Kaffee zum ersten Mal in der Innsbrucker Gesetzgebung, was ein starkes Indiz dafür ist, dass er die Schwelle zur Bedeutung innerhalb des Stadtgeschehens überschritt. 1713 beschloss der Stadtrat den Kauf von Kaffee ausschließlich in Apotheken zuzulassen. Ähnlich wie Red Bull in den 1990er Jahren stand das exotische Getränk unter dem Verdacht des Anrüchigen. Als die Nachfrage im Klima der Aufklärung in der Zeit Kaiser Josefs II. stieg und das Genussmittel mehr und mehr in der Gesellschaft ankam, lockerte man die Regelungen. Kaffee war aber noch immer kein Alltagsgetränk, sondern ein exklusives und teures Vergnügen exzentrischer Eliten. Spezereien, Geschäfte für Gewürze und Lebensmittel, begannen Kaffee zu verkaufen. Die noch immer bestehende Innsbrucker Kaffeemarke Nosko beansprucht als Nachfolgeunternehmen der 1751 eröffneten Spezerei Josef Ulrich Müllers in der Seilergasse 18 den Titel der ältesten Rösterei der Stadt für sich. Auch Unterberger&Comp Kolonialwaren, die zweite bis heute bestehende Kaffeerösterei Innsbrucks, nahm in einer Spezerei ihren Anfang. Jakob Fischnaller übernahm ein seit 1660 in der Altstadt ansässiges Geschäft, in dem er ab 1768 Kaffee verkaufte.
Mit den ersten Kaffeeschenkern Ende der 1750er begann der Siegeszug der Bohne. Die ersten Etablissements hatten noch wenig mit der heute weltweit bekannten Wiener Kaffeehauskultur zu tun. 1793 öffnete das Cafe Katzung seine Pforten für das zahlungskräftige Bürgertum, das den öffentlichen Raum mit Billardtisch und Zeitungsständer für sich zu erobern begann. 50 Jahre später gab es bereits 8 Kaffeehäuser im kleinen Innsbruck. Anders als traditionelle Gasthäuser waren sie Symbol für einen neuen, urbanen und aufgeklärten Lifestyle, ein Unterscheidungsmerkmal zwischen Stadt und Umland. Lange Zeit waren Wein und Bier die Alltagsgetränke der Massen gewesen. Auch wenn der Wein im Mittelalter nicht besonders stark war, trübte er doch die Sinne. In der Arbeiterklasse waren Spirituosen, am Land selbstgebrannter Schnaps beliebt und problematisch gleichermaßen. Wer auf sich hielt, hielt sich davon fern. Kaffee hingegen machte wach und leistungsfähig und begünstigte die neuen Tugenden der Arbeitsamkeit und des Fleißes. Der willige Untertan wurde in Städten wie Innsbruck mehr und mehr vom kritischen, Zeitung lesenden Bürger abgelöst. Durch den Genuss der teuren Kolonialware konnte man sich als Connaisseur, der den billigen, mit allerhand Füllmaterial versetzten Sud von echtem Bohnenkaffee zu unterscheiden wusste und ihn sich leisten konnte, vom niederen Pofl abheben. Als Napoleon 1810 in den von ihm kontrollierten Territorien den Import Kaffee verbot, um die englische Wirtschaft, die auf dem Fernhandel basierte, zu schwächen, kam es in ganz Europa zu heftigen Protesten. Feigen- und Zichorienkaffee als Ersatzprodukt erfreute sich, wie es später auch während der Weltkriege der Fall sein sollte, keiner besonderen Beliebtheit in der Bürgerschaft.
Einen Höhepunkt des Kolonialwarenhandels, der die ausbeuterischen Geschäftsmodelle afrikanischer Kaffeeplantagen, amerikanischer Tabakplantagen und südamerikanischer Obstplantagen mit den Alpen verband, erreichte Innsbruck wie der gesamte deutschsprachige Raum ab dem Ende des 19. Jahrhunderts, als der Wettlauf um Afrika der europäischen Mächte auf die Zielgerade einbog. 1900 gab es in Innsbruck um die 40 Kolonialwarenhändler. Dabei handelte es sich meistens um Spezereien und Gemischtwarenhändler, die unterschiedliche, in der Regel kostspielige Güter aus der ganzen Welt verkauften. Vor allem Genussmittel wie Rum, Tabak, Kakao, Tee und Kaffee oder exotische Früchte wie Bananen wurden als Kolonialwaren an das zahlungskräftige Innsbrucker Bürgertum verkauft. Ab dieser Zeit setzte sich auch die Wiener Kaffeehauskultur mit all ihren Eigenheiten endgültig als Standard für die bürgerliche Kultur der k.u.k. Monarchie durch. Egal wo man sich befand zwischen Innsbruck im Westen und Czernowitz im Osten des Riesenreiches, man konnte sich darauf verlassen, einen Bahnhof, ein angemessenes Hotel und ein Caféhaus mit deutschsprachigem Personal und ähnlicher Speisekarte und Einrichtung vorzufinden. Kaffeehäuser waren, anders als traditionelle Gastwirtschaften, Orte, an denen sich nicht nur Aristokratie und neue Eliten, sondern auch Mann und Frau, wenn auch häufig in getrennten Bereichen wie im Cafe Munding, aufhalten konnte.
Weder Kaffeehauskultur noch die Kolonialwarengeschäfte verschwanden mit der Zäsur des Ersten Weltkrieges und dem Ende der Monarchie aus dem Alltag der Republik Österreich. In den 1930er Jahren waren um die 60 dieser Geschäfte in Innsbruck ansässig. Es gab noch keine Supermärkte, die wie heute große Gesamtsortimente hatten, Einkäufe wurden noch immer an Markständen oder in kleinen Läden getätigt. Die „Einkaufsvereinigung der Specerei- und Kolonialwaren-Großhändler Nordtirol Ges.m.b.H“. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg verschwand der Ausdruck Kolonialwaren aus den Branchenbüchern der Stadt und wurden durch die Ausdrücke Kaffeerösterei und Fruchtimport ersetzt. Gekommen, um zu bleiben ist nicht nur die Wiener Kaffeehauskultur. Mit dem Katzung, dem Munding und dem Central gibt es noch einige der ältesten ihrer Art in Innsbruck. Die Firma Ischia vertreibt seit 1884 exotische Früchte in der Stadt und ist bis heute mit ihrem markanten Logo am Firmengebäude neben der neuen Stadtbibliothek prominent im Stadtbild vertreten. Ein Messingschild in der Herzog-Friedrich-Straße 26 und eine große Version des Logos mit dem Handelsschiff an der Hauptverkehrsader Egger-Lienz-Straße beim Westbahnhof zeugen von der Präsenz der Marke Unterberger. Wesentlich konfliktbeladener ist das Logo von Praxmarer Kaffee, das an einer Fassade in der Amraserstraße einen knieenden Mohren mit dargebotener Tasse zeigt. Das Traditionsunternehmen selbst gibt es nicht mehr, mit dem Unternehmen Praxmarer Obst gibt es aber noch einen Handel für Südfrüchte mit selbem Namen.
Sights to see...
Cafe Central
Gilmstrasse 5
Cafe Katzung & Trautsonhaus
Herzog-Friedrich-Straße 16 – 20
Cafe Munding
Kiebachgasse 16 / Mundingplatz
