Pradlerstraße

Pradlerstraße

Nordkette Innsbruck

Bereits in der frühen Neuzeit führte eine Brücke über die Sill von der Kohlstatt, dem heutigen Stadtteil Dreiheiligen, bis zum Schloss Ambras. Diesen Weg benutzten wohl die Fürsten von Andechs bereits um von ihrer Burg bei Omeras, dem heutigen Schloss Ambras, in ihre Marktsiedlung nördlich des Inns zu gelangen. Der nördliche Teil dieses von Ferdinand II. befestigten Fürstenweges ist die heutige Pradlerstraße. Anhand dieses einstigen Hauptverkehrsweg lässt sich die Entwicklungsgeschichte Innsbrucks im 19. und 20. Jahrhundert gut erzählen. Die Bauernhäuser nahe der Sillbrücke, die seit Jahrhunderten Bestand haben, wurden im Rahmen der Stadterweiterung nach und nach von den modernen Wohnhäusern und Siedlungen umschlungen. Diese Mischung aus Tradition und Moderne kennzeichnet den nördlichen Teil des Straßenzugs bis heute. Der 1865 errichtete und 1913 um die barocke Statue des Heiligen Florian erweiterte Dorfbrunnen, der Florianibrunnen, schafft einen kleinen Platz inmitten dieses Symposions. Sehenswert sind die einzelnen Häuser mit ihren Fassaden. Das Haus der Pradlerstraße 9 an der Ecke zur Reichenauerstraße zeigt an der nördlichen Fassade die Mariahilf-Gnadenmutter. Hier war das Bild der in der örtlichen Bauernschaft hochverehrten Gnadenmutter bis 1674 stationiert, bevor es in eine kleine Kapelle etwas weiter südlich in der heutigen Pradlerstraße übersiedelte. Heute schmückt dieses Bild die 1908 erbaute Pfarrkirche Pradl. Dieses Haus war auch das Geburtshaus des Schriftstellers Rudolf Greinz (1866 – 1942), der sich mit Tiroler Heimatromanen so tief in die Herzen seiner Leser schrieb, dass man in Pradl noch zu Lebzeiten eine Straße nach ihm benannte. Das Gebäude der Hausnummer 13 ist ein barockes, zweistöckiges Bauernhaus mit typischer, religiöser bäuerlicher Malerei von Rafael Thaler (1870 – 1947). Gegenüber befindet sich ein Bauernhaus aus dem Jahr 1690 laut Giebelinschrift, es wurde allerdings im 18. Jahrhundert auf das heutige Aussehen umgebaut. Biegt man beim Florianibrunnen nach Osten in die Egerdachstraße ab, kommt man zu weiteren Bauernhäusern, die einst das alte Pradl bildeten. Der Stamserhof in Hausnummer 10 und der Lodronische Hof in Nummer 11 existieren seit dem 16. Jahrhundert. Im Lodronischen Hof hatte das Pradler Bauerntheater seinen Platz gehabt, das mit Stücken wie Der letzte Rottenburger oder die Tochter des Geächteten Innsbrucker oder Inszenierungen des Tiroler Freiheitskampfes von 1809 ins ländliche Pradl lockte. Das Tiroler Lebensmittelunternehmen Hörtnagl entstammt dem Hörtnaglhof, heute Hausnummer 20, der sich ebenfalls auf das 16. Jahrhundert zurückdatieren lässt.

Ein paar Schritte weiter Richtung Süden führt die Pradlerstraße zu den „Wahrzeichen“ der Pradler Erweiterung. Mit der steigenden Bevölkerung des sich entwickelnden Stadtteils ging der Bauboom der Infrastruktur einher. Die Leitgebschule wurde 1907 bis 1908 nach Plänen von Eduard Klingler und Arthur erbaut. Nach Bombentreffern im Zweiten Weltkrieg mussten die beiden Gebäude, ehemals eine Buben- und eine Mädchenschule, wieder aufgebaut werden. Während der bayerischen Besatzung wurde der Amraser Fürstenweg, so die frühere Bezeichnung der Pradlerstraße, mit Papeln zu beiden Seiten geschmückt. Diese Allee wurde vor allem in der Zwischenkriegszeit nur mangelhaft gepflegt und verfiel zusehends, wurde aber erst im Zuge der Straßenverbreiterung der 1960er Jahre endgültig dem Verkehr geopfert.

Eine kleine Kirche mit einer Kopie von Lukas Cranachs Maria-Hilf-Bildes befand sich am Platz der heutigen Turnhalle der Leitgebschule bereits ab dem späten 17. Jahrhundert. Gegenüber der Leitgebschule befindet sich die aktuelle Pfarrkirche Pradl. Sie wurde zwischen 1905 und 1908 im neoromanischen Stil errichtet. Wie wenig verbreitet Automobile in Innsbruck zu dieser Zeit waren, lässt sich erahnen, wenn man Bilder des Baus der Prader Kirche sieht: die schweren Kirchturmglocken wurden noch auf einem Pferdefuhrwerk geliefert. Eindrucksvoll ist das Löwenportal. Die runden Bögen, die das Gebäude charakterisieren, sind sehr ungewöhnlich, wurden Kirchen dieser Epoche doch meist in der Neogotik geplant. Am Platz vor der Kirche findet alljährlich am Samstag des ersten Adventwochenendes ein kleiner Weihnachtsmarkt statt.

Wegen ihrer Nähe zum Bahnhof wurde die Pradlerstraße Opfer des Luftkrieges (113). An vielen Gebäuden kann man Bronzeschilder mit der Aufschrift

Dieses Haus wurde in den Kriegsjahren 1939/45 zerstört und aus Fondsmitteln des Bundesministeriums f. Handel u. Wiederaufbau in den Jahren unter dem Bundeskanzler Ing. Julius Raab wiederhergestellt.“

In Pradl wurden die zerstörten oder beschädigten Gebäude rund um die Kirche wurden nach dem Zweiten Weltkrieg neu- bzw. wiederaufgebaut.

Geht man weiter Richtung Süden kommt man im Bereich zwischen den Kreuzungen Amthorstraße/Pradlerstraße und Gumppstraße/Pradlerstraße zu einigen bemerkenswerten Wohngebäuden. Haus Nummer 32 war Wohnhaus und Werkstätte Rafael Thalers, der als Restaurator und Künstler für viele Fassadenmalereien und Fresken im Heimatstil in und rund um Innsbruck verantwortlich war. Das Gebäude wird von seinen eigenen Werken geschmückt. Haus Nummer 36 wird von einer Darstellung des Weinhändlers Benedikt Fritz geziert. Hausnummer 38 ist ein wunderbares Beispiel für den Heimatstil, der zu dieser Zeit charakteristisch für Innsbrucks Architektur war. Die Wandmalerei dieses Eckhauses, ebenfalls von Rafael Thaler, zeigt zwei Frauenfiguren, die Handel und Gewerbe repräsentieren. Das darunter stehende Bonmot

Arbeit ist des Bürgers Zierde,

Segen ist der Mühe Preis,

ehrt den König seine Würde,

ehret uns der Hände Fleiß

war Ausdruck eines neuen bürgerlichen, jedoch noch immer konservativen, auf den Werten des Handwerks aufbauenden Selbstverständnisses der Anrainer. Heute ist die Pradlerstraße ein wenig geschäftiger Teil Innsbrucks. Geschäfte sperren häufig auf, um kurz darauf wieder zu schließen. Das einst lebendige Zentrum des alten Dorfes hat sich in den letzten Jahrzehnten in eine ruhige Wohngegend verwandelt.

Eduard Klingler: Der Baumeister der Erweiterung

Bezeichnet man Wilhelm Greil als Bürgermeister der Erweiterung, kann der gebürtige Wiener Eduard Klingler (1861 – 1916) wohl als der Architekt der Erweiterung Innsbrucks rund um die Jahrhundertwende bezeichnet werden. 1883 begann er für das Land Tirol zu arbeiten. 1889 trat er zum städtischen Bauamt über, dessen Leiter er unter Bürgermeister Wilhelm Greil (105) 1902 wurde. In dieser Zeit begann die Stadt in alle Richtungen zu wachsen. Nicht nur quantitativ, auch qualitativ musste Innsbruck sich unter den neuen politischen Vorzeichen verändern. Die ersten freien Wahlen des Reichsrates für alle männlichen Bürger im Jahr 1907 veränderten auch die sozialen Spielregeln. Arbeiter mit politischem Stimmrecht mussten anders gepflegt werden als Untertanen ohne dieses Recht. Johann von Sieberer ließ mit dem Waisenhaus und dem Altenheim zwei große Projekte im Saggen umsetzen. Umliegenden Dörfer wie Pradl und Wilten wurden eingemeindet. Klingler prägte das Stadtbild Innsbrucks wesentlich mit. Vor allem die jüngeren Stadtteile wie Wilten, Pradl und der Saggen entstanden unter seiner Obhut. Die bis dato eigenständigen Dörfer Wilten und Pradl, die 1904 eingemeindet und Teil der Stadt wurden, trugen zum Wachstum bei. Von 1880 bis 1900 wuchs Innsbrucks Bevölkerung „nur“ von 20.000 auf 26.000 Einwohner an, Wilten verdreifachte sich von 4000 auf 12.000. Neben dem quantitativen Wachstum durch die Stadterweiterung wuchs Innsbruck, auch qualitativ, was die Lebensqualität der Menschen anbelangt. Die Stadt trieb die Bautätigkeit innerhalb der Stadtteile emsig voran. Die Anforderungen an die Infrastruktur stiegen. Gas, Wasser, Elektrizität begannen sich als Standard zu etablieren. Die Wohnhäuser, die in den Arbeitervierteln gebaut wurden, waren ein Spiegel einer neuen Gesellschaft. Anders als im ländlichen Bereich Tirols, wo Bauernfamilien samt den Bediensteten in Bauernhäusern im Verbund einer Sippschaft lebten, kam das Leben in der Stadt dem Familienleben, das wir heute kennen, nahe. Damit einher gingen neue individuelle Freiheiten und Zerstreuungsmöglichkeiten in der Freizeit. Schulen und Kindergärten mussten für die neuen Bewohner gebaut werden. Die Anforderungen an die Medizin und damit die Klinik wuchsen.

Ganz im Geist der Zeit plante Klingler in den Stilen des Historismus und des Klassizismus sowie des Heimatstils. In Innsbruck gehen unter anderem die Handelsakademie, der Friedhof Pradl, die Dermatologische Klinik im Klinikareal, der Städtische Kindergarten in der Michael-Gaismair-Straße, die Trainkaserne (heute ein Wohnhaus im Saggen) und das Tiroler Landeskonservatorium auf Klinglers Konto. Ein sehenswertes Gebäude im Heimatstil ist das Ulrichhaus am Berg Isel, das heute den Alt-Kaiserjäger-Club beheimatet. Als Leiter des Bauamts hatte er aber auf alle größeren Projekte dieser Zeit seinen Einfluss. Während die von Klingler direkt verantworteten Gebäude moderat und funktional sind, gestalteten sich die bürgerlichen Gebäude wie das Winklerhaus (70) oder die Villen im Saggen durchaus prunkvoll. Auch einige Miethäuser wurden im Stil des Klassizismus angelegt. Die Wiederbelebung der Antike stand in der Architektur hoch im Kurs. Vor allem bis 1900 waren klare Formen, Masken, Statuen und Säulen stilprägende Elemente bei der Anlage neuer Gebäude. Die Aufklärung, die sich an der Vernunft antiker Denker orientierte bekam auch in den Gesichtern der Städte ihren fixen Platz. In einem teils wilden Mix wurden die Vorstellungen, die Architekten vom klassischen Griechenland und dem alten Rom hatten, verwirklicht. Straßenzüge wie die Sonnenburgstraße, die Stafflerstraße, die Kaiser-Josef-Straße oder die Claudiastraße zeigen den Stil der Zeit. Die Änderungen der Nachkriegszeit hin zu einer zweckorientierten Architektur, zum Beispiel das Städtische Hallenbad oder den Pembaurblock erlebte Klingler nicht mehr

Wilhelm Greil: DER Bürgermeister Innsbrucks

Eine der wichtigsten Figuren der Stadtgeschichte war Wilhelm Greil (1850 – 1923). Von 1896 bis 1923 war er Innsbrucker Bürgermeister, nachdem er vorher bereits als Vizebürgermeister tätig war. Greil war selbst als Unternehmer tätig. Er gehörte der "Deutschen Volkspartei" an, die sich als nationale, großdeutsch orientierte Partei aus der liberalen Bewegung herausgeschält hatte. Was uns heute als Widerspruch erscheint, liberal und national, war im 19. Jahrhundert ein politisch übliches und gut funktionierendes Gedankenpaar. Der Pangermanismus war keine politische Besonderheit einer rechtsradikalen Minderheit, sondern eine Strömung der Mitte, die bis nach dem Zweiten Weltkrieg durch fast alle Parteien hindurch in unterschiedlicher Ausprägung Bedeutung hatte. Bedingt durch eine Wahlordnung, die auf das Stimmrecht über Vermögensklassen aufgebaut war, konnten sich große Massenparteien wie die Sozialdemokraten noch nicht durchsetzen. Die Konservativen hatten es, anders als im restlichen Tirol, schwer in Innsbruck, dessen Bevölkerung seit der Zeit Napoleons liberale Morgenluft geschnuppert hatte. Viel mehr waren es eben die von wohlhabenden Bürgern und Unternehmern unterstützten liberalnationalen Politiker, die den politischen Ton Innsbrucks dieser Zeit vorgaben. Politik, öffentliche Verwaltung, Bildung und das Militär sollten zentral, möglichst unter Ausschluss der landbesitzenden Kirche geregelt werden.

Die Amtszeit Greils war dreigeteilt. Sie fiel in die Epoche des Wirtschaftsaufschwungs nach dem Börsenkrach von 1873, den Ersten Weltkrieg und die karge Nachkriegszeit. Diese Epoche war für Innsbruck in vielerlei Hinsicht richtungsweisend. Unter ihm wurde von der Stadt ganz im Sinne des Kaufmanns vorausschauend Grund angekauft, um Projekte zu ermöglichen. Vieles das damals vorangetrieben wurden, gehören heute wie selbstverständlich zum täglichen Leben in Innsbruck, waren um die Jahrhundertwende aber eine echte Revolution. Bereits sein Vorgänger Bürgermeister Heinrich Falk (1840 – 1917) hatte erheblich zur Modernisierung der Stadt und zur Besiedelung des Saggen beigetragen. Wie viele andere europäische Städte erlebte Innsbruck zwischen 1890 und dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs einen großen Modernisierungsschub. Greil war ein geschickter Politiker, der sich innerhalb der vorgegebenen Machtstrukturen seiner Zeit bewegte. Er wusste sich um die traditionellen Kräfte, die Monarchie und den Klerus geschickt zu manövrieren und sich mit ihnen zu arrangieren. Unter Wilhelm Greil erweiterte sich Innsbruck beträchtlich. Der Politiker Greil konnte sich auf die Beamten und Stadtplaner Eduard Klingler, Jakob Albert und Theodor Prachensky stützen. Die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg war im Allgemeinen von einem nie dagewesenen Wirtschaftswachstum und einer rasenden Modernisierung gekennzeichnet. Die Wirtschaft der Stadt boomte. Betriebe in Pradl und Wilten gründeten sich und lockten Arbeitskräfte an. Auch der Tourismus brachte frisches Kapital in die Stadt. Greil konnte sich bei dieser Innsbrucker Renaissance auf der Stadt geneigte Mäzen aus dem Bürgertum stützen. Freiherr Johann von Sieberer (103) stiftete das Greisenasyl und das Waisenhaus im Saggen. Leonhard Lang stiftete das Gebäude, das vorher als Hotel genutzt wurde, in das das Rathaus von der Altstadt 1897 übersiedelte, gegen das Versprechen der Stadt ein Lehrlingsheim zu bauen. Neben den Villen im Saggen entstanden auch die Wohnhäuser im östlichen Teil des Stadtviertels. Infrastrukturprojekte wie das neue Rathaus in der Maria-Theresienstraße 1897, die Hungerburgbahn 1906 und die Karwendelbahn, die Innsbruck bis heute mit Seefeld verbindet, wurden umgesetzt. Andere Projekte waren die Erneuerung des Marktplatzes und der Bau der Markthalle. Wilhelm Greil veranlasste die Übernahme des Gaswerks in Pradl und des Elektrizitätswerks in Mühlau in städtischen Besitz. Unter ihm erfolgte die Umstellung der Straßenbeleuchtung auf elektrisches Licht. Seit 1859 war die Beleuchtung der Stadt mit Gasrohrleitungen stetig vorangeschritten. Nun war es an der Zeit, dass auch in Innsbruck Elektrizität Einkehr hielt. Die Berufsfeuerwehr Innsbruck entstand 1899. In seinen letzten Amtsjahren begleitete Greil Innsbruck am Übergang von der Habsburgermonarchie zur Republik durch Jahre, die vor allem durch Mittelknappheit geprägt waren. 1928 verstarb der verdiente Altbürgermeister als Ehrenbürger der Stadt Innsbruck im Alter von 78 Jahren. Die Wilhelm-Greil-Straße wurde noch zu seinen Lebzeiten nach ihm benannt.