Panoramagebäude

Rennweg 39

altes panorama riesenrundgemälde

Die markante Rotunde im Saggen beherbergte ehemals das Riesenrundgemälde, das seit 2011 im Museum am Berg Isel (64) seinen Platz einnimmt. Das achteckige Gebäude nach Plänen von Anton Fritz neben der Talstation der alten Hungerburgbahn ist eines der Gebäude, das die Entwicklung Innsbrucks über die alten Stadtgrenzen hinaus repräsentiert. Im Juni des Jahres 1896 fand in Innsbruck unter Bürgermeister Wilhelm Greil die „Internationale Ausstellung für körperliche Erziehung, Gesundheitspflege und Sport“ statt, auch um die Wirtshaft der Stadt anzukurbeln. Exhibitionen und Messen wie die Weltausstellung mögen heute etwas fad wirken, damals, vor es das Internet gab, waren sie aber ein Kuriosum für die Bürger und ein wichtiges Mittel um sich als Unternehmer über Neuerungen, Erkenntnissen und Erfindungen am Laufenden zu halten. Als Teil dieses Events wurde das Panoramagebäude in einem Holzbau in der Nähe des heutigen Messegeländes errichtet. Es beinhaltete das Riesenrundgemälde des Münchner Malers Michael Zeno Diemer (1867 – 1939), der auf 1000 qm die 3. Schlacht am Berg Isel (64) vom 13. August 1809 darstellt. Ein glücklicher Zufall wollte es, dass das Gemälde auf großer Reise in London bei der Imperial Austrian Exhibition war, als das Gebäude abbrannte. Die Innsbrucker Nachrichten notierten dazu am 6. Februar. 1906:

Heute nachts um 2 ¼ kam in dem in letzter Zeit unbewohnten Gebäude des Panoramas der Schlacht am Berg Isel 1809 auf bisher unbekannte Weise ein Feuer zum Ausbruch, welches bei der leichten Bauart des Gebäudes rasch um sich griff, sodass es schon gegen 3 Uhr in sich zusammenstürzte und nur noch das Gerippe der Seitenwände Zeugnis gibt, wo einst das vielbesuchte tirolische Gemälde von Diemer, Egger und Burger seine Anziehungskraft ausübte.

Schon 1907 konnte das heutige Gebäude unter Bürgermeister Greil neu eröffnet werden. Der Platz, an dem die Rotunde heute noch steht, beherbergte nicht nur das Riesenrundgemälde, sondern mit der 1837 errichteten alten Kettenbrücke und der Talstation der Hungerburgbahn noch zwei weitere Zeichen für die Modernisierung und Erneuerung der Stadt. In einer touristischen Werbeanzeige hieß es dazu:

„… das Riesenrundgemälde des akademischen Malers Michael Zeno Diemer an der Station der Hungerburgbahn; 96 Meter breit und 12 ½ Meter hoch. Zählt zu den bedeutendsten Sehenswürdigkeiten Innsbrucks.

1917 ging das Riesenrundgemälde erneut auf Wanderschaft, diesmal nach Wien. Der Kampf der Tiroler Freischärler um Andreas Hofer war mittlerweile zum nationalen Symbol geworden und sollte der Kriegspropaganda im 1. Weltkrieg dienlich sein. Die Idylle der Tiroler Schlacht von 1809 sollte der Bevölkerung die Grauen des ersten industrialisierten Kriegs versüßen. Der Schriftsteller Alfred Polgar notierte dazu:

Dort ist’s still und kühl. Die Gewehre und Kanonen schießen, aber sie knallen nicht. Die Getroffenen fahren mit der Hand ans Herz, aber es tut ihnen – dieses tröstliche Bewußtsein haben wir – nicht weh. Feindliche Soldatenhaufen stürmen wild den Berg hinauf, aber sie kommen nicht vom Fleck.

Erst 1924 wurde die Rotunde samt dem Gemälde wieder der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. In der Zwischenzeit wurde das Gebäude als Garage und Viehstall missbraucht. 1974 wurde es unter Denkmalschutz gestellt, seit 2011 steht es leer. Was mit dem sanierungswürdigen, aber geschichtsträchtigen Bau geschehen soll, ist Stand 2023 noch nicht geklärt.

Andreas Hofer und die Tiroler Erhebung von 1809

Die Zeit der napoleonischen Kriege bescherte dem Land Tirol ein nationales Epos und einen Helden, dessen Glanz bis in die heutige Zeit strahlt. Grund dafür war nach 1703 einmal mehr eine Auseinandersetzung mit dem nördlichen Nachbarn und dessen Verbündeten. Das Königreich Bayern war während der Napoleonischen Kriege, wie schon während des Spanischen Erbfolgekrieges (96) mit Frankreich verbündet und konnte in mehreren Etappen des Kriegs zwischen 1796 und 1805 Tirol erobern. Innsbruck war nicht mehr Landeshauptstadt Tirols, sondern nur noch eine von vielen Kreishauptstädten der Verwaltungseinheit Innkreis. Das Land hing von bayerischem Wohlwollen ab. Steuern wurden erhöht, Befugnisse verringert. Prozessionen und religiöse Feste der konservativen und frommen Tiroler fielen dem aufklärerischen Programm der von der französischen Revolution geprägten neuen Landesherren zum Opfer. Strengen Katholiken wie dem später als Kriegstreiber auftretenden Pater Haspinger waren auch Maßnahmen wie die von den Bayern verordneten Pockenimpfungen zuwider. Das und die Aushebung zum Dienst in der bayrisch-napoleonischen Armee, obwohl Tiroler seit dem Landlibell, einem Gesetz Kaiser Maximilians (83), nur für die Verteidigung der eigenen Grenzen herangezogen werden durften, führte zu ersten Unruhen. Am 10. April kam es bei einer Aushebung in Axams bei Innsbruck zu einem Tumult, der schließlich zu einem Aufstand führte. Für Gott, Kaiser und Vaterland kamen Abteilungen der Tiroler Landesverteidigung zusammen, um den kleinen Armeeteil und die Verwaltungsbeamten der Bayern aus der Stadt zu vertreiben. Dabei plünderten sie auch Innsbrucker Häuser, deren teilweise liberale Bevölkerung der modernen bayrischen Verwaltung nicht in allem abgeneigt war. Napoleon war bekannt dafür, unterworfene Gebiete mit Toleranz ähnlich einer Pax Romana zu behandeln, solange die neuen Bürger sich nicht auflehnten. Teilen der Bürgerschaft wäre dieser frische Wind, der aus dem revolutionären Frankreich herüberwehte, auch wenn Napoleon sich mittlerweile vom Konsul zum Kaiser erhoben hatte, lieber gewesen als die konservativen Habsburger. Der Mob und die Schützen vereint waren für die Stadt wohl wesentlich schädlicher als die bayrischen Verwalter seit 1805. Vor allem gegen den kleinen jüdischen Bevölkerungsanteil Innsbrucks kam es zu heftigen Ausschreitungen der erzkonservativen katholischen Triumphatoren unter Andreas Hofer. Schon einen Monat später hatten Bayern und Franzosen Innsbruck aber wieder zurückerobert. Was nun folgte, war das, was als Tiroler Erhebung unter Andreas Hofer, der mittlerweile das Oberkommando über die Tiroler Landesverteidigung übernommen hatte, in die Geschichtsbücher eingehen sollte. Insgesamt drei Mal konnten die Tiroler Aufständischen den Sieg vom Schlachtfeld tragen und die Stadt „befreien“ oder verteidigen. Besonders bekannt ist die 3. Schlacht im August 1809 am Berg Isel. „Innsbruck sieht und hört, was es noch nie gehört und gesehen: eine Schlacht von 40.000 Kombattanten…“ Für kurze Zeit war Andreas Hofer in Ermangelung regulärer Tatsachen Oberkommandant Tirols, auch für zivile Angelegenheiten. Die Kosten für Kost und Logis dieses Bauernregiments musste die Stadt Innsbruck tragen. Seine Antrittsrede, die er an die Bürger der Stadt hielt, findet sich noch auf einer Tafel vor dem Eingang des Gasthofs Goldener Adler in der Altstadt. Am Ende gab es im Herbst 1809 allerdings in der vierten und letzten Schlacht am Berg Isel eine empfindliche Niederlage gegen die französische Übermacht. Hofer selbst war zu dieser Zeit bereits ein von der Belastung dem Alkohol gezeichneter Mann. Konservative Kräfte und die Regierung in Wien hatten ihn vor allem als taktischen Prellbock im Krieg gegen Napoleon benutzt. Bereits zuvor hatte der Kaiser das Land Tirol offiziell im Friedensvertrag von Schönbrunn wieder abtreten müssen. Innsbruck war zwischen 1810 und 1814 wieder unter bayrischer Verwaltung. Andreas Hofer wurde gefangengenommen und am 20. Januar 1810 in Mantua in Norditalien hingerichtet.

In drei siegreichen und einer verlorenen Schlacht am Berg Isel hatte der "Sandwirt" 1809 in der Tiroler Erhebung gegen die bayrischen Besatzer Tirols gekämpft. Dieser „Freiheitskampf“ symbolisiert bis heute für das Tiroler Selbstverständnis. Lange Zeit galt Andreas Hofer, der Wirt aus dem Südtiroler Passeiertal als unumstrittener Held und als Prototyp des wehrhaften, vaterlandstreuen und standhaften Tirolers. Der Underdog, der sich gegen die fremde Übermacht und unheilige Sitten wehrte. Tatsächlich war Hofer wohl ein charismatischer Anführer, politisch aber unbegabter und konservativ-klerikaler, simpler Geist. Seine Taktik bei der 3. Schlacht am Berg Isel „Grad nit aufferlassen tiat sie“ (Ann.: Ihr dürft sie nur nicht heraufkommen lassen) fasst dies wohl ganz gut zusammen. Die von ihm als Landeskommandant erlassenen Gesetze erinnern eher an einen Tiroler Gottesstaat als ein modernes Land des 19. Jahrhunderts. So sollten Frauen züchtig verhüllt auf die Straßen gehen, die Bildung wieder vollinhaltlich an den Klerus gehen und allzu freizügige Denkmäler wie die heute am Leopoldsbrunnen zu besichtigenden Nymphen aus dem öffentlichen Raum verbannt werden. Liberale und Intellektuelle wurden teils verhaftet, dafür wurde das Rosenkranzbeten zum Gebot. In Tirol wurde und wird er trotzdem gerne für alle möglichen Initiativen und Pläne vor den Karren gespannt. Vor allem im Nationalismus des 19. Jahrhunderts berief man sich immer wieder auf den verklärten Helden Andreas Hofer. Hofer wurde über Gemälde, Flugblätter und Schauspiele zur Ikone stilisiert. Aber auch heute noch kann man das Konterfei des Oberschützen sehen, wenn sich Tiroler gegen unliebsame Maßnahmen der Bundesregierung, den Transitbestimmungen der EU oder der FC Wacker gegen auswärtige Fußballvereine zur Wehr setzen. Das Motto lautet dann „Mannder, s´isch Zeit!“.  1896 wurde der Kampf der Tiroler gegen Bayern und Franzosen am Riesenrundgemälde festgehalten. Dieses Gemälde kann im Museum 1809 am Berg Isel noch bewundert werden.

In konservativen Kreisen Tirols wie den Schützen wird Hofer unkritisch und kultisch verehrt. Das Tiroler Schützenwesen ist noch gelebtes Brauchtum, das sich zwar modernisiert hat, in vielen dunklen Winkeln aber noch den Mief des Reaktionären mit sich trägt. Wiltener, Amraser, Pradler und Höttinger Schützen marschieren immer noch einträchtig neben dem Klerus, Trachtenvereinen und Marschmusikkapellen bei kirchlichen Prozessionen und schießen in die Luft, um alles Übel von der katholischen Kirche fernzuhalten. Die Legende vom wehrfähigen Tiroler Bauern, der unter Tags das Feld bestellt und sich abends am Schießstand zum Scharfschützen und Verteidiger der Heimat ausbilden lässt, wird immer wieder gerne aus der Schublade geholt zur Stärkung der „echten“ Tiroler Identität. Auch in der Schule lernen Kinder noch recht einseitig die Geschichte von den bösen Franzosen und den braven Tirolern unter ihrem Anführer Andreas Hofer. In den letzten Jahrzehnten allerdings setzte eine kritische Betrachtung des erzkonservativen und mit seiner Aufgabe als Tiroler Landeskommandanten wohl überforderten Schützenhauptmanns ein, der angestachelt von Teilen der Habsburger (77) und der katholischen Kirche nicht nur Franzosen und Bayern, sondern auch das liberale Gedankengut der Aufklärung vehement aus Tirol fernhalten wollte. Der Todestag Andreas Hofers am 20. Februar lockt bis heute regelmäßig fromme Schützen aus allen Landesteilen Tirols in die Landeshauptstadt.  In Innsbruck erinnern die Andreas-Hofer-Straße, der Berg Isel und viele Denkmäler an Andreas Hofer und die Tiroler Erhebung von 1809.

Der Erste Weltkrieg und die Zeit danach

Auch in Innsbruck war die Begeisterung für den Krieg 1914 groß gewesen. Vom Nationalismus der Zeit angetrieben, begrüßten Bauernsöhne und Studenten den Krieg zum allergrößten Teil einhellig. Klerus und Presse stimmten in den allgemeinen Jubel mit ein und heizten die Sache weiter an. Besonders „verdient“ machten sich dabei auch Theologen wie Joseph Seeber (1856 – 1919) und Anton Müllner alias Bruder Willram (1870 – 1919) die mit ihren konservativen und xenophoben Predigten und Schriften den Krieg zu einem Kreuzzug erhoben. Die Lektüre des Gedichtbandes „Das blutige Jahr“ Müllners macht es unverständlich, warum in Innsbruck immer noch eine Straße nach ihm benannt ist. Der Krieg wurde am 28. Juli in allen Sprachen des Vielvölkerreichs Österreich-Ungarns auch in Innsbruck proklamiert. Viele Innsbrucker meldeten sich freiwillig für den Feldzug gegen Serbien, von dem man dachte, er wäre eine Angelegenheit weniger Wochen oder Monate. Von außerhalb der Stadt kam eine so große Anzahl an Freiwilligen zu den Stellungskommissionen, dass Innsbruck beinahe aus allen Nähten platzte. Wie anders es kommen sollte, konnte keiner ahnen. Schon nach den ersten Schlachten im fernen Galizien war klar, dass es keine Sache von Monaten werden würde. Auch der Glanz des Heldenhaften am Schlachtfeld blätterte schnell ab. Mit dem Eintritt Italiens in den Ersten Weltkrieg 1915 ging die Front quer durch das damalige Tirol. Vom Ortler im Westen über den nördlichen Gardasee bis zu den Sextener Dolomiten fanden die Gefechte des sogenannten Gebirgskriegs statt. Die Kriegsführung hatte wenig mit soldatischer Ehre und den Vorstellungen, die man bei Kriegseintritt hatte, zu tun. Die Überreste der Befestigungen entlang der Frontlinie, die sich vom Isonzo quer über den Alpenbogen spannte, geben schauerlichen Einblick in den Kriegsalltag. Neben dem Artilleriefeuer waren es Kälte, Krankheit, Hunger und Lawinen, die viele Todesopfer forderten. Innsbruck war direkt nicht von den Kampfhandlungen betroffen. Zumindest hören konnte man das Kriegsgeschehen aber bis in die Landeshauptstadt, wie in der Zeitung vom 7. Juli 1915 zu lesen war:

„Bald nach Beginn der Feindseligkeiten der Italiener konnte man in der Gegend der Serlesspitze deutlich Kanonendonner wahrnehmen, der von einem der Kampfplätze im Süden Tirols kam, wahrscheinlich von der Vielgereuter Hochebene. In den letzten Tagen ist nun in Innsbruck selbst und im Nordosten der Stadt unzweifelhaft der Schall von Geschützdonner festgestellt worden, einzelne starke Schläge, die dumpf, nicht rollend und tönend über den Brenner herüberklangen. Eine Täuschung ist ausgeschlossen. In Innsbruck selbst ist der Donner der Kanonen schwerer festzustellen, weil hier der Lärm zu groß ist, es wurde aber doch einmal abends ungefähr um 9 Uhr, als einigermaßen Ruhe herrschte, dieser unzweifelhafte von unseren Mörsern herrührender Donner gehört.“

Bis zur Verlegung regulärer Truppen von der Ostfront hing die Landesverteidigung an den Standschützen, einer Truppe, die aus Männern unter 21, über 42 oder mit Untauglichkeit für den regulären Militärdienst bestand. Täglich trafen wenig erbauliche Neuigkeiten der Front, Särge und Kriegsgefangene ein. Verwundetentransporte luden Menschenmaterial für die Lazarette im Hinterland ab. Die Männer waren teilweise fürchterlich entstellt, wie man auf Fotos aus den Lazaretten sehen kann. Um der Gefallenen Herr zu werden, wurde der Militärfriedhof Pradl angelegt. Die Bevölkerung litt unter dem Mangel, vor allem im letzten Winter, der als Hungerwinter in die Geschichte Europas einging. Die Versorgung erfolgte in den letzten Kriegsjahren über Bezugsscheine. 500 g Fleisch, 60 g Butter und 2 kg Kartoffel waren die Basiskost pro Person – pro Woche, wohlgemerkt. Auf Archivbildern kann man die langen Schlangen verzweifelter und hungriger Menschen vor den Lebensmittelläden sehen. Im Oktober 1918 kam es zu Fliegeralarm, Schaden entstand keiner. Zu dieser Zeit war den meisten Menschen schon klar, dass der Krieg verloren war, und welches Schicksal Tirol erwarten würde, wie dieser Artikel vom 6. Oktober 1918 zeigt:

 „Aeußere und innere Feinde würfeln heute um das Land Andreas Hofers. Der letzte Wurf ist noch grausamer; schändlicher ist noch nie ein freies Land geschachert worden. Das Blut unserer Väter, Söhne und Brüder ist umsonst geflossen, wenn dieser schändliche Plan Wirklichkeit werden soll. Der letzte Wurf ist noch nicht getan. Darum auf Tiroler, zum Tiroler Volkstag in Brixen am 13. Oktober 1918 (nächsten Sonntag). Deutscher Boden muß deutsch bleiben, Tiroler Boden muß tirolisch bleiben. Tiroler entscheidet selbst über Eure Zukunft!

Am 4. November vereinbarten Österreich-Ungarn und das Königreich Italien schließlich einen Waffenstillstand. Damit verbunden war das Recht der Alliierten Gebiete der Monarchie zu besetzen. Bereits am nächsten Tag rückten bayerische Truppen in Innsbruck ein. Der österreichische Verbündete Deutschland befand sich noch im Krieg mit Italien und hatte Angst, die Front könnte nach Nordtirol näher an das Deutsche Reich verlegt werden. Zum großen Glück für Innsbruck und die Umgebung kapitulierte aber auch Deutschland eine Woche später am 11. November. So blieben die großen Kampfhandlungen zwischen regulären Armeen außen vor. Trotzdem war Innsbruck in Gefahr. Die aufgelösten Truppen der K.u.K. Armee begaben sich ungeordnet auf den Rückzug von der Italienfront. Hunderttausende Soldaten strömten von Italien unkontrolliert nach Norden auf dem Weg nach Hause. Um die öffentliche Ordnung aufrecht zu erhalten, bildeten sich nicht staatliche Wehrgruppen aus Schülern, Studenten, Arbeitern und Bürgern. Die Stadt musste nicht nur die eigenen Bürger in Zaum halten, die Verpflegung garantieren, sondern sich auch vor Plünderungen schützen. Gewaltige Kolonnen an militärischen Kraftfahrzeugen, Züge voller Soldaten und tausende ausgezehrte Soldaten, die sich zu Fuß auf den Heimweg von der Front machten, passierten Innsbruck. Die spanische Grippe breitete sich aus und forderte viele Todesopfer. Am 23. November besetzten italienische Truppen die Stadt und das Umland. Der beschwichtigende Aufruf an die Innsbrucker Bürger von Bürgermeister Greil (105), die Stadt ohne Aufruhr an die Italiener zu übergeben, hatte Erfolg. Es kam kaum zu Ausschreitungen. Der Militärfriedhof in Amras imit den Herrschaftssymbolen der Savoyer, des italienischen Königshauses, ist ein Herrschaftszeichen, das an die italienische Besetzung der ersten Nachkriegszeit erinnert.

Die Republik Deutschösterreich war zwar ausgerufen, wie es mit Tirol weitergehen sollte, war niemandem klar. Die Monarchie, die über Jahrhunderte den Alltag der Menschen begleitete, gab es nicht mehr. Sogar die ältesten waren unter der Regierung Kaiser Franz Josefs mit dem Vielvölkerreich der Donaumonarchie aufgewachsen. Die Sozialdemokraten setzten ein Monarchie- Adelsprädikatsverbot samt einem Gesetz, das Mitgliedern der Familie Habsburg den Aufenthalt in Österreich verbot, so sie sich nicht von ihren Titeln offiziell trennten, durch Das war für viele Zeitgenossen eine unfassbare Zäsur. Otto von Habsburg hatte noch lange Zeit eine beträchtliche Anhängerschaft innerhalb der Christlich-sozialen Partei, dem Vorgänger der heutigen ÖVP. Der Demokratie räumte man kaum ein eine geeignete Regierungsform zu sein, vor allem nicht in den Landgemeinden, die streng katholisch orientiert waren.  Als Österreicher fühlte man sich kaum, zumal der kleinen Restrepublik des alten Kaiserreichs nicht besonders hohe Erfolgschancen eingeräumt wurden. Nach den Friedensverhandlungen in Paris war es klar, dass Südtirol ein Teil Italiens sein würde. Tirol war zweigeteilt. Viele Menschen zu beiden Seiten des Brenners fühlten sich verraten. Man hatte den Krieg zwar bei Weitem nicht gewonnen, als Verlierer gegenüber Italien sah man sich aber auch nicht. Ein Heer an arbeits- und perspektivenlosen Kriegsheimkehrern schloss sich in den verschiedenen paramilitärischen Gruppen zusammen, zuerst um die öffentliche Ordnung aufrechtzuerhalten, später vor allem, um politisch anders Gepolte zu bekämpfen. Aus diesen Truppen sollten sich später die verschiedenen Spielarten der Heimwehren bilden, den paramilitärischen Truppen, die den Austrofaschismus Dollfuß´ (109) ermöglichten. Der Anschluss an Deutschland erhielt einen Zuspruch von 98% in Tirol, kam aber nie zustande. Auch eine eigene Republik mit Bayern stand im Raum. Die wirtschaftlichen Aussichten in Innsbruck waren miserabel. Demokratie war nach Jahrhunderten der Monarchie für viele keine wünschenswerte Herrschaftsform. Viele Menschen, besonders Beamten und Mitarbeiter im öffentlichen Dienst, hatten ihre Arbeit verloren. Der Fremdenverkehr war inexistent. Die südlich des Brenners gelegenen Teile des ehemaligen Kronlandes Tirols waren entgegen den Versprechungen des amerikanischen Präsidenten Wilson Italien zugeschlagen worden. Erst 1923, mit der Währungssanierung unter Kanzler Ignaz Seipel begann sich Österreich und damit Innsbruck langsam zu erholen, zumindest wirtschaftlich. Mitte der 1920er Jahre wurden in Innsbruck neue Wohnsiedlungen wie der Pembaurblock (58) Theodor Prachenskys (108) in Pradl und Infrastruktur wie die Sportanlagen am Tivoli und das Hallenbad Amraserstraße errichtet, die die neuen sozialen und politischen Gegebenheiten in Innsbruck als Teil der Republik Österreich widerspiegeln.

Wilhelm Greil: DER Bürgermeister Innsbrucks

Eine der wichtigsten Figuren der Stadtgeschichte war Wilhelm Greil (1850 – 1923). Von 1896 bis 1923 war er Innsbrucker Bürgermeister, nachdem er vorher bereits als Vizebürgermeister tätig war. Greil war selbst als Unternehmer tätig. Er gehörte der "Deutschen Volkspartei" an, die sich als nationale, großdeutsch orientierte Partei aus der liberalen Bewegung herausgeschält hatte. Was uns heute als Widerspruch erscheint, liberal und national, war im 19. Jahrhundert ein politisch übliches und gut funktionierendes Gedankenpaar. Der Pangermanismus war keine politische Besonderheit einer rechtsradikalen Minderheit, sondern eine Strömung der Mitte, die bis nach dem Zweiten Weltkrieg durch fast alle Parteien hindurch in unterschiedlicher Ausprägung Bedeutung hatte. Bedingt durch eine Wahlordnung, die auf das Stimmrecht über Vermögensklassen aufgebaut war, konnten sich große Massenparteien wie die Sozialdemokraten noch nicht durchsetzen. Die Konservativen hatten es, anders als im restlichen Tirol, schwer in Innsbruck, dessen Bevölkerung seit der Zeit Napoleons liberale Morgenluft geschnuppert hatte. Viel mehr waren es eben die von wohlhabenden Bürgern und Unternehmern unterstützten liberalnationalen Politiker, die den politischen Ton Innsbrucks dieser Zeit vorgaben. Politik, öffentliche Verwaltung, Bildung und das Militär sollten zentral, möglichst unter Ausschluss der landbesitzenden Kirche geregelt werden.

Die Amtszeit Greils war dreigeteilt. Sie fiel in die Epoche des Wirtschaftsaufschwungs nach dem Börsenkrach von 1873, den Ersten Weltkrieg und die karge Nachkriegszeit. Diese Epoche war für Innsbruck in vielerlei Hinsicht richtungsweisend. Unter ihm wurde von der Stadt ganz im Sinne des Kaufmanns vorausschauend Grund angekauft, um Projekte zu ermöglichen. Vieles das damals vorangetrieben wurden, gehören heute wie selbstverständlich zum täglichen Leben in Innsbruck, waren um die Jahrhundertwende aber eine echte Revolution. Bereits sein Vorgänger Bürgermeister Heinrich Falk (1840 – 1917) hatte erheblich zur Modernisierung der Stadt und zur Besiedelung des Saggen beigetragen. Wie viele andere europäische Städte erlebte Innsbruck zwischen 1890 und dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs einen großen Modernisierungsschub. Greil war ein geschickter Politiker, der sich innerhalb der vorgegebenen Machtstrukturen seiner Zeit bewegte. Er wusste sich um die traditionellen Kräfte, die Monarchie und den Klerus geschickt zu manövrieren und sich mit ihnen zu arrangieren. Unter Wilhelm Greil erweiterte sich Innsbruck beträchtlich. Der Politiker Greil konnte sich auf die Beamten und Stadtplaner Eduard Klingler, Jakob Albert und Theodor Prachensky stützen. Die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg war im Allgemeinen von einem nie dagewesenen Wirtschaftswachstum und einer rasenden Modernisierung gekennzeichnet. Die Wirtschaft der Stadt boomte. Betriebe in Pradl und Wilten gründeten sich und lockten Arbeitskräfte an. Auch der Tourismus brachte frisches Kapital in die Stadt. Greil konnte sich bei dieser Innsbrucker Renaissance auf der Stadt geneigte Mäzen aus dem Bürgertum stützen. Freiherr Johann von Sieberer (103) stiftete das Greisenasyl und das Waisenhaus im Saggen. Leonhard Lang stiftete das Gebäude, das vorher als Hotel genutzt wurde, in das das Rathaus von der Altstadt 1897 übersiedelte, gegen das Versprechen der Stadt ein Lehrlingsheim zu bauen. Neben den Villen im Saggen entstanden auch die Wohnhäuser im östlichen Teil des Stadtviertels. Infrastrukturprojekte wie das neue Rathaus in der Maria-Theresienstraße 1897, die Hungerburgbahn 1906 und die Karwendelbahn, die Innsbruck bis heute mit Seefeld verbindet, wurden umgesetzt. Andere Projekte waren die Erneuerung des Marktplatzes und der Bau der Markthalle. Wilhelm Greil veranlasste die Übernahme des Gaswerks in Pradl und des Elektrizitätswerks in Mühlau in städtischen Besitz. Unter ihm erfolgte die Umstellung der Straßenbeleuchtung auf elektrisches Licht. Seit 1859 war die Beleuchtung der Stadt mit Gasrohrleitungen stetig vorangeschritten. Nun war es an der Zeit, dass auch in Innsbruck Elektrizität Einkehr hielt. Die Berufsfeuerwehr Innsbruck entstand 1899. In seinen letzten Amtsjahren begleitete Greil Innsbruck am Übergang von der Habsburgermonarchie zur Republik durch Jahre, die vor allem durch Mittelknappheit geprägt waren. 1928 verstarb der verdiente Altbürgermeister als Ehrenbürger der Stadt Innsbruck im Alter von 78 Jahren. Die Wilhelm-Greil-Straße wurde noch zu seinen Lebzeiten nach ihm benannt.