Südtirolersiedlung Wilten West
Speckbacherstraße / Egger-Lienz-Straße
1939 errichtete der Bauträger Neue Heimat (Anm.: Heute Neue Heimat Tirol) in Wilten, Pradl, der Reichenau und dem Saggen mehrere Wohnblöcke, die bis heute als Südtirolersiedlungen bekannt sind. Das größte dieser Projekte entstand unter Leitung und Umsetzung Theodor Prachenskys und Jakob Alberts zwischen der Egger-Lienz-Straße und der Franz-Fischer-Straße. Die Architektur mag auf den ersten Blick eintönig und wenig spektakulär wirken, die Entstehungsgeschichte und die Symbolik der Gebäude sind dafür umso interessanter.
Nach dem Ersten Weltkrieg wurde das historische Land Tirol an der Brennergrenze geteilt. Die deutschsprachige Bevölkerung Südtirols erfuhr unter dem faschistischen Regime Mussolinis mehr und mehr Repressalien. Das führte zu Uneinigkeiten zwischen Benito Mussolini und Adolf Hitler. Mussolini wollte die deutschsprachigen Südtiroler italianisieren, Hitler hingegen hatte das Versprechen gegeben alle deutschsprachigen Volksgruppen zu vereinigen. 1939 kamen die beiden Diktatoren überein, der deutschsprachigen Bevölkerung Südtirols die Möglichkeit einer Umsiedlung von Italien ins Deutsche Reich zu geben. Die Propaganda, die für die Umsiedlung unter dem Motto „Heim ins Reich“ gemacht wurde, zeigte Wirkung. Ein Großteil der deutschsprachigen Südtiroler wählte die Auswanderung Richtung Norden.
„Südtiroler, bekennt euch! Eine schwere, aber stolze Stunde ruft euch auf zum Bekenntnis für Blut und Volk zur Entscheidung, ob ihr für euch und eure Nachkommen endgültig auf euer deutsches Volkstum verzichten oder ob ihr euch stolz und frei als Deutsche bekennen wollt. Ihr wählt nicht zwischen Heimat und Galizien sondern ihr wählt zwischen einem uns fremd gewordenen Südtirol und zwischen dem Lande, das uns der Führer im deutschen Reichskörper zuweisen wird. Schwer ist die Entscheidung, doch keinen Augenblick zweifelhaft, denn wir wissen, was wir dem Rufe unseres deutschen Blutes des deutschen Volkes und unseres Führers schulden. Die Scholle opfern wir dem großen Ziele, dem großen, heiligen deutschen Reich.“
Innsbruck sollte als Hauptstadt des Reichsgaus viele der sogenannten Optanten aufnehmen. Es wurde mit bis zu 50.000 neuen Bürgern gerechnet. In vielen Randgebieten des damaligen Stadtgebietes wurde in vorauseilendem Gehorsam bereits im August 1939 mit dem Bau der Siedlungen begonnen. Um die Rücksiedler möglichst schnell „nach Hause“ holen zu können, wurden trotz des Krieges alle Hebel innerhalb des immense Mittel freigemacht. In einer ersten Bauphase der Sondermaßnahme Südtirol projektierte die Stadt Innsbruck 1000 Wohnungen, knapp 2000 weitere sollten bis 1944 errichtet werden. Neben Wohnungen sollten Geschäfte, Gaststätten, Schulen, Kindergärten und Amtsräumlichkeiten entstehen. Mit Fortdauer des Krieges wurden Geld, Baumaterial und Arbeitskraft rar, trotzdem konnten über die Stadt verteilt etwas mehr als 2000 Wohnungen fertiggestellt werden. Als die Blöcke zwischen Egger-Lienz-Straße und Franz-Fischer-Straße 1942 bezugsbereit waren, stellte sich die Situation vollkommen anders dar als zum Zeitpunkt der Befragung der Südtiroler Bevölkerung wenige Jahre zuvor. Das Kriegsglück hatte sich gewandt und damit auch die Begeisterung für die Heim-ins-Reich-Bewegung. Nun hatte man zu viele Wohnungen für zu wenige „Heimkehrer“, die den Schritt von der italienischen Heimat nach Norden wagten. Viele der Wohnungen wurden deshalb nicht an Südtiroler, sondern an „verdiente“ Untertanen des NS-Systems vergeben.
Während alliierter Luftangriffe zwischen Dezember 1943 und Dezember 1944 wurden einige der Häuser in der Speckbacherstraße getroffen. Abgerissen musste keines davon werden, die Bausubstanz blieb im Grunde erhalten. In den 1960er Jahren wurden die Häuser um 2 Stockwerke erhöht, später folgten Renovierungen und eine Umfärbung von tristem Grau in unterschiedliche lebendigere Farben. Zwischen den Blöcken liegt der Verkehrspark, wo Innsbrucker Kinder unter dem wachsamen Auge der Polizei den Fahrradführerschein machen.
Die zwei- bis dreistöckigen Gebäude gruppierten sich um großzügige, untereinder verbundene Innenhöfe. Die einzelnen Innenhöfe werden von niedrigen, steinernen Mauern begrenzt, die dem gesamten Ensemble den Charakter einer innerstädtischen Festung verleihen. Der Eingang in die Siedlung von der Stafflerstraße zur Speckbacherstraße stellt mit den neoromanischen Säulen ein kleines Stadttor dar, durch das man die Siedlung betritt. Wie beim Pembaurblock wollte Prachensky wohl auch mit diesem Erker eine Verbindung zur Innsbrucker Geschichte darstellen, erinnert die Komposition doch sehr an das Goldene Dachl in der Altstadt. Als Baumaterial für den Durchgang wurde mit der Höttinger Breccie ebenfalls eine Innsbrucker Besonderheit verwendet.
An der Ecke Speckbacherstraße zur Franz-Fischer-Straße kann man ein stummes Zeugnis des Baus der Südtirolersiedlung bewundern. Auf der Höhe des ersten Stockwerkes befindet sich eine Steinfigur. Sie stammt vom Südtiroler Bildhauer Alexander Lanner, der in Innsbruck auch die Führerbüste im Trausaal im Goldenen Dachl und die Prinzessin mit Froschkönig im Brunnen im Hofgarten anfertigte. Der stramm und entschlossen Richtung Norden ins Altreich blickende Mann soll einen typischen Südtiroler in Meraner Tracht darstellen, ein Symbol für die Optanten, die sich zur Blut- und Bodenideologie des deutschen Volkes bekannten und dafür ihre Heimat verließen.
Theodor Prachensky: Beamter zwischen Kaiser und Republik
In den späten 1920er Jahren entstanden in Innsbruck wegweisende Bauprojekte. Franz Baumann entwarf, angelehnt an die international verbreitete Weiße Moderne, die Stationen der Nordkettenbahn im Stil der Tiroler Moderne. Fritz Konzerts Städtisches Hallenbad sollte die Ideale der Lebensreformbewegung architektonisch manifestieren. Beiden Architekten wurde in Innsbruck eine Straße gewidmet. Keiner der beiden aber sollte Innsbruck so nachhaltig verändern wie Theodor Prachensky (1888 – 1970).
Er war als Mitarbeiter des Bauamtes Innsbruck zwischen 1913 und 1953 vor allem für Wohnbau- und Infrastrukturprojekte der Zwischenkriegszeit verantwortlich. Die von ihm umgesetzten Projekte sind nicht so spektakulär wie die Bergstationen seines Schwagers Baumann. Prachenskys Bauten, die die Zeit überdauerten, wirken vielfach nüchtern und rein funktionell. Innsbruck beherbergt mit den großen Wohnanlagen der 1920er und 30er Jahre, der Krieger-Gedächtniskapelle am Pradler Friedhof und dem alten Arbeitsamt (heute Außenstelle Universität Innsbruck hinter dem aktuellen AMS-Gebäude) viele Gebäude Prachenskys, die die Zeitgeschichte der Zwischenkriegszeit und die wechselhaften politischen und staatlichen Einflüsse, unter denen er selbst als Person stand, dokumentieren. Sieht man sich aber seine Zeichnungen im Archiv für Baukunst der Universität Innsbruck an, erkennt man, dass auch Prachensky mehr Künstler als Techniker war, wie auch seine Malereien beweisen. Viele seiner spektakulären Entwürfe wie das Sozialdemokratische Volkshaus in der Salurnerstraße, sein Kaiserschützendenkmal oder die Friedens- und Heldenkirche wurden nicht umgesetzt.
Seine Biografie liest sich wie ein Abriss der österreichischen Geschichte des 20. Jahrhunderts. Prachensky war als Architekt und Beamter unter fünf unterschiedlichen Staatsmodellen tätig. Der K.u.K. Monarchie folgte die Erste Republik, die vom autoritären Ständestaat abgelöst wurde. 1938 kam es zum Anschluss an Nazideutschland. 1945 wurde mit Kriegsende die Zweite Republik ausgerufen.
1908 hatte Prachensky die baugewerbliche Abteilung der Gewerbeschule Innsbruck abgeschlossen. Von 1909 arbeitete er teilweise gemeinsam mit Franz Baumann, dessen Schwester Maria er 1913 heiraten sollte, beim renommierten Architekturbüro Musch & Lun in Meran, damals ebenfalls noch Teil der K.u.K. Monarchie. Privat war 1913 für ihn wegweisend: Theodor und Maria heirateten, starteten das private Bauprojekt des Eigenheims Haus Prachensky am Berg Isel Weg 20 und Theodor trat seinen Dienst beim Stadtmagistrat Innsbruck unter Oberbaurat Jakob Albert an.
Anstatt sich nach dem Krieg in der schwierigen wirtschaftlichen Lage in der Privatwirtschaft durchschlagen zu müssen, stand Prachensky im öffentlichen Dienst. Die wichtigen, vom sozialdemokratischen Gedanken beeinflussten Projekte konnten erst nach den ersten und schwierigsten, von der Inflation und der Versorgungsknappheit charakterisierten Nachkriegsjahren begonnen werden. Den Anfang machte der Schlachthausblock im Saggen zwischen 1922 und 1925. Es folgten mehrere Infrastrukturprojekte wie der Mandelsbergerblock, der Pembaurblock und der Kindergarten und die Hauptschule in der Pembaurstraße, die vor allem für die sozial Schwächeren und die vom Krieg und der Nachkriegszeit betroffenen Arbeiterschicht gedacht waren. Auch das 1931 entworfene Arbeitsamt hinter dem aktuellen AMS-Gebäude in Wilten war eine wichtige Neuerung im Sozialwesen. Seit der Republikgründung 1918 half das Arbeitsamt bei der Vermittlung von Arbeitssuchenden und Arbeitgebern und der Eindämmung der Arbeitslosigkeit.
In den Jahren der erneuten Wirtschaftskrise in den 1930ern nahm seine Bedeutung nochmal zu. Eine weitere Zäsur in Prachenskys Werdegang stellten die nächsten Wechsel der Regierungsform Österreichs dar. Trotz dem Rechtsruck unter Dollfuß samt Verbot der Sozialdemokratischen Partei 1933 und dem Anschluss von 1938 konnte er als leitender Beamter im öffentlichen Dienst bleiben. Sein Schwager Franz Baumann mit dem er mehrere Bauprojekte umsetzte, war politisch der Rechten nahe, wie sein Beitritt zur NSDAP bereits im Mai 1938 zeigt. Prachensky setzte gemeinsam mit Jakob Albert ab 1939 Südtiroler Siedlungen unter den Nationalsozialisten um. Er selbst war, anders als mehrere Mitglieder seiner Familie niemals Mitglied oder Unterstützer der NSDAP.
Nach dem Zweiten Weltkrieg blieb er acht weitere Jahre als Oberbaurat der Stadt Innsbruck tätig. Neben seiner Tätigkeit als Bauplaner und Architekt war Prachensky begeisterter Maler.
Großen Einfluss auf sein Wirken als Architekt und Stadtplaner gemäß der internationalen sozialdemokratisch orientierten Architektur hatte wohl sein Vater Josef Prachensky, der als einer der Gründer der Sozialdemokratie in Tirol in die Landesgeschichte einging.
Neben der politischen Gesinnung des Vaters hatten auch die verschwundene Habsburgermonarchie und die Eindrücke des Militärdienstes im Ersten Weltkrieg Einfluss auf Prachensky. Obwohl er laut Eigenaussage Kriegsgegner war, meldete er sich 1915 als Einjährig-Freiwilliger bei den Tiroler Kaiserjägern zum Kriegsdienst. Vielleicht waren es die Erwartungen, die während des Krieges an ihn als Beamten herangetragen wurden, vielleicht die allgemeine Begeisterung, die ihn zu diesem Schritt bewogen, die Aussagen und die Tat sind widersprüchlich. Die Kriegergedächtnis-Kapelle am Pradler Friedhof und das gemeinsam mit Clemens Holzmeister entworfene Kaiserschützenkapelle am Tummelplatz sowie seine nicht umgesetzten Entwürfe für ein Kaiserjäger Denkmal und die Friedens- und Heldenkirche Innsbruck, sind wohl Produkte der Lebenserfahrung Prachenskys.
Er starb mit 82 Jahren in Innsbruck. Seine Söhne, Enkel und Urenkel führten sein kreatives Erbe als Architekten, Designer, Fotografen und Maler in verschiedenen Disziplinen fort. 2017 wurden Teile des generationenübergreifenden Werks der Künstlerfamilie Prachensky in der ehemaligen Bierbrauerei Adambräu mit einer Ausstellung gezeigt.
Innsbruck und der Nationalsozialismus
Im Klima der 1930er wuchs und gedieh die NSDAP auch in Tirol. Die erste Ortsgruppe der NSDAP in Innsbruck wurde bereits 1923 gegründet. Mit „Der Nationalsozialist – Kampfblatt für Tirol und Vorarlberg“ erschien ein eigenes Wochenblatt. Konnten die Nationalsozialisten bei ihrem ersten Antreten bei einer Gemeinderatswahl 1921 nur 2,8% der Stimmen erringen, waren es bei den Wahlen 1933 bereits 41%. Neun Mandatare, darunter der spätere Bürgermeister Egon Denz und der Gauleiter Tirols Franz Hofer, zogen in den Gemeinderat ein.
Nicht nur die Wahl Hitlers zum Reichskanzler in Deutschland, auch Kampagnen und Manifestationen in Innsbruck verhalfen der ab 1934 in Österreich verbotenen Partei zu diesem Ergebnis. Dass es bei diesen Manifestationen zu Gewaltausbrüchen kam, war für die Zwischenkriegszeit in Österreich nicht unüblich. Berüchtigt wurde die sogenannte Höttinger Saalschlacht vom 27. Mai 1932. Hötting war damals noch kein Teil Innsbrucks. In der Gemeinde lebten vor allem Arbeiter. In dieser roten Bastion Tirols planten Nationalsozialisten eine Kundgebung im Gasthof Goldener Bär, einem Treffpunkt der Sozialdemokraten. Diese Provokation endete in einem Kampf, der mit über 30 Verletzten und einem Todesopfer auf Seiten der Nationalsozialisten durch eine Stichwunde endete. Die Ausschreitungen breiteten sich auf die ganze Stadt aus, sogar in der Klinik gerieten die Verletzten noch aneinander. Nur unter Einsatz der Gendarmerie und des Heeres konnten die Kontrahenten voneinander getrennt werden.
Als der Anschluss Österreichs an Deutschland im März 1938 erfolgte, stimmte auch in Innsbruck eine Mehrheit von annähernd 99% mit JA ab. Noch bevor Bundeskanzler Schuschnigg seine letzte Rede an das Volk vor der Machtübergabe an die Nationalsozialisten mit den Worten „Gott schütze Österreich“ am 11. März 1938 geschlossen hatte, rotteten sich bereits die Nationalsozialisten in der Innenstadt zusammen um den Einmarsch der deutschen Truppen vorzufeiern. Am Tiroler Landhaus, damals noch in der Maria-Theresienstraße, wurde die Hakenkreuzfahne gehisst.
Am 12. März empfingen die Innsbrucker das deutsche Militär frenetisch. Wenig später besuchte Adolf Hitler persönlich Innsbruck, um sich von der Menge feiern zu lassen. Archivbilder zeigen eine euphorische Menschenmenge in Erwartung des Führers, des Heilsversprechers. Die Menschen waren nach der wirtschaftlichen Not der Zwischenkriegszeit, der Wirtschaftskrise und den Regierungen unter Dollfuß und Schuschnigg müde und wollten Veränderung. Welche Art von Veränderung, war im ersten Moment weniger wichtig als die Veränderung an und für sich. „Es denen da oben zu zeigen“, das war Hitlers Versprechen. Wehrmacht und Industrie boten jungen Menschen eine Perspektive, auch denen, die mit der Ideologie des Nationalsozialismus an und für sich wenig anfangen konnten. Anders als heute war Demokratie nichts, woran sich jemand in der kurzen, von politischen Extremen geprägten Zeit zwischen der Monarchie 1918 bis zur Ausschaltung des Parlaments unter Dollfuß 1933 hätte gewöhnen können. Was faktisch nicht in den Köpfen der Bevölkerung existiert, muss man nicht abschaffen.
Tirol und Vorarlberg wurden in einem Reichsgau zusammengefasst mit Innsbruck als Hauptstadt. Bewaffneter Widerstand war nicht vorhanden, dazu war die Linke in Tirol nicht stark genug. Unorganisiertes subversives Verhalten von der katholischen Bevölkerung, vor allem in einigen Landgemeinden rund um Innsbruck gab es vereinzelt, erst sehr spät konnte der organisierte Widerstand in Innsbruck Fuß fassen.
Das Regime unter Hofer und Gestapochef Werner Hilliges leistete aber ganze Arbeit bei der Unterdrückung. Während des Nationalsozialismus wurde die katholische Kirche systematisch bekämpft. Katholische Schulen wurden umfunktioniert, Jugendorganisationen verboten, Klöster geschlossen, besonders hartnäckige Pfarrer wie Otto Neururer verfolgt und in Konzentrationslager gebracht. Auch Lokalpolitiker wie die späteren Innsbrucker Bürgermeister Anton Melzer und Franz Greiter müssten flüchten oder worden verhaftet. Gewalt und die Verbrechen an der jüdischen Bevölkerung, dem Klerus, politisch Verdächtigen, Zivilpersonen und Kriegsgefangenen auch nur überblicksmäßig zusammenzufassen würde den Rahmen sprechen.
In der heutigen Landesbaudirektion in der Herrengasse 1 befand sich die Gestapo. Hier wurden Verdächtige schwer misshandelt und teils mit Fäusten zu Tode geprügelt. 1941 wurde in der Rossau in der Nähe des Bauhofs Innsbruck das Arbeitslager Reichenau errichtet. Verdächtige Personen aller Art wurden hier zu Zwangsarbeiten in schäbigen Baracken verwahrt. Über 130 Personen fanden in diesem Lager bestehend aus 20 Baracken den Tod durch Krankheit, die schlechten Bedingungen, Arbeitsunfälle oder Hinrichtungen.
Auch im Dorf Kematen, etwa 10 km von Innsbruck kamen im Messerschmitt Werk Gefangene zum Zwangseinsatz. Darunter waren politische Häftlinge, russische Kriegsgefangene und Juden. Zu den Zwangsarbeiten gehörten unter anderem die Errichtung der Südtiroler Siedlungen in der Endphase oder die Stollen zum Schutz vor den Luftangriffen im Süden Innsbrucks. In der Klinik Innsbruck wurden Behinderte und vom System als nicht genehm empfundene Menschen wie Homosexuelle zwangssterilisiert. Die psychiatrische Klinik in Hall war in NS-Verbrechen an behinderten Menschen beteiligt. Nach und nach erst werden diese Vorgänge aufgearbeitet.
Am 3. Mai 1945 erreichten US-Truppen Innsbruck. Zuvor war es im Außerfern und in Scharnitz an der Porta Claudia, die auf Claudia de Medicis Verteidigungsanlagen im Dreißigjährigen Krieg zurückgeht, zu einigen kleineren Gefechten zwischen der Wehrmacht und der Cactus-Division der US-Streitkräfte gekommen. Mit Hermann Göring in Kitzbühel und dem Raketenwissenschaftler Wernher von Braun in Reutte wurden zwei der prominentesten Nationalsozialisten in Tirol aufgegriffen. Innsbruck wurde zum großen Glück für die Stadt kampflos übergeben. Obwohl Adolf Hitler Tirol zum Teil der Alpenfestung, dem letzten Rückzugsort im Fall der Niederlage ernannt hatte, kehrte bei den Verantwortlichen vor Ort rund um Gauleiter Franz Hofer zumindest in den letzten Tagen ihrer Herrschaft noch Vernunft ein. Operation Greenup, eine Geheimoperation des CIA-Vorgängers OSS auf Tiroler Boden in den letzten Kriegsmonaten, die erheblichen Anteil am friedlichen Übergang hatte, ist eine packende Episode in der Stadtgeschichte, die vom Historiker Peter Pirker im Buch Codename Brooklyn spannend aufgearbeitet wurde.
Für zwei Monate sollten die US-Truppen nach Kriegsende die Stadt Innsbruck kontrollieren. Anschließend übernahmen die Franzosen die Verwaltung Tirols. Ein großer Teil der Tiroler Bevölkerung war nach den harten und leidvollen Kriegsjahren froh über das Ende der Naziherrschaft und des damit einhergehenden Terrors. Die Verantwortung dafür allerdings übernahm niemand, auch wenn vor allem zu Beginn die Begeisterung und Unterstützung für den Nationalsozialismus groß war. Scham über das, was seit 1938 und in den Jahren in der Politik Österreichs geschehen war mischte sich zur Angst davor, von den Besatzungsmächten USA, Großbritannien, Frankreich und die UDSSR als Kriegsschuldiger ähnlich wie 1918 behandelt zu werden.
Es entstand ein Klima, in dem niemand, weder die daran beteiligte noch die nachfolgende Generation über das Geschehene sprach. Trauma und Scham verhinderten lange die Aufarbeitung. Es gab viele Kontinuitäten, die mit Kriegsende nicht abbrachen. Polizisten, Lehrer, Richter – sie alle wurden auf der einen Seite trotz ihrer politischen Gesinnung gerne an ihrem Platz gelassen, auf der anderen Seite auch benötigt, um die Gesellschaft am Laufen zu halten.
Ein Beispiel dafür ist die Vita des Arztes Burghard Breitners (1884-1956. Er wuchs in Mattsee in einem wohlbetuchten bürgerlichen Haushalt auf. Die Villa Breitner war Sitz eines Museums, das den deutschnationalen Dichter Josef Viktor Scheffel zum Thema hatte, den sein Vater sehr verehrte. Nach dem Gymnasium entschied sich Breitner gegen eine Karriere in der Literatur und für ein Medizinstudium. Anschließend beschloss er seinen Militärdienst und begann seine Karriere als Arzt. 1912/13 diente er als Militärarzt im Balkankrieg. 1914 verschlug es ihn an die Ostfront, wo er in russische Kriegsgefangenschaft geriet. Erst 1920 sollte er als Held und „Engel von Sibirien“ aus dem Gefangenenlager wieder nach Österreich zurückkehren. 1932 begann seine Laufbahn an der Universität Innsbruck. 1938 stand Breitner vor dem Problem, dass er auf Grund des jüdischen Hintergrundes seiner Großmutter väterlicherseits den „Großen Ariernachweis“ nicht erbringen konnte. Auf Grund seines guten Verhältnisses zum Rektor der Uni Innsbruck und zu wichtigen Nationalsozialisten konnte er aber schlussendlich an der Universitätsklinik weiterarbeiten. Während des NS-Regimes war Breitner als Vorstand der Klinik Innsbruck für Zwangssterilisierungen und „freiwillige Entmannungen“ verantwortlich, auch wenn er wohl keine der Operationen persönlich durchführte. Nach dem Krieg schaffte er es mit einigen Mühen sich durch das Entnazifizierungsverfahren zu winden. 1951 wurde er als Kandidat des VDU, einem politischen Sammelbecken für ehemalige Nationalsozialisten, als Kandidat für die Bundespräsidentschaftswahl aufgestellt. 1952 wurde Breitner Rektor der Universität Innsbruck. Nach seinem Tod widmete ihm die Stadt Innsbruck ein Ehrengrab am Westfriedhof Innsbruck. In der Reichenau ist ihm in unmittelbarer Nähe des Standortes des ehemaligen Konzentrationslagers eine Straße gewidmet.
Der Mythos von Österreich als erstem Opfer des Nationalsozialismus, der erst mit der Affäre Waldheim langsam zu bröckeln begann, war geboren. Es gibt kaum eine Familie, die nicht mindestens ein Mitglied mit einer wenig rühmlichen Geschichte zwischen 1933 und 1945 hatte. Erinnerungsorte an die Jahre 1938 - 1945 im öffentlichen Raum sind kaum vorhanden. Eine 1972 enthüllte Bronzetafel am ehemaligen Hauptquartier der Gestapo in der Herrengasse und ein Denkmal in der Reichenau an der Stelle des damaligen Arbeitslagers sind zwei der spärlich gesäten Erinnerungsorte an den Nationalsozialismus in Innsbruck.
Luftangriffe auf Innsbruck
Wie der Lauf Lauf der Geschichte der Stadt unterliegt auch ihr Aussehen einem ständigen Wandel. Besonders gut sichtbare Veränderungen im Stadtbild erzeugten die Jahre rund um 1500 und zwischen 1850 bis 1900, als sich politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Veränderungen in besonders schnellem Tempo abspielten. Das einschneidendste Ereignis mit den größten Auswirkungen auf das Stadtbild waren aber wohl die Luftangriffe auf die Stadt im Zweiten Weltkrieg.
Neben der Lebensmittelknappheit waren die Menschen an der von den Nationalsozialisten so genannten „Heimatfront“ in der Stadt vor allem von den Luftangriffen der Alliierten betroffen. Innsbruck war ein wichtiger Versorgungsbahnhof für den Nachschub an der Italienfront.
In der Nacht vom 15. auf den 16. Dezember 1943 erfolgte der erste alliierte Luftangriff auf die schlecht vorbereitete Stadt. 269 Menschen fielen den Bomben zum Opfer, 500 wurden verletzt und mehr als 1500 obdachlos. Über 300 Gebäude, vor allem in Wilten und der Innenstadt, wurden zerstört und beschädigt. Am Montag, den 18. Dezember fanden sich in den Innsbrucker Nachrichten, dem Vorgänger der Tiroler Tageszeitung, auf der Titelseite allerhand propagandistische Meldungen vom erfolgreichen und heroischen Abwehrkampf der Deutschen Wehrmacht an allen Fronten gegenüber dem Bündnis aus Anglo-Amerikanern und dem Russen, nicht aber vom Bombenangriff auf Innsbruck.
Bombenterror über Innsbruck
Innsbruck, 17. Dez. Der 16. Dezember wird in der Geschichte Innsbrucks als der Tag vermerkt bleiben, an dem der Luftterror der Anglo-Amerikaner die Gauhauptstadt mit der ganzen Schwere dieser gemeinen und brutalen Kampfweise, die man nicht mehr Kriegführung nennen kann, getroffen hat. In mehreren Wellen flogen feindliche Kampfverbände die Stadt an und richteten ihre Angriffe mit zahlreichen Spreng- und Brandbomben gegen die Wohngebiete. Schwerste Schäden an Wohngebäuden, an Krankenhäusern und anderen Gemeinschaftseinrichtungen waren das traurige, alle bisherigen Schäden übersteigende Ergebnis dieses verbrecherischen Überfalles, der über zahlreiche Familien unserer Stadt schwerste Leiden und empfindliche Belastung der Lebensführung, das bittere Los der Vernichtung liebgewordenen Besitzes, der Zerstörung von Heim und Herd und der Heimatlosigkeit gebracht hat. Grenzenloser Haß und das glühende Verlangen diese unmenschliche Untat mit schonungsloser Schärfe zu vergelten, sind die einzige Empfindung, die außer der Auseinandersetzung mit den eigenen und den Gemeinschaftssorgen alle Gemüter bewegt. Wir alle blicken voll Vertrauen auf unsere Soldaten und erwarten mit Zuversicht den Tag, an dem der Führer den Befehl geben wird, ihre geballte Kraft mit neuen Waffen gegen den Feind im Westen einzusetzen, der durch seinen Mord- und Brandterror gegen Wehrlose neuerdings bewiesen hat, daß er sich von den asiatischen Bestien im Osten durch nichts unterscheidet – es wäre denn durch größere Feigheit. Die Luftschutzeinrichtungen der Stadt haben sich ebenso bewährt, wie die Luftschutzdisziplin der Bevölkerung. Bis zur Stunde sind 26 Gefallene gemeldet, deren Zahl sich aller Voraussicht nach nicht wesentlich erhöhen dürfte. Die Hilfsmaßnahmen haben unter Führung der Partei und tatkräftigen Mitarbeit der Wehrmacht sofort und wirkungsvoll eingesetzt.
Diese durch Zensur und Gleichschaltung der Medien fantasievoll gestaltete Nachricht schaffte es gerade mal auf Seite 3. Prominenter wollte man die schlechte Vorbereitung der Stadt auf das absehbare Bombardement wohl nicht dem Volkskörper präsentieren. Ganz so groß wie 1938 nach dem Anschluss, als Hitler am 5. April von 100.000 Menschen in Innsbruck begeistert empfangen worden war, dürfte die Begeisterung für den Nationalsozialismus nicht mehr gewesen sein. Zu groß waren die Schäden an der Stadt und die persönlichen, tragischen Verluste in der Bevölkerung. Im Jänner 1944 begann man Luftschutzstollen und andere Schutzmaßnahmen zu errichten. Die Arbeiten wurden zu einem großen Teil von Gefangenen des Konzentrationslagers Reichenau durchgeführt.
Insgesamt wurde Innsbruck zwischen 1943 und 1945 zweiundzwanzig Mal angegriffen. Dabei wurden knapp 3833, also knapp 50%, der Gebäude in der Stadt beschädigt und 504 Menschen starben.
Innsbruck wurde zum Glück nur Opfer gezielter Angriffe. Deutsche Städte wie Hamburg oder Dresden wurden von den Alliierten mit Feuerstürmen mit Zehntausenden Toten innerhalb weniger Stunden komplett dem Erdboden gleichgemacht. Viele Gebäude wie die Jesuitenkirche, das Stift Wilten, die Servitenkirche, der Dom, das Hallenbad in der Amraserstraße wurden getroffen.
Eine besondere Behandlung erfuhren während der Angriffe historische Gebäude und Denkmäler. Das Goldene Dachl wurde mit einer speziellen Konstruktion ebenso geschützt wie der Sarkophag Maximilians in der Hofkirche. Die Figuren der Hofkirche, die Schwarzen Mannder, wurden nach Kundl gebracht. Die Gnadenmutter, das berühmte Bild aus dem Innsbrucker Dom, wurde während des Krieges ins Ötztal überführt.
Weniges erinnert in Innsbruck noch an die Luftangriffe, es sei denn, man bezeichnet die Bausünden der Nachkriegszeit als Erinnerungsorte. Die Maria-Theresien-Straße, die Museumstraße, das Bahnhofsviertel, Wilten oder die Pradlerstraße wären wohl noch um einiges ansehnlicher, hätte man nicht die Löcher im Straßenbild stopfen müssen. Der Luftschutzstollen südlich von Innsbruck an der Brennerstraße und die Kennzeichnungen von Häusern mit Luftschutzkellern mit ihren schwarzen Vierecken und den weißen Kreisen und Pfeilen kann man heute noch begutachten. In Pradl, wo neben Wilten die meisten Gebäude beschädigt wurden, weisen an den betroffenen Häusern Bronzetafeln mit dem Hinweis auf den Wiederaufbau auf einen Bombentreffer hin.