Pembaurblock

Pembaurstraße 31 – 41

Nordkette Innsbruck

Innsbruck war, wie die restliche Republik Österreich, die nach dem Zerfall der Habsburgermonarchie 1918 vom alten Reich übriggeblieben war, nach dem Ersten Weltkrieg in arge finanzielle Schwierigkeiten gerutscht. Erst nach dem Gewähren der Völkerbundanleihe, dem Ende der galoppierenden Inflation und der Einführung des Schilling als neue Währung konnten wieder neue Wohnbau- und Infrastrukturprojekte in Angriff genommen werden. Im stark wachsenden Pradl wurden ab 1926 mit dem Pembaurblock, der Rennerschule und dem Städtischen Kindergarten Pembaurstraße drei moderne und für die Stadtplanung zukunftsweisende Gebäude errichtet. Die Architektur und Konzeption von Wohnungen, Schulen und Kindergarten sollten den Aufbruch in eine neue Zeit bei den Themen Alltag, Bildung und Kindererziehung weisen, die die hierarchische und konservative Ordnung der Monarchie hinter sich lassen sollte. In Planung und Ausführung maßgeblich beteiligt waren Jakob Albert (1880 – 1974) und der wohl wichtigste Architekt der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, Oberbaurat der Stadt Innsbruck Theodor Prachensky.

Der Pembaurblock folgt dabei in Architektur und Gesinnung dem sozialen Wohnbau der von der Sozialdemokratie regierten und in den konservativ orientierten Bundesländern wenig geschätzten Bundeshauptstadt Wien. Anders als es wenige Jahre später in der Dollfußsiedlung im Westen Innsbrucks, wo einzelne Häuser das traditionelle Landleben, zumindest die Idealvorstellung davon, imitieren sollten, war der Block zweckmäßig im Stil der Neuen Sachlichkeit geplant worden. Typisch für den sozialen Wohnbau der 1920er Jahre war der viergeschossige Block in festungsartiger Manier um einen Innenhof, der durch mehrere Eingänge zugänglich war, konzipiert. Das Besondere am Innenhof ist der Niveauunterschied. Zwischen den beiden Eingängen verlief ein öffentlicher Gehweg, der den Hof durchquerte. Das Planschbecken und der Sandkasten für die Kinder waren tiefergelegt und so abgetrennt wie in einer eigenen Schutzzone. Die Ecken der Wohnanlage erscheinen wie Türme. Hier sind heute Geschäfte untergebracht. Ecken und Portale heben sich mit dem Strukturbeton vom restlichen gelben Gebäude ab, was den Eindruck der Höttinger Breccie der Altstadthäuser und der Triumphpforte imitiert. Später sollte Prachensky eine ähnliche Gestaltung für die von den Nationalsozialisten in Auftrag gegebene Südtirolersiedlung in Wilten andenken. Die Fassade wird von Erkern akzentuiert, ein weiteres verbindendes Charakteristikum der gotischen Altstadt Innsbrucks. Die 14 Häuser zwischen Pembaurstraße, Amthorstraße und Pestalozzistraße beherbergten mehr als 100 Wohnungen, was den Pembaurblock zu einer der größten Wohnanlagen der Zeit in Innsbruck machte. Nicht nur Anzahl, auch die Qualität der Wohnungen war revolutionär. Vor allem fließend Wasser, Bad und WC waren in den 1920er Jahren keine Selbstverständlichkeit. Jede Einheit besaß eine Wohnküche, ein Zimmer im Erker und meist ein zusätzliches Zimmer. War der Typ Kleinwohnung im Schlachthofblock noch mit 54 m² bemessen, waren es im Pembaurblock 65 m². Angelehnt war die Bauweise mit allem Komfort

Betrat man den Innenhof von Westen her, wurde man von einer Statue, die auf die Mutterberatungsstelle Pradl hinwies, empfangen. Die Mutterberatung war eine soziale Initiative, die in der Ersten Republik (1918 – 1938) von der Sozialdemokratie ausging. Der Wiener Arzt und Politiker Julius Tandler wollte die geänderten sozialen Umstände nach Kriegsende in der Betrachtung von Kindern, Jugendlichen, Rolle der Frau und Familie in Politik und Alltag der Menschen umgesetzt wissen. Sein Credo war: „Wer Kindern Paläste baut, reißt Kerkermauern nieder“. In den Mutterberatungsstellen sollte der Anfang zum neuen Erziehungsstil und für mehr Säuglings- und Kindergesundheit gelegt werden. Heute ist im Pembaurblock ein Kindergarten untergebracht.

Theodor Prachensky: Beamter zwischen Kaiser und Republik

In den späten 1920er Jahren entstanden in Innsbruck wegweisende Bauprojekte. Franz Baumann entwarf, angelehnt an die internationale Weiße Moderne, die Stationen der Nordkettenbahn im Stil der Tiroler Moderne. Fritz Konzerts Städtisches Hallenbad sollte die Ideale der Lebensreformbewegung architektonisch manifestieren. Beiden Architekten wurde in Innsbruck eine Straße gewidmet. Keiner der beiden aber sollte Innsbruck so nachhaltig verändern wie Theodor Prachensky (1888 – 1970). Er war als Mitarbeiter des Bauamtes Innsbruck zwischen 1913 und 1953 vor allem für Wohnbau- und Infrastrukturprojekte der Zwischenkriegszeit verantwortlich. Die von ihm umgesetzten Projekte sind nicht so spektakulär wie die Bergstationen seines Schwagers Franz Baumann. Sieht man sich aber die Zeichnungen im Archiv für Baukunst der Universität Innsbruck an, erkennt man, dass auch Prachensky mehr Künstler als Techniker war, wie auch seine Malereien beweisen. Viele seiner spektakulären Entwürfe wie das Sozialdemokratische Volkshaus in der Salurnerstraße, sein Kaiserschützendenkmal oder die Friedens- und Heldenkirche wurden nicht umgesetzt. Innsbruck beherbergt mit den großen Wohnanlagen der 1920er und 30er Jahre, der Krieger-Gedächtniskapelle am Pradler Friedhof und dem alten Arbeitsamt (heute Außenstelle Universität Innsbruck hinter dem aktuellen AMS-Gebäude) viele Gebäude Prachenskys, die die Zeitgeschichte der Zwischenkriegszeit und die wechselhaften politischen und staatlichen Einflüsse, unter denen er selbst als Person stand, dokumentieren. Seine Biografie liest sich wie ein Abriss der österreichischen Geschichte des 20. Jahrhunderts. Prachensky war als Architekt und Beamter unter fünf unterschiedlichen Staatsmodellen tätig. Der K.u.K. Monarchie folgte die Erste Republik, die vom autoritären Ständestaat abgelöst wurde. 1938 kam es zum Anschluss an Nazideutschland. 1945 wurde mit Kriegsende die Zweite Republik ausgerufen. Großen Einfluss auf sein Wirken als Architekt und Stadtplaner gemäß der internationalen sozialdemokratisch orientierten Architektur hatte wohl sein Vater Josef Prachensky. Neben der politischen Gesinnung des Vaters hatten auch die verschwundene Habsburgermonarchie und die Eindrücke des Militärdienstes im Ersten Weltkrieg (107) Einfluss auf Prachensky. Obwohl er laut Eigenaussage Kriegsgegner war, meldete er sich 1915 als Einjährig-Freiwilliger bei den Tiroler Kaiserjägern zum Kriegsdienst. Vielleicht waren es die Erwartungen, die während des Krieges an ihn als Beamten herangetragen wurden, vielleicht die allgemeine Begeisterung, die ihn zu diesem Schritt bewogen, die Aussagen und die Tat sind widersprüchlich. Die Kriegergedächtnis-Kapelle (1916) am Pradler Friedhof und das gemeinsam mit Clemens Holzmeister entworfene Kaiserschützenkapelle am Tummelplatz sowie seine nicht umgesetzten Entwürfe für ein Kaiserjäger Denkmal und die Friedens- und Heldenkirche Innsbruck, sind wohl Produkte der Lebenserfahrung des jungen Mannes. 1908 hatte Prachensky die baugewerbliche Abteilung der Gewerbeschule Innsbruck abgeschlossen. Von 1909 arbeitete er teilweise gemeinsam mit Franz Baumann, dessen Schwester Maria er 1913 heiraten sollte, beim renommierten Architekturbüro Musch & Lun in Meran, damals ebenfalls noch Teil der K.u.K. Monarchie. Privat war 1913 für ihn wegweisend: Theodor und Maria heirateten, starteten das private Bauprojekt des Eigenheims Haus Prachensky am Berg Isel Weg 20 und Theodor trat seinen Dienst beim Stadtmagistrat Innsbruck unter Oberbaurat Jakob Albert an. Anstatt sich nach dem Krieg in der schwierigen wirtschaftlichen Lage in der Privatwirtschaft durchschlagen zu müssen, stand Prachensky im öffentlichen Dienst. Die wichtigen, vom sozialdemokratischen Gedanken beeinflussten Projekte konnten erst nach den ersten und schwierigsten, von der Inflation und der Versorgungsknappheit charakterisierten Nachkriegsjahren begonnen werden. Den Anfang machte der Schlachthausblock im Saggen zwischen 1922 und 1925. Es folgten mehrere Infrastrukturprojekte wie der Mandelsbergerblock, der Pembaurblock und der Kindergarten und die Hauptschule in der Pembaurstraße, die vor allem für die sozial Schwächeren und die vom Krieg und der Nachkriegszeit betroffenen Arbeiterschicht gedacht waren. Auch das 1931 entworfene Arbeitsamt hinter dem aktuellen AMS-Gebäude in Wilten war eine wichtige Neuerung im Sozialwesen. Seit der Republikgründung 1918 half das Arbeitsamt bei der Vermittlung von Arbeitssuchenden und Arbeitgebern und der Eindämmung der Arbeitslosigkeit. In den Jahren der erneuten Wirtschaftskrise in den 1930ern nahm seine Bedeutung nochmal zu. Eine weitere Zäsur in Prachenskys Werdegang stellten die nächsten Wechsel der Regierungsform Österreichs dar. Trotz dem Rechtsruck unter Dollfuß samt Verbot der Sozialdemokratischen Partei 1933 und dem Anschluss von 1938 konnte er als leitender Beamter im öffentlichen Dienst bleiben. Sein Schwager Franz Baumann mit dem er mehrere Bauprojekte umsetzte, war politisch der Rechten nahe, wie sein Beitritt zur NSDAP bereits im Mai 1938 zeigt. Prachensky setzte gemeinsam mit Jakob Albert ab 1939 Südtiroler Siedlungen unter den Nationalsozialisten um. Er selbst war, anders als mehrere Mitglieder seiner Familie niemals Mitglied oder Unterstützer der NSDAP. Nach dem Zweiten Weltkrieg blieb er acht weitere Jahre als Oberbaurat der Stadt Innsbruck tätig. Neben seiner Tätigkeit als Bauplaner und Architekt war Prachensky begeisterter Maler. Er starb mit 82 Jahren in Innsbruck. Seine Söhne, Enkel und Urenkel führten sein kreatives Erbe als Architekten, Designer, Fotografen und Maler in verschiedenen Disziplinen fort. 2017 wurden Teile des generationenübergreifenden Werks der Künstlerfamilie Prachensky in der ehemaligen Bierbrauerei Adambräu mit einer Ausstellung gezeigt.

Die Zeit des Austrofaschismus

Die Zeit zwischen dem Jahr 1933 und dem Anschluss an Nazideutschland 1938 ist eines der widersprüchlichsten und am schwersten einzuordnenden Kapitel österreichischer Geschichte. Nach dem Ersten Weltkrieg hatten sich in Österreich, vereinfacht erklärt, zwei Blöcke politisch etabliert, die das Land mehr und mehr spalteten. Christlich-soziale und sozialdemokratische Gegensätze prägten nicht nur die politische Landschaft, auch im sozialen wurden die Mitglieder der jeweiligen Fraktion in ihrer Weltsicht geprägt. Die Frontlinie verlief zwischen Stadt und Land, zwischen progressiv und konservativ. Die Wahlen von 1927 zeigten, dass die Sozialdemokratie ein Potential von 25% hatte, die Wähler sich aber mehr oder minder einzig und allein auf Innsbruck konzentrierten. In den Dörfern war der Wähleranteil der Christlichsozialen teilweise bei 100%. Durch die kleinbäuerliche Struktur, die sich während der Monarchie in Tirol gebildet hatte, der Landverteilung und dem Fehlen nennenswerter Industrie besaßen die Dörfer rund um Innsbruck mehr politisches Gewicht. Die kommunistische Revolution in Russland mit dem darauffolgenden blutigen Bürgerkrieg war das Schreckgespenst, das auch in Tirol umging. Jede Klientel bewegte sich im eigenen Mikrokosmos was Umfeld, Meinungsbildung und Medien anbelangte. Lebensreformer wie Josef Prachensky (108), Liberale und Sozialisten vertraten eine städtische Gegenbewegung zum konservativ christlich geprägten Großteil der Bevölkerung. Sitten, Moral, Ernährung, Freizeitgestaltung, Erziehung, Glaube, Rechtsverständnis – kurzum jeder Lebensbereich war betroffen. Dazu kam die wirtschaftliche Not, die ein Großteil der Bevölkerung zu erleiden hatte. Trotz der Bemühungen um 1900 modernen Wohnraum zu schaffen, hausten noch immer viele Innsbrucker in Bruchbuden. Badezimmer oder ein Schlafraum pro Person war die Ausnahme. Die Stadt selbst war ein größeres Dorf. In Innsbruck zeugen unterschiedlichste Projekte der Zeit wie der Pembaurblock (58), das Städtische Hallenbad (61) oder das Weyrerareal (47) die Entwicklung der 1920er Jahre. Im Chaos der Nachkriegszeit hatten sich auf beiden Seiten nichtstaatliche Wehrverbände gebildet, um die öffentliche Ordnung aufrecht zu erhalten, war die reguläre Exekutive doch heillos mit der Situation überfordert. Aus diesen Wehrverbänden bildeten sich bewaffnete Arme der einzelnen politischen Parteien. Der Republikanische Schutzbund auf Seiten der Sozialdemokraten und die christlich-sozial orientierten Heimwehren, der Einfachheit halber sollen die unterschiedlichen Gruppen unter diesem Sammelbegriff zusammengefasst werden, feindselig gegenüber. Die Heimwehren wurden von den rechtsgerichteten Regimen Italiens und Ungarns mit Waffenlieferungen und Geld unterstützt. Das rote Wien war wie die Industriezentren Österreichs sozialdemokratisch geprägt, ländliche Gegenden wie Tirol zu großen Teilen christlich-sozial. Viele Politiker, darunter sowohl Sozialdemokraten wie Otto Bauer, Theodor Körner und Julius Deutsch aber auch Christlichsoziale wie Engelbert Dollfuß, Kurt Schuschnigg oder Julius Raab hatten im Krieg an der Front gekämpft und waren dementsprechend militarisiert. Ein großer Teil der Bevölkerung war es ebenfalls. Auch die schlechte wirtschaftliche Lage trug in der Zwischenkriegszeit zur Radikalisierung bei. Der größte Gewaltausbruch im heutigen Innsbrucker Stadtgebiet war die Höttinger Saalschlacht von 1932 gewesen, in deren Folge der Führer der Tiroler Heimwehr und auch auf Bundesebene bedeutende Politiker Richard Steidle (1881 – 1940) verletzt wurde.

Die Heimwehren hatten sich 1930 mit dem Korneuburger Eid mehr oder minder offiziell einem diktatorischen und autoritären Kurs abseits der Demokratie zugewandt. Mit dem Heimatblock hatten sie auch eine politische Partei im Parlament. Federführend an dieser Radikalisierung der vereinten Heimwehren war Richard Steidle, der als Bundesführer des Dachverbandes des Österreichischen Heimatschutzes auftrat. Nachdem es 1933 zu einer Parlamentskrise gekommen war, hatte der christlich-soziale Bundeskanzler Engelbert Dollfuß (1892 – 1934) unter Berufung auf das Kriegswirtschaftliche Ermächtigungsgesetz aus dem Jahr 1917 die Demokratie nach und nach ausgehebelt. Auch die freie Presse fiel den Maßnahmen zur Machtübernahme zum Opfer. In Tirol wurde 1933 zum Beispiel die Tiroler Wochenzeitung neu gegründet um als Parteiorgan zu fungieren. Das Ziel Dollfuß´ war die Errichtung des sogenannten österreichischen Ständestaats, einem Einparteienstaat ohne Opposition unter Beschneidung elementarer Rechte wie Presse- oder Versammlungsfreiheit. Dollfuß stammte aus der kleinen ländlichen Gemeinde Texingtal in der niederösterreichischen Provinz. Er hatte im Ersten Weltkrieg (107) an der Front in Südtirol gedient und anschließend über den Cartellverband der katholischen Studentenverbindungen politische Karriere in der Christdemokratischen Partei gemacht. Er war Agrarexperte und ein mitreißender, charismatischer Redner. Von Konkurrenten wurde er ob seiner Größe als Mini-Metternich verspottet. 1932 war er zum Kanzler gewählt worden. Der Ständestaat stützte sich auf die katholische Kirche und ein schwer zu durchschauendes und vages System von berufsständischen Vereinigungen, die den Kanzler in politischen, wirtschaftlichen und sozialen Fragen beraten sollten. Das Endziel war ein autoritäres, katholisches Staatsgebilde ähnlich dem monarchischen Feudalstaat. Der gesamte Staatsapparat und die Staatsbürger sollten analog zum Faschismus Mussolinis in Italien unter der Vaterländischen Front geeint werden. Antisozialistisch, autoritär, konservativ im Gesellschaftsbild, antidemokratisch, antisemitisch, militärisch. Diese Grundpfeiler hätten im totalitären Ständestaat unter christlich-sozialer Führung Bürger bereits vom Jugendalter über die Mitgliedschaft in verschiedensten Vereinigungen gleichschalten sollen. Die Umsetzung der Pläne konnte aber wegen der notorischen Geld- und Mittelknappheit der Regierung nach der Wirtschaftskrise nur bedingt stattfinden. Diese Mittelknappheit verhinderte auch in Innsbruck den Umbau der Stadtregierung und das Durchregieren von oben nach unten. Bürgermeister Innsbrucks blieb Franz Fischer, der als zweiter Landesführerstellvertreter der Tiroler Heimatwehr einen ähnlichen politischen Hintergrund hatte wie Richard Steidle. Sozialdemokratie und NSDAP wurden gleichermaßen verboten, wenn auch gegen die Sozialdemokraten und den Republikanischen Schutzbund wesentlich härter vorgegangen wurde als gegen die Nationalsozialisten, mit denen man immer wieder eine Verständigung suchte. Trotzdem, oder vielleicht gerade deswegen, wuchs die Anzahl der illegalen Nationalsozialisten weiter an. Einer dieser „Illegalen“ war der spätere Gauleiter Hofer (111), der wie viele seiner Kameraden über die Grenze nach Deutschland flüchtete. In Innsbruck kam es immer wieder zu kleineren Zusammenstößen zwischen den verfeindeten Gruppen der Sozialdemokraten, Nationalsozialisten und der Heimwehren. Schlimmer war es allerdings im Osten Österreichs. Immer wieder erschütterten nationalsozialistischer Terror und Bombenanschläge die Republik. 1934 entluden sich die Spannungen zwischen Vaterländischer Front, Exekutive, Militär und dem Republikanischen Schutzbund in einem kurzen Bürgerkrieg. Im Februar 1934 kam es in vielen Städten, vor allem in den Industriezentren wie Linz und Steyr und den Arbeitervierteln in Wien zu einem kurzen Bürgerkrieg, der mit der endgültigen Zerschlagung der Sozialdemokratie endete. Innsbruck blieb von diesen Vorgängen mehr oder minder unberührt, die konservativen Kräfte und die Heimwehr hatten hier zum größten Teil eine erdrückende Mehrheit. Dollfuß war in Tirol überaus populär, wie Aufnahmen des vollen Platzes vor der Hofburg während einer seiner Ansprachen aus dem Jahr 1933 zeigen. Er traf mit seinem konservativen Weltbild den Geschmack der Zeit. 1931 hatten sich einige Tiroler Bürgermeister zusammengeschlossen, um das Einreiseverbot für die Habsburger (107) aufheben zu lassen. Das unausgesprochene Fernziel war die Wiedereinsetzung der Monarchie. Dollfuß´ katholisch motivierte Politik war das, was der Habsburgermonarchie am nächsten kam und auch von der Kirche unterstützt wurde. So war zum Beispiel die Geschlechtertrennung an Schulen und die Umgestaltung der Lehrpläne für Mädchen bei gleichzeitiger vormilitärischer Ertüchtigung der Buben im Sinn vieler Menschen, vor allem in den konservativen Dörfern Tirols.

Am 25. Juli 1934 kam es in Wien zu einem Putschversuch der verbotenen Nationalsozialisten, bei dem Dollfuß ums Leben kam. Der Juliputsch kostete insgesamt 105 Menschen das Leben. In Innsbruck wurde daraufhin auf „Verfügung des Regierungskommissärs der Landeshauptstadt Tirols“ der Platz vor dem Tiroler Landestheater als Dollfußplatz geführt. Hier hatte sich Dollfuß bei einer Kundgebung zwei Wochen vor seinem Tod noch mit dem Heimwehrführer Richard Steidle getroffen. Bis nach Tirol waren Wellen nach diesem politischen Beben zu spüren, wenn auch, dank mangelhafter Organisation, nur schwach und ohne nennenswertes Resultat und offiziell nur einem Opfer. Der SS-Mann Fritz Wurnig erschoss den Leiter der städtischen Sicherheit Franz Hickl. Wurnig wurde standrechtlich zum Tode verurteilt und starb am Galgen. Dollfuß´ Nachfolger Kurt Schuschnigg (1897 – 1977) war gebürtiger Tiroler und Mitglied der Innsbrucker Studentenverbindung Austria. Er betrieb lange Zeit eine Rechtsanwaltskanzlei in Innsbruck. 1930 gründete er eine paramilitärische Einheit mit namens Ostmärkische Sturmscharen, die das Gegengewicht der Christlich-Sozialen zu den radikalen Heimwehrgruppen bildeten. Nach dem Februaraufstand 1934 war er als Justizminister im Kabinett Dollfuß mitverantwortlich für die Hinrichtung mehrerer gefangener Sozialdemokraten. Sein politisches Ziel als Kanzler war es, Österreich als besseren, katholischen deutschen Staat zu platzieren. Mit den Nationalsozialisten teilte er zwar den Antisemitismus, ansonsten stand er, wie schon Dollfuß, Hitler ablehnend gegenüber. Die Kulturnation Österreich war dem barbarischen Regime der Nationalsozialisten, die die katholische Kirche ablehnten, in seinen Augen weit überlegen. Auch er regierte autoritär und stützte sich auf die katholische Kirche. Schuschniggs Problem war die weiterhin schlechte Wirtschaftslage. Die Einschränkung der sozialen Fürsorge, die zu Beginn der Ersten Republik eingeführt worden war, sorgte für Ernüchterung. Langzeitarbeitslose, die Arbeitslosenquote lag 1933 bei 25%, wurden vom Bezug von Sozialleistungen als „Ausgesteuerte“ ausgeschlossen. Auch für die chronisch überschuldeten Kleinbauern wurde es immer härter den Alltag zu bewältigen. In Innsbruck entstanden zu dieser Zeit die Baracken der Bocksiedlung, in denen sich die Abgehängten abseits der Gesellschaft sammelten. Während die Regierungen Dollfuß und Schuschnigg an der Verbesserung des Alltags der Menschen scheiterten, erstarkte die eigentlich illegale NSDAP mit Unterstützung aus Deutschland. Zwischen 1936 wurde der politische Druck sowohl aus dem Inland wie auch aus Deutschland immer größer. Schuschnigg leitete im März 1938 die Verhandlungen mit Hitler zum Anschluss Österreichs. Seinen Lebensabend verbrachte er nach Aufenthalten während der Nazizeit in diversen Konzentrationslagern in Mutters.

Eine Aufarbeitung dessen, was von vielen Historikern als Austrofaschismus bezeichnet wird, ist in Österreich bisher kaum passiert. So sind zum Beispiel in der Kirche St. Jakob im Defereggen in Osttirol oder in der Pfarrkirche Fritzens noch Bilder mit Dollfuß als Beschützer der katholischen Kirche mehr oder minder unkommentiert zu sehen. Auch die Beteiligung der Tiroler Schützen an den Heimwehren und in weiterer Folge am Nationalsozialismus ist noch nicht adäquat aufgearbeitet. In vielen Belangen reicht das Erbe der gespaltenen Situation der Zwischenkriegszeit in die Gegenwart. Bis heute gibt es rote und schwarze Autofahrerclubs, Sportverbände, Rettungsgesellschaften und Alpinverbände, deren Wurzeln in diese Zeit zurückreichen. In Innsbruck ist bis heute die Franz-Fischer-Straße nach dem damaligen Bürgermeister benannt.

Der Erste Weltkrieg und die Zeit danach

Auch in Innsbruck war die Begeisterung für den Krieg 1914 groß gewesen. Vom Nationalismus der Zeit angetrieben, begrüßten Bauernsöhne und Studenten den Krieg zum allergrößten Teil einhellig. Klerus und Presse stimmten in den allgemeinen Jubel mit ein und heizten die Sache weiter an. Besonders „verdient“ machten sich dabei auch Theologen wie Joseph Seeber (1856 – 1919) und Anton Müllner alias Bruder Willram (1870 – 1919) die mit ihren konservativen und xenophoben Predigten und Schriften den Krieg zu einem Kreuzzug erhoben. Die Lektüre des Gedichtbandes „Das blutige Jahr“ Müllners macht es unverständlich, warum in Innsbruck immer noch eine Straße nach ihm benannt ist. Der Krieg wurde am 28. Juli in allen Sprachen des Vielvölkerreichs Österreich-Ungarns auch in Innsbruck proklamiert. Viele Innsbrucker meldeten sich freiwillig für den Feldzug gegen Serbien, von dem man dachte, er wäre eine Angelegenheit weniger Wochen oder Monate. Von außerhalb der Stadt kam eine so große Anzahl an Freiwilligen zu den Stellungskommissionen, dass Innsbruck beinahe aus allen Nähten platzte. Wie anders es kommen sollte, konnte keiner ahnen. Schon nach den ersten Schlachten im fernen Galizien war klar, dass es keine Sache von Monaten werden würde. Auch der Glanz des Heldenhaften am Schlachtfeld blätterte schnell ab. Mit dem Eintritt Italiens in den Ersten Weltkrieg 1915 ging die Front quer durch das damalige Tirol. Vom Ortler im Westen über den nördlichen Gardasee bis zu den Sextener Dolomiten fanden die Gefechte des sogenannten Gebirgskriegs statt. Die Kriegsführung hatte wenig mit soldatischer Ehre und den Vorstellungen, die man bei Kriegseintritt hatte, zu tun. Die Überreste der Befestigungen entlang der Frontlinie, die sich vom Isonzo quer über den Alpenbogen spannte, geben schauerlichen Einblick in den Kriegsalltag. Neben dem Artilleriefeuer waren es Kälte, Krankheit, Hunger und Lawinen, die viele Todesopfer forderten. Innsbruck war direkt nicht von den Kampfhandlungen betroffen. Zumindest hören konnte man das Kriegsgeschehen aber bis in die Landeshauptstadt, wie in der Zeitung vom 7. Juli 1915 zu lesen war:

„Bald nach Beginn der Feindseligkeiten der Italiener konnte man in der Gegend der Serlesspitze deutlich Kanonendonner wahrnehmen, der von einem der Kampfplätze im Süden Tirols kam, wahrscheinlich von der Vielgereuter Hochebene. In den letzten Tagen ist nun in Innsbruck selbst und im Nordosten der Stadt unzweifelhaft der Schall von Geschützdonner festgestellt worden, einzelne starke Schläge, die dumpf, nicht rollend und tönend über den Brenner herüberklangen. Eine Täuschung ist ausgeschlossen. In Innsbruck selbst ist der Donner der Kanonen schwerer festzustellen, weil hier der Lärm zu groß ist, es wurde aber doch einmal abends ungefähr um 9 Uhr, als einigermaßen Ruhe herrschte, dieser unzweifelhafte von unseren Mörsern herrührender Donner gehört.“

Bis zur Verlegung regulärer Truppen von der Ostfront hing die Landesverteidigung an den Standschützen, einer Truppe, die aus Männern unter 21, über 42 oder mit Untauglichkeit für den regulären Militärdienst bestand. Täglich trafen wenig erbauliche Neuigkeiten der Front, Särge und Kriegsgefangene ein. Verwundetentransporte luden Menschenmaterial für die Lazarette im Hinterland ab. Die Männer waren teilweise fürchterlich entstellt, wie man auf Fotos aus den Lazaretten sehen kann. Um der Gefallenen Herr zu werden, wurde der Militärfriedhof Pradl angelegt. Die Bevölkerung litt unter dem Mangel, vor allem im letzten Winter, der als Hungerwinter in die Geschichte Europas einging. Die Versorgung erfolgte in den letzten Kriegsjahren über Bezugsscheine. 500 g Fleisch, 60 g Butter und 2 kg Kartoffel waren die Basiskost pro Person – pro Woche, wohlgemerkt. Auf Archivbildern kann man die langen Schlangen verzweifelter und hungriger Menschen vor den Lebensmittelläden sehen. Im Oktober 1918 kam es zu Fliegeralarm, Schaden entstand keiner. Zu dieser Zeit war den meisten Menschen schon klar, dass der Krieg verloren war, und welches Schicksal Tirol erwarten würde, wie dieser Artikel vom 6. Oktober 1918 zeigt:

 „Aeußere und innere Feinde würfeln heute um das Land Andreas Hofers. Der letzte Wurf ist noch grausamer; schändlicher ist noch nie ein freies Land geschachert worden. Das Blut unserer Väter, Söhne und Brüder ist umsonst geflossen, wenn dieser schändliche Plan Wirklichkeit werden soll. Der letzte Wurf ist noch nicht getan. Darum auf Tiroler, zum Tiroler Volkstag in Brixen am 13. Oktober 1918 (nächsten Sonntag). Deutscher Boden muß deutsch bleiben, Tiroler Boden muß tirolisch bleiben. Tiroler entscheidet selbst über Eure Zukunft!

Am 4. November vereinbarten Österreich-Ungarn und das Königreich Italien schließlich einen Waffenstillstand. Damit verbunden war das Recht der Alliierten Gebiete der Monarchie zu besetzen. Bereits am nächsten Tag rückten bayerische Truppen in Innsbruck ein. Der österreichische Verbündete Deutschland befand sich noch im Krieg mit Italien und hatte Angst, die Front könnte nach Nordtirol näher an das Deutsche Reich verlegt werden. Zum großen Glück für Innsbruck und die Umgebung kapitulierte aber auch Deutschland eine Woche später am 11. November. So blieben die großen Kampfhandlungen zwischen regulären Armeen außen vor. Trotzdem war Innsbruck in Gefahr. Die aufgelösten Truppen der K.u.K. Armee begaben sich ungeordnet auf den Rückzug von der Italienfront. Hunderttausende Soldaten strömten von Italien unkontrolliert nach Norden auf dem Weg nach Hause. Um die öffentliche Ordnung aufrecht zu erhalten, bildeten sich nicht staatliche Wehrgruppen aus Schülern, Studenten, Arbeitern und Bürgern. Die Stadt musste nicht nur die eigenen Bürger in Zaum halten, die Verpflegung garantieren, sondern sich auch vor Plünderungen schützen. Gewaltige Kolonnen an militärischen Kraftfahrzeugen, Züge voller Soldaten und tausende ausgezehrte Soldaten, die sich zu Fuß auf den Heimweg von der Front machten, passierten Innsbruck. Die spanische Grippe breitete sich aus und forderte viele Todesopfer. Am 23. November besetzten italienische Truppen die Stadt und das Umland. Der beschwichtigende Aufruf an die Innsbrucker Bürger von Bürgermeister Greil (105), die Stadt ohne Aufruhr an die Italiener zu übergeben, hatte Erfolg. Es kam kaum zu Ausschreitungen. Der Militärfriedhof in Amras imit den Herrschaftssymbolen der Savoyer, des italienischen Königshauses, ist ein Herrschaftszeichen, das an die italienische Besetzung der ersten Nachkriegszeit erinnert.

Die Republik Deutschösterreich war zwar ausgerufen, wie es mit Tirol weitergehen sollte, war niemandem klar. Die Monarchie, die über Jahrhunderte den Alltag der Menschen begleitete, gab es nicht mehr. Sogar die ältesten waren unter der Regierung Kaiser Franz Josefs mit dem Vielvölkerreich der Donaumonarchie aufgewachsen. Die Sozialdemokraten setzten ein Monarchie- Adelsprädikatsverbot samt einem Gesetz, das Mitgliedern der Familie Habsburg den Aufenthalt in Österreich verbot, so sie sich nicht von ihren Titeln offiziell trennten, durch Das war für viele Zeitgenossen eine unfassbare Zäsur. Otto von Habsburg hatte noch lange Zeit eine beträchtliche Anhängerschaft innerhalb der Christlich-sozialen Partei, dem Vorgänger der heutigen ÖVP. Der Demokratie räumte man kaum ein eine geeignete Regierungsform zu sein, vor allem nicht in den Landgemeinden, die streng katholisch orientiert waren.  Als Österreicher fühlte man sich kaum, zumal der kleinen Restrepublik des alten Kaiserreichs nicht besonders hohe Erfolgschancen eingeräumt wurden. Nach den Friedensverhandlungen in Paris war es klar, dass Südtirol ein Teil Italiens sein würde. Tirol war zweigeteilt. Viele Menschen zu beiden Seiten des Brenners fühlten sich verraten. Man hatte den Krieg zwar bei Weitem nicht gewonnen, als Verlierer gegenüber Italien sah man sich aber auch nicht. Ein Heer an arbeits- und perspektivenlosen Kriegsheimkehrern schloss sich in den verschiedenen paramilitärischen Gruppen zusammen, zuerst um die öffentliche Ordnung aufrechtzuerhalten, später vor allem, um politisch anders Gepolte zu bekämpfen. Aus diesen Truppen sollten sich später die verschiedenen Spielarten der Heimwehren bilden, den paramilitärischen Truppen, die den Austrofaschismus Dollfuß´ (109) ermöglichten. Der Anschluss an Deutschland erhielt einen Zuspruch von 98% in Tirol, kam aber nie zustande. Auch eine eigene Republik mit Bayern stand im Raum. Die wirtschaftlichen Aussichten in Innsbruck waren miserabel. Demokratie war nach Jahrhunderten der Monarchie für viele keine wünschenswerte Herrschaftsform. Viele Menschen, besonders Beamten und Mitarbeiter im öffentlichen Dienst, hatten ihre Arbeit verloren. Der Fremdenverkehr war inexistent. Die südlich des Brenners gelegenen Teile des ehemaligen Kronlandes Tirols waren entgegen den Versprechungen des amerikanischen Präsidenten Wilson Italien zugeschlagen worden. Erst 1923, mit der Währungssanierung unter Kanzler Ignaz Seipel begann sich Österreich und damit Innsbruck langsam zu erholen, zumindest wirtschaftlich. Mitte der 1920er Jahre wurden in Innsbruck neue Wohnsiedlungen wie der Pembaurblock (58) Theodor Prachenskys (108) in Pradl und Infrastruktur wie die Sportanlagen am Tivoli und das Hallenbad Amraserstraße errichtet, die die neuen sozialen und politischen Gegebenheiten in Innsbruck als Teil der Republik Österreich widerspiegeln.