Geschichte der Stadt Innsbruck

Die Grafen von Andechs und die Gründung Innsbrucks

Das offizielle Gründungsdatum Innsbrucks wurde irgendwann auf 1239 gelegt. Bereits einige Jahre zuvor entstand aber die Siedlung, aus der die Stadt hervorgehen sollte. Das 12. Jahrhundert war in vielen Teilen Europas von einem wirtschaftlichen, wissenschaftlichen und sozialen Aufschwung gekennzeichnet und gilt als eine Art früher Renaissance im Mittelalter. Über die Kreuzzüge kam es zum verstärkten Austausch mit den Kulturen des Nahen Ostens. Arabische Gelehrte brachten über Südspanien und Italien Übersetzungen griechischer Denker wie Aristoteles nach Europa. Universitäten wie Bologna und Prag entwickelten sich zu Horten des Wissens. Das römische Recht wurde wiederentdeckt. Die Wirtschaft begünstigte die Entstehung von Städten und größeren Siedlungen. Eine davon war ein kleiner Markt südlich des Klosters Wilten zwischen dem Inn und der Nordkette. Die Entstehung Innsbrucks ist eng mit dem Herzogtum Bayern verbunden. Bajuwaren hatten die Kontrolle über das Inntal nach dem Zusammenbruch des weströmischen Reiches im frühen Mittelalter nach und nach übernommen. Dabei stützten sie sich in der Verwaltung des Gebietes auf die bestehenden Strukturen des Klerus wie das Stift Wilten und das Bistum Brixen. Mit dem Reschen- und dem Brennerpass verfügte Tirol über zwei niedrige Alpenübergänge, die für die kaiserliche Verbindung zwischen den deutschen Ländern im Norden nach Reichsitalien mit den reichen Städten sehr wichtig waren. Um diese beiden Übergänge weg von den mächtigen bayrischen Herzögen und unter die Kontrolle der Kirche, die dem Kaiser stets nahe war, zu bringen, wurde das Territorium Tirols 1027 den beiden Bischöfen von Brixen und Trient zugesprochen. Die Grafen von Andechs waren Vögte des Bischofs von Brixen. Sie stammten aus der Gegen des bayerischen Ammersees. Für die Bischöfe verwalteten sie den mittleren Teil des Inntals, das Wipptal und das Eisacktal. Die Kirche hatte das Problem, dass sie nur die niedere Gerichtsbarkeit ausüben durfte, nicht aber Blutsgerichtsbarkeit. Sie brauchten Vertreter, die das Weltliche für sie regelten. Das war die Rolle der Vögte. Diese niedrigen Adligen wurden von der Kirche eingesetzt, um deren Besitztümer zu verwalten und zu kontrollieren. In weiten Teilen Tirols übernahmen die Andechser diese Aufgabe. Zur militärischen Kontrolle des mittleren Inntals erbauten die Andechser im heutigen Innsbrucker Stadtteil Amras im Osten Innsbrucks eine Burg, das heutige Schloss Ambras, das im Rahmen einer Fehde mit dem bayerischen Herzog 1133 geplündert und zerstört wurde. 1133 gründeten die Andechser dort, wo sich heute die beiden Stadtteile Mariahilf und St. Nikolaus befinden, einen Markt und verbanden das nördliche und das südliche Innufer über eine Brücke miteinander. Diese Brücke erleichterte den Warenverkehr in den Ostalpen ungemein. Die Zolleinnahmen des Handels zwischen den deutschen und italienischen Städten, die daraus erwirtschaftet wurden, ließen die Siedlung prosperieren. Anbruggen wuchs schnell, der Platz aber zwischen Nordkette und Inn war knapp bemessen. 1180 erwarb Berchtold V. von Andechs deshalb vom Kloster Wilten ein Stück Land auf der Südseite des Inns. Innsbruck war geboren, auch wenn die Siedlung noch kein Stadtrecht hatte. Zudem hatte sich das Stift Wilten im Tauschvertrag gewisse Rechte wie die Hoheit über die Kirche der neuen Marktgemeinde vorbehalten. Die Grafen von Andechs ließen im Zuge der Errichtung der Stadtmauer die Andechser Burg bauen und verlegten ihren Stammsitz von Meran nach Innsbruck. Auch diese Siedlung wuchs rasch und irgendwann zwischen 1187 und 1204 konnten sich die Innsbrucker über das Stadtrecht freuen, das 1239 vom letzten Grafen von Andechs Otto VIII. in einer Urkunde bestätigt wurde. Das erste noch erhalten Wappen Innsbrucks stammt aus dem Jahr 1267 und zeigt die Innbrücke auf den damals zur Sicherung verwendeten Steinkästen. Das Wappen durchlief mehrere Veränderungen durch die Jahrhunderte, blieb aber der Brücke treu. Innsbruck war zu dieser Zeit bereits die Münzprägestätte der Andechser und wäre wohl zur Hauptstadt in deren Fürstentum geworden. Es kam aber anders. Otto VIII. starb im Jahr 1248. Die Grafen von Tirol, die ihre Stammburg in der Nähe von Meran hatten, übernahmen die Kontrolle über das Inntal und die Stadt Innsbruck. Bis 1849 sollte Meran offiziell Landeshauptstadt bleiben, auch wenn Innsbruck als Residenzstadt und Wirtschaftsstandort für Tirol auf der Überholspur war.

Glaube, Kirche, Obrigkeit und Herrschaft

Die Fülle an Kirchen, christlichen Bauten, Denkmälern und Symbolen im öffentlichen Raum Innsbrucks ist für viele Besucher aus anderen Ländern erstaunlich. Nicht nur Gotteshäuser, auch viele Privathäuser sind mit Darstellungen der Heiligen Familie oder biblischen Szenen geschmückt. Sie manifestieren den Einfluss, den das Christentum auf Politik und soziale Struktur in Europa bis ins 20. Jahrhundert hatte. Religion ist einerseits der Glaube an eine göttliche Macht, andererseits die Etablierung einer gesellschaftlichen Ordnung. Um die Bedeutung der Religion im Alltag der Menschen vergangener Zeiten zu begreifen, bedarf es einiges an Umdenken für uns Menschen des 21. Jahrhunderts. Um Handlungen und Mentalität der Menschen zu verstehen, ist es wichtig, sich ein ungefähres Bild von Religion und Glauben zu machen, waren sie alltagsbestimmend. Vieles, das wir heute als Kulturgut erleben, ist ohne Religion nicht denkbar. Allein die Dimension der Kirchen umgelegt auf die Verhältnisse vergangener Zeiten sind gigantisch. Eine Stadt wie Innsbruck mit etwa 5000 Einwohnern besaß im 16. Jahrhundert mehrere Kirchen, die in Pracht und Größe jedes andere Gebäude überstrahlte, auch die Paläste der Aristokratie. Das Kloster Wilten war ein Riesenkomplex inmitten eines kleinen Bauerndorfes, das sich darum gruppierte. Die räumlichen Ausmaße der Gotteshäuser spiegelt die Bedeutung im politischen und sozialen Gefüge wider. Die Glocken ordneten den Alltag der Untertanen. Ihr Klang rief zur Arbeit, zum Gottesdienst oder informierte als Totengeläut über das Dahinscheiden eines Mitglieds der Gemeinde. Menschen konnten einzelne Glockenklänge und ihre Bedeutung voneinander unterscheiden. Glocken waren mehr als Gegenstände. Das Einschmelzen von Glocken, wie es während den Weltkriegen passierte, hatte eine starke Symbolkraft. Anders als heute, war Religion keineswegs Privatsache. Sie war intersubjektive Realität, ein Teil des sozialen und gesetzlichen Alltags. Reliquien waren heiß begehrt. Schon in kleinsten Partikeln des Körpers eines Heiligen wurden Kräfte vermutet, die Wunder wirken konnten. Zauberei und Hexerei (81) wurden für Unglück, schlechte Ernte, Krankheit und Naturkatastrophen verantwortlich gemacht. Häresie war ein Verbrechen, das von weltlichen Gerichten geahndet wurde. Kaiser und Könige erhielten Macht und Legitimation in den Augen ihrer Untertanen direkt von Gott. Das Feudalsystem, dessen Kopf der König war und durch das die Gesellschaft Struktur und Ordnung erhielt, war gottgewollt. Bauern arbeiteten am Feld, um den für das Seelenheil betenden Klerus und die für die Schutzlosen kämpfenden und den Klerus beschützende Aristokratie zu ernähren. Man sah den Menschen ihren sozialen Stand an, nicht nur an der Kleidung. Der Großteil der Menschen litt unter Mangelernährung, je nach Region, Ernte und Grundherr. Diese Mangelernährung zog Krankheiten, schlechte Haut und Zähne nach sich. Ritter sollten wohlernährt und stark sein. Der Adel war einem komplexen System aus Ehre und christlicher Nächstenliebe verpflichtet, zumindest am Papier. Es war eine Dreierbeziehung in der eine Seite Gebet für das Seelenheil, eine Seite Schutz und die dritte Seite Gehorsam, Treue und Arbeit einbrachten. Der christliche Kirchenvater Paulus legte in seinem Römerbrief die theologische Basis für dieses System:

Jedermann sei untertan der Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat. Denn es ist keine Obrigkeit außer von Gott; wo aber Obrigkeit ist, ist sie von Gott angeordnet. Darum: Wer sich der Obrigkeit widersetzt, der widerstrebt Gottes Anordnung; die ihr aber widerstreben, werden ihr Urteil empfangen. Denn die Gewalt haben, muss man nicht fürchten wegen guter, sondern wegen böser Werke. Willst du dich aber nicht fürchten vor der Obrigkeit, so tue Gutes, dann wirst du Lob von ihr erhalten. Denn sie ist Gottes Dienerin, dir zugut. Tust du aber Böses, so fürchte dich; denn sie trägt das Schwert nicht umsonst. Sie ist Gottes Dienerin und vollzieht die Strafe an dem, der Böses tut. Darum ist es notwendig, sich unterzuordnen, nicht allein um der Strafe, sondern auch um des Gewissens willen. Deshalb zahlt ihr ja auch Steuer; denn sie sind Gottes Diener, auf diesen Dienst beständig bedacht.

Dieses Patronatssystem, das Schutz auf der einen gegen Gehorsam auf der anderen Seite tauschte, war ein Erbe der Antike. In mancherlei Hinsicht ist es vor allem in katholischen Ländern heute noch Teil des Alltags, man denke an das berühmte „Vitamin B“, das uns von der Wiege bis zur Bahre begleitet. Das Verhältnis zwischen Gott, dem gütigen Pater Familias und seinen untertänigen Schäflein, wie die Kirche es sah, war die himmlische Fortführung des irdischen Patronats. Bis in kleine Details des täglichen Lebens regelte die Kirche lange Zeit das alltägliche Sozialgefüge der Menschen. Sonn- und Feiertage strukturierten die Zeit. Fastentage regelten den Speiseplan. Familienleben, Sexualität und individuelles Verhalten hatten sich an den von der Kirche vorgegebenen Moral zu orientieren. Das Seelenheil im nächsten Leben war für viele Menschen wichtiger als das Lebensglück auf Erden, war dies doch ohnehin vom determinierten Zeitgeschehen und göttlichen Willen vorherbestimmt. Priester und Mönche waren lange Zeit die intellektuelle Elite, die im Gegensatz zum Großteil der Bevölkerung Lesen und Schreiben beherrschte. Zeitungen, Fernsehen, Radio gab es nicht. Die Menschen waren auf die Erfahrungen, die sie in ihrem Umkreis, der oft nicht über das Dorfleben hinausging, und das, was der Pfarrer in der Kirche, bei der Beichte und dem Gottesdienst ihnen erzählte, angewiesen, um sich ein Bild der Welt zu machen. Häufig waren Pfarrer am Land auch als Lehrer tätig, was den Einfluss noch verstärkte. Gepredigt wurde auf Latein, der Sprache der Bibel. Fegefeuer, letztes Gericht und Höllenqualen waren mehr als ein Märchen, mit dem man kleine Kinder erzog. Sie waren Realität und verschreckten und disziplinierten auch Erwachsene, die regelrecht besessen vom Dasein nach dem Tod waren. Es gab zwar Denker wie den Dominikaner Thomas von Aquin (1225 – 1274), der mit antiker Philosophie und Logik den Glauben unterfütterte, der überwiegende Teil des Klerus war aber eher in der populären Darstellung von Himmel und Hölle beheimatet. Auch steuerfordernd und rechtsprechend war die Kirche als einer der größten Grundbesitzer stets präsent. Gleichzeitig war es auch in Innsbruck der Klerus, der sich in großen Teilen um das Sozialwesen, Krankenpflege, Armen- und Waisenversorgung, Speisungen und Bildung sorgte. Der Glaube an die göttliche Ordnung, die sich im Feudalsystem auf Erden manifestierte, war in der Vergangenheit das, was für uns heute der Glaube an die freie Marktwirtschaft, Verfassung und Konsum darstellt: eine intersubjektive Realität, die eingehalten werden muss, um Ordnung aufrecht zu erhalten.

Die kirchlichen Anfänge Innsbrucks liegen außerhalb der damaligen Stadt. Im heutigen Stadtteil Wilten etablierte sich während der römischen Herrschaft wahrscheinlich schon vor dem 5. Jahrhundert eine Kirchengemeinschaft. Die bajuwarischen Landesherren, die den Römern im Inntal als Machtfaktor folgten, nahmen die Kirchenmänner nur allzu gerne als Verwaltungsinstitution in Anspruch. Dafür wurde das Kloster Wilten mit allerlei weltlichen Sonderrechten und Landbesitz belohnt. Der Papst in Rom war der Oberhirte der Christenheit. Kulte, die bereits vorhanden waren, wurden mit dem neuen Glauben an den einen Gott gemischt. Die Heiligen des Christentums ersetzten die vielen Götter des Volksglaubens. Alte Feste wie die Wintersonnwende, Erntedankbräuche oder der Frühlingsbeginn wurden in den christlichen Kalender integriert. Sagengestalten wie die Saligen Fräulein wurden auch von gläubigen Christen angebetet und von der offiziellen Kirche toleriert. Es war kein Entweder-Oder, mehr ein tolerantes Sowohl-als-auch. Aberglaube, Volksfrömmigkeit und theologische Lehren verschwommen mit Einfluss der Kirche in der irdischen zu einem recht komplexen System von Märchen, Moral, Gesetz und Glaube. Die Amraser Gnadenmutter, die auf Bauernhäusern in der Philippine-Welser-Straße (57) zu sehen ist, ist ein gutes Beispiel für diese Volksfrömmigkeit. Die Menschen zogen nicht in Erwägung, dass das Übernatürliche einen Einfluss auf Wetter, Ernte oder Gesundheit hatte, für sie war es eine Tatsache. Hexenprozesse wurden nicht vor kirchlichen, sondern vor weltlichen Gerichten abgehandelt. So wurden die große Pestwelle von 1347 und eine Heuschreckenplage kurz zuvor dem Faktum zugeschrieben, dass die Tiroler Landesfürstin Margarethe „Maultasch“ wegen ihrer unchristlichen Ehe vom Papst exkommuniziert worden war.

Während des Mittelalters bis weit hinein ins 19. Jahrhundert war die Kirche neben dem Landesfürsten der größte Besitzer von Grund und Boden in Tirol. Der Bischof von Brixen war formal hierarchisch dem Landesfürsten gleichgestellt, verlor aber im Laufe der Jahrhunderte immer mehr an politischem Einfluss. Die Bauern arbeiteten auf den Landgütern des Bischofs für den Bischof wie sie auf den Landgütern eines weltlichen Fürsten für diesen arbeiteten. Die kirchlichen Grundbesitzer galten dabei nicht als weniger streng, sondern sogar als besonders fordernd gegenüber ihren Untertanen. Die Kirche hatte über den Glauben nicht nur genug Macht und Legitimation, um dieses System aufrecht zu erhalten, sie stand sogar im Wettstreit mit dem Kaiser und den mittelalterlichen Königen, was die Macht anbelangt. Der Römisch Deutsche Kaiser (73) war der militärische Schutzherr des Papsttums, der Papst krönte den Kaiser und legitimierte dessen weltliche Macht über das Gottesgnadentum. Weltliche Fürsten und Ritter zogen in den Krieg, um die Untertanen zu schützen, die dafür auf dem Feld zu arbeiten, den Zehent als Steuer zu bezahlen und zu gehorchen hatten. Die Kirche bestimmte über Moralvorstellungen und hatte das Bildungswesen fest in der Hand. Auf ihren Territorien hatte die Kirche auch die Gerichtsbarkeit über, wenn auch nur die niedrige. Vögte dienten als Verwalter. Zu glauben, alle Kirchenmänner wären zynische Machtmenschen gewesen, die ihre ungebildeten Untertanen ausnützten, ist nicht richtig. Der Großteil sowohl des Klerus wie auch der Adeligen war fromm und gottergeben, wenn auch auf eine aus heutiger Sicht nur schwer verständliche Art und Weise. Außerdem ist auch der frommste Mann nicht vor dem Rausch und dem Missbrauch der Macht gefeit.

Mit den Reformatoren des 15. und 16. Jahrhunderts begann das Feudalsystem, das Kirche und Adel über Volk und Bürgerschaft sah, brüchig zu werden. Der böhmische Geistliche Jan Hus hatte im 15. Jahrhundert als einer der ersten in Festlandeuropa Papst und den hohen Klerus angezweifelt. In Frankreich und der Schweiz war es Jean Calvin, der die Römische Kirche im 16. Jahrhundert herausforderte, im Heiligen Römischen Reich vor allem Martin Luther. In Tirol begann unter dem Sterzinger Michael Gaismair 1525 ein blutiger Aufstand, in dessen Rahmen auch das Stift Wilten als Großgrundbesitzer und Verwaltungsstelle der Macht von aufgebrachten Bauern belagert wurde.

In den folgenden Religionskriegen war Tirol als Teil des Hauses Habsburg stets auf Seiten der Katholiken. Der Dreißigjährige Krieg zog an Tirol und der Stadt Innsbruck größtenteils vorbei, Protestanten hatten es in Tirol aber bis ins 20. Jahrhundert alles andere als leicht. Die Habsburger hatten in Innsbruck mehrere Orden neben den bis dato alles bestimmenden Prämonstratensern des Stiftes Wilten zugelassen, um das Voranschreiten der Protestanten einzudämmen. Besonders dominant traten ab den 1560er Jahren die Jesuiten auf, die zuerst auf das Schulwesen, später auf die Universität erheblichen Einfluss ausübten. Weite Teile Europas wurden ab dem 17. Jahrhundert von der Aufklärung, im 19. Jahrhundert von Säkularisierung, Republikanismus und Nationalismus ergriffen. Natürlich gab es auch in Tirol, vor allem in der Hauptstadt Innsbruck Teile des Bürgertums die diesen neuen Ideen positiv gegenüberstanden. Die breite Masse des Volkes war aber weiterhin der Mischung aus obrigkeitshörigem, konservativem Katholizismus und abergläubischer Volksfrömmigkeit verbunden. Es war eine Art Tauschgeschäft. Die Kirche versprach Seelenheil und das ewige Leben, sorgte fürsorglich für die Ärmsten, verlangte dafür aber Gehorsam von ihren Schäflein. Von der Wiege bis zur Bahre war vieles von der Kirche geregelt. Die Moralvorstellungen basierten auf den konservativen Werten des Feudalsystems, in dem jeder seinen Platz hatte. Vorstellungen von Fegefeuer und Hölle sorgten für artiges Benehmen gegenüber Obrigkeiten kirchlicher und weltlicher Natur. Der Glaube schenkte Trost, das Leben nach dem irdischen Tod war eine Aussicht, die man sich nicht durch missliebiges Benehmen verderben wollte. Demokratische oder gar sozialistisch-umstürzlerische Gedanken wurden nicht nur von weltlichen, sondern auch von kirchlichen Autoritäten verdammt. Kirchenmänner vom Dorfpfarrer bis zum Bischof, die ihr an die Monarchie gebundenes Primat, erhalten wollten, schürten diese Mischung von den Kanzeln weiter an. Tradition vor Innovation. Die Tiroler Schützen vertrauten ihr Schicksal vor einer entscheidenden Schlacht im Kampf gegen Napoleon 1796 (98) dem Herzen Jesu an und schlossen einen Bund mit Gott persönlich, der ihr Heiliges Land Tirol vor dem gottlosen Napoleon behüten sollte. Die Säcularfeier des Bundes Tirols mit dem göttlichen Herzen Jesu wurde noch im 20. Jahrhundert unter großer Anteilnahme der politischen Elite des Landes Tirols gefeiert. Während des Ersten Weltkrieges war es in Tirol Bruder Willram alias Anton Müller, Theologe und Autor, der gegen Italiener und Franzosen hetzte und die Bevölkerung für Gott, Kaiser und Vaterland zu den Waffen und zur Schlachtbank hetzte. Ein Auszug seines literarischen Werkens kann an der Fassade der Hauptkapelle am Tummelplatz begutachtet werden.

Unter sich ändernden Vorzeichen und in wechselnder Intensität blieben die römisch-katholische Kirche und die habsburgischen Landesherren Tirols sowie ihre konservativen Nachfolger nach 1918 eng miteinander verbunden. Die Kirchenmänner entwickelten sich durch die Jahrhunderte, ihre Treue zum Herrscherhaus blieb erhalten. So war Professor Joachim Suppan, der Rektor der Universität Innsbruck nach deren Wiedereröffnung 1826, ein aufgeklärter und wissenschaftlich interessierter Mann, gleichzeitig geweihter Priester. Wie sehr dieser Kleriker und Beamte der staatlichen Obrigkeit verbunden war, zeigt die abschließende Ermahnung der Studenten bei einer Eröffnungsrede, „dereinst dem Vaterlande durch Kenntnis und Tugend ersprießliche Dienste zu leisten“. Die Kirche St. Nikolaus gibt ein gutes Bild der von oben verordneten Volksfrömmigkeit samt Verehrung diverser Heiliger und dem Herzen Jesu. Das Jahr 1848 (100) schlug zwar ein paar Kerben in die Allmacht von Kirche und Obrigkeit, konnte sie aber auch im mehr und mehr sich urbanisierenden Innsbruck nicht brechen. In der Zwischenkriegszeit wurde mit Ignaz Seipel ein ehemaliger Priester Bundeskanzler. In der Periode, die als Austrofaschismus (109) in den 1930ern in die österreichische Geschichte einging, stützten sich die Kanzler Dollfuß und Schuschnigg auf die katholische Kirche, die in der Verfassung ihren Platz fand. Während des Nationalsozialismus (110) wurde die katholische Kirche systematisch bekämpft. Der Rückhalt des Katholizismus in breiten Teilen der Bevölkerung war den neuen Machthabern ein Dorn im Auge. Die Treue sollte nicht der Religion, sondern dem Staat gelten. Katholische Schulen wurden umfunktioniert, Jugendorganisationen verboten, Klöster geschlossen, besonders hartnäckige Pfarrer wie Otto Neururer verfolgt und in Konzentrationslager gebracht. Die Kirche konnte Einfluss und Macht zu einem guten Teil trotzdem auch in dieser Zeit bewahren beziehungsweise nach dem Krieg wieder aufbauen. Die Kirchenaustritte der letzten Jahrzehnte haben der offiziellen Mitgliederzahl zwar eine Delle versetzt, die Bedeutung besteht aber noch immer. Die römisch-katholische Kirche als Entität besitzt noch immer viel Grund in und rund um Innsbruck, auch außerhalb der Mauern der jeweiligen Klöster und Ausbildungsstätten. So ist zum Beispiel das Gelände des Berg Isel im Besitz des Stiftes Wilten. Etliche Schulen in und rund um Innsbruck stehen noch unter dem Einfluss konservativer Kräfte und der Kirche. Und wer immer einen freien Feiertag genießt, ein Osterei ans andere peckt oder eine Kerze am Christbaum anzündet, muss nicht Christ sein, um über die Tradition im Namen Jesu zu handeln.

Das Heilige Römische Reich

Über mehr als 1000 Jahre war Tirol ein Land des Heiligen Römischen Reiches. Tiroler waren somit Untertanen des Kaisers. Und Untertanen des Tiroler Landesfürsten. Und ihres Grundherrn. Falls sie das Bürgerrecht hatten, waren sie auch Innsbrucker. Und sehr wahrscheinlich auch Christen mit römisch-katholischem Glauben. Was sie nicht waren, zumindest nicht bis 1806, war Österreicher, auch wenn das allzu oft anders dargestellt wird. Das Treueverhältnis eines Untertanen galt seinem Herrscher, umgekehrt war der Herrscher dazu verpflichtet seine Untertanen zu beschützen. Innerhalb des feudalen Lehensystems erhielten Lehensmänner von ihren Lehensherren Ländereien, die sie vererben konnten. Dafür waren sie dem Lehensherrn zu Treue und Gefolgschaft verpflichtet. Diese Treue mag uns als Staatsbürgern moderner Prägung fremd erscheinen, sind die Pflichten heutzutage über Steuern, Pflichte zur Einhaltung von Gesetzen, Wahlen oder Präsenzdienst abstrakter und wesentlich weniger persönlich. Bis ins 20. Jahrhundert hinein baute das monarchische System aber genau darauf auf. Der „österreichische“ Militär Prinz Eugen mag französischer Abstammung gewesen sein, trotzdem kämpfte er in der Armee Leopolds I., des Kaisers des Heiligen Römischen Reiches gegen Frankreich. Er war ein Untertan des Erzherzogs von Österreich mit Wohnsitzen in Wien und Ungarn. Karl V. wurde im heute belgischen Gent geboren, wuchs am burgundischen Hof auf, wurde spanischer König, bevor er das Erzherzogtum Österreich erbte und später zum Kaiser gewählt wurde. Was aber war dieses Heilige Römische Reich. Und wer war der Kaiser? Und war er wirklich mächtiger als der König?

Als Karl der Große im Jahr 800 in Rom zum Römisch-Deutschen Kaiser gekrönt wurde, trat er das Erbe der römischen Kaiser unter Patronanz und gleichzeitig als Schutzherr des Papstes an. Der Herzog von Bayern war sein Lehensmann, dessen Machteinfluss auch das Gebiet des heutigen Innsbrucks umfasste. Von einem Land namens Österreich war zu dieser Zeit nach lange keine Rede. Das Gebiet war ein Teil dieses Heiligen Römischen Reiches, das erst 1806 während der napoleonischen Kriege und der Ausrufung des Kaiserreiches Österreich aufhörte zu existieren. Das Heilige Römische Reich Deutscher Nation, dessen Oberhaupt der Kaiser war, darf man sich nicht als Nationalstaat moderner Prägung vorstellen. Germanicus zu sein bedeutete nicht, Deutscher zu sein, es bezog sich meist auf die Alltagssprache, die eine Person verwendete. Es war ein Zusammenschluss einzelner Länder, geprägt von Konflikten und Zankereien um Macht, sowohl zwischen den Fürsten des Reiches untereinander wie auch zwischen den Fürsten und dem Kaiser. Im Reichstag hatten die Fürsten Sitz und Stimme, der Kaiser war in seinen Entscheidungen trotz seines Vorsitzes von ihnen abhängig. Um sich durchzusetzen, bedurfte er einer starken Hausmacht. Die Habsburger konnten auf die österreichischen Erblande zurückgreifen. Sie waren aber nicht davor gefeit, in Kriege mit dem Herzog von Bayern verwickelt zu werden, obwohl beide Mächte dem Heiligen Römischen Reich angehörten. Das Kaiserreich hatte keine Hauptstadt. Das Zentrum des Reiches war dort, wo der Kaiser war, der seine Residenzen immer wieder änderte. Es gab weder Nationalstaaten noch die Vorstellung eines Europas im Sinne der heutigen Europäischen Union. So gehörten zum Beispiel im 17. und 18. Jahrhundert nicht alle Länder der Habsburger zum Heiligen Römischen Reich. Die Nationalität und gefühlte Zugehörigkeit spielte für die Staatszugehörigkeit, bis ins 19. Jahrhundert weniger eine Rolle als heute. Das Christentum war das Band, das vieles zusammenhielt. Man war Innsbrucker, Tiroler, Christ, Untertan seines Gutsherrn, des Bischofs und des Kaisers mit jeweils wechselnden Verbindlichkeiten und Treueverhältnis. Diese Tradition setzt sich heute noch im Commonwealth vor. Als Kanadier ist man noch immer Untertan des Königs von Großbritannien, auch wenn man nicht Brite ist.

Das Kaisertum war als Wechselbeziehung zwischen irdischer und himmlischer Macht legitimiert. Der Kaiser wurde vom Papst gesalbt. Der Kaiser war im Gegenzug die Schutzmacht des Heiligen Stuhls auf Erden. Das lateinische Europa mit dem römischen Christentum basiert auf dieser Idee der zwei Schwerter, des himmlischen und des weltlichen. Durch das gesamte Mittelalter war die Superiorität zwischen Kaiser und Papst ein steter Konfliktherd. Besonders die Frage, ob Bischöfe vom Papst oder vom Kaiser eingesetzt wurden, prägte Europas Geschichte bis ins 15. Jahrhundert. Institutionen wie das Reichskammergericht oder der Reichstag wurden erst im späten Mittelalter und der Frühen Neuzeit eingeführt, um die Verwaltung zu erleichtern und Streitigkeiten unter den einzelnen Landesfürsten beizulegen. Die Goldene Bulle, die unter anderem die Wahl des Kaisers regelten, war eine sehr einfache Form einer frühen Verfassung. Drei geistliche und 4 weltliche Kurfürsten wählten ihr Oberhaupt. Der Kaiser hatte zwar Vorrang in Europa und war Reichslehensherr, trotzdem musste er über eine starke Hausmacht verfügen, um seine Rechte auch durchsetzen zu können. Die Römisch-Deutschen Kaiser verstanden sich als direkte Nachfolger der Römischen Kaiser der Antike. Für gläubige Christen war es laut der Lehre der Vier Weltreiche von enormer Wichtigkeit, dass dieses Kaisertum fortbestand. Grundlage der Lehre der Vier Weltreiche war das Buch Daniel des Alten Testaments. In dieser Geschichte wird der Traum des babylonischen Königs Nebukadnezar erzählt, der vier irdische Reiche aufeinanderfolgen sieht. Nach diesen vier Weltreichen geht laut dem Glauben die Welt unter. Der Kirchenvater Hieronymus deutete diese vier Reiche um 400 nach Christus als die Abfolge Babylon, Persien, Griechenland und eben dem Römischen Kaiserreich. Damit legitimierte er den Herrschaftsanspruch Roms. Das Ende der römischen Herrschaft bedeutete im Glauben des Mittelalters gleichzeitig das Ende der Welt und somit durfte Rom nicht untergehen. Über diese sogenannte Translatio Imperii, also die Übertragung des Rechtsanspruchs des Imperium Romanum der Antike auf die Römisch Deutschen Kaiser nach Karl dem Großen, wurde die Beständigkeit Roms formell gewahrt und die Erde konnte fortbestehen. Dass sie 1806 mit Ende des Heiligen Römischen Reiches nicht unterging, kann man in wohlwollendem Sinne den Habsburgern positiv ankreiden.

Mittelalterliches und Frühneuzeitliches Stadtrecht

Innsbruck, heute selbsternannte Weltstadt, hatte sich von einem römischen Castell über ein Kloster, zu dem mehrere Weiler gehörten zu einer Marktsiedlung und erst nach Hunderten von Jahren zu einer rechtlich anerkannten Stadt entwickelt. Mit dieser rechtlichen Anerkennung gingen Rechte und Pflichten einher. Verbunden mit dem vom Landesfürsten verliehenen Stadtrecht war das Marktrecht, das Zollrecht und eine eigene Gerichtsbarkeit. Bürger mussten im Gegenzug den Bürgereid leisten, der zu Steuern und Wehrdienst verpflichtete und die Stadt mit Mauer und Wehranlage sichern. Ab 1511 war der Stadtrat auch verpflichtet, laut dem Landlibell Kaiser Maximilians ein Kontingent an Wehrpflichtigen im Falle der Landesverteidigung zu stellen. Darüber hinaus gab es Freiwillige, die sich im Freifähnlein der Stadt zum Kriegsdienst melden konnten, so waren zum Beispiel bei der Türkenbelagerung Wiens 1529 auch Innsbrucker unter den Stadtverteidigern. Der Sold war vor allem für die ärmeren Bürger reizvoll. Die Stadtbürger unterlagen damit nicht mehr direkt dem Landesfürsten, sondern der städtischen Gerichtsbarkeit, zumindest innerhalb der Stadtmauern. Das geflügelte Wort "Stadtluft macht frei" rührt daher, dass man nach einem Jahr in der Stadt von allen Verbindlichkeiten seines ehemaligen Herrn frei war. Faktisch war es der Übergang von einem Rechtsystem in ein anderes. Um 1500 änderte sich die Situation im Zuzug. Der Platz war eng geworden im neuen, rasch wachsenden Innsbruck unter Maximilian I. Es war nur noch freien Untertanen aus ehelicher Geburt möglich, das Stadtrecht zu erlangen. Nicht mehr jeder durfte in die Stadt ziehen. Kaufleute und Finanziers verzichteten auf dieses Recht meist, war es doch mit allerhand Pflichten verbunden, die bei den mobilen Schichten dieser Zeit die Anreize weit überstiegen. Um Stadtbürger zu werden, mussten entweder Hausbesitz oder Fähigkeiten in einem Handwerk nachgewiesen werden, an der die Zünfte der Stadt interessiert waren. Diese Handwerkszünfte übten teilweise eine eigene Gerichtsbarkeit neben der städtischen Gerichtsbarkeit unter ihren Mitgliedern aus. Löhne, Preise und das soziale Leben wurden von den Zünften unter Aufsicht des Landesfürsten geregelt. Man könnte von einer frühen Sozialpartnerschaft sprechen, sorgten die Zünfte doch auch für die soziale Sicherheit ihrer Mitglieder bei Krankheit oder Berufsunfähigkeit. Die einzelnen Gewerbe wie Schlosser, Gerber, Plattner, Tischler, Bäcker, Metzger oder Schmiede hatten jeweils ihre Zunft, der ein Meister vorstand. Es waren soziale Strukturen innerhalb der Stadtstruktur, die großen Einfluss auf die Politik hatten, konnten sie das Wahlverhalten ihrer Mitglieder stark mitbestimmen. Handwerker zählten, anders als Bauen, zu den mobilen Schichten im Mittelalter und der frühen Neuzeit. Sie gingen nach der Lehrzeit auf die Walz, bevor sie sich der Meisterprüfung unterzogen und entweder nach Hause zurückkehrten oder sich in einer anderen Stadt niederließen. Über Handwerker erfolgte nicht nur Wissenstransfer, auch kulturelle, soziale und politische Ideen verbreiteten sich in Europa durch sie. Ab dem 14. Jahrhundert besaß Innsbruck nachweisbar einen Stadtrat und einen Bürgermeister, der von der Bürgerschaft jährlich gewählt wurde. Es waren anderes als heute keine geheimen, sondern öffentliche Wahlen, die alljährlich rund um die Weihnachtszeit abgehalten wurden. Da nicht jeder Einwohner Bürger war, kann man auch nicht von einer Demokratie sprechen, eher war es eine Wahl der Oberschicht, die ihre Vertreter wählte. Im Innsbrucker Geschichtsalmanach von 1948 findet man Aufzeichnungen über die Wahl des Jahres 1598.

Der Erhardstag, d.i. der 8. Jänner, spielte alljährlich im Leben der Innsbrucker Bürger eine große Rolle. An diesem Tage versammelten sie sich zur Wahl der Stadtobrigkeit, nämlich des Bürgermeisters, Stadtrichters, Gemeinredners und des zwölfgliedrigen Rates…. Ein genaues Bild über den Ablauf dieser Wahlen in den Jahren 1598 bis 1607 vermittelt ein im Stadtarchiv verwahrtes Protocoll: „… Das Läuten der großen Glocke rief Rat und Bürgerschaft auf das Rathaus und dann als ein ehrsamer Rat und ganze Gmein aufm Rathaus versammelt gwest, ist anfangs ein ehrsamer Rat in der Ratstuben zusammen gesessen und des nächsten Jahr her gwesten Bürgermeisters, Augustin Tauschers, Urlaub angehört.“

Der Bürgermeister vertrat die Stadt gegenüber den anderen Ständen und dem Landesfürsten, der die Oberherrschaft über die Stadt je nach Epoche mal mehr, mal weniger intensiv ausübte. Jeder Stadtrat hatte eigene, klar zugeteilte Aufgaben zu erfüllen wie die Überwachung des Marktrechts, die Betreuung des Spitals und der Armenfürsorge oder die für Innsbruck besonders wichtige Zollordnung. Bei all diesen politischen Vorgängen sollte man sich stets in Erinnerung rufen, dass Innsbruck im 16. Jahrhundert etwa 5000 Einwohner hatte, von denen nur ein kleiner Teil das Bürgerrecht besaß. Besitzlose, fahrendes Volk, Erwerbslose, Dienstboten, Diplomaten, Angestellte, ab dem 17. Jahrhundert Studenten, leider auch Frauen waren keine wahlberechtigten Bürger. Die Wahlen basierten also auf persönlichen Verbindlichkeiten und Bekanntschaften in dieser kleinen Gemeinde. Ebenfalls ab dem 14. Jahrhundert mussten die Steuern, die von den Bürgern gezahlt wurden, nicht mehr an den Landesfürsten weitergegeben werden. Es gab eine fixe Abgabe von der Stadt an den Landesfürsten. Welche Gruppe innerhalb der Stadt welche Steuer zu bezahlen hatte, konnte die Stadtregierung selbst festlegen. Die Differenz zwischen den Einnahmen und den Ausgaben durfte die Stadt nach ihrem Gutdünken verwalten. Zu den Ausgaben neben der Verteidigung gehörte die Armenfürsorge. Notleidende Bürger konnten in der „Siedelküche“ Speisen beziehen, so sie denn das Bürgerrecht hatten. Auch das Baurecht oblag der Stadtverwaltung. Wie in den meisten mittelalterlichen Städten wurden die Holzbauten innerhalb der Stadtmauern häufiger als den Bewohnern lieb war zum Opfer von Flammen. Ein weiterer Punkt, der im Stadtrecht geregelt war, war das Marktrecht. Die Stadt hatte die Aufsicht über die angebotenen Waren und deren Menge und Qualität. Das Brot wurde zum Beispiel vom „Brothüter“ in der Brotbank im Rathaus gewogen, um Wucher, der unter Strafe stand, vorzubeugen. Interessanterweise konnte der Stadtrat auch über den Pfarrer bestimmen. Seelsorge war ein echtes Bedürfnis, die Qualität der Predigt oder des Chorgesanges deshalb sehr wichtig. Die Einhaltung der religiösen Ordnung wurde ebenfalls von der Stadt überwacht. Ketzer und theologisch Aufsässige wurden nicht von der Kirche, sondern der Stadtregierung gemaßregelt und im Fall der Fälle auch in den Kerker verfrachtet.

Neben den Steuern, die die Bürger zu entrichten hatten, war der Zoll eine wichtige Einnahmequelle Innsbrucks. Der Zoll wurde am Stadttor an der Innbrücke erhoben. Es gab zwei Arten von Zöllen. Der kleine Zoll richtete sich nach den Zugtieren des Wagens, der große nach Art und Menge der Waren. Die Zolleinnahmen wurden zwischen Innsbruck und Hall geteilt. Hall hatte dafür die Aufgabe, die Innbrücke in Stand zu halten. Mit der zunehmenden Zentralisierung unter Maria Theresia und Josef II. wurden Steuern und Zölle nach und nach zentralisiert und von der Reichshofkammer eingehoben. Innsbruck verlor dadurch, wie viele Kommunen in dieser Zeit, Einnahmen in großer Höhe, die nur bedingt über Ausgleiche aufgefangen wurden.

Entgegen landläufiger Meinung war das Mittelalter keine rechtfreie Zeit der Willkür. In Innsbruck, wie auch im Land Tirol, gab es einen Kodex, der Recht und Unrecht sowie Rechte und Pflichten von Bürgern sehr genau regelte. Diese Bestimmungen änderten sich nach den Sitten der Zeit. Der Strafvollzug beinhaltete auch weniger humane Methoden als heutzutage üblich, es wurde aber nicht wahllos und willkürlich gefoltert. Folter als Teil des Verfahrens in besonders schweren Fällen war aber ebenfalls geregelt. Verdächtige und Verbrecher wurden im Innsbruck bis zum 17. Jahrhundert im Kräuterturm an der südöstlichen Ecke der Stadtmauer, am heutigen Herzog-Otto-Ufer, festgehalten und traktiert. Die mittelalterlichen Gerichtstage wurden an der „Dingstätte“ im Freien abgehalten. Die Tradition des Ding reicht zurück auf den altgermanischen Thing, bei dem sich alle freien Männer versammelten um Recht zu sprechen. Der Stadtrat bestellte einen Richter, der für alle Vergehen zuständig war, die nicht dem Blutgericht unterlagen. Strafen reichten von Geldbußen über Pranger und Kerker. Eine Polizei gab es nicht, der Stadtrichter beschäftigte aber Knechte und an den Stadttoren waren Stadtwächter aufgestellt, um für Ruhe zu sorgen. Es war Bürgerpflicht, bei der Erfassung von Verbrechern mitzuhelfen. Selbstjustiz war verboten. Dem Blutrecht unterlagen die schweren Verbrechen wie Diebstahl, Mord oder Brandstiftung. Über diese Vergehen hatte weiterhin das Landesgericht zu bestimmen. Das Landesgericht war im Falle Innsbrucks auf der Sonnenburg, die sich südlich oberhalb Innsbrucks befand. Von 1817 – 1887 war das Leuthaus beim Stift Wilten (67) der Sitz des Hofrichters. Die Richtstätten befanden sich durch die Jahre an mehreren Orten, im Normalfall außerhalb der Stadtmauern. Auf einem Hügel im heutigen Stadtteil Dreiheiligen war lange Zeit neben der Landesstraße, die hier vorbeiführte, ein Galgen aufgestellt. Die Leichen wurden oft lange zur Abschreckung hängengelassen. Der Köpflplatz befand sich an der heutigen Weiherburggasse in Anpruggen. Es war nicht unüblich, dass der Verurteilte seinem Henker eine Art Trinkgeld zusteckte, damit sich dieser bemühte, möglichst genau zu zielen, um so die Hinrichtung so schmerzlos wie möglich zu gestalten. Aufsehenerregende Delinquenten wie der „Ketzer“ Jakob Hutter (87) oder die gefassten Anführer der Bauernaufstände von 1525 und 1526 wurden vor dem Goldenen Dachl publikumstauglich hingerichtet. „Peinliche“ Strafen wie Vierteilen oder Rädern, vom lateinischen Wort poena abgeleitet, waren nicht an der Tagesordnung, konnten in speziellen Fällen aber angeordnet werden. Der Scharfrichter Innsbrucks war ab dem späten 15. Jahrhundert zentralisiert für mehrere Gerichte zuständig und in Hall ansässig. Hinrichtungen waren eine Machtdemonstration der Obrigkeit und öffentlich. Sie galt als eine Art der Reinigung der Gesellschaft von Verbrechern. Die Hingerichteten wurden außerhalb des geweihten Bereichs der Friedhöfe begraben.

Mit der Zentralisierung des Rechts unter Maria Theresia und Josef II im 18. und dem Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch im 19. Jahrhundert unter Franz I. ging das Recht von Städten und Landesfürsten an den Monarchen und deren Verwaltungsorgane auf verschiedenen Ebenen über. Unter Josef II. wurde die Todesstrafe kurzfristig sogar ausgesetzt. Die Folter war schon vorher abgeschafft worden. Die Aufklärung hatte die Vorstellung von Recht, Strafe und Resozialisierung grundlegend verändert. War es bislang unter Strafe gestanden und teils mit dem Pranger oder Schlimmerem bestraft worden, wenn eine Frau ein uneheliches Kind zur Welt brachte, so war dies kein Strafbestand mehr. Die Kinder wurden katholischen Pflegeeltern oder einem Waisenhaus übergeben. Die christliche Moral des Volkes zog noch lange nicht mit dem Gesetz nach. Frauen blieben, obwohl ein erheblicher Teil der Kinder unehelich war, bis weit ins 20. Jahrhundert ausgegrenzt. Goethes Faust erzählt unter anderem das Schicksal einer solchen Frau, die sich auf Grund der Scham umbrachte. Auch die Einhebung von Steuern wurde zentralisiert, was einen großen Bedeutungsverlust des lokalen Adels und eine Aufwertung der Beamtenschaft zur Folge hatte. Mit den neuen Rechtsvorstellungen veränderte sich nach und nach auch die Stadtlandschaft. Der Kräuterturm als Kerker wurde obsolet, dafür bedurfte es eines Zuchthauses, das heutige Turnusvereinshaus, in St. Nikolaus.

Die Entwicklung des Rechtsystems hin zu dem, das wir heute in der Republik Österreich und ihren Städten haben, war ein langer Prozess. Während der Bürgermeister und der Stadtrat noch immer gewählt werden, wird der Richter am Bezirksgericht ernannt. Die Mitarbeiter des Stadtmagistrats sind kaum noch Beamten und die Jungbürgerfeier, zu der die Stadt ihre jüngsten Mitglieder zu deren Volljährigkeit einlädt, ist wenig feierlich oder gar bedeutsam. Es gibt auch keine Zünfte mehr. Der Streit darum, wer ein „echter“ Innsbrucker ist, und wer nicht, ist aber eine Kontinuität, die sich bis heute hartnäckig zu halten vermag. Dass Migration und Austausch mit anderen immer schon die Garantie für Wohlstand waren und Innsbruck zu der lebenswerten Stadt gemacht haben, die sie heute ist, wird dabei leider oft vergessen.

Von Maultasch, Habsburgern und dem Schwarzen Tod

Innsbruck wird heute von Gebäuden und Denkmälern gesäumt, die an die Familie Habsburg erinnern. Seit 1363 war Innsbruck ein Teil des Hauses Habsburg. Zwischen dem letzten Grafen von Andechs und dem ersten Tiroler Landesfürsten aus dem Haus Habsburg lagen 115 bewegte Jahre. Nach dem Aussterben der Grafen von Andechs lenkte eine neue Dynastie für etwa 100 Jahre die Geschicke des Landes und somit zu einem guten Teil auch der Stadt Innsbruck. Unter dem Landesfürsten Meinhard II. von Tirol (1239 – 1295) erlangte das Land Struktur und Einheit, nachdem die Grafen von Andechs ausgestorben waren. Meinhard war mit Elisabeth von Bayern, einer Kaiserwitwe, verheiratet. Durch diesen Bonus wurde er in den Rang eines gefürsteten Grafen gehoben. Mit geschickter Politik und etwas Glück, er war ein Anhänger des ersten deutschen Königs aus dem Hause Habsburg, Rudolf I., konnte er sein Territorium vergrößern und die Grafschaft Görz und das Herzogtum Kärnten als Lehen dazugewinnen. Meinhard schaffte es den Flickenteppich am Gebiet des heutigen Tirols von seiner Stammburg in Meran aus zu einem einheitlicheren Ganzen zu einen. Sein Nachfolger Herzog Heinrich von Kärnten (1265 – 1335) zählte zu den wichtigsten Aristokraten im Heiligen Römischen Reich. Neben Tirol und dem heutigen Kärnten reichte seine Herrschaft bis nach Slowenien. Außerdem war er formal König von Böhmen. Er liegt wie Meinhard II. in der Stiftskirche Stams in Tirol begraben. Ein männlicher Nachfolger allerdings war ihm nicht beschieden gewesen. Noch vor seinem Tod hatte Heinrich aber sichergestellt, dass seine Tochter seine Nachfolge antreten konnte. Seine Tochter Margarethe „Maultasch“ von Tirol-Görz (1318 – 1369) war in zweiter Ehe mit Ludwig von Brandenburg, einem Wittelsbacher verheiratet. Die Wittelsbacher waren damals die großen Widersacher der Habsburger innerhalb des Heiligen Römischen Reichs. Eine Verbindung mit den Fürsten von Tirol sollte ihre Position weiter stärken. Das Problem an der Verbindung zwischen den Tirolern und den Wittelsbacher war, dass Margarethe von ihrem ersten Ehemann Johann-Heinrich von Luxemburg noch gar nicht geschieden war. Dieser ungeliebte böhmische Adlige war von der Tiroler Bevölkerung unter Zustimmung der von ihrem Ehemann, den sie mit 12 Jahren ehelichen hatte müssen, ebenfalls nicht begeisterten Margarethe 1341 aus dem Land gescheucht worden, zu einer Scheidung kam es aber nicht. Um die Tiroler Bevölkerung auf ihre Seite zu bringen, beschlossen die bayrischen Landesherren den Tirolern im „Großen Freiheitsbrief“ von 1342 gewisse Sonderrechte einzuräumen. Der Kampf der Luxemburger und der Wittelsbacher um Tirol zog das Land gehörig in Mitleidenschaft. Der Papst hatte zu allem Übel das Land Tirol wegen der „unheiligen“ Ehe seiner Landesfürstin auch mit einem Bannfluch belegt. Dieses Interdiktum war für die Menschen im Mittelalter eine der härtesten Strafen. Für die Bevölkerung bedeutete dieser Bannfluch, dass in den Kirchen des Landes das Abhalten von Messen und die Erteilung der Kommunion untersagt waren. Die Regierungszeit Margarethes wurde unglücklicherweise von mehreren globalen Krisen erschüttert. Das 14. Jahrhundert sah eine Klimaerwärmung Europas, die eine Heuschreckenplage zur Folge hatte. Skeptiker heutzutage ziehen dieses Klimaphänomen gerne dazu heran, den menschgemachten Klimawandel unserer Tage zu relativieren, der Vergleich ist aber natürlich lächerlich. Wohl auch zu dieser Zeit etablierte sich in Innsbruck das 1350 erstmals erwähnte Untere Stadtbad in der heutigen Badgasse. Bäder dienten nicht nur zur Reinigung, hier erfolgte eine Art medizinischer Grundversorgung nach damaligen Standards beim sogenannten Bader. Bader waren fahrende oder ortsansässige Heilkundige, die Kranke behandelten, Wunden nähten oder Zähne zogen. Obwohl häufig so dargestellt, handelte es sich dabei nicht zwingend um Scharlatane. Übernatürliches galt als real, auch in der medizinischen Versorgung. Formal ausgebildete Ärzte gab es zwar, allerdings nicht besonders viele. Zudem war der wissenschaftliche Ansatz der Universitäten dieser Zeit dem der praxisorientierten Bader nicht unbedingt überlegen. Die Vier-Säfte-Lehre war bis lange in die Neuzeit gängige Lehrmeinung. Im Körper gab es ein Gleichgewicht von Blut, Schleim, schwarzer Galle und gelber Galle. Ein Ungleichgewicht dieser Säfte führt zu Krankheit. Das Gleichgewicht konnte durch Lebensführung, Ernährung, übertriebene sexuelle Aktivität oder Miasmen in der Luft durcheinanderkommen. Wasser zum Beispiel stand im Verruf, über die Haut einzudringen und das Säfteverhältnis im menschlichen Körper durcheinanderzubringen, weshalb man nach dem Baden zur Ader gelassen werden sollte. Innsbruck war weder eine gepflasterte Stadt noch gab es das Abwassersystem oder die Trinkwasserversorgung, die sich kurz später etablieren sollte. Tiere und Menschen teilten sich die Stadt brüderlich. Von 1348 bis 1350 wurden auch Innsbruck und Tirol von den Folgen der großen Pest nicht verschont. Der Schwarze Tod dezimierte die Bevölkerung und brachte wie in ganz Europa Not und Elend. Von Venedig aus über Trient und das Etschtal kam die Pest wohl nach Innsbruck. Viele Informationen sind in den Archiven dazu nicht zu finden. Eine Innsbruckerin sprach, an der Pest erkrankt, in ihrem Testament, in dem sie ihren Besitz dem Stift Stams vermachte, vom „gemeinen Sterben, das im Land umgeht“. Die Menschen konnten sich diese Phänomene nicht erklären. Es waren nicht wenige Einwohner, die die Verwüstung des Landes als eine Strafe Gottes ansahen und Margarethe dafür verantwortlich machten. Es war wohl auch in dieser Zeit, dass der Volksmund Margarethe den Spitznamen Maultasch verpasste. Einen wie lange angenommen deformierten Mund soll sie auf jeden Fall nicht besessen haben.

Die Habsburger hatten sich derweilen in Person von Rudolf IV. um eine Versöhnung zwischen dem Papst und den Fürsten von Tirol eingesetzt, nicht ganz ohne Eigeninteresse natürlich. Der Sohn Margarethes und Ludwigs, Meinhard III. war mittlerweile mit Margarethe von Österreich, einer Habsburgerin, verheiratet. Der ausgedungene Erbvertrag besagte, dass sollte Margarethe und ihre erbberechtigten Nachkommen sterben, die Grafschaft Tirol an das Haus Habsburg fallen würde. An der Echtheit dieser Urkunde bestehen bis heute Zweifel, trotzdem wurde sie 1363 schlagend. Herzog Ludwig starb 1361, im Jahr 1362 verschied auch sein Sohn Meinhard. Margarethe übergab die Regierungsgeschäfte 1363 mit der Zustimmung des Tiroler Adels an Rudolf IV. von Österreich übergehen. Die Herzöge von Bayern wollten diese neue Herrschaft nicht anerkennen. Noch 1363 zogen die Bayern Richtung Innsbruck und wollten die Stadt einnehmen. Die Bürger Innsbrucks, die zum Wehrdienst verpflichtet waren, konnten die durch die Andechsburg und die Stadtmauer befestigte Stadt erfolgreich verteidigen. Mit dem Erwerb Tirols konnte die Familie Habsburg eine wichtige geographische Lücke innerhalb ihres Machtbereichs schließen. Durch die Eingliederung der Stadt in das wesentlich größere Territorium der Habsburger gewann Innsbruck zusätzlich an Bedeutung. Neben dem Nord-Süd Transport von Waren, war die Stadt am Inn nun auch zu West-Ost Verkehrsknoten zwischen den östlichen Österreichischen Ländern und den alten Besitztümern der Habsburger im Westen geworden. Für die Stadt Innsbruck war die Einverleibung Tirols durch die Habsburger ein Meilenstein in der Entwicklung. Gleichzeitig kam es durch die für die Überlebenden der großen Pestwelle von 1348 zu einem wirtschaftlichen Aufschwung in ganz Europa. Arbeitskraft war durch die geschrumpfte Bevölkerung rar geworden, dafür waren pro Kopf größere Ressourcen vorhanden. In weiterer Folge sollte Innsbruck die eigentliche Hauptstadt des Landes Meran, das nicht an einer der großen Handelsrouten lag, an Bedeutung schnell übertrumpfen. In Innsbruck erinnert der Rudolfsbrunnen am Boznerplatz an den Übergang Tirols von der Dynastie Görz – Tirol zum Haus Habsburg.

Rudolf IV. - Tirols erster Habsburger

Der erste Tiroler Landesfürst aus dem Haus Habsburg war Rudolf IV. (1339 – 1365), bekannt als der Stifter. Diesen Spitznamen verpassten ihm Historiker wegen seiner Verdienste um Wien, der heutigen Bundeshauptstadt Österreichs. Zur Zeit Rudolfs lag das Zentrum des Heiligen Römischen Reiches (73) in Prag. Mit der Gründung der Universität Wien und St. Stephan als Metropolitankapitel und Grablege der Habsburger unter Rudolf war der erste Schritt Wiens als neues Reichszentrum getan. Rudolf war allerdings nicht nur frommer Stifter, sondern auch geschickter Realpolitiker, der mit allen Wassern gewaschen war. Der Vertrag zwischen ihm und den Grafen von Tirol, der die Grafschaft Tirol samt Innsbruck den Habsburgern zuschlug, könnte durchaus eine Fälschung sein. Das damalige Rechtsystem kannte kein Grundbuch, keine Notare und keine Verfassung. Das heißt nicht, dass es kein Recht gab, man musste allerdings die Kraft haben, es durchsetzen zu können. Ohne seine Skrupellosigkeit und seinen Schwindel hätte die Geschichte Innsbrucks ganz anders verlaufen können. Tirol fiel dem Haus Habsburg zu, das somit seine Besitzungen im Osten der heutigen Republik Österreich und die Habsburger Ländereien auf dem Gebiet der heutigen Schweiz erfolgreich verbinden konnte. Diese Verbindung sollte bis zum Ende des Ersten Weltkrieges (107) fortdauern. Der Gewinn Tirols für seine Dynastie war allerdings nicht der erste Erfolg des jungen Habsburgers. Seinen größten Coup konnte Rudolf der Schwindler im Jahr 1358 landen. Das Privilegium maius, eine Urkunde, die dem Haus Habsburg etliche Sonderrechte gegenüber allen anderen deutschen Fürsten zugestand, war eine Fälschung die Rudolf herstellen ließ, um den Stand der eigenen Dynastie zu erhöhen. Auch Kaiser Karl IV., ein erbitterter Gegner der Habsburger, war durchaus schon davon überzeugt, dass die Urkundensammlung eine Fälschung war und bat den bekannten Gelehrten Francesco Petrarca um die Kontrolle der Urkunde. Der große Gelehrte kam ebenfalls zu dem Schluss, dass das Privilegium maius wohl nicht echt sein konnte. Besonders der darin vermerkte Passus, dass bereits Cäsar und Nero der Provinz Noricum, dem damaligen Gebiet Österreichs, einen Sonderstatus im Römischen Reich zugebilligt hätten, erregte wohl zu Recht Petrarcas Verdacht. Nichtsdestotrotz wurden die Sonderrechte der Erzherzogswürde, die Erbfolge und die eigenständige Gerichtsbarkeit in ihren Territorien den Österreichern zuerkannt. Der Beweis der Fälschung war wohl schwächer als die Macht und das Selbstverständnis der Habsburger. Als Kaiser Friedrich III., der Vater Maximilians I. (83), auf den Kaiserthron kam, bestätigte er das Privilegium maius endgültig. Wer heute vor dem Rudolfsbrunnen am Boznerplatz steht, sollte nicht vergessen, dass der Mann, dem zu Ehren die Innsbrucker einen Brunnen errichteten, nicht nur ein frommer Stifter, sondern vor allem ein begnadeter Schwindler war.

Innsbruck und das Haus Habsburg

Über 700 Jahre prägten die Habsburger Europa. Innsbruck war durch die Jahrhunderte immer wieder Schicksalsort dieser Herrscherdynastie. Ausgehend vom mittelalterlichen Herzogtum Österreich waren sie am Zenit ihrer Macht Herren über ein „Reich, in dem die Sonne nie untergeht“. Durch Kriege und geschickte Heirats- und Machtpolitik saßen sie in verschiedenen Epochen an den Schalthebeln der Macht zwischen Spanien im Westen und der Ukraine im Osten Europas. Über Jahrhunderte waren die Habsburger Kaiser des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation. Dabei darf man sich die Habsburger nicht, wie dies oft aus der Perspektive des modernen Nationalstaats getan wird, als die Herren Österreichs vorstellen. Die Habsburger waren über viele Jahrhunderte ein europäisches Herrscherhaus, zu deren Einflussbereich verschiedenste Territorien gehörten. Der Landstrich der heute als Österreich bekannt ist, war für lange Zeit so etwas wie die Keimzelle ihrer Macht. Der erste bedeutende Habsburger Rudolf I. (1218 – 1291) hatte seine Stammburg, die Habsburg, im heutigen Aargau und beherrschte eine Grafschaft im heutigen Südwesten Deutschlands und der Schweiz. Erst nach gewonnener Auseinandersetzung mit Ottokar von Böhmen errang er die Herzogtümer Österreich und Steiermark. Manche der Landesherren, zum Beispiel Karl V. oder Ferdinand I., hatten weder eine besondere Beziehung zu Österreich noch brachten sie diesem deutschen Land besondere Zuneigung entgegen. Ferdinand wurde am spanischen Hof erzogen. Maximilians Enkel Karl V. war in Burgund aufgewachsen. Als er mit 17 Jahren zum ersten Mal spanischen Boden betrat, um das Erbe seiner Mutter Johanna über die Reiche Kastilien und Aragorn anzutreten, Spanien existierte damals als Land ebenso wenig wie Österreich, Deutschland oder Italien, konnte er kein Wort spanisch. Als er 1519 zum Deutschen Kaiser gewählt wurde, sprach er kein Wort Deutsch. Trotzdem waren beide Landesherren von Tirol und Kaiser des Heiligen Römischen Reiches. Herrscher arbeiteten nicht für ihr Land, sie waren darum bemüht den Besitz und Einflussbereich ihrer Dynastie zu stärken. Es gab keine Bürger mit Reisepass und Rechten, sondern Untertanen, die ihrem jeweiligen Landesherrn zu Treue verpflichtet waren.

Die Grafschaft Tirol kam 1363 unter Rudolf IV. (76) zum Herrschaftsgebiet der Habsburger. Es wurde samt seinen Untertanen vertraglich und nüchtern vererbt. Kaiser Maximilian I. (83) konnte durch Kriege und seine legendäre Heiratspolitik mit etwas Geschick und noch mehr Glück aus dem Herrscherhaus Habsburg eines der größten Reiche der Weltgeschichte machen. Die Casa de Austria hatte durch die Spanische Krone im 16. und 17. Jahrhundert auch Ländereien in Amerika in ihren Einflussbereich. Habsburgs Kinder wurden zu jeder Zeit vom 13. bis zum 20. Jahrhundert in königlicher Strenge dazu erzogen, politisch verheiratet zu werden. Widerspruch dagegen gab es keinen. Man mag sich das höfische Leben als prunkvoll vorstellen, Privatsphäre war in all dem Luxus nicht vorgesehen. Das Leben des Einzelnen galt nichts, man musste seine Pflicht gegenüber der Dynastie erfüllen. Jeder einzelne war ein politisches Gut, das man bestmöglich im Sinne der Macht verkaufen musste. Minderjährige wurden an fremde Höfe verheiratet und mussten sich in fremden Kulturen zurechtfinden. Sie erhielten je nach Epoche eine gediegene Ausbildung, allerdings nicht um einen Beruf auszuführen, sondern nur um Regierungsgeschäfte zu führen. Viele Habsburger waren höchst gebildete Zeitgenossen und durchaus reflektiert. Teilweise waren sie Opfer der dynastischen Verbindung, traten im Laufe Jahrhunderte durch Heirat innerhalb der eigenen Verwandtschaft die Zeichen des Inzests in Aussehen, Psyche und Intelligenz doch verstärkt zum Vorschein. Die seit Rudolf typische Unterlippe und die markante Nase waren die harmlosen Zeichen der innerfamiliären Hochzeiten, schwerwiegender waren Behinderungen und Fehlgeburten. Quer über den Globus bis nach Brasilien und Mexiko reichten die Eheverbindungen. Welche Auswirkungen diese strenge Erziehung und die Zwangsverheiratung hatte, lässt sich am Beispiel Rudolfs sehen, der sich gemeinsam mit seiner Geliebten das Leben nahm. Die bedeutendste politische Habsburgerin Maria Theresia (1717 – 1780) und ihre politisch klugen Berater verwandelten im 18. Jahrhundert, ganz im Geiste der Zeit die Komposition aus einzelnen Ländern und verstreuten Territorien unter der Krone der Habsburger langsam in etwas, das einem modernen Flächenstaat nahekam. Ihr Sohn Josef II. probierte das Reich im Geiste der Aufklärung zu reformieren, scheiterte aber am Unwillen großer Teile der Bevölkerung, seinem eigenen nüchternen Charisma und seinem frühen Tod. Franz Josef I. (1830 – 1916) herrschte zwischen 1848 und 1916 über ein multiethnisches Vielvölkerreich. Zu diesem Zeitpunkt war das neoabsolutistisch regierte Kaiserreich etwas aus der Mode gefallen. Österreich hatte seit 1867 zwar ein Parlament und eine Verfassung, der Kaiser betrachtete diese Regierung allerdings als „seine“. Minister waren dem Kaiser gegenüber verantwortlich, der über der Regierung stand. Im Nationalismus des 19. Jahrhunderts und dem 1. Weltkrieg zerbrach das Reich, das in wechselhafter Zusammensetzung unter der Herrschaft dieser Dynastie über Jahrhunderte hinweg die Geschicke vieler Generationen geprägt hatte. Am 28. Oktober wurde die Republik Tschechoslowakei ausgerufen, am 29. Oktober verabschiedeten sich Kroaten, Slowenen und Serben aus der Monarchie um den SHS-Staat, den Vorgänger Jugoslawiens auszurufen. Der letzte Kaiser Karl dankte am 11. November ab.  Am 12. November erklärte sich „Deutschösterreich zur demokratischen Republik, in der alle Gewalt vom Volke ausgeht“.

Ein Teil dieses ständig sich verändernden Habsburgerreichs war seit 1363 die Stadt Innsbruck. Durch die strategische Lage zwischen den italienischen Städten wie Venedig, Florenz und Mailand und deutschen Zentren wie Augsburg und Regensburg kam Innsbruck spätestens nach der Erhebung zur Residenzstadt unter Kaiser Maximilian ein besonderer Platz im Reich zu. Besonders zwischen dem 15. und dem 19. Jahrhundert hinterließen Kaiser, Könige- und Königinnen sowie die Tiroler Landesfürsten ihre Spuren in der Stadt. Als konservatives Land war Tirol immer wieder Rückzugsort während turbulenter Zeiten. Tirol war Provinz und wildes Land, jedoch auch ein Rückzugsort vom „Wilden Osten“. Karl V. (1500 – 1558) floh während einer Auseinandersetzung mit dem protestantischen Schmalkaldischen Bund für einige Zeit nach Innsbruck. Ferdinand I. (1793 – 1875) ließ seine Familie fern der osmanischen Bedrohung im Osten Österreichs in Innsbruck verweilen. Mit dem kinderlosen Tod Erzherzog Sigmund Franz´ endete 1665 die Tiroler Linie der Habsburger. Innsbruck war keine Residenz mehr, beherbergte aber immer noch Universität und Landesbehörden und konnte sich so einen Teil seiner Bedeutung innerhalb des Habsburgerreichs erhalten. Kaiser Franz Stephan von Lothringen, der Gatte Maria Theresias, verstarb während der Hochzeitsfeierlichkeiten seines Sohnes in der Stadt. Kaiser Ferdinand brachte sich 1848 während der Revolution (100) in Wien in Innsbruck in Sicherheit. In der K.u.K. Monarchie des 19. Jahrhunderts war Innsbruck der westliche Außenposten eines Riesenreiches, das sich bis in die heutige Ukraine erstreckte und eine Vielzahl von Nationalitäten umfasste. Oft wurde und wird das späte Habsburgerreich despektierlich als Völkerkerker bezeichnet. Bei allen nationalen, wirtschaftlichen und demokratiepolitischen Problemen, die es in den Vielvölkerstaaten gab, die in verschiedenen Kompositionen und Ausprägungen den Habsburgern unterstanden, die Nationalstaaten, die nachfolgten, schafften es teilweise wesentlich schlechter die Interessen von Minderheiten und kulturellen Unterschiede innerhalb ihres Territoriums unter einen Hut zu bringen. Seit der EU-Osterweiterung wird die Habsburgermonarchie von einigen wohlmeinenden Historikern als ein vormoderner Vorgänger der Europäischen Union gesehen. Gemeinsam mit der katholischen Kirche prägten die Habsburger den öffentlichen Raum über Architektur, Kunst und Kultur. Goldenes Dachl, Hofburg, die Triumphpforte, der Leopoldsbrunnen und viele weitere Bauwerke erinnern bis heute an die Präsenz dieser europäischen Herrscherfamilie in Innsbruck, die mehr als fünf Jahrhunderte überdauerte.

Tiroler Demokratie und das Herz Jesu

Tiroler sehen sich bis heute oft als eigene Nation. Mit „Tirol isch lei oans“, „Zu Mantua in Banden“ und „Dem Land Tirol die Treue“ besitzt es gleich drei mehr oder weniger offizielle Hymnen. Diese Einstellung hat wie viele lokale Identitäten historische Gründe. Tirol nahm innerhalb des Habsburgerreichs lange Zeit eine gesonderte Position ein. Gerne wird von der ersten Demokratie Festlandeuropas gesprochen, was wohl eine maßlose Übertreibung ist, sieht man sich die feudale und von Hierarchien geprägte Geschichte des Landes bis weit ins 19. Jahrhundert an. Eine gewisse Eigenheit in der Entwicklung kann man dem Land, folgt man der von den Landständen mitgeprägten Politik und den Urkunden, trotzdem nicht absprechen. Nach der Hochzeit des Bayern Ludwigs von Wittelsbach mit der Tiroler Landesfürstin Margarete von Tirol-Görz waren die bayrischen Wittelsbacher für kurze Zeit nach den Grafen von Andechs erneut Landesherren von Tirol. Um die Tiroler Bevölkerung für sich zu gewinnen, beschloss Ludwig den Landständen, also den Sprechern der Tiroler Bevölkerung, im 14. Jahrhundert ein Zuckerl anzubieten. Im "Großen Freiheitsbrief" von 1342 versprach Ludwig den Tirolern keine Gesetze oder Steuererhöhungen zu erlassen, ohne sich nicht vorher mit ihnen zu besprechen. Dieser Große Freiheitsbrief wurde fortan von den Vertretern der Tiroler Bevölkerung bei allen Forderungen der Herrschenden und Fürsten gegenüber dem Land ins Feld geführt. Von einer demokratischen Verfassung kann allerdings keine Rede sein, waren diese Landleute doch vor allem die hohe Geistlichkeit und der lokale Adel, die über Mittel und Besitz verfügten. Als im 15. Jahrhundert Städte und Bürgertum langsam wichtiger wurden, entwickelte sich ein Gegengewicht zum Adel. Beim Landtag von 1423 unter Friedrich IV. trafen erstmals 18 Mitglieder des Adels auf 18 Mitglieder der Städte und der Bauernschaft. Nach und nach entwickelte sich in den Landtagen des 15. und 16. Jahrhundert eine feste Zusammensetzung. Vertreten waren die Tiroler Bischöfe von Brixen und Trient, die Äbte der Tiroler Klöster, die Adligen, Vertreter der Städte und der Bauernschaft. Den Vorsitz hatte der Landeshauptmann. Natürlich waren die Beschlüsse und Wünsche des Landtags für den Fürsten nicht bindend, allerdings war es für den Regenten wohl ein beruhigendes Gefühl, wenn er die Vertreter der Bevölkerung auf seiner Seite wusste oder schwere Entscheidungen mitgetragen wurden. Eine weitere sehr wichtige Urkunde für das Land ist das Tiroler Landlibell. Maximilian (83) gestand darin den Tirolern im Jahr 1511 in einer Art Verfassung zu. Soldaten sollten nur für den Kriegsdienst zur Verteidigung des eigenen Landes herangezogen werden dürfen. Betrachtet man die kriegerischen Zeiten und was es für die Bauern bedeutete, in den Krieg ziehen zu müssen, anstatt zu Hause die Felder bewirtschaften zu können, erkennt man schnell den Vorteil, den es den Tiroler brachte. Der Grund für Maximilians Großzügigkeit war weniger seine Liebe zu den Tirolern als die Notwendigkeit die Tiroler Bergwerke am Laufen zu halten, anstatt die kostbaren Arbeiter am Schlachtfeld zu verheizen. Dieses Sonderrecht der Tiroler war einer der Gründe für den Aufstand gegen die französischen Truppen im napoleonischen Krieg, als junge Tiroler bei der Mobilisierung der Streitkräfte im Rahmen der allgemeinen Wehrpflicht ausgehoben wurden. 

Auf diese eigenständige politische Landesgeschichte stützt sich der historische Tiroler Nationalismus, der seine höchste Vollendung bis heute in Bonmots wie „bisch a Tiroler bisch a Mensch, bisch koana, bisch a Oasch“ feiert. Das Zugehörigkeitsgefühl vieler Untertanen galt dem Land Tirol, weniger dem Haus Habsburg (77). Je stärker die Zentralisierung seit Maria Theresia (97) voranschritt, desto mehr war man in Wien darauf erpicht, Sonderfälle in den historischen Ländern wie Tirol, Kärnten und der Steiermark zu bändigen. Innsbruck und Tirol allerdings stellten so etwas wie den exotischen Wilden Westen des Reiches dar, der zusätzlich von den Alpen geschützt wurde. Im 19. Jahrhundert wollte man die Identifikation mit der Monarchie stärken. Presseberichte, Besuche der Herrscherfamilie, Denkmäler wie der Rudolfsbrunnen oder die Eröffnung des Berg Isels mit Hofer als kaisertreuem Tiroler sollten dabei helfen, die Bevölkerung in kaisertreue Untertanen zu verwandeln. Als nach dem Ersten Weltkrieg das Habsburgerreich zusammenbrach, zerbrach auch das Kronland Tirol. Das, was man bis 1918 als Südtirol bezeichnete, der italienischsprachige Landesteil zwischen Riva am Gardasee und Salurn im Etschtal, wurde zum Trentino mit der Hauptstadt Trient. Der deutschsprachige Landesteil zwischen Neumarkt und dem Brenner ist heute Südtirol / Alto Adige, eine autonome Region der Republik Italien mit der Hauptstadt Bozen. Der Teil des historischen Tirols nördlich des Brenners mit der Hauptstadt Innsbruck ist gemeinsam mit dem Landesteil Osttirol ein Bundesland der Republik Österreich. Für viele Tiroler stellt der Brenner aber auch nach über 100 Jahren noch immer eine Unrechtsgrenze dar, auch wenn man im Europa der Regionen auf EU-Ebene politisch stark zusammenarbeitet. Im Tiroler Teil nördlich des Brenners gab es, wie auch in anderen Kronländern nach dem verlorenen Weltkrieg, die Intention sich von der neu konstituierten Republik Deutschösterreich zu lösen. Der kleine Rumpfteil des verschwundenen Habsburgerreiches mit der überdimensionierten Hauptstadt Wien wurde vom Großteil der Menschen als nicht überlebensfähig gesehen. Bei einer Volksbefragung stimmten 99% der Tiroler für einen Anschluss an Deutschland. Erst nach dem 2. Weltkrieg begann sich in Tirol ein Zugehörigkeitsgefühl zu Österreich zu entwickeln. Innsbrucker fühlten sich durch die Jahrhunderte hindurch als Innsbrucker, Tiroler, Deutsche, Katholiken, Untertanen des Kaisers. Als Österreicher aber fühlte sich vor 1945 kaum jemand. Bis heute sind viele Tiroler stolz auf ihre lokale Identität und grenzen sich gerne von den Bewohnern anderer Bundesländer oder fremden Nationen ab. Die Legende von Tirol als Heiligem Land, eigener unabhängiger Nation und erster Demokratie außerhalb Englands hält sich bis heute. Dabei vergessen viele in ihrem Nationalstolz, dass Tirol keineswegs ein deutsches Land war. Mit Deutsch, Italienisch, Ladinisch waren allein in Tirol drei Sprachgruppen vertreten. Dazu kamen kleine Gruppen wie das Zimbrische und Rätoromanisch.

Friedrich IV.: Innsbruck wird Residenzstaddt

Friedrich IV. (1382 – 1439) lebte in einer bewegten Zeit der habsburgischen Geschichte. Sein Vater Leopold III. hatte für kurze Zeit nach dem Tod seines Bruders die habsburgischen Erblande wieder vereint. Friedrich und seine zwei Brüder teilten sich die Regentschaft wieder. So wurde er zum Begründert der Tiroler Linie des Hauses Habsburg. Friedrich übernahm ab 1406 neben der Regentschaft in Vorderösterreich auch die Grafschaft Tirol. Vorderösterreich? Also Vorarlberg? Nicht ganz. Unter Vorderösterreich verstand sich der Besitz der Habsburger unter anderem in der Schweiz, in Vorarlberg, im Elsass, in Baden-Württemberg. Tirol und Vorderösterreich wurden seit Friedrich gemeinsam verwaltet als Oberösterreich. Für uns, die wir in den Nationalstaaten des 19. und 20. Jahrhunderts aufgewachsen sind, ist diese Verbindung verschiedenster Ländereien quer durch Europa unter einem Landesfürsten oder Geschlecht schwer vorstellbar. Im Mittelalter und der Frühen Neuzeit war es ebenso gängige Praxis wie Tausch, Verkauf oder Aufteilung von Ländereien innerhalb der mächtigen europäischen Adelsgeschlechter. Die Städtepartnerschaft mit der deutschen Stadt Freiburg geht auf diese Zeit zurück, in der das Breisgau im Südwesten der heutigen Republik denselben Herrscher hatte wie Tirol. Friedrich war von früher Jugend an häufig in kostspielige Kriege und Konflikte gegen äußere Gegner sowie Konkurrenz innerhalb des Heiligen Römischen Reiches verwickelt. Friedrichs Kriege zählten zu den letzten, die von Ritterheeren geprägt waren. Appenzeller Aufständische in der heutigen Schweiz, eine innertirolische Fehde mit Heinrich von Rottenburg und ein Aufstand in Trient verlangten seine innen- und außenpolitische Aufmerksamkeit. Ebenso bewegt wie die Epoche Friedrichs, war auch sein eigenes Leben. Es war die Zeit, in der es durch Unfrieden und Spaltung in der Kirche mehr als einen Papst gab. Religion war im Alltag der Menschen allgegenwärtig und wichtiger Teil des Lebens. Auf dem Konzil von Konstanz (1414 – 1418) sollte über den innerkirchlichen Streit Einigkeit erlangt werden. Der böhmische Geistliche und frühe Kirchenreformator des europäischen Festlandes Jan Hus fand auf dem Scheiterhaufen den Tod. Die Kirche war gespalten. Es gab neben einem Papst in Rom auch einen Papst im französischen Avignon. Friedrich stellte sich auf die Seite Papstes Johannes XXIII und verhalf diesem zur Flucht. Der König des Heiligen Römischen Reiches Sigismund, der auf den Gegenpapst setzte, ließ Friedrich dafür mit der Acht belegen und einsperren. Das bedeutete nicht nur den Freiheitsentzug, sondern auch den Verlust seiner Länder und einen Ausschluss aus er Kirche. Nach abenteuerlicher Flucht aus der Haft wieder in Innsbruck angelangt, konnte sich Friedrich aber rehabilitieren. Dafür musste er der Bevölkerung, vor allem dem landbesitzenden Kleinadel, von dem er unterstützt wurde, und den Städten, Reformen zugestehen. So kam es, dass auch die Landbevölkerung im Tiroler Landtag, vertreten war. Neben Klerus, Adel und den Städten durften durch Friedrichs Gesetzänderung auch die Gerichte, die für die Verwaltung der Landgemeinden zuständig waren, ihre Vertreter in den Landtag entsenden. Wegen dieser Zugeständnisse, seinem unsteten Leben und den teuren Kriegen wurde er von seinen politischen Gegnern spöttisch "Friedl mit der leeren Tasche" genannt. Dieser Ausdruck blieb im Volksmund erhalten, auch wenn Friedrich am Ende seiner Regentschaft durch die reichen Silberfunde in Schwaz und Gossensass sowie durch Zölle und Maut auf den Handel zwischen Venedig und Augsburg einer der reichsten Fürsten Europas seiner Zeit war.

Friedrichs größter Verdienst und das, worauf seine Bedeutung und Bekanntheit in der Geschichte Innsbrucks basieren, war der Umzug seines Hofes in die Stadt. Innsbrucks Wohlstand und Bedeutung gründete sich dank seiner Lage zwischen den deutschen und italienischen Städten schon damals auf den Verkehr. Das bewog Friedrich zu einem Umzug seiner Residenz vom etwas abgelegenen Meran nach Innsbruck. Dafür ließ er mit dem Neuhof, das Maximilian (83) zum Prunkerker mit dem Goldenen Dachl umbauen ließ, ein neues Gebäude errichten. Meran war der Stammsitz der Grafen von Tirol gewesen und blieb noch bis 1849 die offizielle Tiroler Landeshauptstadt, in der Bedeutung für die Tiroler Wirtschaft und Regierungsgeschäfte hatte spätestens seit Friedrichs Umzug Innsbruck die Nase vorn. Unter seine Regentschaft wurden die Lauben in der Herzog-Friedrich-Straße angelegt. Europaweit war das 15. Jahrhundert wegen des tendenziell schlechteren Klimas als in den Vorperioden eine wirtschaftlich schwierige Zeit, geprägt von Missernten. Durch Handel und den Impuls, den die Übersiedlung des Hofstaats brachte, blühte Innsbruck aber gegen den Trend der Zeit auf. Mit dem Hofstaat kamen Beamte, Handwerker und Militärs, die Geld in die Stadt brachten. Vor allem die Handwerkszünfte sollten zum Wirtschaftsmotor und zur Basis für die spätere frühindustrielle Fertigung werden. Das Geld zog Händler an. Das mobile Volk brachte neue Gedanken und neue Sitten in die Stadt. Gastwirtschaften eröffneten und baten Abwechslung im Alltag. Fahrende Theater und Schaukünstler kamen in die Stadt. Es ist schwer zu sagen, wie sich die Übersiedlung der Residenz von 1420 konkret auf Innsbrucks Bevölkerungszahl auswirkte. Der Hofstaat Friedrichs brachte mit seiner neuen Art zu wirtschaften aber ein neues soziales Gefüge. Wie in vielen europäischen Städten im deutschsprachigen Raum schwappte die Urbanisierung aus den italienischen Ländern über und brachte eine Spezialisierung der Berufswelt und noch stärkerer Arbeitsteilung. Zuzug und Veränderungen sorgten auch für Probleme. Die Xenophobie der abergläubischen, oft analphabetischen und wenig gebildeten Bevölkerung nahm nicht im gleichen Tempo ab, wie sich die Zustände änderten. Soziale Spannungen zwischen Alteingesessenen und neuen Bürgern, Handerkern, Händlern, Bauern und Mitgliedern des Hofstaates waren Alltag im Innsbruck Friedrichs. Durch die Silberfunde und die damit einhergehende Bergwerkswirtschaft im nahen Schwaz wurde das Sozialgefüge auch in Innsbruck beeinflusst. Die Macht der Zünfte nahm zu. Zwar war Innsbruck vom Umland abhängig, was die Versorgung mit Lebensmitteln betraf, durch den wachsenden Wohlstand der Stadt war es aber leichter sich durch diese Krisenzeit zu manövrieren als in rein ländlichen Gebieten. Als Friedrich starb, war Tirol dank der Silberfunde in Schwaz, es war die größte Mine Europas, zu einem wichtigen Land innerhalb des Habsburgerreiches aufgestiegen. Innsbruck war zwar gewachsen, noch immer aber eine kleine Stadt. Friedrich war der letzte Tiroler Landesfürst, der als Grablege das von Meinhard II. gegründete Stift Stams wählte.

Siegmund der Münzreiche

Einer der populärsten Habsburger Innsbrucks trägt den Beinamen der „Münzreiche“. Er schaffte es zur gleichen Zeit eine Renaissance der Stadt Innsbruck einzuleiten und das Land Tirol an den finanziellen Abgrund zu treiben. Siegmund von Tirol (1427 – 1496) startete schon denkbar schlecht in sein Amt als Landesfürst. Als sein Vater Friedrich IV. (79) starb, war Siegmund erst 12 Jahre alt. Deshalb nahm ihn der sein Onkel Friedrich III., der Kaiser des Heiligen Römischen Reichs und Vater Maximilians I., in unfreiwillige Obhut und Vormundschaft. Man könnte sagen, Siegmund startete seine Karriere als Geisel des Kaisers, seines Vetters. Tirol war mittlerweile eine reiche Grafschaft, die direkte Kontrolle darüber wollte der Kaiser nur ungern aufgeben. Erst als die Tiroler Landstände gegen diese Bevormundung protestierten, konnte Siegmund sein Amt antreten. Der Tiroler Landtag, die vier Stände, hatte die Regierungsgeschäfte in Ermangelung eines Landesfürsten übernommen und so erstmals politisches Gewicht bewiesen. Mit 18 Jahren zog Siegmund in Innsbruck ein, um die Amtsgeschäfte zu übernehmen. 1449 heiratete Eleonore, eine schottische Prinzessin. Im selben Jahr erließ er die Schwazer Bergordnung, die zum Vorbild für alle Bergwerke der Habsburger werden sollte. Den Bergbeamten wurden, ähnlich den Universitäten, mehr Rechte innerhalb ihres Wirkungsbereiches gegeben. Für die Bergarbeiter gab es Sonderregelungen innerhalb der Gesellschaft, waren sie doch heiß begehrte Arbeitskräfte. Man kann durchaus von einer frühen sozial- und arbeitsrechtlichen Vereinbarung sprechen. Die Nachfrage nach Fleisch, einem raren Gut im normalen Volk, durchaus leistbar für die neue, wohlhabendere Schicht, stieg an. Das hatte eine Veränderung der Landwirtschaft zur Folge, die vor allem im Tiroler Unterland östlich Innsbrucks die Viehzucht als einträglichere Quelle als den Ackerbau für sich entdeckte. 1484 ließ Siegmund die Münzprägeanstalt von Meran in Südtirol nach Hall verlegen, was ihm den Beinamen Siegmund der Münzreiche einbrachte. Für die kleine Stadt Hall, die ja in unmittelbarer Umgebung von Innsbruck liegt, sowie für Innsbruck selbst, bedeutete das eine immense Aufwertung. In Wahrheit war Siegmund aber trotz des reichen Landes, das er von Friedrich IV. geerbt hatte, auf Grund seines opulenten Lebenswandels nicht besonders münzreich im Gegensatz zu seinem Vater, der ungerechterweise den weniger schmeichelhaften Spitznamen "Friedl mit der leeren Tasche" erhielt. In zweiter Ehe hatte er Katharina von Sachsen, eine Dame aus kurfürstlichem hocharistokratischem Haus, geheiratet. Es war wohl auch dem Einfluss und der Hofhaltung seiner beiden Ehefrauen zu verdanken, dass die Ausgaben des Münzreichen auf lange Sicht die Einnahmen aus Steuern, Salinen und den Bergwerken überstiegen. Man kann von circa 2000 Stadtbürgern zu dieser Zeit ausgehen. Der Hofstaat Sigmunds dürfte aus 500 Personen bestanden haben. Diese „Fremden“ erregten in Innsbruck Aufsehen. Bei der Hochzeit 1484 umfasste allein der Zug der Braut 54 Wagen, deren Teilnehmer in Innsbruck einquartiert und verköstigt werden mussten. Auch seine mehr als 30 ihm nachgesagten unehelichen Kinder waren der Stabilität seiner Regierung nicht zuträglich. Innsbruck war unterdessen zu einem Anziehungspunkt für Handwerker, Goldschmiede und Künstler geworden. Der Stadtturm beim Alten Rathaus als Ausdruck des städtischen Wohlstands und erste Teile der Hofburg wurden unter Siegmund erbaut. Ein Glasmaler siedete sich in Innsbruck an und begründete die Tradition der Glasmalerei in Innsbruck. Um 1900 war die Glasmalerei Innsbruck in der heutigen Glasmalereistraße einer der weltweit führenden Betriebe mit Niederlassungen in New York und München. Die Hofbibliothek wuchs unter Siegmunds humanistisch gelehrten Gästen. Bücher waren in der Zeit vor der Erfindung des Buchdrucks ein teures Hobby. Auch fahrendes Volk und Schausteller waren am Hof gerne gesehen, um die einheimischen und internationalen Gäste zu unterhalten. Die Stadt blühte unter Hofstaat und Säckel Siegmunds erstmals richtig auf. Gleichzeitig wurden die Zeiten aber auch rauer für die, die mit dem neuen Lebensrhythmus der Stadt nicht mithalten konnten. Die Abgehängten, die heute von Populisten politisch angesprochen werden, gab es schon damals. Der Hexenprozesse von 1485 (81) fanden in einem Klima aus Neid, Missgunst und Skepsis gegenüber den neuen Sitten statt. Als Siegmund 1496 starb, war er bereits entmachtet und hatte 1490 die Herrschaft über Tirol an Kaiser Maximilian I. übergeben müssen. Bei den Tiroler Landständen war Siegmund nicht besonders populär. Auf ihren Druck hin musste er deshalb bereits zu Lebzeiten seinen Platz räumen. Ein verlorener Krieg mit den Schweizer Eidgenossen verpflichtete ihn zu Zahlungen. Sein Hof war am Ende seiner Regierungszeit übermäßig aufgebläht und teuer, bis zu 500 Personen gehörten ihm an, unter anderem der Burgriese Nikolaus Haidl. Bedenkt man, dass dieser Hofstaat von den Abgaben des Landadels und der Bauernschaft ernährt werden musste, kann man den Unmut der Landstände wohl nur zu gut verstehen. Er musste habsburgische Besitzungen im Elsass und dem heutigen Breisgau an Karl den Kühnen von Burgund, den zukünftigen Schwiegervater Maximilians I. (83) verpfänden. Die österreichischen Vorlande verkaufte er zu einem Spottpreis an das Herzogtum Bayern, die Tiroler Silberbergwerke verpfändete er an Jakob Fugger ((85). Trotzdem, auf Grund der Entwicklung, die Innsbruck unter seiner Regentschaft nahm und seines originellen Beinamens, zählt er heute noch zu den bekanntesten und bedeutendsten Habsburgern in der Geschichte der Stadt.

Der Innsbrucker Hexenprozess von 1485

Das Mittelalter wird oft als dunkles Zeitalter der Menschheit dargestellt. Die ungebildete Bevölkerung trägt in Filmen für gewöhnlich graue Kleidung, Klerus und Aristokratie sind egoistische Machthaber ohne Sinn für das allgemeine Wohl. Diese Darstellung ist natürlich nicht korrekt. Weder war das Mittelalter eine triste Epoche, tatsächlich war die Zeit bis 1500 sogar ausgesprochen farbenfroh, noch war sie von Gesetzlosigkeit und Willkür geprägt, wie ein berühmtes Beispiel aus Innsbruck beweist. Unter dem Landesfürsten Sigmund spielte sich 1485 eine Kuriosität ab, die große Auswirkungen auf ein finsteres Kapitel der europäischen Geschichte der nächsten Jahrhunderte haben sollte. Es war die Zeit, in der Innsbruck als Residenzstadt überdurchschnittlich wuchs. Beamte, Soldaten, Händler und anderes fremdes Volk erregte Unsicherheit, ebenso wie die vielen gesellschaftlichen Veränderungen die sich zutrugen. Trotzdem war Innsbruck noch immer klein genug, dass jeder jeden kannte. Neid und Missgunst waren Teil des Alltags. Streitigkeiten und Unpässlichkeiten über Denunziation zu regeln, war auch damals ein von einigen Mitbürgern gerne in Anspruch genommenes Mittel. Der Inquisitor Heinrich Kramer, Autor des Hexenhammers, unternahm in diesem Innsbruck einen ersten Versuch eines Hexenprozesses. Kramer war ein frauenfeindlicher, abergläubischer, vom Glauben an den Teufel und die Apokalypse getriebener, unglücklicherweise vom Papst mit einer Vollmacht zur Hexenjagd ausgestatteter religiöser Eiferer. Er war im Elsass geboren, damals ein Teil der Habsburgermonarchie.  Ähnlich einem Schausteller zog er als wandernder Inquisitor durch die deutschen Länder. In Predigten rund um das Thema Magie und Hexerei legte er dar, Magisches wie Liebes- oder Krankheitszauber, Flüche, Teufelsanbetung, Beschwörung, Gotteslästerung magische Artefakte wie Knochen ungetaufter Kinder, Holzsplitter eines Galgens – die Verdachtsmomente und Gründe, wegen derer man der Hexerei angeklagt werden konnte im Innsbruck des 15. Jahrhunderts waren mannigfaltig. Es gab im Aberglauben der Menschen schwarze, also schädliche, und weiße, helfende Magie. Heilige wurden um Beistand gebeten, Flüche hingegen gefürchtet. Prozessionen und Gebete sollten helfen, dem Teufel und der Verdammung als Endgegner im Leben nach dem Tod zu entgehen. Schädliche Gegenstände wie Knochensplitter Ungetaufter oder Holzstücke eines Galgens brachten Unglück. Wer die Menschen des Mittelalters aus heutiger Sicht für Hinterwäldler hält, beobachte moderne Sportler, die sich vor dem Wettkampf bekreuzigen oder ertappe sich selbst dabei, an Glücksbringer zu glauben, bevor er sich ein Urteil bildet. Die Umstände waren andere. Nahrungsmittel waren dauerhaft krank, was zum vermehrten Auftreten von Krankheiten und Missbildungen aller Art führten. Die Sterblichkeit bei Kindern bis zum Alter von 10 Jahren lag bei annähernd 50%. Medizinische Versorgung im heutigen Sinne war nicht vorhanden, was bereits kleine Beschwerden zu einem großen Leiden machen konnte. Wetterberichte, anhand derer Bauern ihre Tätigkeit hätten ausrichten können, gab es ebenfalls nicht. Krankheiten, Schmerzen, Unfruchtbarkeit, Impotenz, lokale Hagelschauer, die die Ernte des einen Bauern vernichteten und des Nachbarn verschonten, vieles wurde überirdischen Mächten zugeschrieben. Nach getaner Aufklärung der Zuhörer, ermunterte der Inquisitor sein Publikum der Hexerei Verdächtige zu melden. Es kam zu Untersuchungen und Verhören. 50 Personen, der Großteil davon Frauen, standen nach Denunziation durch Mitbürger wegen des Vorwurfs der Häresie im Verdacht der Hexerei. Sieben Personen wurden offiziell angeklagt. Es war der Brixner Bischof Golser, der rettend einschritt. Sein Gesandter stellte schwere Verfahrensmängel fest. Ein Anwalt wurde dazu erkoren, alle sieben Angeklagten Frauen zu vertreten. Schließlich wurden alle Verdächtigen freigelassen. Der Bischof forderte Kramer auf, Tirol zu verlassen. „In der Praxis zeigte sich seine Dummheit, denn er unterstellt vieles, was gar nicht erwiesen war,“ schrieb Golser in einem Brief. Kramer wurde vom Bischof des Landes verwiesen. Dieser für ihn enttäuschende Prozess war der Startschuss einer zweifelhaften Karriere für den in seiner Ehre beleidigten Kramer. Im Anschluss an diese Episode verfasste er sein Werk Der Hexenhammer. Er leitete es sogar bezugnehmend auf Innsbruck ein mit „aber was, wenn ich alle (Fälle) berichten wollte, die allein in jener Stadt gefunden worden sind? Es hieße, ein Buch zu verfassen.“ Das Mittelalter war nicht wie oft vermittelt eine Zeit der Hexenverbrennungen im großen Stil. Diese dunkle Episode sollte erst im 16. Jahrhundert starten, mitgetragen von der rabiaten Gegenreformation der Jesuiten und angeleitet unter anderem vom Hexenhammer Kramers.  Wobei zu bemerken ist, dass die meisten Hexenprozesse nicht vor der Inquisition, sondern vor weltlichen Gerichten verhandelt wurden. Religion, Aberglaube, Magie und Justiz konnten nicht streng getrennt werden. Häresie war ein weltliches Verbrechen. Die Prozesse sollten, zumindest am Papier, nach gewissen Richtlinien geführt werden. Die Folter war geregelt, was sie nicht weniger fürchterlich machte, zumindest aber ein wenig der Willkür wegnahm. In Europa starben geschätzt 100 – 150.000 Menschen als Ketzer, Hexen und Zauberer, viele mehr wurden gefoltert und gefangen gehalten. Dabei traf es Eliten, die Neid erregten ebenso wie Randgruppen und sozial schwache, die als Sündenböcke für Unwetter, Krankheit und sonstiges Unglück herhalten mussten. Das Verhältnis zwischen Mann und Frau war dabei etwa 1:3. Innsbruck allerdings, sollte nach 1485 von weiteren Hexenverfolgungswellen verschont bleiben. Das Einschreiten Golsers und die Innsbrucker Bürgerschaft haben dabei wohl eine entscheidende Rolle gespielt.

Baumeisterdynastie Türing: Innsbruck wird Weltstadt

Siegmund der Münzreiche war es, der im 15. Jahrhundert Niklas Türing nach Innsbruck holte. Die Türings waren eine Steinmetz- und Baumeisterfamilie aus dem heutigen Schwaben, das damals als Vorderösterreich zur Habsburgermonarchie gehörte. Die Stadt war zur Residenzstadt der Fürsten von Tirol und dank der Silberminen in Schwaz und der Münzprägeanstalt in Hall zu einem bedeutenden Zentrum geworden. Für Baumeister war eine goldene Zeit angebrochen, die unter Maximilian (83) nochmals mehr an Fahrt aufnehmen sollte. Als eine der wichtigsten Städte im Heiligen Römischen Reich war es für die Aristokratie von Vorteil eine eigene Residenz in oder rund um Innsbruck zu haben, um Landesfürst, Kaiser und Wirtschaft möglichst nahe zu sein. Die Politik spielte sich in der Zeit vor Presse, Post und E-Mail vor allem im direkten Kontakt ab. Es kam zu einem wahren Bauboom. Die Türings prägten das gotische Innsbruck in der Übergangszeit zwischen Mittelalter und Früher Neuzeit. Die frühe Gotik und später die Renaissance hatte im Lauf des Spätmittelalters Europa mit einem neuen Verständnis von Architektur und Ästhetik in ein neues architektonisches Gewand getaucht. Bauten wie Notre Dame oder der Minster of York setzten den Trend, der ganz Europa bis zum Einsetzen des Barocks prägen sollte. Spitze Türme, Rippengewölbe, Erker und verspielte Schnitzereien, die den höfischen Alltag darstellen sind einige typische Merkmale, die den heterogenen Stil erkennbar machen. Vor allem in der Altstadt kann man das Wirken der Türings gut nachverfolgen. Viele der Bürgerhäuser weisen noch gotische Grundrisse, Innenhöfe und Schnitzereien auf. Auf Niklas Türing geht das berühmte Goldene Dachl zu einem guten Teil zurück. Er schuf auch die Statue des Burgriesen Haidl, eines besonders großen Mitglieds der Leibgarde Siegmunds, die heute im Stadtturm zu besichtigen ist. Kaiser Maximilian schätzte ihn derart hoch ein, dass er es ihm gestattete das Familienwappen der Türings und seiner Frau, einen Brunnen und einen Fisch, im Gewölbe des Goldenen Dachls zu verewigen. Sein Sohn Gregor verewigte sich unter anderem am Trautsonhaus in der Herzog-Friedrich-Straße und am Burgriesenhaus in der Domgasse. Der letzte der Türings mit Einfluss auf die Innsbrucker Bauszene war Niklas Türing der Jüngere, der mit Andrea Crivelli gemeinsam die Planungen an der Hofkirche begann. Im 16. und 17. Jahrhundert begann der Einfluss der Gotik vor allem im heutigen Österreich nachzulassen. Vor allem Kirchen wurden im Rahmen der Gegenreformation (86) zunehmend im Barockstil (93) um- und neugebaut. In Innsbrucks Osten erinnert heute die Türingstraße an diese bedeutende Familie der Innsbrucker Stadtgeschichte.

Maximilian I. und seine Zeit

Maximilian zählt zu den bedeutendsten Persönlichkeiten der europäischen und der Innsbrucker Stadtgeschichte. Über Tirol soll der passionierte Jäger gesagt haben: "Tirol ist ein grober Bauernkittel, der aber gut wärmt." Er machte Innsbruck in seiner Regierungszeit zu einem der wichtigsten Zentren des Heiligen Römischen Reichs. „Wer immer sich im Leben kein Gedächtnis macht, der hat nach seinem Tod kein Gedächtnis und derselbe Mensch wird mit dem Glockenton vergessen.“ Dieser Angst wirkte Maximilian höchst erfolgreich aktiv entgegen. Unter ihm spielten Propaganda, Bild und Medien eine immer stärkere Rolle, bedingt auch durch den aufkeimenden Buchdruck. Maximilian nutzte Kunst und Kultur, um sich präsent zu halten. So hielt er sich eine Reichskantorei, eine Musikkapelle, die vor allem bei öffentlichen Auftritten und Empfängen internationaler Gesandter zum Einsatz kam. Das Goldene Dachl, die Hofburg, die Hofkirche und das Innsbrucker Zeughaus wurden von ihm maßgeblich initiiert, ebenso die Befestigung der Straßen und Gassen der Altstadt durch Pflasterung. Er ließ den Handelsweg im heutigen Mariahilf verlegen und verbesserte die Wasserversorgung der Stadt. 1499 veranlasste Maximilian die Salvatorikapelle, ein Spital für die notleidenden Innsbrucker, die keinen Anspruch auf einen Platz im Stadtspital der Bruderschaft hatten umzubauen. Durch den kaiserlichen Hof, der immer wieder in Innsbruck ansässig war, bildete sich auch eine rege Bautätigkeit von außen. Gesandte und Politiker fremder Mächte sowie Adelige ließen sich ihren Wohnsitz in Innsbruck bauen oder übernachteten in den Wirtshäusern der Stadt. Kulturell war es vor allem seine zweite Ehefrau Bianca Maria Sforza, die Innsbruck förderte. Nicht nur die Hochzeit fand hier statt, sie residierte auch lange Zeit hier, war die Stadt doch näher an ihrer Heimat Mailand als die anderen Residenzen Maximilians. Sie brachte ihren gesamten Hofstaat aus der Renaissancemetropole mit in die deutschen Länder nördlich der Alpen. Innsbruck wurde unter Maximilian aber nicht nur auf künstlerischer Ebene zu einem Zentrum des Reiches, auch wirtschaftlich brummte die Stadt. Unter anderem war Innsbruck Zentrale des Postdienstes im Kaiserreich. Die Familie Thurn und Taxis (84) erhielt das Monopol auf diesen wichtigen Dienst und wählte Innsbruck als Zentrale ihrer privaten Reichspost. Die Fugger (85) unterhielten eine Kontorei in Innsbruck. Diplomaten aus ganz Europa und dem osmanischen Reich waren zu Gast in der Stadt. Neben seiner ihm gerne unterstellten Liebe für die Tiroler Natur waren ihm die Kostbarkeiten wie das Haller Salz und das Schwazer Silber mindestens ebenso teuer und nützlich. Seinen aufwändigen Hofstaat, die Wahl zum König durch die Kurfürsten und die vielen Kriege finanzierte sich Maximilian unter anderem durch Verpfändung der Bodenschätze des Landes an die reiche Kaufmannsfamilie Fugger aus Augsburg. Durch eine beginnende Zentralisierung seiner Hausmacht und eine effizientere Verwaltung nahm Maximilian eine gedachte Einheit Österreichs vorweg.  Beginnend mit ihm war die Kaiserkrone des Heiligen Römische Reichs (73), auch dank der finanziellen Kraft Tirols, fest in Habsburger Hand. Zu verdanken war diese Entwicklung einer geschickten Außenpolitik mit Krieg und Heirat. 1486 wurde Maximilian zum Kaiser gewählt, 1493 wurde gekrönt. Im 15. Jahrhundert allerdings war es schwer durch das politisch zerstückelte Italien nach Rom zu reisen. Die Habsburger standen zu dieser Zeit mit Venedig und Mailand auf Kriegsfuß. Die Serenissima Republica di San Marco verweigerte Maximilian den Durchzug. 1508 ließ er sich pragmatisch in Trient zum erwählten römischen Kaiser krönen, jedoch nicht salben. Das machte seinen Vater Friedrich III. zum letzten in Rom gesalbten Kaiser des Heiligen Römischen Reichs. Der Krieg mit Venedig endete zwar nicht mit einem Sieg Maximilians, Tirol wurden aber die eigentlich italienischen Gebiete des Trentino endgültig zugeschlagen. Die Südgrenze des Landes Tirol bei Riva sollte bis 1918 Bestand haben.

Häufig wird Maximilian auch als letzter Ritter und erster Kanonier bezeichnet. Er lebte in einer Zeit des Übergangs zwischen feudaler Armee unter der Führung der einzelnen Landesfürsten, die dem Kaiser unterstanden, und Söldnerheeren, die vom Landesherrn selbst bezahlt und unterhalten werden mussten. Die Rechnung der Finanzierung dieser Heere wurde unter anderem auch mit Tiroler Reichtum aus Salinen und Bergwerken bezahlt. In der Waffenherstellung konnte Maximilian auf das Fachwissen der Büchsenmeister aufbauen, die sich bereits unter seinem Vorgänger Siegmund in den Gießereien in Hötting etabliert hatten. Der berühmteste von ihnen war Peter „Löffler“ Laiminger. Die Geschichte der Löfflers ist im Roman Der Meister des siebten Siegels ausgezeichnet verarbeitet. Er erkannte aber auch, dass man Macht nicht nur am Schlachtfeld erringen kann. "Bella gerant alii, sed tu felix Austria nube! (Mögen andere Krieg führen, du glückliches Österreich, heirate!)" Hochzeiten waren seit jeher ein beliebtes Mittel zum Machterwerb, Maximilian aber perfektionierte diese Methode des Gambelns um Einfluss und Ländereien. Durch die Hochzeit mit seiner ersten Ehefrau Maria von Burgund konnte er große Gebietsgewinne verzeichnen. Das von Siegmund dem Münzreichen an Karl von Burgund verpfändete Vorderösterreich mit Elsass und Breisgau fielen ebenso an ihn wie das wohlhabende Burgund. Er stellte die Hochzeit mit Maria gerne als Liebeshochzeit dar. Ob das der Wahrheit entspricht, man möchte es dem jungen Mann wünschen, oder es eine Zweckhochzeit war wie die Ehen dieser Zeit in der Hocharistokratie für gewöhnlich waren, ist nicht ganz geklärt. Maria von Burgund allerdings war die Begründerin seiner Dynastie und es ließ sie wohl auch deshalb als besonders hübsch und geliebt am Goldenen Dachl darstellen. Durch die Hochzeit mit Maria von Burgund kamen aus den modernen Handelsstädten Brügge Modernisierung der Verwaltung und eine neue Art und Weise den Staat zu denken. Burgund war zu dieser Zeit am Weg zum modernen Flächenstaat in der Nähe zu Frankreich und zählte zu den wohlhabendsten Regionen Europas. Nachdem Maria bei einem Reitunfall tödlich verunglückte, heiratete er in zweiter Ehe Bianca Maria Sforza von Mailand, um den Machtbereich nach Süden zu stabilisieren. Auch seine Nachkommen waren vor dem Hochzeitsmanager Maximilian nicht sicher. Maximilian begründet die spanische Linie der Habsburger, die sich 200 Jahre lang halten konnte. Sein Sohn Philipp "der Schöne" wurde mit Johanna "der Wahnsinnigen" von Kastilien verheiratet. Sogar seine Enkel wurden im Spiel um Macht eingesetzt. Die Kinder von Philipp, Maria und Ferdinand, wurden von Maximilian schon im Kindesalter mit den Kindern des Königs von Ungarn und dem König von Polen in der Doppelhochzeit von Wien verheiratet. Als der König von Ungarn in der Schlacht von Mohacs fiel, ging auch die Krone Ungarns, Böhmens und Kroatiens an die Habsburger. Sein Enkel Karl V. regierte als Regent von Spanien und als Kaiser des Heiligen Römischen Reiches über ein Riesenreich.

Bei den Tiroler Bauern war Maximilian nicht besonders beliebt. Viele Tiroler mussten auf den Schlachtfeldern des Kaisers den kaiserlichen Willen durchsetzen. Die Kriege gegen die Schweizer Eidgenossen im Westen und die Republik Venedig im Süden verlangten den wehrfähigen Männern oft mehr als nur die Landesverteidigung ab. Zudem beschnitt Maximilian die bäuerlichen Rechte der Allmende. Holzschlag, Jagd und Fischerei wurden dem Landesherrn unterstellt und waren kein Allgemeingut mehr. Das hatte negative Auswirkungen auf die bäuerliche Selbstversorgung. Fleisch und Fisch, im Mittelalter für lange Zeit ein Teil des Speiseplans gewesen. Mit den Beschränkungen und den neuen Gesetzen wurden der Verzehr gewöhnter Nahrungsmittel wie eben Wild seltener. Es war um 1500, dass aus Jägern Wilderer wurden. Mit den Tiroler Bischöfen von Brixen und Trient, den größten Grundherren Tirols, musste er eine Einigung erzielen über die Superiorität im Land. Über den geschickten politischen Zug des Tiroler Landlibells von 1511 konnte sich Maximilian die Zuneigung und Treue der Untertanen erkaufen. Maximilian gestand den Tirolern in einer Art Verfassung zu, dass sie als Soldaten nur für den Krieg zur Verteidigung des eigenen Landes herangezogen werden dürfen. So konnte er den Einfluss der Bischöfe im Land beschneiden und sie wehr- und steuerpflichtig in seinen Machtbereich einbinden

Maximilian zu fassen, ist für Tiroler schwierig. Er soll regelrecht verliebt in sein Land Tirol gewesen sein. Liebesbekundungen eines Kaisers schmeicheln natürlich der Volksseele bis heute. Die allgemeine Darstellung ist durchaus verklärt positiv. Seine Hinterlassenschaft in der Stadt Innsbruck lassen oberflächlich betrachtet auch kein anderes Bild zu. Bis zu einem gewissen Grad ist das auch korrekt. Er machte Innsbruck zu einer Residenzstadt und trieb die Modernisierung der Infrastruktur voran. Während er das Heilige Römische Reich intern befriedete, führte er in der Außenpolitik insgesamt 27 Kriege. Innsbruck wurde zum Zentrum der Rüstungsindustrie und wuchs in Bedeutung und räumlicher Ausdehnung. Die Schulden, die er dafür aufnahm und das Landesvermögen, das er an die Fugger verpfändete, prägten Tirol nach seinem Tod mindestens ebenso wie die strengen Gesetze, die er der einfachen Bevölkerung verordnete. Sein Sohn Ferdinand I. erbte die schwere Last seines Vaters. 1525 kam es in Tirol unter Michael Gaismair (87) wie in vielen anderen Deutschen Ländern dieser Zeit zu Bauernaufständen. Maximilian mag für sie verantwortlich gewesen sein, erlebt hat er sie nicht mehr. In der heutigen Volksseele sind die harten Zeiten auch nicht mehr so präsent wie das Goldene Dachl und die in der Schule gelernten weichen Fakten und Legenden rund um den einflussreichen Kaiser. 2019 überschlug man sich mit den Feierlichkeiten zum 500. Todestag des für Innsbruck wohl wichtigsten Habsburgers. Der Wiener wurde wohlwollend eingebürgert. Salzburg hat Mozart, Innsbruck Maximilian, einen Kaiser, den Tiroler, ob seiner damals nicht ungewöhnlichen Leidenschaft für die Jagd passend zur gewünschten Identität Innsbrucks als rauen Gesellen, der am liebsten in den Bergen ist, angepasst haben. Sein markantes Gesicht prangt heute auf allerhand Konsumartikeln, vom Käse bis zum Skilift steht der Kaiser für allerhand Profanes Pate. Lediglich für politische Agenden lässt er sich weniger gut vor den Karren spannen als Andreas Hofer. Wahrscheinlich ist es für den Durchschnittsbürger einfacher, sich mit einem revolutionären Wirt zu identifizieren als mit einem Kaiser.

Thurn und Taxis und die Erfindung der Post

Das 20. und 21. Jahrhundert gilt als das Informationszeitalter. Auch die Veränderungen, die sich um 1500 abspielten, hatten viel mit neuen Möglichkeiten der Nachrichtenverbreitung zu tun. Produktion und Verteilung von Nachrichten, Neuigkeiten und Ideen revolutionierten sich dank zweier Innovationen. Mit dem Buchdruck war die Vervielfältigung von Information einfacher geworden. Ungefähr zur selben Zeit begann sich im Heiligen Römischen Reich ein Postwesen zu etablieren. Die Geschichte der Familie Taxis, die den Postdienst in Szene setzte, ist auch ein Beispiel für die Entwicklungsmöglichkeiten, die die frühe Neuzeit um 1500 bot. Sie ist eng mit den Habsburgern und der Stadt Innsbruck verbunden, das unter Kaiser Maximilian für kurze Zeit nicht nur Residenzstadt, sondern die europäische Postzentrale war. Die Taxis waren ein lombardisches Geschlecht aus dem niederen Adel. Bereits im 13. Jahrhundert hatte Omodeo de Tasso in Norditalien einen Kurierdienst zwischen den großen italienischen Städten eingerichtet. Ein einigermaßen funktionierendes Postwesen, wie es bereits im antiken Rom existiert hatte, gab es im Mittelalter nicht. Als Maximilian 1490 Innsbruck zu seiner Residenz machte, benötigte er aber eine möglichst effiziente Kommunikation innerhalb seines großen Reiches, das von den Niederlanden über Augsburg und Regensburg bis nach Wien reichte. Er engagierte dafür die Compania de Tassis die für den Kaiser eine eigene dauerhafte Stafettenlinie mit Infrastruktur und Personal einrichteten. Die verstaatlichte und monopolisierte Post des 19. und 20. Jahrhunderts war so gesehen nur ein kurzes Intermezzo, das mittlerweile faktisch beendet ist. Die erste Postzentrale der Neuzeit in Europa war die Residenzstadt Innsbruck geworden. Die Brüder Janetto, Francesco sowie Giovanni Battista de Tassis, zu Deutsch Franz und Johann Baptist von Taxis wurden von Maximilian I. zu Reichspostmeistern gemacht. In 20 – 40 km Abstand wurden Stationen, sogenannte Posten, eingerichtet, auf denen Boten und Pferde wechselten, um die Auslieferzeiten der Nachrichten zu verkürzen. Mit dem Anwachsen des Habsburgerreiches stiegen auch die Anforderungen an den Stafettendienst. Von Spanien bis nach Ungarn, von Mailand bis Brüssel musste das Netz reichen. Ebenso weit verzweigt in Europa wie die einzelnen Posten, waren auch die Mitglieder des Geschlechts der Taxis. Wenige Jahre nach Maximilians Tod öffnete sich der Kurierdienst der Taxis auch für private Post. Zum einen konnte der Kaiser so die Kosten für seinen Dienst senken, zum anderen konnte man andere Teilnehmer des Postsystems ausspionieren. In den Poststellen gab es Schwarze Kammern, in denen verdächtige Briefe geöffnet wurden. Mit der Aufgabe stiegen auch Ansehen und Vermögen der Familie. Sie waren zu den Betreibern der Kaiserlichen Reichspost geworden und kontrollierten die Kommunikation in Europa. Seit 1650 nannte sich das Geschlecht Thurn und Taxis. Vom alten Tasso, zu Deutsch Dachs, war nichts mehr übriggeblieben. Als das Heilige Römische Reich Deutscher Nation 1806 aufgelöst wurde, konnten die Thurn und Taxis zwar in einigen deutschen Fürstentümern das Postwesen für sich beanspruchen, langsam ging es für ihren Service aber bergab. 1908 wurde in der Maximilianstraße die neue Hauptpost im nach den Plänen Natale Tommasis errichtet. Ähnlich wie bei Bahnhöfen unterschied sich die Architektur des Gebäudes nicht von anderen großen Poststellen innerhalb des Habsburgerreiches. Wer als Untertan Kaiser Franz Josefs seine Postgeschäfte erledigte, sollte dies zwischen Trient und Lemberg im selben Look and Feel tun können. Bis 1969 stand gegenüber die Alte Post, die zeitweise auch im Besitz der Familie Thurn und Taxis war. Nach dem Ersten Weltkrieg verloren sie das Adelsprivileg. Viele der Schlösser, Besitztümer und Palazzi in ganz Europa sind bis heute aber noch im Besitz der Familie. Das Palais Fugger-Taxis erinnert bis heute an die Postmeister des Kaisers.

Jakob Fugger: der reichste Mann der Geschichte

Es gibt wohl kaum eine ungekrönte Person, die größeren Einfluss auf die Geschichte Europas um 1500 hatte als Jakob Fugger (1459-1525). Er war der reichste Mann seiner Zeit, vielleicht sogar aller Zeiten. Wie hoch sein Vermögen war, ist schwer in heutige Maßstäbe umzurechnen, als die FAZ 2016 einen Versuch unternahm, kam sie auf 300 Milliarden Dollar. Fuggers Lebenszeit deckt sich nicht nur zeitlich recht gut mit der Kaiser Maximilians, die beiden waren sich auch in ihren Schicksalen ausgeliefert. Jakob Fugger entstammte einer Augsburger Kaufmannsfamilie. Er und seine Brüder handelten Baumwolle mit norditalienischen Städten. In der Region zwischen Florenz, Venedig und Mailand war eine frühe Form des Finanzkapitalismus entstanden. Das Bankwesen begann im Spätmittelalter hier seinen Siegeszug durch Europa zu starten. Kaufleute, die nicht Unmengen an Bargeld mit sich führen wollten, benötigten die sogenannten Wechsel, um ihre Transaktionen durchführen zu können. In den Handelsstädten begannen sie Kontoreien aufzubauen. In Venedig lernte Fugger auf seinen Handelsreisen die Kunst der doppelten Buchführung und die Feinheiten der fortgeschrittenen italienischen Finanzwirtschaft kennen. Er erkannte schnell, dass mit Finanzgeschäften und Krediten mehr Geld zu verdienen war als mit Baumwolle. Monarchen und Aristokraten Europas finanzierten ihren Hofstaat und die Kriegsführung über den Zehnten. Diese Abgabe wurde von den Bauern innerhalb des Feudalsystems nach oben hin geleistet. Besonders die Kriegsführung war, angetrieben durch moderne Schusswaffen, teurer geworden. Deshalb reichte dieser Zehent oft nicht mehr aus. Sich über Glaube und Kirche zu legitimieren hatte bis hierher funktioniert, um 1500 begannen Gold und Silber in Form des Finanzkapitalismus langsam aber sicher Gott als letztgültige Instanz auf Erden abzulösen. Die Verbindung Jakob Fuggers mit dem Hause Habsburg und im Speziellen mit Tirol begann sich 1487 zu intensivieren. Der Tiroler Landesfürst Siegmund verlor einen Krieg gegen die Republik Venedig. Um seine Kriegsschulden in Höhe von 100.000 Gulden zu bezahlen, lieh er sich Geld von den Fuggern. Dafür stellte er Schuldscheine aus, die er durch die Verpfändung der Schwazer Silbermine an die Fugger deckte. Schwaz war vor der Erschließung der amerikanischen Silberminen die größte der Welt. Die Fugger kamen auch in den Besitz der Haller Münzprägeanstalt. Sie verkauften ihr Schwazer Silber an die Münze Hall und liehen diese Münzen wiederum Herzog Siegmund. Ein Kreislauf der besonderen Art war geboren. Damit endete der politische Einfluss der Fugger aber nicht, vielmehr fing er erst an. Als 1490 die Tiroler Landstände Siegmund wegen seines desaströsen Geschäftsgebarens absetzten, folgte ihm Maximilian I. als Landesfürst Tirols nach. Fugger war klug genug auf den neuen Landesfürsten zu setzen. Das Wort Kredit, zurückgehend auf das lateinische credere, also glauben, zeigt sich in dieser Wahl. Fugger glaubte an einen mächtigen Maximilian als sein bestes Asset. Er finanzierte 1493 die Wahl Maximilians zum Kaiser des Heiligen Römischen Reiches und sicherte sich damit seinen Einfluss. Als Maximilian 1519 starb, wiederholte Fugger dies und ließ über seine Finanzkraft Maximilians Enkel Karl V. zum Kaiser wählen. Fugger war es auch, der die Wiener Doppelhochzeit, Maximilians Meisterstück der Heiratspolitik, sponsorte, womit Ungarn ein Teil des Habsburgerreiches wurde. 1507 wurde Jakob Fugger in den Adelsstand gehoben. Es wird geschätzt, dass die Fugger zum Zeitpunkt des Todes etwa 50% des Staatshaushalt Tirols abwickelten und 10% der Vermögenswerte des Heiligen Römischen Reiches besaßen. Sie besaßen Minen in Tirol, Tschechien, der Slowakei und Spanien und finanzierten Handelsexpeditionen in der gesamten damals bekannten Welt wie auch zahlreiche Kriege in Europa. Es ist natürlich schwer zu sagen, manchem Historiker gilt Jakob Fugger aber als der reichste Mann der Weltgeschichte. In Innsbruck erinnern das Palais Fugger-Taxis sowie eine kleine Gasse zwischen Maria-Theresien-Straße und Landhausplatz an die Fugger.

Die Reformation in Tirol

Um 1500 begannen neue Gedanken in allen Lebensbereichen das Ende des Mittelalters einzuläuten. Künstler, Gelehrte und Kleriker begannen überall in Europa Hierarchien, Ordnung und Legitimationen zu hinterfragen. 1515 war es Albrecht Dürer, der 1495 bei seiner Durchreise sein berühmtes Aquarell der Stadt Innsbruck angefertigt hatte, vergönnt mit eigenen Augen ein Rhinozeros sehen, das aus Indien nach Europa gekommen war, wie ein Bild des Meisters beweist. Seefahrer wie Vasco da Gama und Kolumbus hatten neue Teile der Welt für Europa entdeckt und schafften so die Basis für eine frühe Form der kapitalistischen Globalisierung. Buchdruck und Postwesen ermöglichten die Verbreitung von Informationen und ungeahnter Geschwindigkeit. Die Welt war im Aufbruch, die Kirche, mit ihren alten Ritualen hingegen schien eine Verjüngungskur zu brauchen. Dürer war, wenn auch Lebemann und Spieler, ein gläubiger Mensch wie eine Vielzahl seiner christlich orientierten Motive beweisen. An der Allmacht der römischen Kirche begann er allerdings unter dem Eindruck der Jahrhundertwende und ihren Entdeckungen und Neuerungen ähnlich wie viele Zeitgenossen zu zweifeln. Seine Selbstporträts, die das Individuum, nicht wie die Kunst des Mittelalters Jesus und die Bibel, sind ein Ausdruck des Hinterfragens des Verhältnisses zwischen Menschen, Gott und Kirche. In Innsbruck begannen ab 1500 die Landesfürsten an den Privilegien des Stiftes Wilten, dem größten Grundherrn im heutigen Stadtgebiet, zu sägen. Infrastruktur im Besitz des Klosters wie Mühle, Säge und Sillkanal sollten stärker der Allgemeinheit zugutekommen. Die stark verweltlichte und korrupte katholische Kirche mit ihrem Zentrum in Rom kam durch Reformatoren wie John Wyclif, Jan Hus, Jean Calvin und Martin Luther unter Druck. Ihre Lehren von einem reformierten und puren Glauben abseits der dekadenten römischen Kirche und des verweltlichten Papsttums verbreiteten sich durch den modernen Buchdruck. Martin Luthers Schriften behandelten zwar primär Glaubensfragen, wenn es darum ging, nur Taufe und Abendmahl als Sakramente anzuerkennen und die Heiligenverehrung zurückzudrängen. Seine Forderungen nach Beendigung des Ablasshandels und Titel wie Von der Freiheit eines Christenmenschen bargen aber auch politischen Sprengstoff, waren päpstliche und weltliche Politik doch eng verschränkt. Die Habsburger (77)galten als erzkatholisch, das feudale System des Adels und der Kaiser legitimierten sich über den Papst und seine Lehren, wonach jeder sich seines angeborenen Standes gemäß zu verhalten habe. Störungen der religiösen Ordnung wurden daher auch als Störung der weltlichen Ordnung gesehen. In Tirol waren vor allem die Bergwerkstädte Hall und Schwaz die Zentren der Reformation, in denen Prediger wie Jacob Strauß die Menschen mit abweichenden Gedanken nicht nur im religiösen, sondern auch im sozialen Sinn aufwiegelten.  Strauß predigte vor vollen Kirchen – allerdings nach den Lehren Luthers, nicht denen des Papstes. Reformatorisch orientierte Kleriker setzten ihr ganzes Geschick in flammenden Predigten ein, während sich die offizielle Kirche hinter alter Liturgie in lateinischer Sprache, die niemand verstand, versteckte. Ein großer Teil des Erfolgs von Luthers Reform bestand darin, die Bibeltexte in deutscher Sprache zu veröffentlichen und predigen. Sola scriptura, nur die Heilige Schrift der Bibel, sollte die Basis des Glaubens bilden. Dabei waren die Kirchenreformatoren zwar papstkritisch, keineswegs aber besonders sozial oder liberal im heutigen Sinn. Der toskanische Dominikanerpater Girolamo Savonarola (1452 - 1498) errichtete in Florenz einen strengen Gottesstaat, nachdem er die Medici aus der Stadt verdrängt hatte. Der Mensch sollte für sein gottloses Dasein büßen. Spiegel und teure Gewänder als Zeichen der Eitelkeit, Musikinstrumente, gottlose Literatur und weitere allzu weltliche Dinge wurden verboten. Mit ähnlichem Furor verfuhr Jean Calvin (1509 – 1564) in Genf einige Jahre später, der religiöse Darstellungen, Musik sowie Heiligen- und Reliquienverehrung als Teil des religiösen Alltags verbieten ließ. Martin Luther ließ den 1525 revoltierenden Bauern ausrichten, dass er sich keineswegs für ihre Sache begeistern konnte, sondern eher ein Anhänger der Reformation von oben war.

1555 kam es zum Augsburger Religionsfrieden zwischen den einzelnen Parteien. Diese Vereinbarung besagte unter anderem, dass nach dem Prinzip cuius regio, eius religio der Landesfürst über die Konfession seiner Untertanen bestimmen konnte. Untertanen war es dafür erlaubt, ihre Scholle zu verlassen, ein Recht, das zu dieser Zeit nicht selbstverständlich war. Für gewöhnlich konnte ein Fürst über Mobilität und Privatleben bis hin zur Hochzeit seiner Untertanen bestimmen. Da der Landesfürst spätestens mit 1555 seine Untertanen zufriedenstellen musste, um ihre Arbeitskraft in seinem Territorium zu halten, hatte er auch für Seelsorge nach ihren Vorstellungen zu sorgen. Ferdinand I. und seine Nachfolger aus dem Haus Habsburg konnten die Reformation in Tirol erfolgreich durch Maßnahmen wie zurückdrängen. Ferdinand II. beschrieb seine Motive mit den Worten:

aus eingebung Gotes und seines Hayligen Geistes Inspiration. Alles zu ehre des aller höchsten aus ainem Rechen inprünstigen zu der heyligen Catholischen Alleinsseligmachenden Religion tragenden eyfer.“

Anhänger der Reformation hatten es in Tirol alles andere als leicht. Protestanten konnten viele Staatsämter in katholischen Ländern wie Tirol nicht erlangen. Ihre Kirchen waren verboten. Besonders der Ablasshandel und die oftmals mangelnde Seelsorge des Klerus führte zwar immer wieder zu Unzufriedenheit und Aufruhr, trotzdem konnte sich der Katholizismus als Leitbekenntnis halten. Der Glaube, dass man im irdischen Leben für das Leben nach dem Tod durch Ablasszahlungen vorbauen könnte und ein gottgefälliges Leben die Dauer des Fegefeuers verkürzt, war ein probates Mittel der Kirche, um die Portokasse zu füllen. Je höher der Kirchenmann und größer die Spende, desto wirksamer der Ablass. Der Großteil des Geldes ging nach Rom, wo sich der Papst und sein Klerus finanzierten. Aus heutiger Sicht ist es wundervoll, dass die Kirche Geld zur Verfügung hatte, um Kunstwerke wie die Sixtinische Kapelle zu errichten, den Gedanken der Humanisten und der Vernunft widersprach es aber natürlich. Erst mit Luthers Thesen und seinen Schriften sollte sich das zu ändern beginnen. Die Maßnahmen, die am Konzil von Trient (1543 – 1563) von der römisch-katholischen Kirche ergriffen wurden wie die Verbesserung der Ausbildung von Pfarrern oder die Erhöhung in den von der Kirche betriebenen Schulen waren Reaktionen auf Reformatoren und ihre neuen Lehren im Kampf um den größten Anteil an gläubigen Untertanen.

Bis heute gilt Tirol als selbsternanntes „Heiliges Land“, wobei sich heilig explizit auf den katholischen Glauben bezieht. In Innsbruck wurden Protestanten wie in vielen anderen Regionen Österreichs unterdrückt und vertrieben. Die Wiedertäufer wurden unter der Regentschaft Ferdinands im frühen 16. Jahrhundert in Hundertschaften hingerichtet. Immer wieder kam es zu Hausdurchsuchungen, Bücherkontrollen und Zensur. Noch unter Maria Theresia im 18. Jahrhundert wurden Tiroler Protestanten in weit entlegene Teile des Habsburgerreichs zwangsumgesiedelt. Den Menschen war ihr Glaube wichtig genug, um sich für ihre Konfession kriminalisieren und zwangsumsiedeln zu lassen. Die Umsiedlungen bedeuteten aber nicht nur für die betroffenen Bürger ein Problem. Die Länder standen vor dem Problem dessen, was man heute als Braindrain bezeichnet. Mit den Umgesiedelten verließ auch Arbeitskraft das Land. 1781 erließe Kaiser Joseph II. das Toleranzpatent, das den Bau von protestantischen Kirchen erlaubte, wenn auch an Bedingungen gebunden. So durften diese Bethäuser keine Türme oder sonstigen baulichen Besonderheiten aufweisen. Die Gebäude durften keine straßenseitigen Fenster haben. In Tirol kam es zu Widerständen gegen das Toleranzpatent, man fürchtete um die guten Sitten und wollte fremdartige Religionen, Zwietracht und Unruhen aller Art vermeiden. Konvertierten Untertanen wurden Dinge wie Ehe und ein Begräbnis auf katholischen Friedhöfen verwehrt.

Nach und nach hielt die Toleranz zwar Einzug im Kaiserreich und in den Ländern, die Zusammengehörigkeit von Obrigkeit und katholischer Kirche biss sich aber weit ins 20. Jahrhundert in vielen Lebensbereiche, zum Beispiel der Schulbildung, fest. Noch 1837 wurden Protestanten aus dem Zillertal abgeschoben. Die Nachfahren der sogenannten Zillertaler Inklinanten, die unter behördlichem Druck auswanderten, leben bis heute in Deutschland. 1861 erließ Kaiser Franz Josef das Protestantenpatent, das der evangelischen Kirche mehr oder minder die gleichen Rechte wie die katholische Kirche. Die Tiroler Bevölkerung ließ sich in ihrer Beharrungsfähigkeit auch nicht vom kaiserlichen Protestantenpatent von ihrer Intoleranz abbringen. Das Argument lautete, dass es in Tirol ohnehin keine Andersgläubigen gäbe, es daher auch keiner Toleranz gegenüber Nichtkatholiken bedurfte. Erst 1876 kam es zur Gründung einer evangelischen Pfarrgemeinde in Innsbruck.

Reform und Revolution: Jakob Hutter und Michael Gaismair

Die ersten Regierungsjahre Kaiser Ferdinands I. als Landesfürst von Tirol waren von theologischen und sozialen Unruhen gekennzeichnet. Wie in vielen deutschen Ländern breitete sich auch in Tirol reformatorisches Gedankengut aus. Gleichzeitig nahmen auch die sozialen und materiellen Spannungen zu. Das neue Recht, das über die von Maximilian eingeführte Verwaltung eingeführt worden war, stand dem Gewohnheitsrecht gegenüber. Die bäuerliche Jagd im Wald und das Suchen nach Feuerholz waren illegal geworden. Die Abwehr der osmanischen Gefahr war kostenintensiv und forderte auch von den Tirolern Steuern, obwohl sie fern von Wien davon nichts spürten. In Tirol traten zu dieser Zeit mit Jakob Hutter (1500 – 1536) und Michael Gaismair (1490 – 1532) zwei Männer auf den Plan, die die bestehende Ordnung bedrohten und dafür mit dem Leben bezahlten.

Jakob Hutter war die Galionsfigur der vor allem im Inntal und im Südtiroler Pustertal aktiven Wiedertäufer, die von den Habsburgern unter Ferdinand I. und der Kirche als Ketzer verfolgt wurden. Die Zeit nach Maximilian (83) war von sozialen und wirtschaftlichen Schwierigkeiten geprägt. Die Schulden waren nach den vielen Kriegen hoch. Neue Gesetze verboten den Bauern den Fruchtgenuss der vormals frei zu nutzenden Wälder, das schloss auch die Jagd ein. Große Teile der Tiroler Wirtschaft waren an die Fugger (85) verpachtet. Die ersten Anzeichen der Kleinen Eiszeit verursachten vermehrt Missernten. Viele Menschen sahen darin eine Strafe Gottes für das sündige Leben der Menschen. Sekten prägten die reine Lehre der Religion. Die Wiedertäufer lehnten die Kindertaufe ab. Menschen sollten frei als erwachsene und mündige Bürger ihren Willen, dem Christentum beizutreten, kundtun. Für den streng gläubigen und papsttreuen Landesfürsten Ferdinand stellten sie eine Bedrohung dar, dem Volk waren sie gleichzeitig willkommene Sündenböcke. Bereits 1524 wurden drei Wiedertäufer in Innsbruck vor dem Goldenen Dachl wegen Ketzerei am Scheiterhaufen verbrannt. Das Verbrennen sollte den Verurteilten in gleichem Maße reinigen wie auch endgültig vernichten, um das Böse aus der Gemeinschaft zu tilgen. Die Anklage lautete Häresie, worunter eine Vielzahl an Vergehen zusammengefasst wurde. Sodomie, also jede sexuelle Handlung, die nicht der Fortpflanzung diente, Zauberei, Hexerei, Gotteslästerung – kurz jede Abwendung vom rechten Gottesglauben, konnte mit Verbrennung geahndet werden, musste aber nicht. Tausende von ihnen wurden 1529 des Landes verwiesen und wanderten nach Mähren, die heutige Tschechei, aus. Einer von ihnen war Jakob Hutter. Aufgewachsen in Südtirol wanderte er in jungen Jahren nach Prag aus, um dort das Hutmachergewerbe zu erlernen. Seine Reisen führten ihn nach Kärnten, wo er wahrscheinlich zum ersten Mal mit den Wiedertäufern und ihren Lehren in Verbindung kam. Von hier aus verbreiteten sie ihre Lehren bis zur Ausweisung. Als die Religionsgemeinschaft 1535 auch aus Mähren vertrieben wurden, kam Jakob Hutter wieder zurück nach Tirol. Er wurde gefangengenommen, nach Innsbruck gebracht und im Kräuterturm gefoltert. Er fand als Anführer der Häretiker für sein Wirken 1536 vor dem Goldenen Dachl am Scheiterhaufen sein Ende. Die Gemeinde der Hutterischen Brüder kam nach ihrer endgültigen Vertreibung aus den deutschen Ländern und langen Irrfahrten und Fluchten quer durch Europa im 19. Jahrhundert in Nordamerika an. Noch heute gibt es einige hundert Hutterer Kolonien in Kanada und den USA, die noch immer nach dem Gebot der Jerusalemer Gütergemeinschaft in einer Art kommunistischem Urchristentum leben. Wie die Mennoniten und die Amisch leben die Hutterer meist isoliert von der Außenwelt und haben sich eine eigene Form der an das Deutsche angelehnten Sprache erhalten. In Innsbruck erinnern eine kleine Tafel am Goldenen Dachl sowie eine Straße im Westen der Stadt an Jakob Hutter. 2008 hatten die Bischöfe von Brixen und Innsbruck gemeinsam mit den Landeshauptleuten Nord- und Südtirols in einem Brief an den Ältestenrat der Hutterischen Brüder das knapp 500 Jahre vergangene Unrecht an der Täufergemeinschaft eingestanden. 2015 wurde im Saggen eein paar Schritte südwestlich des Panoramagebäudes der Huttererpark eröffnet, in dem das Denkmal „Übrige Brocken“ an das Schicksal und Leid der Verfolgten erinnert.

Der größte Aufruhr im Zuge der Reformation in Tirol war der Bauernaufstand ab 1525, der eng mit dem Namen Michael Gaismairs verbunden ist. Anders als Hutter, der vor allem eine spirituelle Erneuerung forderte, wollte Gaismair auch soziale Veränderungen vorantreiben. Der Tiroler Aufstand war ein Teil dessen, was als Deutscher Bauernkrieg große Teile des Heiligen Römischen Reiches (73) erschütterte. Es war zum Teil reformatorischer, theologischer Eifer, zum Teil Unzufriedenheit mit der sozialen Lage und Güterverteilung, was die Aufständischen antrieb. Anders als Martin Luther, war Gaismair kein Theologe. Als Sohn eines Bergwerksunternehmers erhielt er schulische Bildung. Während seiner Arbeit in Diensten des Bischofs von Brixen sah er, wie die landesherrschaftliche Verwaltung und Rechtsprechung die Untertanen behandelten. Er beteiligte sich im Mai 1525 an der Erhebung gegen den Klerus in Brixen. Ein aufgebrachter Mob drang in das Kloster Neustift und Besitztümer des Bischofs von Brixen in Südtirol ein. Neben gewöhnlicher Plünderung waren vor allem die Urbare, die Aufzeichnungen rund um Besitz, Schulden und Verpflichtungen der Bauern gegenüber dem Grundherrn, die vernichtet wurden. Der Bischof war gleichzeitig weltlicher Fürst und galt als besonders strenger Landesherr. Mit dem Grundbesitz war auch die Gerichtsbarkeit verbunden, was dem Klerus die Oberherrschaft über die Untertanen ermöglichte, so es sich nicht um Delikte handelte, die der Blutsgerichtbarkeit unterlagen. Die Bewegung nahm schnell Fahrt auf und breitete sich vor allem in den südlichen Landesteilen rasant aus. Der gebildete Gaismair wurde von den Aufständischen zum Hauptmann erkoren, um Verhandlungen mit dem Tiroler Landesfürsten, Ferdinand I. am Landtag in Innsbruck zu führen. Im ganzen Land war es zu kleineren Erhebungen gekommen. Auch das Stift Wilten wurde von unzufriedenen Untertanen belagert. Gaismair erarbeitete eine utopische Art Landesverfassung. Damit wollte er nicht am Landesfürsten Ferdinand selbst rütteln, sondern ihn bitten im Namen Gottes das Land gerechter zu gestalten und verwalten. Der Klerus sollte sich um das Seelenheil der Untertanen statt um Politik kümmern. Land und Güter wie Bergwerkserträge sollten sozial gerecht verteilt, Zinsen gestrichen werden. Die Einschränkungen von Jagd und Fischerei, die Ferdinands Vorgänger Maximilian I. (83) den Tirolern auferlegte, sollten wieder aufgehoben werden. Diese Anliegen wurden in den 62 Meraner Artikeln gesammelt, die später auf 96 Innsbrucker Artikel erweitert wurden. Während Gaismair und seine Abordnung im Juni 1525 in Innsbruck mit Ferdinand und seinen Beamten verhandelten, ebbte die Revolution in den südlichen Landesteilen rund um Brixen und Meran ab. Gaismair wurde verhaftet und im Kräuterturm in Innsbruck eingekerkert. Nach knapp zwei Monaten konnte er im Oktober 1525 flüchten, um seinen Kampf von Sterzing aus weiterzuführen. Nach einigen Niederlagen begab er sich in die benachbarte, gegen die Habsburger aufständische Schweiz, wo er den Reformer und Revolutionär Huldyrich Zwingli kennenlernte. Hier schrieb er seine sozialrevolutionäre Landesordnung nieder, die einen christlichen Bauern-, Handwerker- und Knappenstaat vorsah, in dem Güter vergemeinschaftet werden sollten. Die Art und Weise, in der Gaismair formulierte, ist interessant. So lautete einer der Artikel:

Was den Zehent betriff, so soll ihn jeder geben nach dem Gebot Gottes, un er soll wie folgt verwendet werden: Jede Pfarre habe einen Priester nach der Lehre des Apostels Paulus, den den Menschen das Wort Gottes verkündet… was übrig bleibt, ist den Armen zu geben.“

Weiterhin war er auch Heeresführer der Widerstandsgruppe gegen die Habsburger. Der Ruf seiner militärischen Erfolge kam bis in die Republik Venedig, die sich seit dem Krieg 1477 mit Siegmund dem Münzreichen in ständigem Konflikt befand. Gaismair wurde als Condottiere, als Heerführer, engagiert. Bald fiel er aber auch hier in Ungnade. Nicht nur schloss Venedig Frieden mit den Habsburgern, auch seine antikatholische Haltung und seine unangepasste Lebensweise erregten Missgunst und Neid. 1532 wurde auf seinem Landsitz bei Venedig mit mehr als 40 Messerstichen ermordet. Welche der vielen Mächte, die er gegen sich aufgebracht hatte, dahintersteckte, ist nicht geklärt. Nicht weniger interessant als sein Leben ist sein Werdegang post mortem. Gaismair schaffte es nie zum allgemeinen Ruhm Andreas Hofers (99) in Tirol. In Schulen wird bis heute kaum über ihn gelehrt. Anders als Hofer, der sich als braver Katholik von der Obrigkeit gegen eine fremde Macht vor den Karren spannen ließ, war Gaismair ein Aufständischer, ein Unangenehmer und Querdenker. Im 20. Jahrhundert entdeckten die Nationalsozialisten wie auch die Linke Gaismair als Galionsfigur. 1899 war ein Theaterstück über den Bauernführer von Franz Kranewitter erschienen. Von nun an wurde Gaismair je nach Bedarf als Kämpfer gegen Monarchie und Klerus, von den Nationalsozialisten als deutscher Held und Befreier der Bauern oder der Linken als früher Kommunist gedeutet. Die 68er Generation feierte den eigentlich frommen und gottesfürchtigen Revolutionär für seine Ideen zur Vergemeinschaftung von Eigentum. Der Tiroler Journalist und Historiker Claus Gatterer schrieb zur ständigen Umdeutung der Figur Gaismairs:

 „Wieviel Wahrheit darf ein Volk über seine Vergangenheit, über Wachsen und Werden seiner Gegenwart erfahren?.... Der jeweiligen Ideologie entsprechend, werden altverdiente Helden und Heilige von den Sockeln gestürzt, und durch andere, bis dahin missachtet, ersetzt; oder es wird einem etablierten Heiligen kurzerhand eine neue Biographie verpasst, die namentlich in der Motivation des Handelns sich mit aktuellen Erfordernissen passt.

Anders als für Andreas Hofer gibt es für Michael Gaismair und den Bauernaufstand von 1525 kaum Erinnerungsorte in Innsbruck. In Wilten erinnern eine Straße und eine Hauptschule an ihn.

Petrus Canisius und die Jesuiten

Jesuiten, Franziskaner, Prämonstratenser, Karmeliten, Serviten, Kapuziner, Ursulinen. Wer Innsbruck besucht, stolpert im Lauf eines Stadtspaziergangs nicht nur über viele katholische Zeichen im öffentlichen Raum, sondern auch über viele Klöster. Der wohl einflussreichste in der Geschichte der Stadt waren die Jesuiten. Der Orden, die selbsternannten „Soldaten Christi“, wurde vom ehemaligen Adeligen und Offizier Ignatius von Loyola gegründet. Durch geschickte Strukturen und Organisation, übernommen aus dem militärischen Bereich, wuchs der Orden rasch an und schaffte es in der Gegenreformation eine gewisse Nähe zu den Mächtigen der katholischen Länder zu erlangen. Den Jesuiten wurde von Anfang an der Drang zur Macht attestiert. Gleichzeitig waren die Jesuiten ein Orden, der nicht nur in den Zentren, sondern als Wanderorden auch am Land tätig war. Sie verstanden es, sich durch Beziehungen zur Obrigkeit, sorgsam orchestrierte Auftritte, Architektur, Kunst und Zeremonien selbst darzustellen. Die Jesuiten waren einer der Orden, der die Gegenreformation und den katholischen Glauben in der Neuzeit prägten. Wichtige Bereiche. in denen sie tätig waren und bis heute sind, sind Bildung und Erziehung. In Schulen und Kollegien sollten Priester und Politiker ausgebildet werden, um dem Orden in den höchsten Adelskreisen Einfluss zu sichern. Latein und Griechisch waren Schwerpunkte im Unterricht. Wissenschaftliche Bücher wurden auf Latein verfasst, auch für höhere Posten im öffentlichen Dienst war Latein Voraussetzung. Protestantische Länder und Städte hatten begonnen Deutsche Schulen, Akademien und Gymnasien zu installieren. Um dem etwas entgegenzuhalten und das Angebot für Bürger innerhalb ihrer Territorien zu verbessern, gründeten Orden Schulen, meist in Absprache mit der politischen Obrigkeit. Aus diesen Bildungsinstituten entwickelten sich, so auch in Innsbruck, häufig Universitäten. Die Universität Innsbruck ging aus der Lateinschule der Jesuiten hervor, die unter Ferdinand I. (1503 – 1564) in Innsbruck gegründet wurde. Die damalige Lateinschule ist heute das Akademische Gymnasium, eines der ältesten Gymnasien Österreichs.

Ein eifriger Förderer der Jesuiten hierzulande war Kaiser Ferdinand. Ferdinand war wie Ignatius von Loyola in Spanien aufgewachsen. Mit den Sitten der Deutschen hatte der Enkel Kaiser Maximilians (83) ebenso seine Schwierigkeiten wie mit der Sprache. Beim Wiener Neustädter Blutgericht hatte er Aufständische kurzerhand hinrichten lassen. Was in Spanien kein Problem war, mündete in Mitteleuropa in eine kleine Revolution. Ein verbindendes Element zwischen den beiden Welten war dir katholische Kirche, speziell die Jesuiten. Die allerdings war zu Zeiten Ferdinands unter Druck. Auch in Schwaz, Hall und Innsbruck, den wichtigsten Städten Tirols waren die neuen Ideen stark. Die Jesuiten setzten auf eine bessere Ausbildung der Seelsorger und höhere moralische Maßstäbe, die sie auch an sich selbst setzten. Nicht nur in den Städten, auch im Umland waren sie aktiv. Das Mystische sollte unter ihnen wieder in den religiösen Alltag zurückkehren. Passionsspiele, Ostergräber, Prozessionen, anders als die abgehobene Kirche des Mittelalters wollten sie bei aller Strenge doch volksnah und unterhaltsam sein. Die bittere Pille des strengen Glaubens verpackt in Schauspiel und Spektakel Der Jesuitenorden war auch sehr motiviert, wenn es um Verfolgung von Hexen und Andersgläubigen oder um die nicht immer gewaltlose Missionierung in Übersee ging. Im 16. und 17. Jahrhundert waren es vor allem Priester des Jesuitenordens, die mit Schwert und Feuer abtrünnige Gemeinden und Bürger vom reformierten Glauben zurück in den Schoß der katholischen Kirche bringen sollten. Die Habsburger setzten in Österreich die sogenannten Religionsreformationskommissionen ein. Fanden diese „Missionare“ lutherische Pfarrer oder Untertanen, die verbotene Bücher besaßen, wurden diese verhaftet und des Landes verwiesen. Reformatorisch orientierte Beamte mussten entweder konvertieren oder emigrieren. Besonders sture Untertanen wurden öffentlich angekettet, je niederer der Stand des Bürgers desto schwerer die Bestrafung. Häuser und Kirchen von Lutheranern wurden verbrannt, Friedhöfe zerstört und symbolisch wurden Galgen errichtet. Nachdem die Religionsreformationskommissionen die Visite in Dörfern beendet hatten, wurden lutherische Bücher verbrannt und zur Warnung Galgen aufgestellt. Der größte Event dieser Art fand am 8. August 1600 in Graz mit der Verbrennung von mehr als 10.000 Büchern statt. Auch in der damals erst kürzlich Neuen Welt in Amerika und in Asien waren die Jesuiten in der Missionierung andersgläubiger eifrig tätig. Der Heilige Franz Xaver, einer der ersten Mitstreiter Ignatius´ von Loyola, starb auf Missionsreise in China. In einer Seitenkapelle der Innsbrucker Jesuitenkirche ist diesem Soldaten Christi ein Altar geweiht. Unter Josef II. wurden viele kirchliche Orden entmachtet und enteignet, darunter auch die von ihm wenig geliebten Jesuiten. Die Universität Innsbruck wurde unter ihm 1781 zu einem Lyzeum zurückgestuft. Erst 1838 wurden sie wieder nach Innsbruck berufen, um das Theresianum, ein Gymnasium für die Aristokratie, in leitender Funktion zu übernehmen.

Einer der wichtigsten jesuitischen Theologen war für einige Zeit in Innsbruck. Petrus Canisius wurde in den heutigen Niederlanden, die damals noch unter habsburgischem Einfluss standen, 1521 mitten in die unruhige Zeit der Reformation geboren. Rasch stieg der gebildete Kleriker im neu gegründeten Jesuitenorden auf und wurde von Kaiser Ferdinand als einer der wichtigsten Kirchenpolitiker installiert. Auf seinen Reisen, die ihn quer durch Europa führten, war Petrus Canisius auch einige Zeit in Innsbruck und maßgeblich an der Installierung des Jesuitenordens beteiligt. Er war sowohl Beichtvater der Aristokratie wie auch Kirchenmann für die Massen. Petrus Canisius galt als äußerst sittenstreng. Er war allerdings nicht nur Humanist und Kirchenlehrer, sondern auch ein eifriger Hexenjäger. Damit lag er im Trend der Zeit. Sein später geborener Ordensbruder Friedrich Spee (1591 – 1635), stand der Verfolgung von Hexen und Häretikern sowie der Folter kritisch gegenüber, wich damit von der Linie des Ordens und der katholischen Kirche ab und wäre beinahe wegen seiner Ansichten von den Jesuiten ausgeschlossen worden. Mit seinem Katechismus verfasste Petrus Canisius eine wichtige Ideensammlung im katholischen Kampf gegen die Reformation der Protestanten. Er schrieb seinen Katechismus auf Deutsch, der die wichtigsten Grundlagen des katholischen Glaubens und der Grundsätze der Jesuiten zusammenfasst. Die Jesuiten waren neben der Ausbildung der Eliten auch für die Christenlehre im einfachen Volk bis in die hintersten Alpentäler beauftragt. Die Jesuiten erkannten, dass Latein als Sprache nicht genug war, um das Volk zu erreichen und zu überzeugen sich vom neuen, reformierten Glauben zu lösen. Canisius nach dem Konzil von Trient in Wien verfasster Katechismus wurde in alle Sprachen übersetzt und galt lange als Leitwerk der katholischen Kirche. Petrus Canisius ist seit 1964 Patron der Diözese Innsbruck. Am Karl-Rahner-Platz befindet sich heute nicht nur die Jesuitenkirche, sondern auch die Theologische Fakultät der Universität Innsbruck.

Ferdinand II.: Renaissance, Glanz und Glamour

Erzherzog Ferdinand II. von Österreich (1529 – 1595) zählt zu den schillerndsten Figuren der Tiroler Landesgeschichte. Er wuchs am spanischen Hof seines Onkels, Kaiser Karl V., auf, um als Kosmopolit für zukünftige für die Habsburger Regierungsgeschäfte fit zu sein. Das Haus Habsburg herrschte im 16. Jahrhundert dank der klugen und glücklich verlaufenen Heiratspolitik Maximilians über das Spanische Reich ebenso wie die österreichischen Erblande. Da Spanien im neu von Europa entdeckten Amerika Kolonien betrieb, galt das Imperium Habsburg als Reich, in dem die Sonne nie untergeht. Tirol zählte zu den wichtigsten Ländern des Habsburgerreiches. Einen Teil seiner Jugend verbrachte er am Hof in Innsbruck, auch der war aber spanisch geprägt zu dieser Zeit. Sein Vater Kaiser Ferdinand I. ließ seinem Sohn eine ausgezeichnete Ausbildung angedeihen, die sich später in seinem kunstsinnigen Wesen äußern sollte. In jungen Jahren war er durch Italien und Burgund gereist, und hatte an den wohlhabenden Höfen dort einen Lebensstil kennengelernt, der sich unter der deutschen Aristokratie noch nicht durchgesetzt hatte. Ferdinand hatte Tirol als Landesfürst in turbulenten Zeiten übernommen. Die Bergwerke in Schwaz begannen wegen des billigen Silbers aus Amerika unrentabel zu werden. Die Silberschwemme aus der Neuen Welt führte zu einer Inflation. Die Lebenskosten stiegen vor allem für die ärmeren Bevölkerungsschichten. Gleichzeitig hatten die Habsburger Landesherren Schulden bei den Fuggern, quasi ein Erbe Maximilians. Die kirchliche Reformation (86) erzeugte soziale Turbulenzen. Menschenbild und das Verhältnis zu Obrigkeit und Gott veränderten sich. Machiavelli schrieb sein Werk „Il Principe“, in dem davon die Rede war, dass Fürsten, so sie denn unfähig waren, auch abgesetzt werden könnten. Ferdinand II. probierte diesem frühen, modernen, absolutistischen Führungsstil gerecht zu werden und erließ mit einer neuen Tiroler Landesordnung ein juristisches Regelwerk. Die italienischen Städte waren stilbildend in Politik, Wirtschaft und Ästhetik. Künstler und Denker wie Leonardo da Vinci und Michelangelo prägten die Zeit. Der Tiroler Hof des charmanten, intelligenten und kunstsinnigen Ferdinand sollte diesen Städten in nichts nachstehen. Seine Maskenbälle und Umzüge waren legendär. Bei weniger exzentrischen Zeitgenossen genoss Ferdinand den Ruf eines unmoralischen und genusssüchtigen Wüstlings und stand wohl nicht ganz zu Unrecht unter dem Verdacht, ausschweifende und unsittliche Orgien zu veranstalten. Zwar verschlang auch sein Hofstaat Unsummen, zumindest konnte er die Innsbrucker Wirtschaft darüber wieder etwas ankurbeln. Die Steuerlast auf die bäuerliche und bürgerliche Bevölkerung stieg dadurch noch weiter. Ferdinand ließ mit diesem Geld Innsbruck im Geist der Renaissance umgestalten. Ganz im Trend der Zeit ahmte er die italienischen Adelshöfe wie Florenz, Mantua, Ferrara oder Mailand nach. Hofarchitekt Giovanni Lucchese stand ihm dabei zur Seite. Vorbei sollten die Zeiten sein, in denen Deutsche in den schöneren Städten südlich der Alpen als unzivilisiert, barbarisch oder gar als Schweine bezeichnet wurden. Unter Ferdinand kehrte ein neuer Stil in Innsbruck ein, teuer, aber glanzvoll. Westlich der Stadt erinnert ein Torbogen noch an den Tiergarten, ein Jagdrevier Ferdinands samt Lusthaus entworfen von Lucchese. Das Lusthaus wurde 1786 durch den heute als Pulverturm bekannten Bau ersetzt, der einen Teil der sportwissenschaftlichen Fakultät der Universität Innsbruck beheimatet. Man könnte sagen, dem fürstlichen Sport des Jagens folgte im ehemaligen Lusthaus, das der Pulverturm war, die Sportuniversität nach. Das fürstliche Comedihaus am heutigen Rennweg entstand ebenfalls unter der baulichen Leitung Luccheses.

Die meiste Zeit seines Lebens verbrachte Ferdinand auf Schloss Ambras bei Innsbruck, wo er sich eine der kostbarsten Sammlungen von Kunstwerken und Rüstungen anlegte, die noch heute zu den wertvollsten der Welt ihrer Art zu zählen ist. Gemeinsam mit der Kunstsammlung des französischen Königs Franz I., aus denen das Louvre hervorgehen sollte, den päpstlichen Sammlungen und den öffentlich in Florenz auf der Piazza della Signoria ausgestellten Kunstwerken, die man heute teilweise in den Uffizien bewundern kann, zählte die Kunstsammlung Ferdinands zu den ersten Ausstellungen, die man als Museum bezeichnen kann. Ferdinand kann getrost als Gründer wissenschaftlicher und künstlerischer Sammlungen bezeichnet werden. In späteren Zeiten sollten bürgerliche Schichten diese Tradition in Vereinen und Museen wie dem Ferdinandeum in Innsbruck weiterführen. Die Jesuiten, kurz vor Ferdinands Amtsantritt in Innsbruck eingetroffen, um lästigen Reformatoren und Kirchenkritikern das Leben schwer zu machen und die kirchliche Präsenz verstärken, erhielten in der Silbergasse eine neue Kirche. Es mag heute als Widerspruch scheinen, dass der genusssüchtige Landesfürst Ferdinand als Katholik und Gegenreformator die Kirche verteidigte, in der Zeit des Humanismus war es das nicht. Mit seinen Maßnahmen gegen die jüdische Bevölkerung war er ebenfalls auf der Linie der Jesuiten. Natürlich, die kirchliche Ordnung vermochte die Untertanen zu disziplinieren, die Habsburger waren aber bis zum Ende der Dynastie fast durchgehend wahrhaft fromme Zeitgenossen.

In erster "halbwilder Ehe" war Ferdinand mit der Bürgerlichen Philippine Welser verheiratet. Ein Skandal für die damalige Zeit. Für seine über alles geliebte Frau ließ Ferdinand Schloss Ambras in die heutige Form bringen. Sein Bruder Maximilian meinte gar, dass "Ferdinand verzaubert sai" von der schönen Philippine Welser, als Ferdinand während des Türkenkriegs seine Truppen abzog, um nach Hause zu seiner Frau zu gehen. Erben konnte sie ihm allerdings keinen schenken. Die Kinder, die sie gemeinsam zeugten, konnten ob der strengen Gesellschaftsordnung des 16. Jahrhunderts allesamt nicht anerkannt werden. Nachdem Philippine Welser verstorben war, heiratete Ferdinand mit 53 Jahren die tiefgläubige Anna Caterina Gonzaga, eine erst 16jährige Prinzessin von Mantua. Große Zuneigung haben die beiden allem Anschein nach aber nicht zueinander empfunden, zumal Anna Caterina eine Nichte Ferdinands war. Die Habsburger waren beim Thema Hochzeit unter Verwandten weniger zimperlich als bei der Ehe eines Adeligen mit einer Bürgerlichen. Auch mit ihr konnte er allerdings "nur" drei Töchter zeugen. Ob der Geschichten um Ferdinands legendären Feste auf Schloss Ambras verwundert es kaum, dass er sich nicht bei seiner zweiten Ehefrau Anna Caterina Gonzaga im Servitenkloster, sondern mit der im Volk sehr beliebten ersten Ehefrau in der silbernen Kapelle an der Innsbrucker Hofburg beerdigen ließ.

Philippine Welser: Klein Venedig, Kochbücher und Kräuterkunde

Die bürgerliche Philippine Welser war die Ehefrau Erzherzog Ferdinands II. (89). Hochzeiten zwischen Bürgerlichen und Adligen galten damals als skandalös und nicht standesgemäß, auch wenn die Welsers alles andere als arm waren. Sie zählten zu den wohlhabendsten Familien ihrer Epoche. Ihr Onkel Bartholomäus Welser war ähnlich reich wie Jakob Fugger. Auch er hatte Kredite an die Habsburger vergeben. Anstatt die Kredite abzuzahlen, verpfändete Kaiser Karl V. einen Teil der neu annektierten Ländereien der spanischen Krone Habsburgs an die Welser, die dafür das Land als Kolonie Klein-Venedig mit Festungen und Siedlungen sichern und erschließen mussten. Sie statteten sogar Expeditionen aus, um das legendäre Goldland El Dorado zu entdecken. Um möglichst viel aus ihrem Lehen herauszuholen, errichteten sie Handelsstützpunkte, um am gewinnträchtigen transatlantischen Sklavenhandel zwischen Europa, Westafrika und Amerika teilzunehmen. Sie taten dies in äußerst brutaler Manier, die zu Beschwerden beim Kaiser führten, der ihnen das Lehen daraufhin entzog.

Philippine galt als überaus schön. Ihre Haut sei laut Zeitzeugen so zart gewesen, „man hätte einen Schluck Rotwein durch ihre Kehle fließen sehen können“. Kennengelernt sollen sich die Augsburgerin und der Habsburger auf einem Faschingsball in Pilsen. Ferdinand verliebte sich Hals über Kopf in Philippine und heiratete sie. Besonders erfreut war im Hause Habsburg niemand über die in aller Heimlichkeit geschlossene Ehe der beiden, auch wenn man das Geld der Welser gut gebrauchen konnte. Die Kinder wurden deshalb von der Erbfolge ausgeschlossen. Philippine Welsers Leidenschaft war das Kochen. In der Österreichischen Nationalbibliothek ist noch heute eine Rezeptsammlung vorhanden. Unter anderem kann man dort das Rezept einer Nusstorte nachschlagen. Die Kochkunst wurde im Mittelalter und der Frühen Neuzeit ausschließlich von Wohlhabenden und Adeligen gepflegt, während die meisten Untertanen essen mussten, was verfügbar war. Mittelalter und Neuzeit, eigentlich alle Menschen bis in die 1950er Jahre, lebten unter dauerhaftem Kalorienmangel. Während wir heute zu viel essen und deshalb krank werden, litten unsere Vorfahren unter Krankheiten, die auf Mangelernährung zurückzuführen war. Gewürze wie der exotische Pfeffer waren Luxusgüter, die sich das normale Volk nicht leisten konnten. Während der Speiseplan des Normalbürgers eine eintönige und triste Angelegenheit war, bei der es vor allem darum ging, sich die Kalorien für die tägliche Arbeit so effizient als möglich zu holen, begann sich unter Ferdinand II. und Philippine Welser die Einstellung zu Essen und Trinken zu verändern. Der Hofstaat hatte seit Friedrich IV. zu einer gewissen Kultivierung der Manieren und Sitten beigetragen, Philippine Welser und ihr Mann trieben diese Entwicklung auf Schloss Ambras und der Weiherburg weiter voran.

Die Kräuterkunde war ihr zweites Steckenpferd. Philippine Welser beschrieb, wie man Pflanzen und Kräuter zur Linderung körperlicher Leiden aller Art verwendet Auf Schloss Ambras in Innsbruck ließ sie einen Kräutergarten anlegen, um ihr Hobby und die Studien voranzutreiben. In der Tiroler Bevölkerung galt sie laut Berichten der Zeit als sehr beliebt, kümmerte sie sich doch scheinbar sehr um die Armen und Bedürftigen. Die vom Stadtrat angeleitete Fürsorge der Bedürftigen gesponsort von wohlhabenden Bürgern und Adeligen war damals allerdings keine Besonderheit, sondern gängige Praxis. Näher an das Seelenheil im nächsten Leben als durch christliche Nächstenliebe, Caritas, konnte man nicht kommen. Ihre letzte Ruhe fand Philippine Welser nach ihrem Tod 1580 in der Silbernen Kapelle in der Innsbrucker Hofkirche. Gemeinsam mit ihren als Säugling verstorbenen Kindern und Ferdinand wurde sie dort begraben. Unterhalb des Schloss Ambras erinnert die Philippine-Welser-Straße an sie.

 

Anna Caterina Gonzaga - die fromme Landesfürstin

Das Leben Anna Catarina Gonzagas (1566 – 1621) war sehr bewegt und von den Zwängen der europäischen Hocharistokratie gekennzeichnet. Als "Principessa" von Mantua geboren, heiratete die gläubige Frau mit 16 Jahren Ferdinand II., den Lebemann und Landesfürsten von Tirol. Noch während dessen Frau Philippine Welser lebte, jedoch bereits krank war, hatte er um ihre Hand angehalten. Mantua war damals einer der reichsten Fürstenhöfe Europas und ein Zentrum der Renaissance. Ferdinand war bei der Hochzeit schon 53. Zudem war Ferdinand der Onkel Anna Caterina Gonzagas. Um die Hochzeit durchführen zu können, musste der Papst seine Sondererlaubnis geben. Stellt man sich zudem vor, was ein Umzug samt Heirat vom italienischen Mantua ins deutsche Tirol für eine Sechzehnjährige bedeutet, kann man erahnen, wie schwer das Leben der Prinzessin trotz aller aristokratischen Annehmlichkeiten war. Für das Haus Habsburg bedeutete die Heirat eine beträchtliche Mitgift, die aus Mantua nach Tirol kam. Der Vater Anna Caterina Gonzagas durfte sich im Gegenzug mit dem Titel Hoheit schmücken, den ihm Kaiser Rudolf II., wie Ferdinand ein Habsburger, verlieh. Was die Sache für die junge Frau noch komplizierter machte, war das Thema der Nachfolge. Ferdinands erste Frau Philippine Welser war eine Bürgerliche gewesen. Legitime Erben aus den beiden Söhnen zu machen, die dieser Ehe entsprungen waren, war wegen des Standes der Mutter nicht möglich gewesen. Auch mit Anna Catarina gelangen Ferdinand II. "nur" drei Töchter. Eine davon, Anna, heiratete später ihren Cousin, den Kaiser Matthias.

Nach den Jesuiten unter Ferdinand I. und den Franziskanern ließen sich unter der Obhut Anna Caterina Gonzagas 1593 die Kapuziner in Innsbruck nieder. Noch zu Lebzeiten Ferdinands stiftete sie kirchliche Einrichtungen. Die Silbergasse, die bis zum Kloster führte, wurde 1595 im Jahr des Ablebens Ferdinands gepflastert, um sie noch besser an die Kernstadt anzubinden. Sie reservierte sich im Kloster am Ende der Silbergasse am Ostende des Hofgartens ein Regelhaus, um der Andacht in aller Stille nachgehen zu können, ohne sich in aller Strenge dem Klosterleben unterwerfen zu müssen. Nach dem Tod Ferdinands im Jahre 1595 gründete die nunmehrige Landesfürstin von Tirol und tiefgläubige Frau das Servitenkloster in Innsbruck. Die Serviten waren im Volk sehr beliebt, hielten sie doch Armenspeisungen ab. Von den Regierungsgeschäften hatte die fromme Witwe genug. Regelhaus und ein Damenstift wurden gegründet. Sie selbst trat mit ihrer Tochter Maria in das Regelhaus ein, ein offenes Damenkloster mit etwas legereren Regeln, wo sie bis an ihr Lebensende ihrem Glauben nachging. Ihre Grablege fand sie zunächst in der Gruft des Servitinnenklosters gemeinsam mit ihrer Tochter. 1693 wurden die sterblichen Überreste der beiden Frauen in die Jesuitenkirche überstellt. Erst im Jahr 1906 fanden sie ihre letzte Ruhestätte im Servitenkloster in der Maria-Theresien-Straße.

Der Deutsche Orden & Maximilian III.

Der Deutsche Orden wurde als Ritterorden um 1120 in Jerusalem in einem Hospiz gegründet. Es war die Zeit der Kreuzzüge. Christliche Herrscher waren seit 1096 dazu aufgerufen, die Heilige Stadt Jerusalem aus den Händen der Ungläubigen zu befreien. Auf mehreren abenteuerlichen Expeditionen machten sich Europäer aus allen Ländern unter christlicher Fahne auf Richtung Osten. Kirche und Rittertum vereinten sich in Orden, die Pilgern den Besuch der Heiligen Städten in Jerusalem, vor allem der Grabeskirche, ermöglichen sollten. Der Aufwand für diese heilige Mission war immens. 1229 begannen die Ritter des Deutschen Ordens mit dem Bau der Festung Montfort bei Akko an der Mittelmeerküste Palästinas, dem heutigen Israel. Gleichzeitig schaute man sich aber in weiser Voraussicht ob der drohenden Niederlage in Palästina nach neuen Territorien in Europa um. Nach der Vertreibung aus dem Nahen Osten engagierten sich die Ritter des Deutschen Ordens für die christlichen Ungarn in Siebenbürgen im heutigen Rumänien gegen heidnische Stämme. Im 13. Jahrhundert konnte der Orden unter Hermann von Salza im Baltikum im Kampf gegen die heidnischen Prußen viel Land gewinnen und den Deutschordensstaat errichten. Bei der Bekehrung der Heiden ging man nicht zimperlich vor. Im Prinzip handelte es sich dabei auch um einen Kreuzzug, auch wenn das Ziel nicht die Befreiung Jerusalems war. Der Deutsche Orden trat als eine Art Staatlichkeit auf, die sich ähnlich den religiösen Fundamentalisten heute, auf Gott berief und dessen Ordnung auch auf Erden herstellen wollte. Die Marienburg im heutigen Polen ist ein eindrucksvolles Zeugnis von Macht und Reichtum des Deutschen Ordens. Entitäten wie der Deutsche Orden dienen gut dazu, die Denkweise des Mittelalters zu erklären. Ergebene Frömmigkeit und Gottesfurcht traf in der Zeit bis 1500 häufig auf die Ausübung von weltlicher Macht. Es waren die Ideale wie christliche Nächstenliebe und der Schutz der Armen und Hilflosen, die auch den Deutschen Orden in seinem Kern antrieben. Die Durchsetzung dieser Ideale mit Waffengewalt ohne Rücksicht auf die nichtchristliche Perspektive wirkt aus unserer Sicht paradox, war aber lange Zeit gängige Praxis. Mit der Zeit der Söldnerheere änderten sich die Moral von Ritterlichkeit und damit auch das Verhalten am Schlachtfeld. Nach dem Niedergang des Ordens im 15. Jahrhundert in Nordosteuropa behielt der Orden durch geschickte Verbindung zum Adel und zum Militär vor allem im Habsburgerreich noch Besitzungen und Macht.

Gleich zwei einflussreiche Hochmeister des Deutschen Ordens haben einen starken Bezug zu Innsbruck. Maximilian III. war Landesfürst von Tirol, Erzherzog Eugen, der oberste Befehlshaber der österreichisch-ungarischen Armee an der Italienfront des Ersten Weltkriegs. Beide Mitglieder der Familie Habsburg sind im Dom zu St. Jakob in Innsbruck begraben. Die Geschichte Maximilians III. ist ein gutes Beispiel, um die Verbindung von weltlicher und kirchlicher Macht im Mittelalter und der frühen Neuzeit durch den Deutschen Orden aufzuzeigen. Er war nicht nur Hochmeister des Ordens, sondern auch Erzherzog von Österreich und Administrator von Preußen. Trotz aller Macht lebte er enthaltsam. Oft zog er sich für Wochen in seine Kammer im heutigen Kapuzinerkloster zurück, um trotz seines Status als Landesfürst unter spartanischen Bedingungen zu leben. Die Kapuziner waren 1594 in Innsbruck eingezogen. Maximilian der Deutschmeister folgte 1602, auch wenn er erst 1612 die offizielle Position als Gubernator von Tirol einnahm. Unter ihm zogen in Innsbruck strenge Sitten ein. Erzählungen nach soll Kindern sogar das Spielen auf der Straße verboten worden sein. Der Dreißigjährige Krieg brach unter seiner Regentschaft aus, verschonte Innsbruck aber zu größten Teilen. Im selben Jahr verstarb Maximilian. Sein Grab im Innsbrucker Dom zählt zu den eindrucksvollsten Gräbern der Barockzeit.

Barock: Kunstrichtung und Lebenskunst

Wer in Österreich unterwegs ist, kennt die Kuppen und Zwiebeltürme der Kirchen in Dörfern und Städten. Diese Form der Kirchtürme entstand in der Zeit der Gegenreformation und ist ein typisches Kennzeichen des Barock. Prachtvoll und prunkvoll sollten Gotteshäuser sein, ein Symbol des Sieges des rechten Glaubens. Die Religiosität spiegelte sich in der Kunst wider: Großes Drama, Pathos, Leiden, Glanz und Herrlichkeit vereinten sich zum Barock.  Barock war nicht nur eine Stilrichtung, es war ein Lebensgefühl, das seinen Ausgang zur Mitte des 17. Jahrhunderts nach dem Ende des Dreißigjährigen Krieges, der Mitteleuropa schwer in Mitleidenschaft gezogen hatte, nahm. Die Türkengefahr aus dem Osten, die in der zweimaligen Belagerung Wiens gipfelte, bestimmte die Politik, während die Reformation den christlichen Glauben spaltete. Nach den Entbehrungen dieser turbulenten Jahre und der theologischen Streitigkeiten sollte der öffentliche Raum in einem neuen Stil, abseits der dunklen Gotik neu erstrahlen. Die Bedeutung des Religiösen gegenüber dem Weltlichen sowie die Einflussnahme des Religiösen auf das Weltliche nahmen nach der kritischen Renaissance wieder zu. Die Barockkultur war ein zentrales Element des Katholizismus und der politischen Darstellung derselben in der Öffentlichkeit. Der Alltag der Menschen wurde von Feiertagen mit christlichem Hintergrund aufgehellt. Architektur, Musik und Malerei waren reich, füllig und üppig. Man wollte den katholischen Glauben gegenüber dem protestantischen für die Bevölkerung attraktiver machen. Der Strenge Calvins und Luthers, die den Fehler machten, die Volksfrömmigkeit in Form der Wallfahrten, Marien- und Heiligenverehrung als Aberglauben abzutun, ja sogar verbieten zu lassen, gefiel nicht allen. Die Macht des Kaisers wurde vom Papst legitimiert. Die Ideen Martin Luthers und anderer Reformatoren waren nicht nur katholischen Herrschern ein Dorn im Auge. Der Barockstil wurde in der Zeit der Gegenreformation häufig als eine Art Propagandamittel gegen die Reformation genutzt, um die Einheit von Kaisertum und Katholizismus in all seiner Pracht zu demonstrieren. Man musste nicht lesen können, um die allgegenwärtige Bildsprache zu verstehen. Prunk und Protz statt puritanischer Genügsamkeit und sparsamer Lebensart, die Reformatoren zu eigen war. Kreuzwege mit Kapellen durchzogen die Landschaft. Auch absolutistische Fürsten wählten den Barock als architektonisches und künstlerisches Stilmittel, um ihre Macht in der Mode der Zeit zu demonstrieren. Jesus wurde verstärkt als der Gekreuzigte dargestellt, um sein Leiden für die Welt hervorzuheben und so das Leiden der Masse der bäuerlichen Bevölkerung innerhalb des Feudalsystems zu rechtfertigen. Neben Kirchen sind es die prunkvollen Schlösser und Parkanlagen, die in ganz Europa in dieser Zeit errichtet wurden. Das Bürgertum wollte den Adeligen und Fürsten nicht nachstehen und ließen ihre Privathäuser im Stile des Barocks errichten. Auf Bauernhäusern prangen ebenfalls häufig Heiligenbilder, Darstellungen der Mutter Gottes und des Herzen Jesu als eine Art bäuerlicher Barock.

Das Stadtbild Innsbrucks veränderte sich enorm. Viele Palazzi der Neustadt, der heutigen Maria-Theresienstraße erstrahlten unter den Baumeistern der Familie Gumpp (94), oder Johann Georg Fischers. Einer der bekanntesten Vertreter in der Malerei war Franz Altmutter. Seine Bilder verbinden auf überfrachtete Art und Weise Himmel und Erde. Die Antike als Vorbild wie es in der Renaissance üblich war, hatte ausgedient. Die bekanntesten Gotteshäuser Innsbrucks wie der Dom, die Johanneskirche oder die Jesuitenkirche, sind im Stile des Barocks gehalten. Die gotische Altstadt wurde mit Ausnahme des Helblinghaus in ihrem Stil erhalten. Um- und Neubauten sowie Innenräume wurden aber häufig barock ausgestattet. Das Alte Landhaus in der Altstadt, das Neue Landhaus in der Maria-Theresien-Straße, die unzähligen Palazzi, Bilder, Figuren – der Barock war im 17. und 18. Jahrhundert das stilbildende Element des Hauses Habsburg und brannte sich in den Alltag ein. Besonders in Österreich gab es das Phänomen der Barockfrömmigkeit, die von Kaiser und Fürsten zur Erziehung der Untertanen eingesetzt wurde. Auch wenn der Ablass, das Freikaufen von Sünden, in der Zeit nach dem 16. Jahrhundert keine gängige Praxis mehr in der katholischen Kirche war, so gab es doch noch eine rege Vorstellung von Himmel und Hölle. Durch ein tugendhaftes Leben, sprich ein Leben im Einklang mit katholischen Werten und gutem Verhalten als Untertan gegenüber der göttlichen Ordnung, konnte man dem Paradies einen großen Schritt näherkommen. Die sogenannte christliche Erbauungsliteratur war in der Bevölkerung beliebt und zeigte vor, wie das Leben zu führen war. Der Historiker Ernst Hanisch beschrieb den Barock und den Einfluss, den er auf die österreichische Lebensart hatte, so:

Österreich entstand in seiner modernen Form als Kreuzzugsimperialismus gegen die Türken und im Inneren gegen die Reformatoren. Das brachte Bürokratie und Militär, im Äußeren aber Multiethnien. Staat und Kirche probierten den intimen Lebensbereich der Bürger zu kontrollieren. Jeder musste sich durch den Beichtstuhl reformieren, die Sexualität wurde eingeschränkt, die normengerechte Sexualität wurden erzwungen. Menschen wurden systematisch zum Heucheln angeleitet.

Die Rituale und das untertänige Verhalten gegenüber der Obrigkeit hinterließen auch im Alltag ihre Spuren in Verhalten und sozialer Alltagskultur, die katholische Länder wie Österreich und Italien bis heute von protestantisch geprägten Regionen wie Deutschland oder Skandinavien unterscheiden. Die Leidenschaft für akademische Titel der Österreicher hat ihren Ursprung in den barocken Hierarchien. Diese Hierarchien manifestierten sich in einem feudalen System der Patronage, das heute als Vitamin B Korruption im Kleinen begünstigt. Auch die Sprache, das typisch österreichische „Schaumamal“ zum Beispiel, lässt auf barocke Art und Weise dem Sprecher mehr Handlungsspielraum als eine konkrete Aussage. Während man in Deutschland politische Sachlichkeit schätzt, ist der Stil von Politikern in Österreich eher theatralisch, angelehnt an die katholischen Prozessionen, die in protestantischen Ländern nicht Teil des Alltags waren. Der konservative politische Beamte Bernhard Bonelli, der vor Gericht mit einer Zeichnung des Lieben Gottes, die sein Sohn angefertigt hatte, anmerkte, er wäre für einen guten Ausgangs der Verhandlung wallfahrten gegangen, mag skurril erscheinen, ist aber nichts weiter als eine Ausprägung der barocken Tradition Österreichs. Der Ausdruck Barockfürst bezeichnet noch immer einen besonders patriarchal-gönnerhaften Politiker, der mit großen Gesten sein Publikum zu becircen weiß. Es ist kein Zufall, dass die ersten fixen Theater im deutschsprachigen Raum ebenfalls in der Zeit der Gegenreformation entstanden. Nur langsam konnte sich die Aufklärung ausgehend von England und Frankreich, quasi als eine Art Gegenbewegung zur absoluten Frömmigkeit des Barock, durchsetzen. Der bekannteste aufgeklärte Vertreter der Habsburger war Josef II., der Sohn Maria Theresias. Unter ihm begann auch Österreich sich des säkularen Lebens stärker zu besinnen. Beamte, Militärs, Universitätsprofessoren, Lehrer, Juristen, Mediziner und aufgeklärte Theologen wagten sich aus der Deckung um die Vormachtstellung der Kirche, besonders der Jesuiten im Bildungsbereich in Frage zu stellen. Im konservativen Tirol wurden diese Schritte besonders misstrauisch beäugt. Wie man sieht, prägen Barockbauten, aber auch Gebräuche wie Prozessionen, Feiertage und Festlichkeiten, die in dieser Zeit entstanden, das Leben in Österreich bis heute.

Die Baumeister Gumpp und die Barockisierung Innsbrucks

Die Familie Gumpp bestimmt bis heute sehr stark das Aussehen Innsbrucks. Vor allem die barocken Teile der Stadt sind auf die Hofbaumeister zurückzuführen. Der Begründer der Dynastie in Tirol, Christoph Gumpp (1600-1672) war eigentlich Tischler. Die Gumpps waren aus dem Schwabenland nach Tirol gekommen. Gumpp war eigentlich Tischler, sein Talent allerdings hatte ihn für höhere Weihen auserkoren. Den Beruf des Architekten gab es zu dieser Zeit noch nicht. Michelangelo und Leonardo Da Vinci galten in ihrer Zeit als Handwerker, nicht als Künstler. Christoph Gumpp trat in die Fußstapfen der von Ferdinand II. hochgeschätzten Renaissance-Architekten aus Italien. Gumpps Tätigkeit als Hofbaumeister begann 1633 und er sollte diesen Titel an die nächsten beiden Generationen weitervererben. Über die folgenden Jahrzehnte sollte Innsbruck einer kompletten Renovierung unterzogen werden. Neue Zeiten bedurften eines neuen Designs, abseits des düsteren, von der Gotik geprägten Mittelalters. Die Gumpps traten nicht nur als Baumeister in Erscheinung. Sie waren Tischler, Maler, Kupferstecher und Architekten, was ihnen erlaubte, ähnlich der Bewegung der Tiroler Moderne rund um Franz Baumann und Clemens Holzmeister Anfang des 20. Jahrhunderts, Projekte ganzheitlich umzusetzen. Johann Martin Gumpp der Ältere, Georg Anton Gumpp und Johann Martin Gumpp der Jüngere waren für viele der bis heute prägendsten Gebäude zuständig. So stammen die Wiltener Stiftskirche, die Mariahilfkirche, die Johanneskirche und die Spitalskirche von den Gumpps.  Neben Kirchen und ihrer Arbeit als Hofbaumeister machten sie sich auch als Planer von Profanbauten einen Namen. Viele der Bürgerhäuser und Stadtpaläste Innsbrucks wie das Taxispalais oder das Alte Landhaus in der Maria-Theresien-Straße wurden von Ihnen entworfen. Das Meisterstück aber war das Comedihaus, das Christoph Gumpp für Leopold V. und Claudia de Medici im ehemaligen Ballhaus plante. Die überdimensionierten Maße des damals richtungsweisenden Theaters, das in Europa zu den ersten seiner Art überhaupt gehörte, erlaubte nicht nur die Aufführung von Theaterstücken, sondern auch Wasserspiele mit echten Schiffen und aufwändige Pferdeballettaufführungen. Das Comedihaus war ein Gesamtkunstwerk an und für sich, das in seiner damaligen Bedeutung wohl mit dem Festspielhaus in Bayreuth des 19. Jahrhunderts oder der Elbphilharmonie heute verglichen werden muss. Das ehemalige Wohnhaus der Familie Gumpp kann heute noch begutachtet werden, es beherbergt heute die Konditorei Munding, eines der traditionsreichsten Cafés der Stadt.

Leopold V. & Claudia de Medici: Glanz und Gloria in Innsbruck

Als Maximilian III. von Österreich kinderlos starb, brauchte es einen Ersatz als Statthalter Tirols. Leopold (1586 – 1632), im Jahr 1618 noch Bischof von Passau, wurde auserkoren, um die Regierungsgeschäfte im reichen Tirol zu führen. 1625 verzichtete der nunmehr zum Herzog erhobene Leopold V. auf seine kirchlichen Würden um heiraten und eine neue Tiroler Linie des Hauses Habsburg gründen zu können. Als Braut wurde Claudia de Medici (1604 – 1648) vom mächtigen und reichen Fürstengeschlecht aus der Toskana auserkoren. Die Medici hatten mit Baumwoll- und Textilhandel, vor allem aber mit Finanzgeschäften, im Florenz des späten Mittelalters ein Vermögen verdient und waren zu politischer Macht gekommen. Anders als die Fugger, die im 15. Jahrhundert einen ähnlichen Werdegang nördlich der Alpen hinlegten, übten sie nicht nur indirekt politischen Einfluss aus. Cosimo I. (1519 – 1574) konnte 1537 für seine Dynastie die erbliche Herzogswürde erringen und den Aufstieg in die europäische Hocharistokratie ebnen. Unter den Medici war Florenz das kulturelle Zentrum Europas geworden. Botticelli, Leonardo da Vinci und Michelangelo waren die Speerspitzen der Renaissance, die von der Toskana ausging. Machiavelli revolutionierte mit seinen Schriften das politische Denken. Die Basilika, die Boboli Gärten und der Palazzo Pitti entstanden unter den Medici. Das Hochzeitsfest zwischen Leopold und Claudia soll eines der prächtigsten Feste in der Geschichte der Stadt gewesen sein und zwei Wochen lang die Stadt Innsbruck in Atem halten haben. „Bären, Türken und Mohren“ sollen Hochzeitsgesellschaft und Bevölkerung in Staunen versetzt haben. Weniger prächtig war die Regierungszeit Leopolds, die von den Wirren des Dreißigjährigen Krieges geprägt war. In der heutigen Schweiz kämpften mehrere Mächte um Graubünden und die wichtigen Alpenpässe, die durch diese Region führten. 1632 bedrohten die für ihre Brutalität berüchtigten Schweden die Tiroler Landesgrenzen, konnten aber abgewehrt werden. Trotz der hohen Ausgaben für die Grenzsicherung trieb Leopold das kulturelle Leben in der Residenzstadt Innsbruck voran. Er ließ das Ballhaus Dogana, das heutige Kongresszentrum, errichten. Bereits in Passau ließ er ein Jesuitenkloster installieren und ein Gymnasium gründen. In Innsbruck wurde unter Leopold mit dem Bau der Jesuitenkirche begonnen und so die Mission Ferdinands I. vorangetrieben. Am Platz vor dem Tiroler Landestheater erinnert ein Brunnen an diesen wichtigen Tiroler Landesfürsten des 17. Jahrhunderts. Claudia de Medici war in zweiter Ehe mit Leopold V. verheiratet. Die gebildete Renaissancefürstin galt als überaus intelligent und fähig, was sie nach dem frühen Tod ihres Gatten ab 1632 unter Beweis stellen durfte. Claudia schaffte es als Landesfürstin über geschickte Politik und den Ausbau der Tiroler Landesverteidigungsanlagen gemeinsam mit ihrem Kanzler Wilhelm Bienner auch nach dem Tod Leopolds den Dreißigjährigen Krieg mehr oder minder von Tirol fernzuhalten. Bei Scharnitz an der heutigen deutschen Grenze wurden Verteidigungsanlagen errichtet und nach der Primadonna Tirols Porta Claudia genannt. Überreste davon sind noch heute zu besichtigen. Dafür machten sich die beiden bei den Tiroler Ständevertretern nicht unbedingt beliebt. Der gebürtige Schwabe Biener, der mit einer rigiden Sparpolitik die Landesfinanzen sanierte, wurde nach dem Tod Claudia de Medicis 1648 von den Tiroler Landständen gefangengenommen und nach einem Schauprozess enthauptet. Kulturell bereicherte die Florentinerin die Landeshauptstadt sehr. Nicht nur war sie eine Förderin von Theater und Musik, auch die Manieren, die sie aus Italien mitbrachte, veränderten den Hofstaat. Florenz war seit Jahrhunderten nicht nur eine der reichsten Städte, die Mode des Hofstaats der Medici war, auch wenn ihre Blütezeit vorüber war, noch immer stilgebend für ganz Europa. Ein Hauch Florenz und Medici prägt Innsbruck bis heute: Sowohl in der Jesuitenkirche als auch in der Pfarrkirche Mariahilf prangt bis heute das Wappen ihrer Familie mit den auffallenden roten Kugeln und den Lilien. 

Der Boarische Rummel und der Spanische Erbfolgekrieg

Der Boarische Rummel als Teil des Spanischen Erbfolgekriegs veranschaulicht, wie eine kleine Stadt wie Innsbruck zu Zeiten der großen Koalitionskriege in die Wirren der Weltpolitik gelangen konnte. Als 1700 mit Karl II. von Spanien der letzte Habsburger der spanischen Linie den Thron ohne Erben hinterließ, entbrannte der Spanische Erbfolgekrieg zwischen den Weltmächten, die sich in wechselnden Allianzen rund um den Globus gegenüberstanden. Die österreichischen Habsburger wollten Karl VI., den Vater Maria Theresias, auf den Thron bringen. Der französische König Ludwig XIV. wollte seinen Landsmann Philipp II. von Anjou in der Nachbarschaft an der Macht sehen, um nicht von Osten und Westen von den Habsburgern bedrängt zu werden. Die bayerischen Wittelsbacher wollten Josef Ferdinand inthronisieren, dieser starb aber sehr zum Leidwesen der Bayern bereits 1699. Über häufig wechselnde Bündnisse mischten auch Niederländer, Großbritannien - ja sogar Schweden und Russen mit. Der Spanische Erbfolgekrieg war ein Konflikt, in dem die Bündnisse häufig wechselten und es weniger um regionale Landgewinne als um Vorherrschaften und Kolonien ging. Was aber hat das mit Innsbruck zu tun? 1703 erhob Kurfürst Max II. von Bayern Anspruch auf die Grafschaft Tirol, die im frühen Mittelalter Teil des Herzogtums Bayern war. Die Bayern, Bündnispartner der Franzosen, waren zwar am Papier noch Mitglieder des Heiligen Römischen Reiches, lehnten sich faktisch aber gegen den eigenen Kaiser auf. Um ihren Anspruch auf Tirol militärisch zu untermauern, marschierten sie mit 12.000 Mann über Kufstein nach Innsbruck. Relativ schnell konnten sie den Raum um Innsbruck erobern, um sich hier mit den Truppen des französischen Bündnispartners, der aus Italien Richtung Tirol marschierte, zu vereinigen. Tirol war von den Habsburgern vernachlässigt worden, war das Hauptaugenmerk doch eher nach Osten als in den Wilden Westen des Reichs gerichtet. Bei einer Schlacht an der Pontlatzerbrücke bei Landeck konnten die Tiroler einen Erfolg feiern, der die Wende brachte. Die Verteidiger schworen sich dabei auf das Herz-Jesu (98) ein, einen Schwur, den sie 1809 (99) an selber Stelle während des Tiroler Aufstandes erneut leisteten und der bis heute alljährlich im Juni von den Tiroler Schützen erneuert wird. Südtiroler Truppen und Oberinntaler Truppen, zu großen Teil aus der Landbevölkerung schnell rekrutiert, boten den Fremdmächten erfolgreich Paroli. Die zahlenmäßig unterlegenen Tiroler Schützen waren im Guerillakrieg in unwegsamem Gelände den großen Armeen, die für Feldschlachten ausgebildet und ausgestattet waren, ebenbürtig. Geschickt nützten sie die bessere Ortskenntnis und ihre Fähigkeiten als Scharfschützen aus. Rasch rückten von Südtirol her auch reguläre Truppen der Habsburger nach, um die Tiroler zu unterstützen. So konnte die bayrische Fremdherrschaft am 26. Juli, dem Sankt-Anna-Tag, wieder aus Innsbruck vertreiben, zumindest fürs erste war der Schrecken vorbei. Aus diesem Anlass beschlossen die Tiroler Landstände bestehend aus Adel, Klerus, Bauern und Bürgertum die Annasäule zu errichten. Die Tiroler Bauern warfen dem offiziellen Österreich nicht zu Unrecht die Vernachlässigung der Landesverteidigung vor. In einer Welle des Zorns ergoss sich Gewalt gegen alle möglichen Stellen wie das Stift Wilten, wo die Bayern Quartier bezogen hatten. Auch das ohnehin historisch schlechte Verhältnis zwischen Stadt- und Landbevölkerung wurde durch den Empfang, den ein Teil der Bürgerschaft Innsbrucks dem bayerischen Landesfürsten Max Emanuel bereitet hatte, nicht verbessert. Die Unzufriedenheit der Tiroler Landbevölkerung mit der offiziellen Landesverteidigung und der Zorn auf Bayern und Franzosen, die 1809 im Aufstand unter Andreas Hofer gipfelten, reicht bis in diese Zeit zurück. Der Boarische Rummel, wie der kurze Kampf um Tirol genannt wurde, klingt nur oberflächlich nach einem Scharmützel. 1704 kam es in der Schlacht von Höchstädt zu einer bayrischen Niederlage gegen die Habsburger. In der Folge besetzten österreichische Truppen München besetzen. Nun war es andersherum, die Bayern erhoben sich gegen die Habsburger. Unter anderem kam es dabei zur bekannten Sendlinger Mordweihnacht, bei der habsburgische Truppen etwa 1000 Soldaten, die sich eigentlich schon ergeben hatten, niedermetzeln ließen. Das komplizierte Verhältnis zwischen den Tirolern, den Innsbruckern und den Bayern, die ihre Anrechte auf Tirol bis in die Zeit der Spätantike zurückdatierten, war ein Phänomen, von dem das Land lange begleitet wurde.

Maria Theresia, Reformatorin und Landesmutter

Maria Theresia zählt zu den bedeutendsten Figuren der österreichischen Geschichte. Mit der Triumphpforte und der Renovierung der Hofburg hat sie auch in Innsbruck ihre Spuren hinterlassen. Obwohl sie oft als Kaiserin tituliert wird, war sie offiziell "nur" unter anderem Erzherzogin von Österreich, Königin von Ungarn und Königin von Böhmen. Auf den Kaisertitel verzichtete sie sehr rücksichtsvoll im Sinne ihres Gatten Franz Stephan von Lothringen. Der stand als Großherzog der Toskana laut spanischem Hofzeremoniell niedriger als seine Frau, die ja Königin war. Erst mit seiner Krönung zum Römischen Kaiser konnte er sie überholen. Franz Stephan war ein fähiger und tüchtiger Mann, per Geburt konnte er aber, was die Titel anbelangt, mit Maria Theresia nicht mithalten. Er erwirtschaftete sich als Unternehmer ein großes Privatvermögen und begründete naturwissenschaftliche Sammlungen. Franz Stephan gab auch entscheidende Impulse während der Modernisierungsphase des Staates, war er doch aufgeklärt und sogar Mitglied der Freimaurer. Sein Tod machte Innsbruck für kurze Zeit zum Nabel der Welt. Während den Hochzeitsfeierlichkeiten seines Sohnes Leopold, die in Innsbruck von statten gingen, erlitt Franz Stephan einen Schlaganfall und verstarb. Die Ehe zwischen Maria Theresia und Franz Stephan, zumindest wird es so erzählt, sei sehr liebevoll gewesen, auch wenn Franz Stephan schon zu Lebzeiten mehr als nur eine Affäre nachgesagt wurde. Mit insgesamt 16 Nachkommen, die dieser Ehe entsprangen, war auch für ausreichend Nachwuchs gesorgt, der quer durch Europa verheiratet und auf wichtigen Stellen der Macht installiert wurde. Die im Zuge der Französischen Revolution enthauptete Marie Ehefrau von Ludwig XVI., war eine Tochter Maria Theresias. Maria Carolina wurde an Ferdinand von Neapel verheiratet. Hochzeiten waren auch in der als aufgeklärt geltenden Zeit Maria Theresias ein Mittel, um Außenpolitik zu betreiben. Durch die Hochzeit Marie Antoinettes wurde die Erzfeindschaft mit Frankreich zumindest für eine Zeit lang begraben. Die Dynastien der Bourbonen und der Habsburger waren geeint, zumindest bis zur Französischen Revolution.

So sehr sie sich auch als fromme Landesmutter inszenierte, Maria Theresia war nicht zimperlich in Fragen von Macht und Religion. Sie war wie fast alle Habsburger fromm katholisch. Im Trend der Zeit der Aufklärung ließ sie Aberglauben wie den Vampirismus, der in den östlichen Teilen ihres Reiches weit verbreitet war, nach neuestem Erkenntnisstand kritisch untersuchen. Gleichzeitig aber wurden Protestanten von ihr gnadenlos des Landes verwiesen. Viele Tiroler mussten ihr Heimatgebiet verlassen und sich in weiter vom Zentrum entfernten Teilen des Habsburgerreiches niederlassen. In Prag kam es 1744 zur größten Ausweisung von Juden bis zum Holocaust. Diese Diskriminierung war unter aufgeklärten Zeitgenossen keineswegs gerne gesehen, die fromme Habsburgerin ließ sich aber von ihren Beratern nicht davon abbringen sie trotzdem durchzusetzen. Bedeutend waren ihre innenpolitischen Reformen. Gemeinsam mit ihren Beratern Friedrich Wilhelm von Haugwitz, Joseph von Sonnenfels und Wenzel Anton Kaunitz schaffte sie es aus den sogenannten Österreichischen Erblanden einen modernen Staat zu basteln. Die Tatsache, dass sowohl von Haugwitz, ein konvertierter Protestant und von Sonnenfels, er mit jüdischer Abstammung, keine gebürtigen Katholiken waren, ist ein kleiner Seitenhieb der Geschichte. Besonders in Tirol stießen diese Maßnahmen auf wenig Gegenliebe. Man sah sich mehr als eigenständiges und autonomes Land, weniger als Teil eines Territorialstaates im Sinne Maria Theresias. Hatte man zuvor bereits auf die Errichtung eines eigenen Landesfürstentums verzichtet, wurde nun auch der Tiroler Landtag nicht mehr einberufen. Anstatt der Verwaltung ihrer Territorien durch den ansässigen Adel setzte sie auf eine moderne Verwaltung. Legislative und Exekutive wurden nach uns nach zentralisiert. 1747 wurde in Innsbruck durch kaiserliche Genehmigung die „kleine Polizei“ eingesetzt, die sich um Marktaufsicht, Lebensmittelkontrolle, Fremdenkontrolle, Sitten, Wirtshäuser und Gewerbelizenzen kümmerte. Für die lokale Aristokratie bedeutete dies nicht nur den Verlust von Autonomie, sondern auch höhere Steuern und Abgaben. Tirol war schon seit geraumer Zeit von Gubernatoren verwaltet worden anstatt von einem eigenen Landesfürsten. Mit der Zentralisierung verlor die lokale Regierung weiter an Einfluss. Der niedere Adel hatte weniger Geld zur Verfügung, was sich auch auf die Wirtschaft Innsbrucks negativ auswirkte. Lokale Steuern, die der Stadt stets verlässliche Einnahmen gebracht. Diese wurden nun zentral eingehoben und über einen Finanzausgleich zum Teil rückgeführt. Für den einfachen Bürger hatte die Vereinheitlichung der Gesetze den Vorteil, dass das Leben weniger vom eigenen Grundherrn, als vielmehr von vernünftigen und einheitlichen Gesetzen abhing. Der Robot, das Arbeiten ohne Gegenleistung auf den Gütern des Grundherrn, wurde unter Maria Theresia nach und nach im ganzen Reich abgeschafft. Auch die Gesetzesreformen hin zu einer aufgeklärten Legislative behagten konservativen Zeitgenossen nicht. So leitete Maria Theresia mit Reformen im Heer, im Schulwesen in der Verwaltung und in der Landwirtschaft wichtige Änderungen ein, die von ihrem Sohn Joseph II. zu großen Teilen fortgeführt und noch erweitert wurden. Das Wohl des Einzelnen war ihr wichtig, nicht nur aus purer Nächstenliebe. Ihre Berater hatten ganz im Stil der Aufklärung erkannt, dass sich die Stärke des Staates aus der Gesundheit und Stärke seiner Bürger formte. Dafür musste die Allmacht der Kirche zwar nicht gebrochen, aber durchaus etwas eingeschränkt werden. Untertanen sollten katholisch sein, ihre Treue aber sollte dem Staat gelten. Die gewohnte katholische Erziehung wurde durch teilweise säkulare Schulen übernommen, was in Tirol ebenfalls besonders auf Widerstand stieß. Auch der Fakt, dass die soziale Durchlässigkeit über den Militärdienst und die staatliche Verwaltung höher wurde, behagte den Tiroler Anhängern des alten Feudalwesens und Patriarchats nicht. Über Militär und Verwaltung konnten nun auch Nichtadlige in höhere staatliche Positionen aufsteigen. Die Bildung wurde ein zentraler Teil des Staates, jedoch sollten keine Geistesgrößen, sondern Material für den staatlichen Verwaltungsapparat gezüchtet werden. Auch die erste Volkszählung geht auf Maria Theresia zurück. Ihr verdanken wir die Hausnummern, die notwendig waren, um das gesamte Volk und das Staatseigentum zu katalogisieren. Auch die Wirtschaftsreformen die Maria Theresia einleitete sollten nicht nur mehr Möglichkeiten für die Untertanen schaffen, sondern auch die Staatseinnahmen erhöhen. Gewichte und Maßeinheiten wurden nominiert, um das Steuersystem undurchlässiger zu machen. Ganz im Zeitgeist kann man sowohl Maria Theresia wie auch ihre Söhne somit als aufgeklärte, absolutistische Monarchen bezeichnen. Besonders am Land waren Maria Theresia und ihr Sohn Joseph II. nicht besonders beliebt, brachte sie die gewohnte Ordnung doch zu sehr durcheinander.

1796 - 1866: Vom Herzen Jesu bis Königgrätz

Die Zeit zwischen der Französischen Revolution, den darauffolgenden Koalitionskriegen und der Schlacht bei Königgrätz von 1866 war für das Habsburgerreich eine kriegerische Periode, die mit der Neuordnung Europas und einem Bedeutungsverlust des Kaiserreichs Österreich endete. In den Jahren 1796 - 1815 tobten in Europa die napoleonischen Kriege. Nach der Französischen Revolution hatten die Monarchien Europas der Französischen Republik den Krieg erklärt. Die Angst ging um, dass sich der Wahlspruch der Revolution „Liberté, Égalité, Fraternité“ in Europa ausbreiten könnte und weitere Monarchen bei Aufständen ihren Kopf verlieren könnten. Ein junger General namens Napoleon Bonaparte, erst 1804 krönte er sich zum Kaiser, war mit seiner italienischen Armee im Rahmen der Koalitionskriege über die Alpen vorgerückt und traf dort auf die österreichischen Truppen, die Norditalien beherrschten. Es war nicht nur ein Krieg um Territorium und Macht, es war ein Kampf der Systeme. Die Truppen der revolutionären Republik Frankreich trafen auf die Habsburger, ein etabliertes und konservatives Fürstengeschlecht. Tirol war damals nach Süden hin bis ins heutige Trentino ein geeintes Fürstentum und somit direkte Front. Die regulären österreichischen Truppen verloren in den Jahren 1796 und 1797 mehrere Schlachten in Norditalien und mussten sich im Frieden von Campoformio den französischen Truppen ergeben. Tiroler Schützen waren dabei am Kampfgeschehen beteiligt, um die Landesgrenzen im heutigen Italien gegen die einrückenden Franzosen zu verteidigen. Die 1796 offiziell gegründete Höttinger Schützenkompanie war damals zum Beispiel Teil des Landsturms. Der Herz-Jesu-Kult, wonach Tiroler Schützen einen Bund mit dem Herzen Jesu in aussichtsloser Lage geschlossen hatten und trotz Unterzahl siegreich aus einer Schlacht hervorgingen, geht auf diese Jahre zurück. Neben der Gnadenmutter Cranachs ist die Darstellung des Herzen Jesu wohl das beliebteste christliche Motiv im ländlichen Raum und prangt auf der Fassade unzähliger Bauernhäuser. Eine andere Legende des Jahres 1796 rankt sich um eine junge Frau aus dem Dorf Spinges. Katharina Lanz, die als die Jungfrau von Spinges in die Landesgeschichte als identitätsstiftende Nationalheldin einging, soll die beinahe geschlagenen Truppen mit ihrem herrischen Auftreten in der Schlacht solcherart motiviert haben, dass sie schlussendlich den Sieg über die französische Übermacht davontragen konnten. Je nach Darstellung soll sie mit einer Mistgabel, einem Dreschflegel oder einer Sense ähnlich der französischen Jungfrau von Orleans den Truppen Napoleons das Fürchten gelehrt haben. Teile des Tiroler Selbstverständnisses rund um die Schützen und das Nationalgefühl, eine selbstständige und von Gott auserwählte Nation zu sein, die zufällig der Republik Österreich angehängt wurde, geht auf diese Legenden zurück. Nationalisten zu beiden Seiten des Brenners bedienen sich noch heute der Jungfrau von Spinges, dem Herzen Jesu und Andreas Hofers, um ihre Anliegen publikumstauglich anzubringen. 1805 übernahmen Frankreich und gemeinsam mit ihren bayerischen Verbündeten nach mehreren Niederlagen des österreichischen Heeres auf den Schlachtfeldern Europas die Verwaltung Tirols in Innsbruck. Zwar konnten die Tiroler Truppen unter Andreas Hofer (99) kleinere Erfolge feiern, erst nach Ende der Napoleonischen Kriege wurde Tirol wieder ein Teil des Habsburgerreiches. In und um Innsbruck kam es immer wieder zu Gefechten. Stadt und Bevölkerung wurden bei jedem Machtwechsel zwischen bayerisch-französischer Besatzung und Tiroler „Befreier“ in Mitleidenschaft gezogen. Das leerstehende Schloss Ambras, Innsbruck wurde ja zentral und nicht mehr von einem Landesfürsten regiert, wurde zu einem Lazarett umgewandelt.

Die Neuordnung Europas am Wiener Kongress brachte nicht nur territoriale, sondern auch verteidigungspolitische Änderungen. Die Tiroler Schützen wurden zwar nicht aufgelöst, kamen aber unter Beobachtung der Staatspolizei unter Kanzler Metternich. 1816 wurde aus dem Tiroler Jägerkorps das k.k. Tiroler Kaiserjägerregiment. In den Kriegsjahren 1848, 1859 und 1866 kam es in Italien zu den italienischen Befreiungs- und Einigungskriegen, in denen Österreich probierte seine italienischen Reichsteile Lombardei und Venetien gegen das sich neu formende Königreich Italien zu verteidigen. Innsbruck war als Garnisonsstadt ein wichtiger Versorgungsposten, obwohl die Front recht weit entfernt war. Das Tiroler Kaiserjägerregiment war in allen wichtigen Schlachten dieser Kriegsjahre beteiligt. Zur wohl bekanntesten, der Schlacht von Solferino, kam es 1859 in der Nähe des Gardasees, bei der Österreich gegen das Königreich Piemont-Sardinien und Frankreich ins Feld zog. Der Schriftsteller Joseph Roth beschreibt diese Schlacht auf den ersten Seiten seines lesenswerten Klassikers Radetzkymarsch.

„In der Schlacht bei Solferino befehligte er (Anm.: Leutnant Trotta) als Leutnant der Infanterie einen Zug. Seit einer halben Stunde war das Gefecht im Gange. Drei Schritte vor sich sah er die weißen Rücken seiner Soldaten. Die erste Reihe seines Zuges kniete, die zweite stand. Heiter waren alle und sicher des Sieges. Sie hatten ausgiebig gegessen und Branntwein getrunken, auf Kosten und zu Ehren des Kaisers, der seit gestern im Felde war. Hier und dort fiel einer aus der Reihe. Trotta sprang flugs in jede Lücke und schoß aus den verwaisten Gewehren der Toten und Verwundeten.“

Das 19. Jahrhundert war das Zeitalter des Militarismus. Die Kriege wurden sehr brutal geführt, waren aber bei weitem noch nicht die totalen Kriege, die im 20. Jahrhundert auch große Teile der Zivilbevölkerung in Mitleidenschaft ziehen würden. Es waren meist Feldschlachten zwischen großen Armeen. Was zu Problemen und hohen Opferzahlen führte, war die für die fortgeschrittene Waffentechnik eigentlich überholte Soldatenehre im Feld, die sich zumindest in den Anfangsjahren des Ersten Weltkriegs noch halten sollten. Auf Grund des hohen Blutzolls entschloss sich der Augenzeuge der Schlacht Henry Durant das Rote Kreuz zu gründen. In weiterer Folge kam es 1863 zur Genfer Konvention, in der eine Art Kriegsrecht begründet wurde.

Das Jahr 1866 stellte eine entscheidende Zäsur der österreichischen Geschichte dar. In Italien verlor das Kaiserreich Österreich Venetien und die Lombardei. Preußen und Österreich, ehemals vereint im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation (73) kämpften gleichzeitig um die Vorherrschaft im Deutschen Bund, aus dem das Deutsche Reich unter preußischer Führung als neuer Nationalstaat später hervorging. Preußen wollte das Kaisertum Österreich aus dem Bund deutscher Einzelstaaten zu drängen. Zwar gewann man die Schlachten gegen das Königreich Italien und seine Verbündeten, in Königgrätz ging aber der kurze als Bruderkrieg später in die Geschichte eingegangene Kampf gegen Preußen verloren. Der Grund war die technische Überlegenheit der mit Zündnadelgewehren ausgestatteten preußischen Armee, die auf die mit Vorderladern bewaffneten Soldaten Österreichs trafen. Während die österreichischen Soldaten ihre Gewehre vorne im Stehen laden mussten, konnten die preußischen Soldaten sie aus der Deckung wie Pappfiguren abschießen. Der Kampf dauerte nur wenige Stunden, forderte aber vor allem auf österreichischer Seite viele Todesopfer. Das Königreich Italien war in den Einigungskriegen zwischen 1848 und 1871 der Einheit mit Ausnahme des päpstlichen Rom und des Trentino, dem alten Süd- oder Welschtirol, nähergekommen. Nach dem Zerfall des Heiligen Römischen Reiches von 1806 war das Jahr 1866 dies der zweite Schritt, der Österreich einem nach Ost- und Südosteuropa orientierten multinationalen Großreich näherbrachte. Der Ausgleich mit Ungarn 1867 vollendete die Genese hin zur k.u.k. Monarchie Österreich-Ungarn unter der Personalunion Kaiser Franz Josef I.

Innsbrucker Soldaten waren in die Kampfhandlungen bei der Sicherung der Landesgrenzen und auf den Schlachtfeldern außerhalb Tirols beteiligt. Innsbruck besitzt einige Erinnerungsorte, die noch auf diese Kriege hinweisen. Sie befinden sich nicht in der Innenstadt, sondern an den Randgebieten. Neben dem Tummelplatz und dem Militärfriedhof Pradl wird am Berg Isel im Kaiserjägermuseum und durch eine etwas hinter dem Parkplatz abgelegene Steinsäule erinnert. Es handelt sich mit Ausnahme eines Museums nicht um eigens errichtete Denkmäler, sondern um Begräbnisstätten. Königgrätz gilt bis heute als einer der Schlüsselmomente österreichischer Geschichte. Für Innsbruck bedeutete diese Entwicklung, dass man endgültig zu einer Stadt an der westlichen Peripherie geworden war. Der Hang zur sogenannten großdeutschen Lösung, also einer Staatlichkeit mit dem Deutschen Reich gemeinsam gegenüber dem alleinstehenden Kaisertum Österreich, war in Tirol stärker ausgeprägt als im restlichen Österreich. Unter anderem war Bürgermeister Wilhelm Greil ein Verfechter einer deutschnationalen Lösung, die sich mehr nach Norden als in die östlichen Teile der Monarchie orientierte. Auf vielen Bauwerken in Innsbruck, zum Beispiel am Andreas-Hofer-Denkmal am Berg Isel oder an der Krypta am Pradler Friedhof findet sich der Eichelkranz als Symbol dieser Einstellung bis heute.

Andreas Hofer und die Tiroler Erhebung von 1809

Die Zeit der napoleonischen Kriege bescherte dem Land Tirol ein nationales Epos und einen Helden, dessen Glanz bis in die heutige Zeit strahlt. Grund dafür war nach 1703 einmal mehr eine Auseinandersetzung mit dem nördlichen Nachbarn und dessen Verbündeten. Das Königreich Bayern war während der Napoleonischen Kriege, wie schon während des Spanischen Erbfolgekrieges (96) mit Frankreich verbündet und konnte in mehreren Etappen des Kriegs zwischen 1796 und 1805 Tirol erobern. Innsbruck war nicht mehr Landeshauptstadt Tirols, sondern nur noch eine von vielen Kreishauptstädten der Verwaltungseinheit Innkreis. Das Land hing von bayerischem Wohlwollen ab. Steuern wurden erhöht, Befugnisse verringert. Prozessionen und religiöse Feste der konservativen und frommen Tiroler fielen dem aufklärerischen Programm der von der französischen Revolution geprägten neuen Landesherren zum Opfer. Strengen Katholiken wie dem später als Kriegstreiber auftretenden Pater Haspinger waren auch Maßnahmen wie die von den Bayern verordneten Pockenimpfungen zuwider. Das und die Aushebung zum Dienst in der bayrisch-napoleonischen Armee, obwohl Tiroler seit dem Landlibell, einem Gesetz Kaiser Maximilians (83), nur für die Verteidigung der eigenen Grenzen herangezogen werden durften, führte zu ersten Unruhen. Am 10. April kam es bei einer Aushebung in Axams bei Innsbruck zu einem Tumult, der schließlich zu einem Aufstand führte. Für Gott, Kaiser und Vaterland kamen Abteilungen der Tiroler Landesverteidigung zusammen, um den kleinen Armeeteil und die Verwaltungsbeamten der Bayern aus der Stadt zu vertreiben. Dabei plünderten sie auch Innsbrucker Häuser, deren teilweise liberale Bevölkerung der modernen bayrischen Verwaltung nicht in allem abgeneigt war. Napoleon war bekannt dafür, unterworfene Gebiete mit Toleranz ähnlich einer Pax Romana zu behandeln, solange die neuen Bürger sich nicht auflehnten. Teilen der Bürgerschaft wäre dieser frische Wind, der aus dem revolutionären Frankreich herüberwehte, auch wenn Napoleon sich mittlerweile vom Konsul zum Kaiser erhoben hatte, lieber gewesen als die konservativen Habsburger. Der Mob und die Schützen vereint waren für die Stadt wohl wesentlich schädlicher als die bayrischen Verwalter seit 1805. Vor allem gegen den kleinen jüdischen Bevölkerungsanteil Innsbrucks kam es zu heftigen Ausschreitungen der erzkonservativen katholischen Triumphatoren unter Andreas Hofer. Schon einen Monat später hatten Bayern und Franzosen Innsbruck aber wieder zurückerobert. Was nun folgte, war das, was als Tiroler Erhebung unter Andreas Hofer, der mittlerweile das Oberkommando über die Tiroler Landesverteidigung übernommen hatte, in die Geschichtsbücher eingehen sollte. Insgesamt drei Mal konnten die Tiroler Aufständischen den Sieg vom Schlachtfeld tragen und die Stadt „befreien“ oder verteidigen. Besonders bekannt ist die 3. Schlacht im August 1809 am Berg Isel. „Innsbruck sieht und hört, was es noch nie gehört und gesehen: eine Schlacht von 40.000 Kombattanten…“ Für kurze Zeit war Andreas Hofer in Ermangelung regulärer Tatsachen Oberkommandant Tirols, auch für zivile Angelegenheiten. Die Kosten für Kost und Logis dieses Bauernregiments musste die Stadt Innsbruck tragen. Seine Antrittsrede, die er an die Bürger der Stadt hielt, findet sich noch auf einer Tafel vor dem Eingang des Gasthofs Goldener Adler in der Altstadt. Am Ende gab es im Herbst 1809 allerdings in der vierten und letzten Schlacht am Berg Isel eine empfindliche Niederlage gegen die französische Übermacht. Hofer selbst war zu dieser Zeit bereits ein von der Belastung dem Alkohol gezeichneter Mann. Konservative Kräfte und die Regierung in Wien hatten ihn vor allem als taktischen Prellbock im Krieg gegen Napoleon benutzt. Bereits zuvor hatte der Kaiser das Land Tirol offiziell im Friedensvertrag von Schönbrunn wieder abtreten müssen. Innsbruck war zwischen 1810 und 1814 wieder unter bayrischer Verwaltung. Andreas Hofer wurde gefangengenommen und am 20. Januar 1810 in Mantua in Norditalien hingerichtet.

In drei siegreichen und einer verlorenen Schlacht am Berg Isel hatte der "Sandwirt" 1809 in der Tiroler Erhebung gegen die bayrischen Besatzer Tirols gekämpft. Dieser „Freiheitskampf“ symbolisiert bis heute für das Tiroler Selbstverständnis. Lange Zeit galt Andreas Hofer, der Wirt aus dem Südtiroler Passeiertal als unumstrittener Held und als Prototyp des wehrhaften, vaterlandstreuen und standhaften Tirolers. Der Underdog, der sich gegen die fremde Übermacht und unheilige Sitten wehrte. Tatsächlich war Hofer wohl ein charismatischer Anführer, politisch aber unbegabter und konservativ-klerikaler, simpler Geist. Seine Taktik bei der 3. Schlacht am Berg Isel „Grad nit aufferlassen tiat sie“ (Ann.: Ihr dürft sie nur nicht heraufkommen lassen) fasst dies wohl ganz gut zusammen. Die von ihm als Landeskommandant erlassenen Gesetze erinnern eher an einen Tiroler Gottesstaat als ein modernes Land des 19. Jahrhunderts. So sollten Frauen züchtig verhüllt auf die Straßen gehen, die Bildung wieder vollinhaltlich an den Klerus gehen und allzu freizügige Denkmäler wie die heute am Leopoldsbrunnen zu besichtigenden Nymphen aus dem öffentlichen Raum verbannt werden. Liberale und Intellektuelle wurden teils verhaftet, dafür wurde das Rosenkranzbeten zum Gebot. In Tirol wurde und wird er trotzdem gerne für alle möglichen Initiativen und Pläne vor den Karren gespannt. Vor allem im Nationalismus des 19. Jahrhunderts berief man sich immer wieder auf den verklärten Helden Andreas Hofer. Hofer wurde über Gemälde, Flugblätter und Schauspiele zur Ikone stilisiert. Aber auch heute noch kann man das Konterfei des Oberschützen sehen, wenn sich Tiroler gegen unliebsame Maßnahmen der Bundesregierung, den Transitbestimmungen der EU oder der FC Wacker gegen auswärtige Fußballvereine zur Wehr setzen. Das Motto lautet dann „Mannder, s´isch Zeit!“.  1896 wurde der Kampf der Tiroler gegen Bayern und Franzosen am Riesenrundgemälde festgehalten. Dieses Gemälde kann im Museum 1809 am Berg Isel noch bewundert werden.

In konservativen Kreisen Tirols wie den Schützen wird Hofer unkritisch und kultisch verehrt. Das Tiroler Schützenwesen ist noch gelebtes Brauchtum, das sich zwar modernisiert hat, in vielen dunklen Winkeln aber noch den Mief des Reaktionären mit sich trägt. Wiltener, Amraser, Pradler und Höttinger Schützen marschieren immer noch einträchtig neben dem Klerus, Trachtenvereinen und Marschmusikkapellen bei kirchlichen Prozessionen und schießen in die Luft, um alles Übel von der katholischen Kirche fernzuhalten. Die Legende vom wehrfähigen Tiroler Bauern, der unter Tags das Feld bestellt und sich abends am Schießstand zum Scharfschützen und Verteidiger der Heimat ausbilden lässt, wird immer wieder gerne aus der Schublade geholt zur Stärkung der „echten“ Tiroler Identität. Auch in der Schule lernen Kinder noch recht einseitig die Geschichte von den bösen Franzosen und den braven Tirolern unter ihrem Anführer Andreas Hofer. In den letzten Jahrzehnten allerdings setzte eine kritische Betrachtung des erzkonservativen und mit seiner Aufgabe als Tiroler Landeskommandanten wohl überforderten Schützenhauptmanns ein, der angestachelt von Teilen der Habsburger (77) und der katholischen Kirche nicht nur Franzosen und Bayern, sondern auch das liberale Gedankengut der Aufklärung vehement aus Tirol fernhalten wollte. Der Todestag Andreas Hofers am 20. Februar lockt bis heute regelmäßig fromme Schützen aus allen Landesteilen Tirols in die Landeshauptstadt.  In Innsbruck erinnern die Andreas-Hofer-Straße, der Berg Isel und viele Denkmäler an Andreas Hofer und die Tiroler Erhebung von 1809.

Das Jahr 1848 und seine Folgen

Das Revolutionsjahr 1848 ging in die Geschichte Europas als richtungsweisend für Demokratie, Bürgerrechte und Herausbildung der Nationalstaaten ein, auch in Österreich. Tirol war von Bürgerkrieg und Aufständen zwar nicht nur geographisch, sondern auch gedanklich weit entfernt, trotzdem änderte sich in Folge der Märzrevolutionen, die sich gegen die Politik des österreichischen Kanzlers Metternich und der Habsburger richteten, vieles im politischen und sozialen Gefüge. Weltliche und klerikale Obrigkeiten hatten jahrhundertelang von ihren Schäflein verlangt, ihre Wünsche nach allgemein gültiger Moral zum Wohl der Gemeinschaft zu unterdrücken. Man stützte sich dabei auf das Gedankengut antiker Philosophen wie Aristoteles und Seneca. Während der Aufklärung war es zu einem Umdenken gekommen. Der Individualismus, das Streben des Einzelnen nach Glück, war nicht etwas gänzlich neues, erhielt aber breiteren Aufschwung. Nach Adam Smith (1723 – 1790) war der kollektive Wohlstand durch individuelles, ethisches Wirtschaften zu erreichen. Diese ökonomische Überlegung hatte auch Einfluss auf das soziale und politische Verhalten des Einzelnen. Untertanen wollten keine Untertanen eines Monarchen oder Landesfürsten mehr sein, sondern Bürger mit Rechten und Pflichten gegenüber einem Staat. Studenten, Akademiker und Beamte wollten sich nicht mehr einschränken lassen. Karl Marx und Friedrich Engels schrieben im Jahr 1848 Das Kommunistische Manifest, in dem sie Arbeiter, die in prekären Verhältnissen vegetierten, zur Revolution riefen. Unter Kaiser Josef II. waren die Länder der Habsburger im Sinne der Aufklärung reformiert worden. Unter Franz I. von Österreich und Metternich wurde vieles wieder zurückgenommen. Liberales Gedankengut, Zeitungen, Flugblätter, Schriften, Bücher und Vereine standen unter Generalverdacht der Obrigkeit. Die bestehenden Magazine und Zeitschriften mussten sich anpassen oder im Untergrund verbreitet werden, um nicht der Zensur anheimzufallen. Wie in vielen Städten Europas, so standen sich auch in Innsbruck im politisch aufgeheizten Klima des Vormärz verschiedenste Gruppen von Liberalen über frühe Sozialisten und Konservativen gegenüber. Schriftsteller wie Hermann von Gilm (1812 – 1864) und Johann Senn (1792 – 1857), an beide erinnern heute Straßen in Innsbruck, verbreiteten anonym politisch motivierte Literatur und Schriften. Der Mix aus großdeutschem Gedankengut und tirolischem Patriotismus vorgetragen mit dem Pathos der Romantik mutet heute eigenartig und pathetisch an, war aber dem metternich´schen Staatsapparat weder geheuer noch genehm. Alle Arten von Vereinen wie die Innsbrucker Liedertafel oder Studentenverbindungen, sogar Mitglieder des Ferdinandeums wurden streng überwacht.

Nach dem Wiener Kongress, der den Frieden in Europa nach den napoleonischen Kriegen wieder herstellte, verlor Tirol einige der Sonderrechte, die es seit dem Mittelalter innerhalb des Habsburgerreiches hatte. Das Maximilianische Landlibell, das es den Tirolern erlaubte, nur die eigenen Landesgrenzen zu verteidigen, ohne sich in den regulären Militärdienst zu integrieren, wurde zu Gunsten der allgemeinen Konskription aufgehoben. Die bewaffnete und wehrhafte Bevölkerung war in Wien nicht gerne gesehen. Die Schützen standen trotz ihrer demonstrativen Kaisertreue auf der Liste der zu überwachenden Institutionen Kanzler Metternichs und dessen Polizeiapparat. Als zu aufsässig galten die Tiroler, nicht nur gegenüber fremden Mächten, sondern auch gegenüber der Wiener Zentralstaatlichkeit. Auch die Arbeiterschaft, die sich in den Innsbrucker Randgebieten durch die zarte Industrialisierung der Stadt bildete, wurde von der Geheimpolizei Metternichs streng überwacht. Sozialismus und Kommunismus entwickelten sich in Europa langsam. Besonders St. Nikolaus und Hötting waren als „rote Pflaster“ bekannt. Der Gegenpol der Arbeiter sozial gesehen waren die Studenten, die zum allergrößten Teil der Oberschicht angehörten. Sie forderten vor allem politische Mitsprache, Pressefreiheit und Bürgerrechte. Im Großen und Ganzen war Innsbruck aber kaisertreu und weit entfernt von flächendeckend revolutionären Gedanken. Opfer der Bespitzelung Metternichs war nur eine kleine Gruppe innerhalb der Bevölkerung. Als in Wien im März 1848 der Bürgerkrieg ausbrach, floh Kaiser Ferdinand I. nach Innsbruck. Glaubt man den Presseberichten aus dieser Zeit, wurde er hier von der Bevölkerung begeistert empfangen. Innsbruck war wieder Residenz des Kaisers, wenn auch nur für einen Sommer. Ferdinand übergab die Krone an Kaiser Franz Josef I., der die Geschicke Österreich-Ungarns bis in den Ersten Weltkrieg lenken sollte. Im Juli 1848 kam es in Wien in der Hofreitschule zur Abhaltung eines ersten parlamentarischen Reichstages. Der Reformwille des Kaisers flachte schnell wieder ab, die zart in Gang gesetzte Liberalisierung nahm trotzdem ihren Lauf. Auch wenn Tirol konservativ und katholisch-ständisch orientiert war, erhielt Innsbruck im Sog der Liberalisierung nach 1848 und der Landesverfassung den Status einer Stadt mit eigenem Statut. Das Innsbrucker Gemeinderecht sah ein Bürgerrecht vor, das zwar an Besitz oder die Abgabe von Steuern gebunden war, jedoch den Angehörigen der Gemeinde gewisse Rechte gesetzlich zusicherte. Das Heimatrecht konnte durch Geburt, Verehelichung oder außerordentlicher Verleihung erworben werden und verlieh zumindest den männlichen Volljährigen das Wahlrecht auf kommunaler Ebene. Geriet man in finanzielle Notlage, so hatte man das Anrecht auf eine Grundversorgung durch die Stadt.

Eine weitere nachhaltige Veränderung vollzog sich in der Landwirtschaft. Bis dahin war in Tirol der Landesfürst der größte Grundherr. In Innsbruck hielt der Klerus, vor allem das Stift Wilten, einen großen Teil des bäuerlichen Grundes. Kirche und Adel waren nicht steuerpflichtig. Eine unter Josef II. versuchte Ablösung der bäuerlichen Grundlasten von den Grundherren war 1798 gescheitert. Im Revolutionsjahr 1848/49 schließlich wurden in Österreich Grundherrschaft und Untertänigkeitsverhältnis aufgehoben. Abgelöst wurden damit Grundzinsen, Zehent und Robot, wobei diese Arbeiten auf den Gütern der Grundherren ohne Entlohnung der Bauern in Tirol seit dem 16. Jahrhundert ohnehin nicht mehr sehr verbreitet war. Die Grundherren erhielten im Rahmen der Grundentlastung ein Drittel des Wertes ihrer Ländereien vom Staat, ein Drittel wurde als Steuererleichterung gewertet, ein Drittel der Ablöse mussten die Bauern selbst übernehmen. Die Bauern konnten diesen Betrag in Raten innert zwanzig Jahren abzahlen. An den Krediten gingen einige Familien zu Grunde, andere schafften den Schritt erfolgreich. Die Nachwirkungen sind bis heute zu spüren. Die Nachkommen der damals erfolgreichen Bauern genießen durch den geerbten Landbesitz, der auf die Grundentlastung 1848 zurückzuführen ist, die Früchte des Wohlstandes und auch politischen Einfluss durch Grundstücksverkäufe für Wohnbau, Pachten und Ablösen der öffentlichen Hand für Infrastrukturprojekte.

Im Alltag der Menschen kam es nach dem Revolutionsjahr 1848 zu einer steigenden Verbürgerlichung, bedingt auch durch die Grundentlastung. Adelige investierten das Geld, das sie als Ablöse für ihre Ländereien erhalten hatten, in Industrie und Wirtschaft. Der Kapitalismus moderner Prägung hielt so auch im abgeschiedenen Tirol Einzug. Landwirte ohne Land machten sich ebenfalls vom Umland auf nach Innsbruck, um dort Arbeit zu finden. Der Wechsel vom bäuerlichen Leben des Dorfes in die Stadt beinhaltete mehr als einen örtlichen Wechsel. War der Grundherr am Land noch Herr über das Privatleben seiner Knechte und Mägde und konnte bis zur Sexualität über die Freigabe zur Ehe über deren Lebenswandel bestimmen, war man nun individuell zumindest etwas freier. Diese neue Freiheit gefiel nicht allen, was zu ideologisch motivierten sozialen Spannungen führte. Innsbruck begann zu wachsen. Damit hielt auch vermehrt die Teilung von Arbeit und Haushalt Einzug. In der Landwirtschaft war diese Trennung weniger streng, weibliche Familienmitglieder arbeiteten am Hof mit und die Wohnstätte war zugleich auch Arbeitsplatz. Arbeiter und Handwerker gingen morgens hingegen zur Arbeit und kamen abends wieder retour, während sich die Frau des Hauses um Kinder und Haushalt kümmerte. Männer als Patriarchen waren noch immer die Familienvorstände, es handelte sich aber nicht mehr um eine Sippe bestehend aus Kindern, Mägden und Knechten, sondern um einen kleinen Familienverband wie wir ihn heute kennen. Die Geschlechterrollen, die bis heute eine gewisse Relevanz haben, begründeten sich zu dieser Zeit. Vereine aller Art, das Phänomen der Freizeit und Teuflisches wie Fahrräder oder Sport kamen auf. Parks wie der Englische Garten rund um das Schloss Ambras waren nicht mehr exklusiv der Aristokratie zugänglich, sondern dienten den Bürgern als Naherholungsgebiete. Die Stadt Innsbruck und das Umland, schon immer unterschiedlich orientiert im Politischen, entfernten sich noch weiter voneinander. Nachdem Innsbruck 1849 an Stelle Merans zur Landeshauptstadt und somit auch endgültig zum Zentrum Tirols geworden war, begannen sich ausgehend von hier Parteien zu gründen. In den sich entwickelnden Cafés wurde von der Bürgerschaft die Pressefreiheit in Form von Zeitungen konsumiert und diskutiert. Katholisch-konservative Kräfte standen den Liberalen entgegen. Während im Tiroler Landtag die Konservativen getragen von der ländlichen Bevölkerung die Mehrheit dauerhaft festigen konnten, setzten sich in der Stadt nach und nach die Liberalen durch. Die Konservativen traten für die Beibehaltung des Einflusses der Kirche auf soziale Fragen wie Sozialpolitik und Schulen ein, die Liberalen plädierten für eine Säkularisierung des Alltags nach den Grundsätzen der Aufklärung wie sie in Frankreich seit Napoleon zum Teil vorangetrieben wurde. Kirchen und Klöster hatten es in Innsbruck immer schwerer, ihren Einfluss auf die Sozialstruktur durch die Bildung zu bewahren. Ab 1868 stellte die liberal und großdeutsch orientierte Partei den Bürgermeister der Stadt Innsbruck. Der gesellschaftliche Einfluss der Kirche, der seit den Zeiten Kaisers Maximilian Stück für Stück in ganz Europa unter den Säkularisierungstendenzen brüchiger wurde, nahm in Innsbruck im Gegensatz zu den Umlandgemeinden recht zügig ab. Kapitalismus und Konsum sprangen für ihn als ordnende Elemente in die Bresche, Kaufhäuser, Cafes und Tanzlokale hielten Einzug in den Alltag der Menschen. Für die nächsten 50 Jahre sollte der Kampf zwischen Liberalen und Konservativen die Geschichte der Stadt Innsbruck prägen.

Wie schwierig diese neue Ordnung im Verhältnis von Rechten und Pflichten war, zeigen die Bauten Johann von Sieberers im Saggen. Das Waisenhaus und das Kaiser-Franz-Josef-Greisenasyl waren Infrastruktur, die von der Kommune ob der angespannten finanziellen Lage nicht finanziert werden konnte. Auch die Aristokratie fiel nach den Reformen von 1848 als Sponsor aus. Sieberer hatte sich aus ärmlichen Verhältnissen nach oben gearbeitet. Er fühlte sich dem, was Max Weber als protestantische Arbeitsethik bezeichnet hätte zugehörig, ahmte aber den Adel, der ihn erzogen hatte, nach. Seine beiden Bauprojekte waren Statements und Ausdruck dieses bürgerlichen Selbstvertrauens. Auch Bahnprojekte wurden vielfach nichtstaatlich finanziert und förderten den gesellschaftlichen Wandel und die Öffnung des Landes.

 

Tourismusland Tirol

In den 1990er Jahren sorgte eine österreichische Fernsehserie für einen Skandal. Die Piefke Saga aus der Feder des Tiroler Schriftstellers Felix Mitterer beschrieb in vier skurril-entlarvend-amüsanten Folgen die Beziehung zwi-schen der deutschen Urlauberfamilie Sattmann und ihrem fiktiven Tiroler Urlaubsort. Bei aller Skepsis gegenüber dem Tourismus in seinen heutigen teils extremen Auswüchsen sollte man nicht vergessen, dass der Fremden-verkehr im 19. Jahrhundert ein wichtiger Faktor in Innsbruck und Umge-bung war, der die Entwicklung der Region nachhaltig antrieb, nicht nur wirtschaftlich. Anfangs waren es die Berggipfel der Alpen, die Besucher anzogen. Für lange Zeit war die Zone zwischen Mittenwald in Bayern und Italien nur eine Art Durchzugskorridor gewesen. Zwar verdienten die Inns-brucker Gasthöfe und Wirte bereits im Mittelalter und der Frühen Neuzeit an Händlern und der Entourage der adligen Gäste des Hofs, von Fremden-verkehr wie wir ihn heute verstehen war aber noch keine Rede. Lange waren die Berge eine reine Bedrohung für die Menschen gewesen. Es waren vor allem Briten, die sich aufmachten, sich nach den Weltmeeren auch die Ge-birge dieser Erde untertan zu machen. Über Reiseberichte verbreitete sich ab dem späten 18. Jahrhundert, der Epoche der Romantik, die Kunde von der Naturschönheit der Alpen. Neben der alpinen Attraktion waren es die wil-den und exotischen Eingeborenen Tirols, die international für Aufsehen sorg-ten. Der bärtige Revoluzzer namens Andreas Hofer, der es mit seinem Bau-ernheer geschafft hatte, Napoleons Armee in die Knie zu zwingen, erzeugte bei den Briten, den notorischen Erzfeinden der Franzosen, ebenso großes Interesse wie bei deutschen Nationalisten nördlich der Alpen, die in ihm einen frühen Protodeutschen sahen. Die Tiroler galten als unbeugbarer Men-schenschlag, archetypisch und ungezähmt, ähnlich den Germanen unter Arminius, die das Imperium Romanum herausgefordert hatten. Die Be-schreibungen Innsbrucks aus der Feder des Autors Beda Weber (1798 – 1858) und andere Reiseberichte in der boomenden Presselandschaft dieser Zeit trugen dazu bei, ein attraktives Bild Innsbrucks zu prägen. Nun mussten die wilden Alpen nur noch der Masse an Touristen zugänglich gemacht werden, die zwar gerne den Expeditionen nacheifern wollten, deren Risikobereit-schaft und Fitness mit den Wünschen nicht schritthalten konnten. Der Deut-sche Alpenverein eröffnete 1869 eine Sektion Innsbruck, nachdem der 1862 Österreichische Alpenverein wenig erfolgreich war. Es waren wohl vor allem die großdeutsch orientierten Mitglieder, die 1873 die beiden Stellen fusioniert für das alpine Wohl sorgend sehen wollten. Der Alpenverein war bürgerlich geprägt, sein sozialdemokratisches Pendant waren die Naturfreunde, die sich vor allem aus der Arbeiterschaft speisten. Neben dem sportlichen er-möglichten diese Vereine auch ein touristisches Wachstum. Das Wegenetz wuchs durch dessen Erschließung ebenso wie die Zahl an Hütten, die Gäste beherbergen konnten. Die Alpenvereine bildeten auch Bergführer aus. Der Tiroler Theologe Franz Senn (1831 – 1884) und der Schriftsteller Adolf Pichler (1819 – 1900) waren maßgeblich an der Vermessung Tirols und der Erstel-lung von Kartenmaterial beteiligt. Anders als gerne behauptet waren die Tiroler nicht geborene Bergsteiger, sondern mussten sich die Fähigkeiten die Bergwelt zu erobern erst beibringen lassen. Bis dato waren Berge vor allem eins: gefährlich und mühsam im landwirtschaftlichen Alltag. Sie zu bestei-gen, war zuvor kaum jemandem in den Sinn gekommen. Ab der Jahrhun-dertwende kam der Skisport in Mode. Lifte gab es noch nicht, um auf die Berge zu gelangen, musste man sich der Felle bedienen, die heute noch auf Tourenski geklebt werden. 1869 hatte mit dem Grand Hotel d´Europe am Innsbrucker Hauptbahnhof ein Etablissement ersten Ranges eröffnet und Innsbruck einen Schritt weiter zur Tourismusdestination gebracht. Bis dahin waren es vor allem die Umland-gemeinden gewesen, die von den Gästen profitierten. Vor allem Igls war als Kurort für Sommerfrischler bekannt. Der Igler Hof, damals Grandhotel Igler Hof und das Sporthotel Igls, verströmen heute noch teilweise den Chic dieser Zeit. Auch das Kuren, die frühe Form der Wellness, bei der betuchte Kunden sich in alpinem Umfeld von unterschiedlichsten Krankheiten erholen konn-ten, war in Innsbruck möglich. Am heutigen Stadtgebiet Innsbrucks, in E-gerdach zwischen Amras und Ampass und in Mühlau, gab es zwei Kurbä-der. So schick wie die Hotspots der Zeit in Bad Ischl, Marienbad oder Baden bei Wien waren die Anlagen nicht, wie man auf alten Fotos und Postkarten sehen kann, die Anwendungen mit Sole, Dampf, Gymnastik, sogar Magne-tismus, entsprachen aber dem damaligen Standard dessen, was heute teil-weise noch bei Kur- und Wellnessurlaubern beliebt ist. Bad Egerdach bei Innsbruck war als Heilquelle seit dem 17. Jahrhundert bekannt. Die Quelle sollte Gicht, Hautkrankheiten, Anämie, ja sogar die im 19. Jahrhundert als Vorgängerin des Burnouts als Neurasthenie bekannte Nervenkrankheit be-heben. Die Kapelle der Anstalt besteht bis heute gegenüber dem SOS Kin-derdorf. Die Badeanstalt in Mühlau existierte seit 1768 und wurde im Laufe des 19. Jahrhunderts zu einem Gasthaus mit Kuranstalt ganz im Stil der Zeit umgebaut. Das Viertel in direkter Nähe zu den Villas des Saggen rund um die alte Kettenbrücke und die Hungerburgbahn, die Innsbruck mit dem Luftkurort über der Stadt verband, war zur Jahrhundertwende das schicke und moderne Zentrum der Stadt. Heute ist das schicke Gebäude als Wohn-haus in der Anton-Rauch-Straße noch zu besichtigen. 1888 gründeten die Profiteure des Fremdenverkehrs in Innsbruck eine Kom-mission zur Förderung des Tourismus, den Vorgänger des heutigen Tourismus-verbands. Durch vereinte Kräfte in Werbung und Qualitätssicherung bei den Beherbergungsbetrieben hofften die einzelnen Player, den Tourismus weiter anzukurbeln. Ab 1880 sorgten neben der Werbung auch Postkarten dafür, dass Innsbruck als Reiseziel an Bekanntheit gewann. Für Digital Natives, die mit Social Media aufwuchsen, ist es nur schwer vorstellbar, dass man Ur-laubsgrüße noch mit Karton und Briefmarke versandte. Postkarten waren die ersten massentauglichen Influencer der Tourismusgeschichte. Viele Betriebe ließen ihre eigenen Postkarten drucken. Daneben gab es die offiziell von den Verlagen verkauften. Es ist interessant zu sehen, was damals als sehenswert galt und auf den Karten abgebildet wurde. Anders als heute waren es vor allem die neuen Errungenschaften der Stadt wie der Leopoldbrunnen, das Stadtcafé beim Theater, die neu errichtete Kettenbrücke, die 1845 eröffnete Stefansbrücke an der Brennerstraße, die als Steinbogen aus Quadern die Sill überquerte, die Hungerburgbahn, der Gasthof Schupfen in dem Andreas Hofer sein Hauptquartier hatte und der Berg Isel mit dem großen Andreas-Hofer-Denkmal. Andreas Hofer selbst war bereits damals ein gut funktionierendes Testimonial. Mit dem Ersten Weltkrieg versandete die erste touristische Welle. 1914 gab es in Innsbruck 17 Hotels, die Gäste anlockten. Dazu kamen die Sommer- und Winterfrischler in Igls und dem Stubaital. Der Krieg zerstörte dies alles mit abrupt. Gerade als sich der Fremdenverkehr Ende der 1920er Jahre lang-sam wieder erholt hatte, kamen mit der Wirtschaftskrise und Hitlers 1000 Mark Sperre, mit der er die österreichische Regierung 1933 unter Druck setzen wollte, um das Verbot der NSDAP zu beenden, die nächsten Dämpfer. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der Flughafen vom Osten der Stadt an seinen heutigen Standort in der Höttinger Au verlegt. Mit dem wirtschaftlichen Aufschwung nach dem Krieg erholte sich auch der Tourismus wieder. Nach den beschwerlichen 1950er Jahren konnten Tirol und Innsbruck den Frem-denverkehr langsam, aber stetig als verlässlichen Motor der Wirtschaft stabil etablieren.

Sportliches Innsbruck

Wer den Beweis benötigt, dass die Innsbrucker stets ein aktives Völkchen waren, könnte das Bild Winterlandschaft des niederländischen Malers Pieter Bruegel (circa 1525 – 1569) aus dem 16. Jahrhundert bemühen. Auf seiner Rückreise von Italien gen Norden hielt der Meister wohl auch in Innsbruck und beobachtete dabei die Bevölkerung beim Eislaufen auf dem zugefrorenen Amraser See. Dieses Freizeitvergnügen der Menschen als Sport zu bezeichnen, ginge aber wohl zu weit. Muse und frei verfügbare Zeit, für Sport und Hobbies wie der Jagd oder Reiten war im Mittelalter und der Frühen Neuzeit vor allem ein Privileg des Adels. Erst durch die geänderten Lebensumstände des 19. Jahrhunderts hatte ein guter Teil der Bevölkerung, vor allem in den Städten, zum ersten Mal so etwas wie Freizeit. Mehr und mehr arbeiteten Menschen nicht mehr in der Landwirtschaft, sondern als Arbeiter und Angestellte in Büros, Werkstätten und Fabriken. In vielen Ländern Europas sank durch die Rationalisierung der Erwerbsarbeit die Arbeitszeit. Vorreiter war das industrialisierte England, in dem sich Arbeiter und Angestellte langsam vom Turbokapitalismus der frühen Industrialisierung zu befreien begannen. 16-Stunden-Tage waren nicht nur gesundheitlich bedenklich für den Arbeiter, auch Unternehmer merkten, dass eine Überbelastung unrentabel war. Gesunde und glückliche Arbeiter waren besser fürs Geschäft. Seit den 1860er Jahren gab es Bestrebungen, einen 8-Stunden-Tag einzuführen. Der Weg dorthin war lang, Schritt für Schritt ging es aber in diese Richtung. 1873 setzten die österreichischen Buchdrucker eine Arbeitszeit von zehn Stunden pro Tag durch. 1918 stellt man in Österreich auf eine 48-Stunden-Woche um. Ab 1930 galten in Industriebetrieben 40 Stunden pro Woche als Normalarbeitszeit. Diese Änderungen in der Arbeitswelt, zogen ein geändertes Freizeitverhalten nach sich. Menschen jeder Schicht, nicht mehr nur die Aristokratie, hatten nun Geist für Hobbies, Vereinsleben und sportliche Betätigung.

Die Stadt hatte von Anfang an ein Auge darauf, Möglichkeiten für die Bevölkerung zur sportlichen Betätigung zu schaffen. Den Anfang des organisierten Vereinssports machte der ITV, der Innsbrucker Turnverein, der sich 1849 gründete. Turnvereine waren in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts groß in Mode. Das Turnen war der Inbegriff des Sports. Der Wettkampfgedanke stand nicht im Vordergrund bei den Vereinen. Viele Vereine hatten einen politischen Hintergrund. Es gab christliche, sozialistische, und großdeutsche Sportvereine. Sie dienten vielfach als Vorfeldorganisation politischer Parteien und Organe. Mehr oder minder alle Vereine hatten Arierparagraphen in ihren Statuten, weshalb jüdische Bürger ihre eigenen Sportvereine gründeten. Aus den deutschen Turnvereinen ging neben den Studentenverbindungen die Nationalbewegung hervor. Die Mitglieder sollten sich körperlich ertüchtigen, um dem nationalen Volkskörper im Kriegsfall bestmöglich zu dienen. Die Ritter- und Söldnerheere hatten ausgedient, der Militärdienst war unter Maria Theresia in Österreich zur Bürgerpflicht geworden. Sitzende Berufe, vor allem die akademischen, wurden mehr, Turnen diente als Ausgleich Der großdeutsche Agitator Friedrich Ludwig Jahn (1778 – 1852), landläufig bekannt als Turnvater Jahn, war nicht nur Vorturner der Nation, sondern war auch geistiger Vater des Lützow´schen Freikorps das gegen Napoleon als eine Art gesamtdeutsches Freiwilligenheer ins Feld zog. Im Saggen erinnern die Jahnstraße und ein kleiner Park an Friedrich Ludwig Jahn. 1883 gründeten die Radfahrer den Verein Bicycle Club. Die ersten Radrennen in Frankreich und Großbritannien hatten in ab 1869 stattgefunden. Bereits im selben Jahre hatte die Innsbrucker Presse von den modernen Mitteln des Individualverkehrs berichtet, als sich „einige Herren mit mehreren von der Firma Peterlongo bestellten Velocipedes auf die Straße wagten“. 1876 kam es zu einem kurzzeitigen Verbot des Radverkehrs, da es immer wieder zu Unfällen gekommen war. Die Gefährte waren teils abenteuerliche Konstrukte, Hochräder, die keinen Antrieb mit Kette hatten. Die Velocipedisten siedelten sich im Saggen nahe der Viaduktbögen mit einer Radrennbahn samt Tribüne an. Neben Radrennen fanden hier Boxkämpfe und Tennismatches statt. 1896 fand am Ausstellungsplatz bei der Radrennbahn die „Internationale Ausstellung für körperliche Erziehung, Gesundheitspflege und Sport“ statt. Die Fußballer waren wegen des Arierparagraphen, der Matches mit Mannschaften mit jüdischen Spielern verbot, aus dem Dachverein ITV ausgetreten. Es gründete sich zuerst der Verein Fußball Innsbruck, der später zum SVI werden sollte. Zu diesem Zeitpunkt gab es bereits überregionale Fußballspiele, zum Beispiel ein 1:1 Unentschieden der Mannschaft des ITV gegen Bayern München. In Wilten, mittlerweile ein Teil Innsbrucks, entstand 1910 der SK Wilten. 1913 gründete sich mit Wacker Innsbruck der erfolgreichste Tiroler Fußballverein. 1925 errichtete die Stadt bei den Sillhöfen ein Sportzentrum, um dem steigenden Bedarf nachzukommen. Schon im 19. Jahrhundert war dieses Areal zwischen Wilten, Pradl und Amras am Fuße des Berg Isel ein beliebtes Ausflugsziel für Innsbrucker. Die erste Anlage bestand aus zwei Fußballfeldern samt Aschenbahn für Leichtathletik. Die Sportplätze wurden während des Zweiten Weltkrieges Opfer der Bomben und wurden in der Nachkriegszeit als Schrebergärten genutzt. 1953 wurde das alte Tivoli-Fußballstadion eröffnet, in dem der FC Wacker Innsbruck unter verschiedenen Vereinsnamen bis zum Umzug in die neue Heimstätte hinter dem Olympiastadion im Jahr 2000 acht von insgesamt zehn österreichischen Meistertiteln feiern konnte. 1961 wurde das Sportangebot um das Freischwimmbad Tivoli erweitert. Abgesehen von einigen Erneuerungen und der Umstrukturierung auf Grund der Wohnanlage Tivoli besteht das Schwimmbad im Kern seit über 60 Jahren nach den Plänen dieser Zeit und gilt als internationales Vorbild für die Gestaltung einer städtischen Freizeitanlage. Bereits 1928 wurde mit dem Städtischen Hallenbad die überdachte Anlage für die Sportschwimmer eröffnet. Die 1920er Jahre waren die Zeit, in der Theodor Prachensky Wohnprojekte, Schulen, Kindergärten und Volkshäuser für die Arbeiterschicht in Innsbruck umsetzte. Eine Zeit der Emanzipation und des Aufbruchs nach den Schrecken des Ersten Weltkriegs und den Krisenjahren, die von Inflation und Versorgungsengpässen charakterisiert waren. Neben den diversen Sommersportarten wurde auch der Wintersport immer populärer. 1884 gründete sich der Eislaufverein und nutzte das Ausstellungsgelände als Eisbahn. Mit dem Lansersee, dem Amraser See (heute: Einkaufszentrum DEZ), der Schwimmanlage Höttinger Au und dem Sillkanal in der Kohlstatt standen den Innsbruckern Möglichkeiten zum Eislaufen zur Verfügung. Der Skisport, anfangs ein nordisches Vergnügen im Tal, breitete sich bald auch als Abfahrtsdisziplin aus. Nach St. Anton und Kitzbühel gründete sich 1906 der erste Innsbrucker Skiverein. Die Ausrüstung war primitiv, trotzdem wagte man sich in Mutters oder auf der Ferrariwiese die Pisten hinabzudüsen. Seit 1928 führten zwei Seilschwebebahnen sowohl auf die Nordkette und den Patscherkofel.

Innsbrucker identifizieren sich bis heute sehr stark über den Sport. Mit der Fußball-EM 2008, der Radsport-WM 2018 und der Kletter-WM 2018 konnte man an die glorreichen 1930er Jahre mit zwei Skiweltmeisterschaften und die beiden Olympiaden von 1964 und 1976 auch im Spitzensportbereich wieder anknüpfen. Trotzdem ist es weniger der Spitzen- als vielmehr der Breitensport, der dazu beiträgt. Es gibt kaum jemanden der nicht zumindest den Alpinski anschnallt. Mountainbiken auf den zahlreichen Almen rund um Innsbruck, Skibergsteigen, Sportklettern und Wandern sind überdurchschnittlich populär in der Bevölkerung und fest im Alltag vieler Innsbrucker verankert.

Rudolf, liberaler Liebling der Völker

Der intelligente, liberal eingestellte und sensible Kronprinz Rudolf (1858 – 1889) galt als der Liebling der Völker des Habsburgerreichs. Seit dem Amtsantritt Kaiser Franz Josefs I. 1848 hatte sich die Donaumonarchie verändert. 1866 war Österreich nach Königgrätz aus dem Deutschen Bund ausgeschieden. 1867 war es zum sogenannten Ausgleich mit Ungarn gekommen. Die italienischen Gebiete mit Ausnahme des Trentino und des Hafens Triest waren verlorengegangen. Das Vielvölkerreich begann unter dem Druck der einzelnen nationalen Gruppen und Länder zu bröckeln. Die Bestrebungen der einzelnen Volksgruppen machten auch vor Tirol nicht halt, gehörte mit dem Trentino zwischen Salurn und Riva am Gardasee doch auch ein italienischsprachiger Teil zum Land. Im Tiroler Landtag forderten italienischsprachige Abgeordnete, sogenannte Irredentisten, mehr Rechte und Autonomie für das damalige Südtirol. In Innsbruck kam es zwischen italienischen und deutschsprachigen Studenten immer wieder zu Spannungen und Auseinandersetzungen. Die Wallschen, dieser Begriff für Italiener hält sich bis heute recht hartnäckig, galten als ehrlos, unzuverlässig und faul.

Franz Josefs Sohn und Thronfolger Rudolf galt als sehr belesen und gebildet, sprach neben Griechisch und Latein auch Französisch, Ungarisch, Tschechisch und Kroatisch. Er verfasste liberale Artikel im "Neuen Wiener Tagblatt" unter einem Pseudonym. Er wollte unter anderem Grund- und Bodenreformen vorantreiben durch stärkere Besteuerung der Großgrundbesitzer und den einzelnen Nationalitäten des Habsburgerreichs mehr Rechte zugestehen. Das brachte ihm in den deutschsprachigen ländlichen Gebieten wenig Zustimmung ein. Rudolf wurde bei Regierungsgeschäften wegen seiner liberalen Einstellung häufig außen vorgelassen. Sein Vater soll ihn sogar vom Geheimdienst überwachen haben lassen. So widmete er sich als Privatier dem Verfassen von Presseartikeln, der Wissenschaft und dem Reisen durch die Länder der Monarchie. Er veranlasste die Herausgabe des Kronprinzenwerks, einer naturwissenschaftlichen Enzyklopädie. 1893 erschien Band 13, der das Kronland Tirol behandelte.

Seine frühen Jahre, als er auf Wunsch seines Vaters Kaiser Franz Josef eine soldatische Erziehung unter General Gondrecourt durchlaufen musste, waren, anders als man es bei einem Kronprinzen vermuten könnte, wenig luxuriös. Erst nach Einschreiten seiner Mutter Elisabeth wurden Schikanen wie Wasserkuren, Exerzieren in Regen und Schnee und das Aufwecken mit Pistolenschüssen aus dem täglichen Programm des sechsjährigen Kronprinzen genommen. Tragisch verlief auch das weitere Leben Rudolfs. Dem schönen Geschlecht war er alles andere als abgeneigt. Seine Ehe war äußerst unglücklich und lieblos, wie auch die Beziehung zu seinem Vater Franz Josef. Schon während seines Militärdiensts wurde Rudolf eine Affäre nachgesagt, es sollte nicht die letzte sein. In seinen letzten Lebensmonaten unterhielt er eine Affäre mit der als besonders schön geltenden, allerdings erst siebzehn Jahre Mary Vetsera aus reichem ungarischem Adel. Unter bis heute nicht vollständig geklärten Umständen nahm sich Rudolf gemeinsam mit ihr am 30. Januar 1889 in Mayerling in der Nähe von Wien das Leben durch einen Pistolenschuss in den Kopf. Es war eine skurrile Tat. Rudolf kam mehr oder minder direkt von einem Besuch bei einer Prostituierten in das Jagdschloss im Wienerwald. Er war zu dieser Zeit von Depressionen, Gonorrhö, Alkohol und Morphium schwer gezeichnet und dürfte der jungen Frau eine gemeinsame gotisch-düstere Zukunft im Jenseits in den romantischen Vorstellungen einer Oper Wagners oder Verdis versprochen haben. Erst nach Diskussionen mit dem Papst konnte er christlich bestattet werden, Selbstmord war eine schwere Sünde und verhinderte ein christliches Begräbnis. Vetsera wurde am Friedhof in Heiligenkreuz bei Mayerling in einem kleinen Grab an der Friedhofsmauer unauffällig beigesetzt, während Rudolf ein Staatsbegräbnis erhielt und seine letzte Ruhe in der Kapuzinergruft, der wohl berühmtesten Grablege der Habsburger in Wien erhielt. Von der Familie Habsburg wurde der Selbstmord nie anerkannt. Zita (1892 – 1989), die Witwe des letzten Kaisers Karl, sprach noch in den 1980ern von einem Mordanschlag. Der Rudolfsbrunnen in Innsbruck am Boznerplatz erinnert zwar nicht an den Kronprinzen, bei seiner Einweihung war er aber zugegen. Im konservativen Tirol war er wenig beliebt, bei den liberal gesinnten Innsbruckern hingegen galt er als Hoffnung für eine Erneuerung der Monarchie im Sinne eines modernen, föderalen Staates.

Wilhelm Greil: DER Bürgermeister Innsbrucks

Eine der wichtigsten Figuren der Stadtgeschichte war Wilhelm Greil (1850 – 1923). Von 1896 bis 1923 war er Innsbrucker Bürgermeister, nachdem er vorher bereits als Vizebürgermeister tätig war. Greil war selbst als Unternehmer tätig. Er gehörte der "Deutschen Volkspartei" an, die sich als nationale, großdeutsch orientierte Partei aus der liberalen Bewegung herausgeschält hatte. Was uns heute als Widerspruch erscheint, liberal und national, war im 19. Jahrhundert ein politisch übliches und gut funktionierendes Gedankenpaar. Der Pangermanismus war keine politische Besonderheit einer rechtsradikalen Minderheit, sondern eine Strömung der Mitte, die bis nach dem Zweiten Weltkrieg durch fast alle Parteien hindurch in unterschiedlicher Ausprägung Bedeutung hatte. Bedingt durch eine Wahlordnung, die auf das Stimmrecht über Vermögensklassen aufgebaut war, konnten sich große Massenparteien wie die Sozialdemokraten noch nicht durchsetzen. Die Konservativen hatten es, anders als im restlichen Tirol, schwer in Innsbruck, dessen Bevölkerung seit der Zeit Napoleons liberale Morgenluft geschnuppert hatte. Viel mehr waren es eben die von wohlhabenden Bürgern und Unternehmern unterstützten liberalnationalen Politiker, die den politischen Ton Innsbrucks dieser Zeit vorgaben. Politik, öffentliche Verwaltung, Bildung und das Militär sollten zentral, möglichst unter Ausschluss der landbesitzenden Kirche geregelt werden.

Die Amtszeit Greils war dreigeteilt. Sie fiel in die Epoche des Wirtschaftsaufschwungs nach dem Börsenkrach von 1873, den Ersten Weltkrieg und die karge Nachkriegszeit. Diese Epoche war für Innsbruck in vielerlei Hinsicht richtungsweisend. Unter ihm wurde von der Stadt ganz im Sinne des Kaufmanns vorausschauend Grund angekauft, um Projekte zu ermöglichen. Vieles das damals vorangetrieben wurden, gehören heute wie selbstverständlich zum täglichen Leben in Innsbruck, waren um die Jahrhundertwende aber eine echte Revolution. Bereits sein Vorgänger Bürgermeister Heinrich Falk (1840 – 1917) hatte erheblich zur Modernisierung der Stadt und zur Besiedelung des Saggen beigetragen. Wie viele andere europäische Städte erlebte Innsbruck zwischen 1890 und dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs einen großen Modernisierungsschub. Greil war ein geschickter Politiker, der sich innerhalb der vorgegebenen Machtstrukturen seiner Zeit bewegte. Er wusste sich um die traditionellen Kräfte, die Monarchie und den Klerus geschickt zu manövrieren und sich mit ihnen zu arrangieren. Unter Wilhelm Greil erweiterte sich Innsbruck beträchtlich. Der Politiker Greil konnte sich auf die Beamten und Stadtplaner Eduard Klingler, Jakob Albert und Theodor Prachensky stützen. Die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg war im Allgemeinen von einem nie dagewesenen Wirtschaftswachstum und einer rasenden Modernisierung gekennzeichnet. Die Wirtschaft der Stadt boomte. Betriebe in Pradl und Wilten gründeten sich und lockten Arbeitskräfte an. Auch der Tourismus brachte frisches Kapital in die Stadt. Greil konnte sich bei dieser Innsbrucker Renaissance auf der Stadt geneigte Mäzen aus dem Bürgertum stützen. Freiherr Johann von Sieberer (103) stiftete das Greisenasyl und das Waisenhaus im Saggen. Leonhard Lang stiftete das Gebäude, das vorher als Hotel genutzt wurde, in das das Rathaus von der Altstadt 1897 übersiedelte, gegen das Versprechen der Stadt ein Lehrlingsheim zu bauen. Neben den Villen im Saggen entstanden auch die Wohnhäuser im östlichen Teil des Stadtviertels. Infrastrukturprojekte wie das neue Rathaus in der Maria-Theresienstraße 1897, die Hungerburgbahn 1906 und die Karwendelbahn, die Innsbruck bis heute mit Seefeld verbindet, wurden umgesetzt. Andere Projekte waren die Erneuerung des Marktplatzes und der Bau der Markthalle. Wilhelm Greil veranlasste die Übernahme des Gaswerks in Pradl und des Elektrizitätswerks in Mühlau in städtischen Besitz. Unter ihm erfolgte die Umstellung der Straßenbeleuchtung auf elektrisches Licht. Seit 1859 war die Beleuchtung der Stadt mit Gasrohrleitungen stetig vorangeschritten. Nun war es an der Zeit, dass auch in Innsbruck Elektrizität Einkehr hielt. Die Berufsfeuerwehr Innsbruck entstand 1899. In seinen letzten Amtsjahren begleitete Greil Innsbruck am Übergang von der Habsburgermonarchie zur Republik durch Jahre, die vor allem durch Mittelknappheit geprägt waren. 1928 verstarb der verdiente Altbürgermeister als Ehrenbürger der Stadt Innsbruck im Alter von 78 Jahren. Die Wilhelm-Greil-Straße wurde noch zu seinen Lebzeiten nach ihm benannt.

Eduard Klingler: Der Baumeister der Erweiterung

Bezeichnet man Wilhelm Greil als Bürgermeister der Erweiterung, kann der gebürtige Wiener Eduard Klingler (1861 – 1916) wohl als der Architekt der Erweiterung Innsbrucks rund um die Jahrhundertwende bezeichnet werden. 1883 begann er für das Land Tirol zu arbeiten. 1889 trat er zum städtischen Bauamt über, dessen Leiter er unter Bürgermeister Wilhelm Greil (105) 1902 wurde. In dieser Zeit begann die Stadt in alle Richtungen zu wachsen. Nicht nur quantitativ, auch qualitativ musste Innsbruck sich unter den neuen politischen Vorzeichen verändern. Die ersten freien Wahlen des Reichsrates für alle männlichen Bürger im Jahr 1907 veränderten auch die sozialen Spielregeln. Arbeiter mit politischem Stimmrecht mussten anders gepflegt werden als Untertanen ohne dieses Recht. Johann von Sieberer ließ mit dem Waisenhaus und dem Altenheim zwei große Projekte im Saggen umsetzen. Umliegenden Dörfer wie Pradl und Wilten wurden eingemeindet. Klingler prägte das Stadtbild Innsbrucks wesentlich mit. Vor allem die jüngeren Stadtteile wie Wilten, Pradl und der Saggen entstanden unter seiner Obhut. Die bis dato eigenständigen Dörfer Wilten und Pradl, die 1904 eingemeindet und Teil der Stadt wurden, trugen zum Wachstum bei. Von 1880 bis 1900 wuchs Innsbrucks Bevölkerung „nur“ von 20.000 auf 26.000 Einwohner an, Wilten verdreifachte sich von 4000 auf 12.000. Neben dem quantitativen Wachstum durch die Stadterweiterung wuchs Innsbruck, auch qualitativ, was die Lebensqualität der Menschen anbelangt. Die Stadt trieb die Bautätigkeit innerhalb der Stadtteile emsig voran. Die Anforderungen an die Infrastruktur stiegen. Gas, Wasser, Elektrizität begannen sich als Standard zu etablieren. Die Wohnhäuser, die in den Arbeitervierteln gebaut wurden, waren ein Spiegel einer neuen Gesellschaft. Anders als im ländlichen Bereich Tirols, wo Bauernfamilien samt den Bediensteten in Bauernhäusern im Verbund einer Sippschaft lebten, kam das Leben in der Stadt dem Familienleben, das wir heute kennen, nahe. Damit einher gingen neue individuelle Freiheiten und Zerstreuungsmöglichkeiten in der Freizeit. Schulen und Kindergärten mussten für die neuen Bewohner gebaut werden. Die Anforderungen an die Medizin und damit die Klinik wuchsen.

Ganz im Geist der Zeit plante Klingler in den Stilen des Historismus und des Klassizismus sowie des Heimatstils. In Innsbruck gehen unter anderem die Handelsakademie, der Friedhof Pradl, die Dermatologische Klinik im Klinikareal, der Städtische Kindergarten in der Michael-Gaismair-Straße, die Trainkaserne (heute ein Wohnhaus im Saggen) und das Tiroler Landeskonservatorium auf Klinglers Konto. Ein sehenswertes Gebäude im Heimatstil ist das Ulrichhaus am Berg Isel, das heute den Alt-Kaiserjäger-Club beheimatet. Als Leiter des Bauamts hatte er aber auf alle größeren Projekte dieser Zeit seinen Einfluss. Während die von Klingler direkt verantworteten Gebäude moderat und funktional sind, gestalteten sich die bürgerlichen Gebäude wie das Winklerhaus (70) oder die Villen im Saggen durchaus prunkvoll. Auch einige Miethäuser wurden im Stil des Klassizismus angelegt. Die Wiederbelebung der Antike stand in der Architektur hoch im Kurs. Vor allem bis 1900 waren klare Formen, Masken, Statuen und Säulen stilprägende Elemente bei der Anlage neuer Gebäude. Die Aufklärung, die sich an der Vernunft antiker Denker orientierte bekam auch in den Gesichtern der Städte ihren fixen Platz. In einem teils wilden Mix wurden die Vorstellungen, die Architekten vom klassischen Griechenland und dem alten Rom hatten, verwirklicht. Straßenzüge wie die Sonnenburgstraße, die Stafflerstraße, die Kaiser-Josef-Straße oder die Claudiastraße zeigen den Stil der Zeit. Die Änderungen der Nachkriegszeit hin zu einer zweckorientierten Architektur, zum Beispiel das Städtische Hallenbad oder den Pembaurblock erlebte Klingler nicht mehr

Der Erste Weltkrieg und die Zeit danach

Auch in Innsbruck war die Begeisterung für den Krieg 1914 groß gewesen. Vom Nationalismus der Zeit angetrieben, begrüßten Bauernsöhne und Studenten den Krieg zum allergrößten Teil einhellig. Klerus und Presse stimmten in den allgemeinen Jubel mit ein und heizten die Sache weiter an. Besonders „verdient“ machten sich dabei auch Theologen wie Joseph Seeber (1856 – 1919) und Anton Müllner alias Bruder Willram (1870 – 1919) die mit ihren konservativen und xenophoben Predigten und Schriften den Krieg zu einem Kreuzzug erhoben. Die Lektüre des Gedichtbandes „Das blutige Jahr“ Müllners macht es unverständlich, warum in Innsbruck immer noch eine Straße nach ihm benannt ist. Der Krieg wurde am 28. Juli in allen Sprachen des Vielvölkerreichs Österreich-Ungarns auch in Innsbruck proklamiert. Viele Innsbrucker meldeten sich freiwillig für den Feldzug gegen Serbien, von dem man dachte, er wäre eine Angelegenheit weniger Wochen oder Monate. Von außerhalb der Stadt kam eine so große Anzahl an Freiwilligen zu den Stellungskommissionen, dass Innsbruck beinahe aus allen Nähten platzte. Wie anders es kommen sollte, konnte keiner ahnen. Schon nach den ersten Schlachten im fernen Galizien war klar, dass es keine Sache von Monaten werden würde. Auch der Glanz des Heldenhaften am Schlachtfeld blätterte schnell ab. Mit dem Eintritt Italiens in den Ersten Weltkrieg 1915 ging die Front quer durch das damalige Tirol. Vom Ortler im Westen über den nördlichen Gardasee bis zu den Sextener Dolomiten fanden die Gefechte des sogenannten Gebirgskriegs statt. Die Kriegsführung hatte wenig mit soldatischer Ehre und den Vorstellungen, die man bei Kriegseintritt hatte, zu tun. Die Überreste der Befestigungen entlang der Frontlinie, die sich vom Isonzo quer über den Alpenbogen spannte, geben schauerlichen Einblick in den Kriegsalltag. Neben dem Artilleriefeuer waren es Kälte, Krankheit, Hunger und Lawinen, die viele Todesopfer forderten. Innsbruck war direkt nicht von den Kampfhandlungen betroffen. Zumindest hören konnte man das Kriegsgeschehen aber bis in die Landeshauptstadt, wie in der Zeitung vom 7. Juli 1915 zu lesen war:

„Bald nach Beginn der Feindseligkeiten der Italiener konnte man in der Gegend der Serlesspitze deutlich Kanonendonner wahrnehmen, der von einem der Kampfplätze im Süden Tirols kam, wahrscheinlich von der Vielgereuter Hochebene. In den letzten Tagen ist nun in Innsbruck selbst und im Nordosten der Stadt unzweifelhaft der Schall von Geschützdonner festgestellt worden, einzelne starke Schläge, die dumpf, nicht rollend und tönend über den Brenner herüberklangen. Eine Täuschung ist ausgeschlossen. In Innsbruck selbst ist der Donner der Kanonen schwerer festzustellen, weil hier der Lärm zu groß ist, es wurde aber doch einmal abends ungefähr um 9 Uhr, als einigermaßen Ruhe herrschte, dieser unzweifelhafte von unseren Mörsern herrührender Donner gehört.“

Bis zur Verlegung regulärer Truppen von der Ostfront hing die Landesverteidigung an den Standschützen, einer Truppe, die aus Männern unter 21, über 42 oder mit Untauglichkeit für den regulären Militärdienst bestand. Täglich trafen wenig erbauliche Neuigkeiten der Front, Särge und Kriegsgefangene ein. Verwundetentransporte luden Menschenmaterial für die Lazarette im Hinterland ab. Die Männer waren teilweise fürchterlich entstellt, wie man auf Fotos aus den Lazaretten sehen kann. Um der Gefallenen Herr zu werden, wurde der Militärfriedhof Pradl angelegt. Die Bevölkerung litt unter dem Mangel, vor allem im letzten Winter, der als Hungerwinter in die Geschichte Europas einging. Die Versorgung erfolgte in den letzten Kriegsjahren über Bezugsscheine. 500 g Fleisch, 60 g Butter und 2 kg Kartoffel waren die Basiskost pro Person – pro Woche, wohlgemerkt. Auf Archivbildern kann man die langen Schlangen verzweifelter und hungriger Menschen vor den Lebensmittelläden sehen. Im Oktober 1918 kam es zu Fliegeralarm, Schaden entstand keiner. Zu dieser Zeit war den meisten Menschen schon klar, dass der Krieg verloren war, und welches Schicksal Tirol erwarten würde, wie dieser Artikel vom 6. Oktober 1918 zeigt:

 „Aeußere und innere Feinde würfeln heute um das Land Andreas Hofers. Der letzte Wurf ist noch grausamer; schändlicher ist noch nie ein freies Land geschachert worden. Das Blut unserer Väter, Söhne und Brüder ist umsonst geflossen, wenn dieser schändliche Plan Wirklichkeit werden soll. Der letzte Wurf ist noch nicht getan. Darum auf Tiroler, zum Tiroler Volkstag in Brixen am 13. Oktober 1918 (nächsten Sonntag). Deutscher Boden muß deutsch bleiben, Tiroler Boden muß tirolisch bleiben. Tiroler entscheidet selbst über Eure Zukunft!

Am 4. November vereinbarten Österreich-Ungarn und das Königreich Italien schließlich einen Waffenstillstand. Damit verbunden war das Recht der Alliierten Gebiete der Monarchie zu besetzen. Bereits am nächsten Tag rückten bayerische Truppen in Innsbruck ein. Der österreichische Verbündete Deutschland befand sich noch im Krieg mit Italien und hatte Angst, die Front könnte nach Nordtirol näher an das Deutsche Reich verlegt werden. Zum großen Glück für Innsbruck und die Umgebung kapitulierte aber auch Deutschland eine Woche später am 11. November. So blieben die großen Kampfhandlungen zwischen regulären Armeen außen vor. Trotzdem war Innsbruck in Gefahr. Die aufgelösten Truppen der K.u.K. Armee begaben sich ungeordnet auf den Rückzug von der Italienfront. Hunderttausende Soldaten strömten von Italien unkontrolliert nach Norden auf dem Weg nach Hause. Um die öffentliche Ordnung aufrecht zu erhalten, bildeten sich nicht staatliche Wehrgruppen aus Schülern, Studenten, Arbeitern und Bürgern. Die Stadt musste nicht nur die eigenen Bürger in Zaum halten, die Verpflegung garantieren, sondern sich auch vor Plünderungen schützen. Gewaltige Kolonnen an militärischen Kraftfahrzeugen, Züge voller Soldaten und tausende ausgezehrte Soldaten, die sich zu Fuß auf den Heimweg von der Front machten, passierten Innsbruck. Die spanische Grippe breitete sich aus und forderte viele Todesopfer. Am 23. November besetzten italienische Truppen die Stadt und das Umland. Der beschwichtigende Aufruf an die Innsbrucker Bürger von Bürgermeister Greil (105), die Stadt ohne Aufruhr an die Italiener zu übergeben, hatte Erfolg. Es kam kaum zu Ausschreitungen. Der Militärfriedhof in Amras imit den Herrschaftssymbolen der Savoyer, des italienischen Königshauses, ist ein Herrschaftszeichen, das an die italienische Besetzung der ersten Nachkriegszeit erinnert.

Die Republik Deutschösterreich war zwar ausgerufen, wie es mit Tirol weitergehen sollte, war niemandem klar. Die Monarchie, die über Jahrhunderte den Alltag der Menschen begleitete, gab es nicht mehr. Sogar die ältesten waren unter der Regierung Kaiser Franz Josefs mit dem Vielvölkerreich der Donaumonarchie aufgewachsen. Die Sozialdemokraten setzten ein Monarchie- Adelsprädikatsverbot samt einem Gesetz, das Mitgliedern der Familie Habsburg den Aufenthalt in Österreich verbot, so sie sich nicht von ihren Titeln offiziell trennten, durch Das war für viele Zeitgenossen eine unfassbare Zäsur. Otto von Habsburg hatte noch lange Zeit eine beträchtliche Anhängerschaft innerhalb der Christlich-sozialen Partei, dem Vorgänger der heutigen ÖVP. Der Demokratie räumte man kaum ein eine geeignete Regierungsform zu sein, vor allem nicht in den Landgemeinden, die streng katholisch orientiert waren.  Als Österreicher fühlte man sich kaum, zumal der kleinen Restrepublik des alten Kaiserreichs nicht besonders hohe Erfolgschancen eingeräumt wurden. Nach den Friedensverhandlungen in Paris war es klar, dass Südtirol ein Teil Italiens sein würde. Tirol war zweigeteilt. Viele Menschen zu beiden Seiten des Brenners fühlten sich verraten. Man hatte den Krieg zwar bei Weitem nicht gewonnen, als Verlierer gegenüber Italien sah man sich aber auch nicht. Ein Heer an arbeits- und perspektivenlosen Kriegsheimkehrern schloss sich in den verschiedenen paramilitärischen Gruppen zusammen, zuerst um die öffentliche Ordnung aufrechtzuerhalten, später vor allem, um politisch anders Gepolte zu bekämpfen. Aus diesen Truppen sollten sich später die verschiedenen Spielarten der Heimwehren bilden, den paramilitärischen Truppen, die den Austrofaschismus Dollfuß´ (109) ermöglichten. Der Anschluss an Deutschland erhielt einen Zuspruch von 98% in Tirol, kam aber nie zustande. Auch eine eigene Republik mit Bayern stand im Raum. Die wirtschaftlichen Aussichten in Innsbruck waren miserabel. Demokratie war nach Jahrhunderten der Monarchie für viele keine wünschenswerte Herrschaftsform. Viele Menschen, besonders Beamten und Mitarbeiter im öffentlichen Dienst, hatten ihre Arbeit verloren. Der Fremdenverkehr war inexistent. Die südlich des Brenners gelegenen Teile des ehemaligen Kronlandes Tirols waren entgegen den Versprechungen des amerikanischen Präsidenten Wilson Italien zugeschlagen worden. Erst 1923, mit der Währungssanierung unter Kanzler Ignaz Seipel begann sich Österreich und damit Innsbruck langsam zu erholen, zumindest wirtschaftlich. Mitte der 1920er Jahre wurden in Innsbruck neue Wohnsiedlungen wie der Pembaurblock (58) Theodor Prachenskys (108) in Pradl und Infrastruktur wie die Sportanlagen am Tivoli und das Hallenbad Amraserstraße errichtet, die die neuen sozialen und politischen Gegebenheiten in Innsbruck als Teil der Republik Österreich widerspiegeln.

Theodor Prachensky: Beamter zwischen Kaiser und Republik

In den späten 1920er Jahren entstanden in Innsbruck wegweisende Bauprojekte. Franz Baumann entwarf, angelehnt an die internationale Weiße Moderne, die Stationen der Nordkettenbahn im Stil der Tiroler Moderne. Fritz Konzerts Städtisches Hallenbad sollte die Ideale der Lebensreformbewegung architektonisch manifestieren. Beiden Architekten wurde in Innsbruck eine Straße gewidmet. Keiner der beiden aber sollte Innsbruck so nachhaltig verändern wie Theodor Prachensky (1888 – 1970). Er war als Mitarbeiter des Bauamtes Innsbruck zwischen 1913 und 1953 vor allem für Wohnbau- und Infrastrukturprojekte der Zwischenkriegszeit verantwortlich. Die von ihm umgesetzten Projekte sind nicht so spektakulär wie die Bergstationen seines Schwagers Franz Baumann. Sieht man sich aber die Zeichnungen im Archiv für Baukunst der Universität Innsbruck an, erkennt man, dass auch Prachensky mehr Künstler als Techniker war, wie auch seine Malereien beweisen. Viele seiner spektakulären Entwürfe wie das Sozialdemokratische Volkshaus in der Salurnerstraße, sein Kaiserschützendenkmal oder die Friedens- und Heldenkirche wurden nicht umgesetzt. Innsbruck beherbergt mit den großen Wohnanlagen der 1920er und 30er Jahre, der Krieger-Gedächtniskapelle am Pradler Friedhof und dem alten Arbeitsamt (heute Außenstelle Universität Innsbruck hinter dem aktuellen AMS-Gebäude) viele Gebäude Prachenskys, die die Zeitgeschichte der Zwischenkriegszeit und die wechselhaften politischen und staatlichen Einflüsse, unter denen er selbst als Person stand, dokumentieren. Seine Biografie liest sich wie ein Abriss der österreichischen Geschichte des 20. Jahrhunderts. Prachensky war als Architekt und Beamter unter fünf unterschiedlichen Staatsmodellen tätig. Der K.u.K. Monarchie folgte die Erste Republik, die vom autoritären Ständestaat abgelöst wurde. 1938 kam es zum Anschluss an Nazideutschland. 1945 wurde mit Kriegsende die Zweite Republik ausgerufen. Großen Einfluss auf sein Wirken als Architekt und Stadtplaner gemäß der internationalen sozialdemokratisch orientierten Architektur hatte wohl sein Vater Josef Prachensky. Neben der politischen Gesinnung des Vaters hatten auch die verschwundene Habsburgermonarchie und die Eindrücke des Militärdienstes im Ersten Weltkrieg (107) Einfluss auf Prachensky. Obwohl er laut Eigenaussage Kriegsgegner war, meldete er sich 1915 als Einjährig-Freiwilliger bei den Tiroler Kaiserjägern zum Kriegsdienst. Vielleicht waren es die Erwartungen, die während des Krieges an ihn als Beamten herangetragen wurden, vielleicht die allgemeine Begeisterung, die ihn zu diesem Schritt bewogen, die Aussagen und die Tat sind widersprüchlich. Die Kriegergedächtnis-Kapelle (1916) am Pradler Friedhof und das gemeinsam mit Clemens Holzmeister entworfene Kaiserschützenkapelle am Tummelplatz sowie seine nicht umgesetzten Entwürfe für ein Kaiserjäger Denkmal und die Friedens- und Heldenkirche Innsbruck, sind wohl Produkte der Lebenserfahrung des jungen Mannes. 1908 hatte Prachensky die baugewerbliche Abteilung der Gewerbeschule Innsbruck abgeschlossen. Von 1909 arbeitete er teilweise gemeinsam mit Franz Baumann, dessen Schwester Maria er 1913 heiraten sollte, beim renommierten Architekturbüro Musch & Lun in Meran, damals ebenfalls noch Teil der K.u.K. Monarchie. Privat war 1913 für ihn wegweisend: Theodor und Maria heirateten, starteten das private Bauprojekt des Eigenheims Haus Prachensky am Berg Isel Weg 20 und Theodor trat seinen Dienst beim Stadtmagistrat Innsbruck unter Oberbaurat Jakob Albert an. Anstatt sich nach dem Krieg in der schwierigen wirtschaftlichen Lage in der Privatwirtschaft durchschlagen zu müssen, stand Prachensky im öffentlichen Dienst. Die wichtigen, vom sozialdemokratischen Gedanken beeinflussten Projekte konnten erst nach den ersten und schwierigsten, von der Inflation und der Versorgungsknappheit charakterisierten Nachkriegsjahren begonnen werden. Den Anfang machte der Schlachthausblock im Saggen zwischen 1922 und 1925. Es folgten mehrere Infrastrukturprojekte wie der Mandelsbergerblock, der Pembaurblock und der Kindergarten und die Hauptschule in der Pembaurstraße, die vor allem für die sozial Schwächeren und die vom Krieg und der Nachkriegszeit betroffenen Arbeiterschicht gedacht waren. Auch das 1931 entworfene Arbeitsamt hinter dem aktuellen AMS-Gebäude in Wilten war eine wichtige Neuerung im Sozialwesen. Seit der Republikgründung 1918 half das Arbeitsamt bei der Vermittlung von Arbeitssuchenden und Arbeitgebern und der Eindämmung der Arbeitslosigkeit. In den Jahren der erneuten Wirtschaftskrise in den 1930ern nahm seine Bedeutung nochmal zu. Eine weitere Zäsur in Prachenskys Werdegang stellten die nächsten Wechsel der Regierungsform Österreichs dar. Trotz dem Rechtsruck unter Dollfuß samt Verbot der Sozialdemokratischen Partei 1933 und dem Anschluss von 1938 konnte er als leitender Beamter im öffentlichen Dienst bleiben. Sein Schwager Franz Baumann mit dem er mehrere Bauprojekte umsetzte, war politisch der Rechten nahe, wie sein Beitritt zur NSDAP bereits im Mai 1938 zeigt. Prachensky setzte gemeinsam mit Jakob Albert ab 1939 Südtiroler Siedlungen unter den Nationalsozialisten um. Er selbst war, anders als mehrere Mitglieder seiner Familie niemals Mitglied oder Unterstützer der NSDAP. Nach dem Zweiten Weltkrieg blieb er acht weitere Jahre als Oberbaurat der Stadt Innsbruck tätig. Neben seiner Tätigkeit als Bauplaner und Architekt war Prachensky begeisterter Maler. Er starb mit 82 Jahren in Innsbruck. Seine Söhne, Enkel und Urenkel führten sein kreatives Erbe als Architekten, Designer, Fotografen und Maler in verschiedenen Disziplinen fort. 2017 wurden Teile des generationenübergreifenden Werks der Künstlerfamilie Prachensky in der ehemaligen Bierbrauerei Adambräu mit einer Ausstellung gezeigt.

Die Zeit des Austrofaschismus

Die Zeit zwischen dem Jahr 1933 und dem Anschluss an Nazideutschland 1938 ist eines der widersprüchlichsten und am schwersten einzuordnenden Kapitel österreichischer Geschichte. Nach dem Ersten Weltkrieg hatten sich in Österreich, vereinfacht erklärt, zwei Blöcke politisch etabliert, die das Land mehr und mehr spalteten. Christlich-soziale und sozialdemokratische Gegensätze prägten nicht nur die politische Landschaft, auch im sozialen wurden die Mitglieder der jeweiligen Fraktion in ihrer Weltsicht geprägt. Die Frontlinie verlief zwischen Stadt und Land, zwischen progressiv und konservativ. Die Wahlen von 1927 zeigten, dass die Sozialdemokratie ein Potential von 25% hatte, die Wähler sich aber mehr oder minder einzig und allein auf Innsbruck konzentrierten. In den Dörfern war der Wähleranteil der Christlichsozialen teilweise bei 100%. Durch die kleinbäuerliche Struktur, die sich während der Monarchie in Tirol gebildet hatte, der Landverteilung und dem Fehlen nennenswerter Industrie besaßen die Dörfer rund um Innsbruck mehr politisches Gewicht. Die kommunistische Revolution in Russland mit dem darauffolgenden blutigen Bürgerkrieg war das Schreckgespenst, das auch in Tirol umging. Jede Klientel bewegte sich im eigenen Mikrokosmos was Umfeld, Meinungsbildung und Medien anbelangte. Lebensreformer wie Josef Prachensky (108), Liberale und Sozialisten vertraten eine städtische Gegenbewegung zum konservativ christlich geprägten Großteil der Bevölkerung. Sitten, Moral, Ernährung, Freizeitgestaltung, Erziehung, Glaube, Rechtsverständnis – kurzum jeder Lebensbereich war betroffen. Dazu kam die wirtschaftliche Not, die ein Großteil der Bevölkerung zu erleiden hatte. Trotz der Bemühungen um 1900 modernen Wohnraum zu schaffen, hausten noch immer viele Innsbrucker in Bruchbuden. Badezimmer oder ein Schlafraum pro Person war die Ausnahme. Die Stadt selbst war ein größeres Dorf. In Innsbruck zeugen unterschiedlichste Projekte der Zeit wie der Pembaurblock (58), das Städtische Hallenbad (61) oder das Weyrerareal (47) die Entwicklung der 1920er Jahre. Im Chaos der Nachkriegszeit hatten sich auf beiden Seiten nichtstaatliche Wehrverbände gebildet, um die öffentliche Ordnung aufrecht zu erhalten, war die reguläre Exekutive doch heillos mit der Situation überfordert. Aus diesen Wehrverbänden bildeten sich bewaffnete Arme der einzelnen politischen Parteien. Der Republikanische Schutzbund auf Seiten der Sozialdemokraten und die christlich-sozial orientierten Heimwehren, der Einfachheit halber sollen die unterschiedlichen Gruppen unter diesem Sammelbegriff zusammengefasst werden, feindselig gegenüber. Die Heimwehren wurden von den rechtsgerichteten Regimen Italiens und Ungarns mit Waffenlieferungen und Geld unterstützt. Das rote Wien war wie die Industriezentren Österreichs sozialdemokratisch geprägt, ländliche Gegenden wie Tirol zu großen Teilen christlich-sozial. Viele Politiker, darunter sowohl Sozialdemokraten wie Otto Bauer, Theodor Körner und Julius Deutsch aber auch Christlichsoziale wie Engelbert Dollfuß, Kurt Schuschnigg oder Julius Raab hatten im Krieg an der Front gekämpft und waren dementsprechend militarisiert. Ein großer Teil der Bevölkerung war es ebenfalls. Auch die schlechte wirtschaftliche Lage trug in der Zwischenkriegszeit zur Radikalisierung bei. Der größte Gewaltausbruch im heutigen Innsbrucker Stadtgebiet war die Höttinger Saalschlacht von 1932 gewesen, in deren Folge der Führer der Tiroler Heimwehr und auch auf Bundesebene bedeutende Politiker Richard Steidle (1881 – 1940) verletzt wurde.

Die Heimwehren hatten sich 1930 mit dem Korneuburger Eid mehr oder minder offiziell einem diktatorischen und autoritären Kurs abseits der Demokratie zugewandt. Mit dem Heimatblock hatten sie auch eine politische Partei im Parlament. Federführend an dieser Radikalisierung der vereinten Heimwehren war Richard Steidle, der als Bundesführer des Dachverbandes des Österreichischen Heimatschutzes auftrat. Nachdem es 1933 zu einer Parlamentskrise gekommen war, hatte der christlich-soziale Bundeskanzler Engelbert Dollfuß (1892 – 1934) unter Berufung auf das Kriegswirtschaftliche Ermächtigungsgesetz aus dem Jahr 1917 die Demokratie nach und nach ausgehebelt. Auch die freie Presse fiel den Maßnahmen zur Machtübernahme zum Opfer. In Tirol wurde 1933 zum Beispiel die Tiroler Wochenzeitung neu gegründet um als Parteiorgan zu fungieren. Das Ziel Dollfuß´ war die Errichtung des sogenannten österreichischen Ständestaats, einem Einparteienstaat ohne Opposition unter Beschneidung elementarer Rechte wie Presse- oder Versammlungsfreiheit. Dollfuß stammte aus der kleinen ländlichen Gemeinde Texingtal in der niederösterreichischen Provinz. Er hatte im Ersten Weltkrieg (107) an der Front in Südtirol gedient und anschließend über den Cartellverband der katholischen Studentenverbindungen politische Karriere in der Christdemokratischen Partei gemacht. Er war Agrarexperte und ein mitreißender, charismatischer Redner. Von Konkurrenten wurde er ob seiner Größe als Mini-Metternich verspottet. 1932 war er zum Kanzler gewählt worden. Der Ständestaat stützte sich auf die katholische Kirche und ein schwer zu durchschauendes und vages System von berufsständischen Vereinigungen, die den Kanzler in politischen, wirtschaftlichen und sozialen Fragen beraten sollten. Das Endziel war ein autoritäres, katholisches Staatsgebilde ähnlich dem monarchischen Feudalstaat. Der gesamte Staatsapparat und die Staatsbürger sollten analog zum Faschismus Mussolinis in Italien unter der Vaterländischen Front geeint werden. Antisozialistisch, autoritär, konservativ im Gesellschaftsbild, antidemokratisch, antisemitisch, militärisch. Diese Grundpfeiler hätten im totalitären Ständestaat unter christlich-sozialer Führung Bürger bereits vom Jugendalter über die Mitgliedschaft in verschiedensten Vereinigungen gleichschalten sollen. Die Umsetzung der Pläne konnte aber wegen der notorischen Geld- und Mittelknappheit der Regierung nach der Wirtschaftskrise nur bedingt stattfinden. Diese Mittelknappheit verhinderte auch in Innsbruck den Umbau der Stadtregierung und das Durchregieren von oben nach unten. Bürgermeister Innsbrucks blieb Franz Fischer, der als zweiter Landesführerstellvertreter der Tiroler Heimatwehr einen ähnlichen politischen Hintergrund hatte wie Richard Steidle. Sozialdemokratie und NSDAP wurden gleichermaßen verboten, wenn auch gegen die Sozialdemokraten und den Republikanischen Schutzbund wesentlich härter vorgegangen wurde als gegen die Nationalsozialisten, mit denen man immer wieder eine Verständigung suchte. Trotzdem, oder vielleicht gerade deswegen, wuchs die Anzahl der illegalen Nationalsozialisten weiter an. Einer dieser „Illegalen“ war der spätere Gauleiter Hofer (111), der wie viele seiner Kameraden über die Grenze nach Deutschland flüchtete. In Innsbruck kam es immer wieder zu kleineren Zusammenstößen zwischen den verfeindeten Gruppen der Sozialdemokraten, Nationalsozialisten und der Heimwehren. Schlimmer war es allerdings im Osten Österreichs. Immer wieder erschütterten nationalsozialistischer Terror und Bombenanschläge die Republik. 1934 entluden sich die Spannungen zwischen Vaterländischer Front, Exekutive, Militär und dem Republikanischen Schutzbund in einem kurzen Bürgerkrieg. Im Februar 1934 kam es in vielen Städten, vor allem in den Industriezentren wie Linz und Steyr und den Arbeitervierteln in Wien zu einem kurzen Bürgerkrieg, der mit der endgültigen Zerschlagung der Sozialdemokratie endete. Innsbruck blieb von diesen Vorgängen mehr oder minder unberührt, die konservativen Kräfte und die Heimwehr hatten hier zum größten Teil eine erdrückende Mehrheit. Dollfuß war in Tirol überaus populär, wie Aufnahmen des vollen Platzes vor der Hofburg während einer seiner Ansprachen aus dem Jahr 1933 zeigen. Er traf mit seinem konservativen Weltbild den Geschmack der Zeit. 1931 hatten sich einige Tiroler Bürgermeister zusammengeschlossen, um das Einreiseverbot für die Habsburger (107) aufheben zu lassen. Das unausgesprochene Fernziel war die Wiedereinsetzung der Monarchie. Dollfuß´ katholisch motivierte Politik war das, was der Habsburgermonarchie am nächsten kam und auch von der Kirche unterstützt wurde. So war zum Beispiel die Geschlechtertrennung an Schulen und die Umgestaltung der Lehrpläne für Mädchen bei gleichzeitiger vormilitärischer Ertüchtigung der Buben im Sinn vieler Menschen, vor allem in den konservativen Dörfern Tirols.

Am 25. Juli 1934 kam es in Wien zu einem Putschversuch der verbotenen Nationalsozialisten, bei dem Dollfuß ums Leben kam. Der Juliputsch kostete insgesamt 105 Menschen das Leben. In Innsbruck wurde daraufhin auf „Verfügung des Regierungskommissärs der Landeshauptstadt Tirols“ der Platz vor dem Tiroler Landestheater als Dollfußplatz geführt. Hier hatte sich Dollfuß bei einer Kundgebung zwei Wochen vor seinem Tod noch mit dem Heimwehrführer Richard Steidle getroffen. Bis nach Tirol waren Wellen nach diesem politischen Beben zu spüren, wenn auch, dank mangelhafter Organisation, nur schwach und ohne nennenswertes Resultat und offiziell nur einem Opfer. Der SS-Mann Fritz Wurnig erschoss den Leiter der städtischen Sicherheit Franz Hickl. Wurnig wurde standrechtlich zum Tode verurteilt und starb am Galgen. Dollfuß´ Nachfolger Kurt Schuschnigg (1897 – 1977) war gebürtiger Tiroler und Mitglied der Innsbrucker Studentenverbindung Austria. Er betrieb lange Zeit eine Rechtsanwaltskanzlei in Innsbruck. 1930 gründete er eine paramilitärische Einheit mit namens Ostmärkische Sturmscharen, die das Gegengewicht der Christlich-Sozialen zu den radikalen Heimwehrgruppen bildeten. Nach dem Februaraufstand 1934 war er als Justizminister im Kabinett Dollfuß mitverantwortlich für die Hinrichtung mehrerer gefangener Sozialdemokraten. Sein politisches Ziel als Kanzler war es, Österreich als besseren, katholischen deutschen Staat zu platzieren. Mit den Nationalsozialisten teilte er zwar den Antisemitismus, ansonsten stand er, wie schon Dollfuß, Hitler ablehnend gegenüber. Die Kulturnation Österreich war dem barbarischen Regime der Nationalsozialisten, die die katholische Kirche ablehnten, in seinen Augen weit überlegen. Auch er regierte autoritär und stützte sich auf die katholische Kirche. Schuschniggs Problem war die weiterhin schlechte Wirtschaftslage. Die Einschränkung der sozialen Fürsorge, die zu Beginn der Ersten Republik eingeführt worden war, sorgte für Ernüchterung. Langzeitarbeitslose, die Arbeitslosenquote lag 1933 bei 25%, wurden vom Bezug von Sozialleistungen als „Ausgesteuerte“ ausgeschlossen. Auch für die chronisch überschuldeten Kleinbauern wurde es immer härter den Alltag zu bewältigen. In Innsbruck entstanden zu dieser Zeit die Baracken der Bocksiedlung, in denen sich die Abgehängten abseits der Gesellschaft sammelten. Während die Regierungen Dollfuß und Schuschnigg an der Verbesserung des Alltags der Menschen scheiterten, erstarkte die eigentlich illegale NSDAP mit Unterstützung aus Deutschland. Zwischen 1936 wurde der politische Druck sowohl aus dem Inland wie auch aus Deutschland immer größer. Schuschnigg leitete im März 1938 die Verhandlungen mit Hitler zum Anschluss Österreichs. Seinen Lebensabend verbrachte er nach Aufenthalten während der Nazizeit in diversen Konzentrationslagern in Mutters.

Eine Aufarbeitung dessen, was von vielen Historikern als Austrofaschismus bezeichnet wird, ist in Österreich bisher kaum passiert. So sind zum Beispiel in der Kirche St. Jakob im Defereggen in Osttirol oder in der Pfarrkirche Fritzens noch Bilder mit Dollfuß als Beschützer der katholischen Kirche mehr oder minder unkommentiert zu sehen. Auch die Beteiligung der Tiroler Schützen an den Heimwehren und in weiterer Folge am Nationalsozialismus ist noch nicht adäquat aufgearbeitet. In vielen Belangen reicht das Erbe der gespaltenen Situation der Zwischenkriegszeit in die Gegenwart. Bis heute gibt es rote und schwarze Autofahrerclubs, Sportverbände, Rettungsgesellschaften und Alpinverbände, deren Wurzeln in diese Zeit zurückreichen. In Innsbruck ist bis heute die Franz-Fischer-Straße nach dem damaligen Bürgermeister benannt.

Innsbruck und der Nationalsozialismus

Ein Thema wie den Nationalsozialismus in einen Reiseführer zu verpacken, ist ob der Komplexität und der Brisanz, die bis heute anhaftet, ein schwieriges Unterfangen. Der Versuch einer Annäherung in sehr kurzer Form soll trotzdem gewagt werden.

Nach dem Ersten Weltkrieg zerbrach die K.u.K. Monarchie Österreich-Ungarn, die Gebiete von Norditalien bis in die heutige Ukraine umfasste. Unter anderem wurde der südliche Teil Tirols bis zum Brenner zu Italien geschlagen. Die Republik Deutschösterreich mit der Metropole Wien als Hauptstadt galt den meisten als nicht lebensfähig. Wirtschaftliche Probleme und politische Instabilität prägten die Geschichte Österreichs von 1918 für die nächsten 20 Jahre (107, 109). Ein großer Teil der Bevölkerung sah die Zukunft Österreichs als ein Teil des Deutschen Reiches. In diesem Klima gedieh auch in Tirol die NSDAP nach und nach. Konnten die Nationalsozialisten bei ihrem ersten Antreten bei einer Gemeinderatswahl 1921 nur 2,8% der Stimmen erringen, waren es bei den Wahlen 1933 bereits 41%. Neun Mandatare, darunter der spätere Bürgermeister Egon Denz und der Gauleiter Tirols Franz Hofer (111), zogen in den Gemeinderat ein. Nicht nur die Wahl Hitlers zum Reichskanzler in Deutschland, auch Kampagnen und Manifestationen in Innsbruck verhalfen der ab 1934 in Österreich verbotenen Partei zu diesem Ergebnis. Dass es bei diesen Manifestationen zu Gewaltausbrüchen kam, war für die Zwischenkriegszeit in Österreich nicht unüblich. Bombenattentate, Märsche, Briefbomben, politische Morde, bereits der Weg der NSDAP an die Macht war von Gewalt geprägt. Berüchtigt wurde die sogenannte Höttinger Saalschlacht vom 27. Mai 1932. Hötting war damals noch kein Teil Innsbrucks. In der Gemeinde lebten vor allem Arbeiter. In dieser roten Bastion Tirols planten Nationalsozialisten eine Kundgebung im Gasthof Goldener Bär, einem Treffpunkt der Sozialdemokraten. Diese Provokation endete in einem Kampf, der mit über 30 Verletzten und einem Todesopfer auf Seiten der Nationalsozialisten durch eine Stichwunde endete. Die Ausschreitungen breiteten sich auf die ganze Stadt aus, sogar in der Klinik gerieten die Verletzten noch aneinander. Nur unter Einsatz der Gendarmerie und des Heeres konnten die Kontrahenten voneinander getrennt werden.

Als der Anschluss Österreichs an Deutschland im März 1938 erfolgte, stimmte auch in Innsbruck eine Mehrheit von annähernd 99% dafür. Noch bevor Bundeskanzler Schuschnigg seine letzte Rede an das Volk vor der Machtübergabe an die Nationalsozialisten mit den Worten „Gott schütze Österreich“ am 11. März 1938 geschlossen hatte, rotteten sich bereits die Nationalsozialisten in der Innenstadt zusammen um den Einmarsch der deutschen Truppen vorzufeiern. Am Tiroler Landhaus, damals noch in der Maria-Theresienstraße, wurde die Hakenkreuzfahne gehisst. Am 12. März empfingen die Innsbrucker das deutsche Militär frenetisch. Wenig später besuchte Adolf Hitler persönlich Innsbruck, um sich von der Menge feiern zu lassen. Archivbilder zeigen eine euphorische Menschenmenge in Erwartung des Führers, des Heilsversprechers. Die Menschen waren nach der wirtschaftlichen Not der Zwischenkriegszeit (107, 109), der Wirtschaftskrise und den Regierungen unter Dollfuß und Schuschnigg müde und wollten Veränderung. Welche Art von Veränderung, war im ersten Moment weniger wichtig als die Veränderung an und für sich. „Es denen da oben zu zeigen“, das war Hitlers Versprechen. Wehrmacht und Industrie boten jungen Menschen eine Perspektive, auch denen, die mit der Ideologie des Nationalsozialismus an und für sich wenig anfangen konnten. Anders als heute war Demokratie nichts, woran sich jemand in der kurzen, von politischen Extremen geprägten Zeit zwischen der Monarchie 1918 bis zur Ausschaltung des Parlaments unter Dollfuß 1933 hätte gewöhnen können. Was faktisch nicht in den Köpfen der Bevölkerung existiert, muss man nicht abschaffen. Tirol und Vorarlberg wurden in einem Reichsgau zusammengefasst mit Innsbruck als Hauptstadt. Bewaffneter Widerstand war nicht vorhanden, dazu war die Linke in Tirol nicht stark genug. Unorganisiertes subversives Verhalten von der katholischen Bevölkerung, vor allem in einigen Landgemeinden rund um Innsbruck gab es vereinzelt, erst sehr spät konnte der organisierte Widerstand in Innsbruck Fuß fassen. Das Regime unter Hofer und Gestapochef Werner Hilliges leistete aber ganze Arbeit bei der Unterdrückung. Kirchlicher Besitz, Kirchen und Klöster wurden aufgelöst. Die Gewalt und die Verbrechen an der jüdischen Bevölkerung, dem Klerus, politisch Verdächtigen, Zivilpersonen und Kriegsgefangenen auch nur überblicksmäßig zusammenzufassen würde den Rahmen sprechen. In der heutigen Landesbaudirektion in der Herrengasse 1 befand sich die Gestapo. Hier wurden Verdächtige schwer misshandelt und teils mit Fäusten zu Tode geprügelt. 1941 wurde in der Rossau in der Nähe des Bauhofs Innsbruck das Arbeitslager Reichenau errichtet. Verdächtige Personen aller Art wurden hier zu Zwangsarbeiten in schäbigen Baracken verwahrt. Über 130 Personen fanden in diesem Lager bestehend aus 20 Baracken den Tod durch Krankheit, die schlechten Bedingungen, Arbeitsunfälle oder Hinrichtungen. Auch im Dorf Kematen, etwa 10 km von Innsbruck kamen im Messerschmitt Werk Gefangene zum Zwangseinsatz. Darunter waren politische Häftlinge, russische Kriegsgefangene und Juden. Zu den Zwangsarbeiten gehörten unter anderem die Errichtung der Südtiroler Siedlungen in der Endphase oder die Stollen zum Schutz vor den Luftangriffen im Süden Innsbrucks. In der Klinik Innsbruck wurden Behinderte und vom System als nicht genehm empfundene Menschen wie Homosexuelle zwangssterilisiert. Die psychiatrische Klinik in Hall war in NS-Verbrechen an behinderten Menschen beteiligt. Nach und nach erst werden diese Vorgänge aufgearbeitet.

Am 3. Mai 1945 erreichten US-Truppen Innsbruck. Zuvor war es im Außerfern und in Scharnitz an der Porta Claudia, die auf Claudia de Medicis Verteidigungsanlagen im Dreißigjährigen Krieg zurückgeht, zu einigen kleineren Gefechten zwischen der Wehrmacht und der Cactus-Division der US-Streitkräfte gekommen. Mit Hermann Göring in Kitzbühel und dem Raketenwissenschaftler Wernher von Braun in Reutte wurden zwei der prominentesten Nationalsozialisten in Tirol aufgegriffen. Innsbruck wurde zum großen Glück für die Stadt kampflos übergeben. Obwohl Adolf Hitler Tirol zum Teil der Alpenfestung, dem letzten Rückzugsort im Fall der Niederlage ernannt hatte, kehrte bei den Verantwortlichen vor Ort rund um Gauleiter Franz Hofer zumindest in den letzten Tagen ihrer Herrschaft noch Vernunft ein. Die Operation Greenup, eine Geheimoperation auf Tiroler Boden in den letzten Kriegsmonaten, die erheblichen Anteil am friedlichen Übergang hatte, ist eine packende Episode in der Stadtgeschichte, die vom Historiker Peter Pirker im Buch Codename Brooklyn spannend aufgearbeitet wurde.

Für zwei Monate sollten die US-Truppen nach Kriegsende die Stadt Innsbruck kontrollieren. Später übernahmen die Franzosen die Verwaltung Tirols. Ein großer Teil der Tiroler Bevölkerung war nach den harten und leidvollen Kriegsjahren froh über das Ende der Naziherrschaft und des damit einhergehenden Terrors. Die Verantwortung dafür allerdings übernahm niemand, auch wenn vor allem zu Beginn die Begeisterung und Unterstützung für den Nationalsozialismus groß war. Scham über das, was seit 1938 und in den Jahren in der Politik Österreichs geschehen war mischte sich zur Angst davor, von den Besatzungsmächten USA, Großbritannien, Frankreich und die UDSSR als Kriegsschuldiger ähnlich wie 1918 behandelt zu werden. Ein erheblicher Teil der Bevölkerung fühlte sich als Kriegsverlierer – erneut, nach 1918. Es entstand ein Klima, in dem niemand, weder die daran beteiligte noch die nachfolgende Generation über das Geschehene sprach. Trauma und Scham verhinderten lange die Aufarbeitung. Es gab viele Kontinuitäten, die mit Kriegsende nicht abbrachen. Polizisten, Lehrer, Richter – sie alle wurden auf der einen Seite trotz ihrer politischen Gesinnung gerne an ihrem Platz gelassen, auf der anderen Seite auch benötigt, um die Gesellschaft am Laufen zu halten. Ein Beispiel dafür ist die ambivalente Vita des Arztes Burghard Breitners (1884-1956), nach dem in Innsbruck eine Straße benannt ist. Er wuchs in Mattsee in einem wohlbetuchten bürgerlichen Haushalt auf. Die Villa Breitner war Sitz eines Museums, das den deutschnationalen Dichter Josef Viktor Scheffel zum Thema hatte, den sein Vater sehr verehrte. Nach dem Gymnasium entschied sich Breitner gegen eine Karriere in der Literatur und für ein Medizinstudium. Anschließend beschloss er seinen Militärdienst und begann seine Karriere als Arzt. 1912/13 diente er als Militärarzt im Balkankrieg. 1914 verschlug es ihn an die Ostfront, wo er in russische Kriegsgefangenschaft geriet. Erst 1920 sollte er als Held und „Engel von Sibirien“ aus dem Gefangenenlager wieder nach Österreich zurückkehren. 1932 begann seine Laufbahn an der Universität Innsbruck. 1938 stand Breitner vor dem Problem, dass er auf Grund des jüdischen Hintergrundes seiner Großmutter väterlicherseits den „Großen Ariernachweis“ nicht erbringen konnte. Auf Grund seines guten Verhältnisses zum Rektor der Uni Innsbruck und zu wichtigen Nationalsozialisten konnte er aber schlussendlich an der Universitätsklinik weiterarbeiten. Während des NS-Regimes war Breitner als Vorstand der Klinik Innsbruck für Zwangssterilisierungen und „freiwillige Entmannungen“ verantwortlich, auch wenn er wohl keine der Operationen persönlich durchführte. Nach dem Krieg schaffte er es mit einigen Mühen sich durch das Entnazifizierungsverfahren zu winden. 1951 wurde er als Kandidat des VDU, einem politischen Sammelbecken für ehemalige Nationalsozialisten, als Kandidat für die Bundespräsidentschaftswahl aufgestellt. 1952 wurde Breitner Rektor der Universität Innsbruck. Nach seinem Tod widmete ihm die Stadt Innsbruck ein Ehrengrab am Westfriedhof Innsbruck.

Der Mythos Österreichs als erstes Opfer des Nationalsozialismus und die damit einhergehende Relativierung, der erst mit der Affäre Waldheim langsam zu bröckeln begann, war geboren. Es gibt kaum eine Familie, die nicht mindestens ein Mitglied mit einer wenig rühmlichen Geschichte zwischen 1933 und 1945 hatte. Die Erinnerung an die Jahre 1938 - 1945 im öffentlichen Raum ist kaum vorhanden. Eine 1972 enthüllte Bronzetafel am ehemaligen Hauptquartier der Gestapo in der Herrengasse und ein Denkmal in der Reichenau an der Stelle des damaligen Arbeitslagers sind zwei der spärlich gesäten Erinnerungsorte an den Nationalsozialismus in Innsbruck.

Franz Hofer, der Gauleiter Tirols

Mit dem Nationalsozialismus wurden die meisten politischen Stellen und Posten im öffentlichen Dienst neu vergeben. Der Führerkult und die Ideen der nationalsozialistischen Partei wurden auf allen Ebenen strukturell einzementiert. Innsbrucks Bürgermeister Franz Fischer wurde am 12. März 1938 durch Egon Denz ersetzt. Landeshauptmann Josef Schumacher (1894 – 1971) wurde von Edmund Christoph kurzfristig abgelöst bevor im Mai 1938 Franz Hofer (1902 – 1975) den Platz als Gauleiter, ab 1940 Reichsstatthalter, eingesetzt wurde. Franz Hofer wurde im salzburgerischen Bad Hofgastein in eine Hoteliersfamilie geboren. Nachdem er in Innsbruck die Schule besucht hatte, betrieb er ein Radiogeschäft. Bereits 1931 wurde er Mitglied der NSDAP in Österreich. Als die nationalsozialistische Partei in Österreich verboten wurde, kam Hofer als deren Gauleiter 1933 in Haft, konnte aber von Mitgliedern der SA befreit werden. Bei dieser Flucht wurde er angeschossen, konnte aber nach Italien flüchten. Anschließend begab er sich nach Deutschland, wo er deutscher Staatsbürger wurde und innerhalb der Partei eine steile Karriere hinlegt. Kurz nach dem Anschluss Österreichs wurde Hofer auf Geheiß Hitlers am 24. Mai 1938 zum Gauleiter Tirol und Vorarlberg ernannt. Er war in dieser Zeit an der Planung der NS-Verbrechen in Tirol maßgeblich beteiligt. Zudem bereichert sich Hofer großzügig auch persönlich an arisiertem Vermögen. So kam die Villa Schindler am Rennweg 10 in seinen Besitz, ebenso der Lachhof in Kleinvolderberg, wo er sich eine kleine Kommandozentrale einrichtete. 1940 wurde er zum Reichsstatthalter von Tirol-Vorarlberg ernannt. Hofers Pläne waren ambitioniert, Tirol war ein guter Nährboden. Im Verhältnis zur Einwohnerzahl gab es in den österreichischen Gauen nirgends mehr Parteimitglieder als hier. Dem Ziel, den ersten vollkommen judenfreien Gau zu haben, war Hofer schon 1939 recht nahe, ein Jahr später war nur noch ein Jude in Tirol gemeldet. Als Italien 1943 endgültig unter die Kontrolle Deutschlands kam, wurde Hofer zum Obersten Kommissar der Operationszone Alpenvorland ernannt. Diese Zone bestand aus Tirol-Vorarlberg und den oberitalienischen Provinzen. Es war auch Franz Hofer, der die Idee zur sogenannten Alpenfestung, der letzten Bastion des deutschen Volkes gegen den Feind hatte. Noch am 12. April 1945, weniger als einen Monat vor Kriegsende, unterbreitete er diesen Vorschlag persönlich Adolf Hitler, der ihn daraufhin zum Reichsverteidigungskommissar der Alpenfestung machte. Nach Verhandlungen mit den heranrückenden alliierten Streitkräften wurde Innsbruck am 3. Mai 1945 kampflos als offene Stadt übergeben und somit von verheerenden Kämpfen zum Kriegsende verschont. Trotz dieser Vernunftmaßnahme blieb Hofer auch in der Niederlage noch fanatischer Nationalsozialist wie seine Rede im Radio vom 30.4. zeigt:

„Sollte aber der Feind trotz heldenhaften Kampfes doch einmal vor den Toren Innsbrucks stehen, würde eine Verteidigung der Gauhauptstadt unter den gegebenen Verhältnissen keinesfalls das Ärgste ersparen, sondern vielmehr das Letzte vernichten…. Umso zäher aber wollen wir uns in unserer Berge krallen…“

Hofer wurde wenige Tage später festgenommen. Im Oktober 1948 konnte Hofer aus dem Internierungslager Dachau entkommen und nach Deutschland flüchten, wo er in Mühlheim an der Ruhr unter falschem Namen untertauchte. Es ist nicht gesichert, aber durchaus möglich, dass amerikanische und britische Geheimdienste dem einstigen Widersacher bei der Flucht behilflich waren, um ihre Methoden gegen den Nationalsozialismus auf Tiroler Boden, die nun im Einsatz gegen die Sowjetunion waren, damit schützen wollten, wären diese bei einer Verhandlung wohl offen zur Sprache gekommen. Ein Gericht in München verurteilte ihn 1949 in Abwesenheit zu 10 Jahren Haft. Im Juli 1953 wurde dieser Richtspruch in München bestätigt, allerdings die Haft auf drei Jahre Dauer herabgesetzt. Durch Anrechnung der bisherigen Haftzeiten blieb Hofer allerdings auf freiem Fuße. Ein Gericht in Österreich verurteilte ihn 1949 zum Tode. Eine Strafverfolgung fand allerdings nicht statt. Zu seinen Fürsprechern zählten unter anderem der Bischof von Brixen, Johannes Baptist Geisler und der Tiroler Landeshauptmann Alfons Weißgatterer. In einem Verfahren in Innsbruck wurde 1950 sein Vermögen von der Republik Österreich eingezogen. Ab 1954 lebte Hofer unter seinem echten Namen in Deutschland. Er führte die Ruhr Armatur GmbH, ein Unternehmen für Sanitärbedarf. Seine Beteiligung an der Aktion T4 in Tirol, der „Vernichtung lebensunwerten Lebens“, wurde zwar vor Gericht als Verfahren eingeleitet, das Verfahren jedoch 1963 eingestellt. Hofer war ein Liebhaber Tiroler Tradition. Er förderte in seiner Zeit in Tirol volkstümliche Musik, Trachtenwesen und die Tiroler Schützen. Diese Vereine wurden offiziell zwar 1938 aufgelöst, unter ihm in den Stammschützenverband überführt. Der Leiter der Stadtmusikkapelle Wilten-Innsbruck, Sepp Tanzer, den er zum Leiter des Referats Volksmusik in der Reichsmusikkammer machte, komponierte für ihn den Stammschützenmarsch. Bei Hofers Beisetzung 1975 in Mühlhausen war eine Abordnung der Tiroler Schützen anwesend, um dem bis zu seinem Tod überzeugten Nationalsozialisten Hofer die letzte Ehre zu erweisen. Der Bau des Tiroler Landhaus, das bis heute Sitz der Tiroler Landesregierung ist, wurde unter Hofer begonnen und ist bis heute Stein gewordene Erinnerung inmitten der Stadt.

Reichskristallnacht in Innsbruck

Wie viele deutsche und österreichische Städte war auch Innsbruck Tatort während der Ereignisse, die sich in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 abspielten und als Reichskristallnacht und Novemberpogrome einen der traurigsten Teile der jüngeren Geschichte bildet. Die Ausschreitungen sollten den vorläufigen Höhepunkt der antisemitischen Politik der Nationalsozialisten bilden. Den Ausschreitungen vorhergegangen war das Attentat des polnisch-jüdischen Studenten Herschel Grynszpan auf den deutschen Botschafter in Paris, Ernst von Rath. Grynszpan hatte kurz zuvor erfahren, dass seine Familie abgeschoben worden war. Als von Rath am 9. November seinen Verletzungen erlag, nahm das NS-Regime dieses Attentat zum Anlass, um noch härter gegen die jüdische Bevölkerung im deutschen Reich vorzugehen. Ausgehend von der Parteispitze rund um Adolf Hitler wurden die Pogrome an die lokalen Vertretungen in den Städten des Deutschen Reichs gegeben, um die Entjudung Deutschlands und die Arisierung, die Enteignung der jüdischen Bevölkerung, zu beschleunigen. Propagandaminister Goebbels stellte die sorgsam orchestrierten Ausschreitungen von SA und SS als spontanen Ausbruch des Volkszorns ob des Anschlags auf von Rath dar. Innsbruck war, betrachtet man die Relation des kleinen jüdischen Bevölkerungsanteils zu den Opferzahlen, eine der am brutalsten agierenden Städte im Deutschen Reich im Rahmen der Novemberpogrome. Innsbruck war das Zentrum jüdischen Lebens in Tirol, eine nennenswerte Anzahl jüdischer Bürger gab es allerdings nie. Die ersten Zuzügler jüdischen Glaubens waren im Mittelalter nach Innsbruck gekommen. Anfang des 16. Jahrhunderts wurde der jüdische Friedhof am Judenbühel in St. Nikolaus erstmals erwähnt. 1864 musste die Grablege in den Westfriedhof verlegt werden, nachdem sie zuvor mehrmals beschädigt worden war. 1880 waren es nur 109 Juden, die in Innsbruck gemeldet waren. Das hielt die Partei Christlicher Mittelstand nicht davon ab, die deutschen Christen vor den schädlichen Juden per Flugblatt vor den Wahlen des Jahres 1889 zu warnen. In den Kirchen waren antisemitische Predigten und die Legende des Ritualmordes im Tiroler Gewand vom Anderle von Rinn an der Tagesordnung. Der in Tirol populäre Theologe Josef Seeber verfasste mit seiner Version des Ewigen Juden eine epische, antisemitische Ballade. In den Tagen vor dem Ersten Weltkrieg, in dem jüdische Soldaten als Untertanen der Habsburgermonarchie regulär ihren Dienst leisteten, zählte Innsbruck 500 jüdische Bürger. Antisemitismus war in Innsbruck, obwohl die jüdische Bevölkerung gering und assimiliert war, weit verbreitet in der Bevölkerung. Neu war die Gewalt, die sich während der Pogrome, offen zeigte. Am 9. November wurde im Stadttheater, dem heutigen Landestheater, zur Erinnerung an den nationalsozialistischen Putschversuch von 1923 in München eine Feier abgehalten. Das Publikum wurde mit Vorführungen der Hitlerjugend sowie Richard Wagners Lohengrin auf die Angelobung der SS-Mitglieder am Adolf-Hitler-Platz vor dem Theater eingestimmt. Nach Mitternacht versammelten sich Gauleiter Hofer und hochrangige Mitglieder der SS, um die Details der zu folgenden „spontanen Erhebung des Deutschen Volkes gegen die Juden“ durchzugehen. Wohnungen und Geschäfte von Juden wurden zerstört. Jüdische Bürger wurden misshandelt und verprügelt. Richard Berger, Wilhelm Bauer und Richard Graubart kamen zu Tode. Mehr oder minder die gesamte jüdische Bevölkerung wurde in den Tagen nach der Reichspogromnacht nach Wien zwangsübersiedelt. Gut dokumentiert ist die Ermordung Richard Graubarts. Er führte ein Schuhgeschäft in der Museumstraße. Mit seiner Familie bewohnte er eine Villa in der Gänsbacherstraße im Stadtteil Saggen. Unter Leitung des SS-Hauptsturmführers Hans Aichinger drangen seine Mörder, die er zum Teil persönlich kannte, in die Wohnung der Familie ein. Graubart wurde erstochen, der eine Stunde später eintreffende Arzt konnte nur noch seinen Tod feststellen. Die Villa war bereits vor der Tat an einen NS-Parteifunktionär vergeben worden, ebenso der restliche Besitz der Familie Graubart. In der Neuesten Zeitung vom 10. November stand zu lesen:

„Synagoge in Innsbruck ist zerstört… Ähnlich wie in allen Städten Deutschlands fanden solche Proteste auch in Innsbruck statt…. Die Menschenmenge demonstrierte mit ihrer Wut die Empörung über das grausame Blutvergießen und rief zu Maßnahmen gegen Juden auf…. Um weitere Unruhe zu vermeiden waren viele Juden verhaftet… Übrigens freu sich die Stadt Innsbruck und unser Gau ziemlich bald von jüdischer Last befreit zu werden, indem massenweise ein Prozess der Arisierung eingesetzt wird.“

Als es nach dem Krieg zum Prozess vor dem Volksgericht am Landesgericht Innsbruck rund um die Ausschreitungen kam, wurde keiner der Angeklagten wegen Mordes verurteilt. Rudolf Schwarz und Robert Huttig, zwei der Männer, die Richard Graubart ermordet hatten, wurden 1947 zu 11 bzw. 10 Jahren Haft verurteilt, allerdings 1951 bereits begnadigt und aus dem Gefängnis entlassen. Es dauerte bis 1981, bevor das offizielle Innsbruck eine Erinnerungstafel am Ort der 1938 zerstörten Synagoge anbrachte. 1993 wurde an selber Stelle in der Sillgasse die neue Synagoge im Beisein des bis heute beliebten Innsbrucker Bischofs Stecher eröffnet. Zur Einweihung erhielt die kleine jüdische Gemeinde Tirols und Vorarlbergs ein besonderes Geschenk. 1938 hatten bei den Pogromen die damaligen Nachbarn den Schlüssel der zerstörten Tür der alten Synagoge abgezogen und aufbewahrt, der an diesem Tag zurückgegeben wurde.

Luftangriffe auf Innsbruck

In der Geschichte Innsbrucks gab es viele Umwälzungen. Rund um die Jahre 1500 und 1900 kam es durch politische und wirtschaftliche Veränderungen zu Wandeln im Stadtbild. Das einschneidendste Erlebnis waren aber wohl die Luftangriffe auf die Stadt im Zweiten Weltkrieg. Neben der Lebensmittelknappheit waren die Menschen an der von den Nationalsozialisten so genannten „Heimatfront“ in der Stadt vor allem von den Bombenangriffen der Alliierten betroffen. Innsbruck war zwar nicht so arg von den Luftangriffen des Zweiten Weltkriegs in Mitleidenschaft gezogen wie andere Städte, auch hier war der Schaden aber erheblich. Deutschland hatte 1943 die nördlichen Teile Italiens besetzt. Innsbruck war ein wichtiger Versorgungsbahnhof für den Nachschub an der Front. In der Nacht vom 15. auf den 16. Dezember 1943 erfolgte der erste alliierte Luftangriff auf die schlecht vorbereitete Stadt. 269 Menschen fielen den Bomben zum Opfer, 500 wurden verletzt und mehr als 1500 obdachlos. Über 300 Gebäude, vor allem in Wilten und der Innenstadt, wurden zerstört und beschädigt. Am Montag, den 18. Dezember fanden sich in den Innsbrucker Nachrichten, dem Vorgänger der Tiroler Tageszeitung, auf der Titelseite allerhand propagandistische Meldungen vom erfolgreichen und heroischen Abwehrkampf der Deutschen Wehrmacht an allen Fronten gegenüber dem Bündnis aus Anglo-Amerikanern und dem Russen, nicht aber vom Bombenangriff auf Innsbruck.

Bombenterror über Innsbruck

Innsbruck, 17. Dez. Der 16. Dezember wird in der Geschichte Innsbrucks als der Tag vermerkt bleiben, an dem der Luftterror der Anglo-Amerikaner die Gauhauptstadt mit der ganzen Schwere dieser gemeinen und brutalen Kampfweise, die man nicht mehr Kriegführung nennen kann, getroffen hat. In mehreren Wellen flogen feindliche Kampfverbände die Stadt an und richteten ihre Angriffe mit zahlreichen Spreng- und Brandbomben gegen die Wohngebiete. Schwerste Schäden an Wohngebäuden, an Krankenhäusern und anderen Gemeinschaftseinrichtungen waren das traurige, alle bisherigen Schäden übersteigende Ergebnis dieses verbrecherischen Überfalles, der über zahlreiche Familien unserer Stadt schwerste Leiden und empfindliche Belastung der Lebensführung, das bittere Los der Vernichtung liebgewordenen Besitzes, der Zerstörung von Heim und Herd und der Heimatlosigkeit gebracht hat. Grenzenloser Haß und das glühende Verlangen diese unmenschliche Untat mit schonungsloser Schärfe zu vergelten, sind die einzige Empfindung, die außer der Auseinandersetzung mit den eigenen und den Gemeinschaftssorgen alle Gemüter bewegt. Wir alle blicken voll Vertrauen auf unsere Soldaten und erwarten mit Zuversicht den Tag, an dem der Führer den Befehl geben wird, ihre geballte Kraft mit neuen Waffen gegen den Feind im Westen einzusetzen, der durch seinen Mord- und Brandterror gegen Wehrlose neuerdings bewiesen hat, daß er sich von den asiatischen Bestien im Osten durch nichts unterscheidet – es wäre denn durch größere Feigheit. Die Luftschutzeinrichtungen der Stadt haben sich ebenso bewährt, wie die Luftschutzdisziplin der Bevölkerung. Bis zur Stunde sind 26 Gefallene gemeldet, deren Zahl sich aller Voraussicht nach nicht wesentlich erhöhen dürfte. Die Hilfsmaßnahmen haben unter Führung der Partei und tatkräftigen Mitarbeit der Wehrmacht sofort und wirkungsvoll eingesetzt.

Diese durch Zensur und Gleichschaltung der Medien fantasievoll gestaltete Nachricht schaffte es gerade mal auf Seite 3. Prominenter wollte man die schlechte Vorbereitung der Stadt auf das absehbare Bombardement wohl nicht dem Volkskörper präsentieren. Ganz so groß wie 1938 nach dem Anschluss, als Hitler am 5. April von 100.000 Menschen in Innsbruck begeistert empfangen worden war, dürfte die Begeisterung für den Nationalsozialismus nicht mehr gewesen sein. Zu groß waren die Schäden an der Stadt und die persönlichen, tragischen Verluste in der Bevölkerung. Im Jänner 1944 begann man Luftschutzstollen und andere Schutzmaßnahmen zu errichten. Die Arbeiten wurden zu einem großen Teil von Gefangenen des Konzentrationslagers Reichenau durchgeführt.

Insgesamt wurde Innsbruck zwischen 1943 und 1945 zweiundzwanzig Mal angegriffen. Dabei wurden knapp 3833, also knapp 50%, der Gebäude in der Stadt beschädigt und 504 Menschen starben. Innsbruck wurde zum Glück nur Opfer gezielter Angriffe. Große deutsche Städte wie Dresden wurden von den Alliierten mit Feuerstürmen mit Zehntausenden Toten innerhalb weniger Stunden komplett dem Erdboden gleichgemacht. Viele Gebäude wie die Jesuitenkirche, das Stift Wilten, die Servitenkirche, der Dom, das Hallenbad in der Amraserstraße wurden getroffen. Eine besondere Behandlung erfuhren während der Angriffe historische Gebäude. Das Goldene Dachl wurde mit einer speziellen Konstruktion ebenso geschützt wie der Sarkophag Maximilians in der Hofkirche. Die Figuren der Hofkirche, die Schwarzen Mannder, wurden nach Kundl gebracht. Die Gnadenmutter, das berühmte Bild aus dem Innsbrucker Dom, wurde während des Krieges ins Ötztal überführt. Weniges erinnert in Innsbruck noch an die Luftangriffe, es sei denn, man bezeichnet die Bausünden der Nachkriegszeit als Erinnerungsorte. Es mag ein großes Glück sein, dass die Altstadt gut erhalten blieb. Die Maria-Theresien-Straße, die Museumstraße, das Bahnhofsviertel, Wilten oder die Pradlerstraße wären wohl noch um einiges ansehnlicher, hätte man nicht die Löcher im Straßenbild stopfen müssen. Der Luftschutzstollen südlich von Innsbruck an der Brennerstraße und die Kennzeichnungen von Häusern mit Luftschutzkellern mit ihren schwarzen Vierecken und den weißen Kreisen kann man heute noch begutachten. In Pradl, wo neben Wilten die meisten Gebäude beschädigt wurden, weisen die grauen Tafeln mit dem Hinweis auf den Wiederaufbau des jeweiligen Gebäudes auf einen Bombentreffer hin.

Olympische Spiele in Innsbruck

Es gibt Ereignisse, die im kollektiven Gedächtnis einer Gemeinschaft über Generationen hinweg Bestand haben. Man muss nicht dabei gewesen sein, ja noch nicht mal auf der Welt, damals am Patscherkofel am 5. Februar 1976, als Franz Klammer in der Herrenabfahrt in seinem gelben Einteiler zum Sieg in der Olympiaabfahrt der Herren raste. „Jawoll! 1;45,73 für unseren Franzi Klammer,“ schallte es damals aus zahllosen TV-Geräten in Österreich. Zwölf Jahre zuvor war es vor allem das Radio, das den Menschen die Olympischen News ins Haus brachte. Um dem Nationalhelden Klammer auf seinem Teufelsritt folgen zu können, durften die Schüler wie bereits 1964 an diesem Tag zu Hause bleiben. Auch sonst waren die Straßen leergefegt. Klammer schaffte das, was etliche Kaiser, Könige und Politiker nicht geschafft hatten. Er einte die Nation Österreich “Mi hats obageibtlt von oben bis unten, I hatt nie gedacht, dass i Bestzeit foa,“ gab Klammer im Kärntner Dialekt beim Siegerinterview zu Protokoll. Kein Tiroler, nobody is perfect, aber die Olympischen Spiele waren für die Gastgebernation Österreich schon am zweiten Tag gerettet. 1976 fanden die Olympischen Winterspiele bereits zum zweiten Mal in Innsbruck statt. Eigentlich wäre Denver an der Reihe gewesen, wegen eines Referendums auf Grund finanzieller und ökologischer Bedenken trat man in Colorado als Ausrichter zurück. Innsbruck setzte sich als Gastgeber im zweiten Versuch gegen Lake Placid, Chamoix und Tampere durch. Zum ersten Mal war man 12 Jahre zuvor Ausrichter der Olympiade gewesen. Vom 29. Januar bis zum 9. Februar 1964 war Innsbruck der Nabel gewesen, nachdem man sich mit der Bewerbung gegen Calgary und Lahti durchgesetzt hatte. Erheblicher Schneemangel bereitete Probleme bei der Durchführung etlicher Events. Nur mit Hilfe des Bundesheeres, das Schnee und Eis aus dem Hochgebirge zu den Wettkampfstätten brachte, konnten die 34 Bewerbe über die Bühne gehen. Die Eröffnungsfeier im randvollen Berg Isel Stadion ist auf Archivbildern gut nachzuvollziehen. Anders als die aufwändigen Zeremonien der heutigen olympischen Spiele ging das Prozedere in den 60er Jahren noch unspektakulär vonstatten. Die Wiltener Stadtmusik erfreute unter Leitung des umstrittenen Kapellmeisters Sepp Tanzer, der nach dem Krieg mit einem Berufsverbot belegt worden war, die internationalen Gäste mit Tiroler Blasmusik. Beim Einmarsch der Fahnen konnten Besucher zum ersten Mal im Rahmen von olympischen Spielen die Flagge Nordkoreas erblicken. Das Entzünden der olympischen Flamme wurde von den Tiroler Schützen bewacht. Auch die Bilder der Sportbewerbe zeigen das Bild einer wesentlich weniger aufwändigen Veranstaltung. Das Bobrennen fand zum ersten Mal auf einer Kunsteisbahn statt, wenn auch noch nicht im heutigen Igler Eiskanal. Die Eishockeyspiele wurden zum Teil noch in der Messehalle in sehr moderatem Rahmen abgehalten. Im Eishockey triumphierte die Sowjetunion vor Schweden. Mit 11 Goldmedaillen sicherte sich die UDSSR auch Platz 1 im Medaillenspiegel, mit vier Goldenen wurde Österreich sensationell Zweiter. Als Logo wurden lediglich die Olympischen Ringe über das Wappen der Stadt gelegt, ein Maskottchen gab es noch nicht. Skibewerbe, wie der Slalom und Riesenslalom der Damen, in dem sich in jeweils anderer Konstellation die französischen Schwestern Christine und Marielle Goitschel Gold und Silber umhängen ließen, fanden in der Axamer Lizum statt. Am Berg Isel verfolgten laut offiziellen Angaben 80.000 Zuschauer das Spektakel, als sich der Finne Veikko Kankonnen Gold sicherte. Am Berg Isel fand auch die Eröffnung der Spiele statt. Die diesmal 37 Bewerbe der zweiten Olympischen Spiele 1976 fanden zu einem großen Teil an den gleichen Wettkampforten in Innsbruck, Axams, Igls und Seefeld statt wie 1964. Eisstadion und Skisprungarena waren noch immer olympiatauglich. In Igls wurde eine neue Kunsteisbahn gebaut. Die Axamer Lizum erhielt eine neue Standbahn, um die Athleten zum Start auf den Hoadl zu bringen. Zur Erinnerung an 1964 wurden am Berg Isel während der Eröffnung zwei Flammen entzündet. 1976 war Schnee erneut Mangelware im Vorfeld und man bangte erneut, rechtzeitig schlug das Wetter im letzten Moment aber um und bescherte Innsbruck das Weiße Gold. Das Schneemanndl, ein runder Schneemann mit Karottennase und Tiroler Hut, das Maskottchen der Spiele von 1976 war wohl ein gutes Omen. Die größte Veränderung zwischen den beiden olympischen Spielen innerhalb von zwölf Jahren war der Status der Athleten. Waren bei den ersten Spielen offiziell nur Amateure am Start, also Sportler, die einem Beruf nachgingen, konnten 1976 Profisportler antreten. Für Österreich und Franz Klammer, dessen Nichtantreten bei den olympischen Spielen 1972 zum Politikum geworden war, änderte das den Verlauf der Spiele. Die Goldmedaille in der Herrenabfahrt, ein nationales Anliegen, war in Reichweite. Auch die Übertragungs- und Fotoqualität war um einiges höher als bei der ersten Innsbrucker Edition. Die deutsche Skirennläuferin Rosi Mittermaier wurde perfekt in Szene gesetzt bei ihren Fahrten zu Doppelgold und Silber bei den Damenskirennen. Das Eishockeyturnier gewann erneut die Sowjetunion vor Schweden, bereits zum vierten Mal in Folge. Die US-Auswahl wurde wie schon 1964 Fünfter. Vier Jahre später sollte es in Lake Placid zum legendären Miracle on Ice, bei dem die USA die Russen im Kalten Krieg auf Kufen bezwingen sollten. Auch der Medaillenspiegel sah am Ende die UDSSR wieder ganz oben, diesmal vor der DDR. Österreich konnte nur zwei Goldene erringen. Mit Klammers Gold in der Abfahrt war dies allerdings nur Nebensache. Der Patscherkofel und Österreichs Franzi sind seither untrennbar miteinander verbunden. Und auch wenn die Innsbrucker nicht ganz so sportlich sind, wie sie gerne wären, den Titel der Olympiastadt kann nach zwei Ausgaben plus einer Universiade und den Youth Olympic Games niemand wegdiskutieren.

Auch für die un-sportliche Infrastruktur griff man bei beiden Spielen kräftig in die Taschen. Nach dem raschen Wiederaufbau der Stadt nach dem Krieg kam es im Vorfeld zu einer Modernisierung der Stadt. Die erste olympische Edition Innsbrucks fiel in die Zeit des Wirtschaftswunders. 1963 wurde die Olympiabrücke, die den Westen der Stadt mit den Wettkampfstätten verband, gebaut. Bis dahin ging der Ost-West Verkehr Innsbrucks kompliziert durch die Innenstadt. Die einzelnen Straßen zwischen der Amraser-See-Straße im Osten und der Bachlechnerstraße im Westen, aus denen die Hauptverkehrsader Südring heute besteht, wurden erst in der Folge ausgebaut und waren bis dahin ruhige Teile der Vorstadt. Wiesen und Felder prägten die Szenerie. Der Vergleich von Luftaufnahmen von 1960 und 2020 ist faszinierend. In Amras standen da, wo sich heute die tägliche Rush Hour abspielt, bis in die 1970er Jahre Bauernhöfe und einzelne Wohnhäuser. In der heutigen Egger-Lienz-Straße beim Westbahnhof verlief das Bahnviadukt der Westbahn. Alte Fotos zeigen die Gleise, daneben Bäume und spielende Kinder. Rund um die heutige Graßmayrkreuzung entstand fast im Vorbeigehen ein neuer Stadtteil. Das Kaufhaus Forum, hier befindet sich heute ein Kino, war eine Sensation und ein Zeichen für die Modernisierung Innsbrucks. Für die wurde zwei Mal ein olympisches Dorf aus dem Boden gestanzt. Der heutige Stadtteil O-Dorf im Osten der Stadt fungierte während der Spiele als Olympisches Dorf für die Athleten, das durch die Reichenauer Brücke über den Inn mit der Innenstadt und den Wettkampfstätten verbunden wurde. In der kaum besiedelten Arzler Au wurde 1961 mit dem Bau der ersten Wohnblöcke begonnen. Der Arzler Schießstand, den man auf einer Landkarte von 1960 noch sehen kann, wurde eine Talstufe weiter nach oben verlegt. In den 1970er Jahren kamen weitere Blöcke dazu. Das Olympische Dorf genießt unter Innsbruckern als Wohnviertel nicht den besten Ruf. Das geht auf seine Historie zurück. In den von Armut und Wohnungsnot geprägten 1930er Jahren (109) war am Gebiet der heutigen Reichenau die sogenannte Bocksiedlung entstanden, eine wilde Ansammlung von Baracken und Wohnwägen, die vom inoffiziellen Bürgermeister der Siedlung Johann Bock (1900 – 1975) wie eine unabhängige Kommune geleitet wurde. Die Bockala hatten einen fürchterlichen Ruf, das Leben in der Siedlung war arm und von Arbeitslosigkeit und Kriminalität geprägt. Um Wohnungen auf dem Gebiet bauen zu können, musste die Stadt Innsbruck in den 1950ern mit Johann Bock verhandeln. Erst ein Brand in der Siedlung zwang die letzten Bockala 1963 zum Aufgeben. Viele wurden nach den Olympischen Spielen in städtische Wohnungen in Pradl, der Reichenau und eben auch im O-Dorf einquartiert. Die Sitten der Bocksiedlung lebten noch einige Jahre fort, was den schlechten Ruf des Stadtviertels bis heute ausmacht. Tatsächlich ist das O-Dorf, trotz der wenig beschaulichen Hochhäuser im Stil der 1960er und 1970er Jahre wegen seiner Lage am Inn, den Grünflächen und der großartigen Anbindung an den öffentlichen Verkehr mittlerweile ein lebenswertes Grätzel. Viele weitere Bauten in Innsbruck, die während der Olympiade als Infrastruktur für Presse und Medien genutzt wurden, gehen ebenfalls auf die Olympischen Spiele zurück. Die Pädagogische Akademie PÄDAK in Wilten, die IVB-Halle und das Landessportheim können als olympisches Erbe betrachtet werden. Ebenfalls ein Erbe der olympischen Spiele ist etwas, das man heute verzweifelt zu ändern versucht: Das olympiabedingte Wachstum fiel mit den 60er und 70er Jahren in die frühe und unreflektierte Blütezeit des Automobils. Die Infrastruktur der Stadt drückt diesen Wandel noch in vielen Belangen aus.