Universität Innsbruck

Innrain 52

Wissenswert

Die Universität ist einer der größten Arbeitgeber und mit den vielen Standpunkten zwischen Flughafen und Rossau der größte Immobiliennutzer Innsbrucks. Ursprünglich war der Standort der Universität nicht am Innrain, sondern in der Herrengasse in der Nähe der Pfarrkirche St. Jakob. Platzmangel zwang die Studierende und Professoren zum Umzug an den damaligen Stadtrand. Ab 1914 erfolgte beginnend mit der Bibliothek der Umzug. Noch vor ihrer Fertigstellung wurde die Universität zum ersten Mal zweckentfremdet. Während der Kriegsjahre wurden die halbfertigen Räumlichkeiten als Militärspital verwendet.

Die Universität am Innrain wurde im Laufe der Zeit laufend immer wieder erweitert, um der steigenden Anzahl an Fakultäten und Studenten Herr zu werden. Besonders sehenswert in der Bibliothek ist der alte Lesesaal, der bei Studenten bis heute als Lernstätte mit Stil sehr beliebt ist. Der gesamte Campus ist heute eine in sich nicht geschlossene, nicht uninteressante Komposition aus verschiedenen Architekturstilen des 20. und 21. Jahrhunderts. Das moderne Agnes-Heller-Haus schließt erstaunlich harmonisch an die neobarocken Bauwerke an, die neben dem GeiWI-Turm stehen. Westlich davon befindet sich ein Studentenheim.

Kontroversiell ist der Vorplatz mit dem von Lois Welzenbacher gestalteten Ehrenmal, das an die gefallenen Universitätsangehörigen des 1. Weltkriegs erinnert. Welzenbacher fühlte sich wie viele Vertreter der Architektur und Kunst der Moderne der 1920er Jahre vom aufregenden und neuen, das faschistische Bewegungen ausstrahlte, angezogen. Damit war er keine Ausnahme. Eine großdeutsche Grundeinstellung war in der Bevölkerung bis in die 1980er Jahre weit verbreitet. Burschenschafter verschiedener Verbindungen bewegten sich ideell zwischen großdeutschem Nationalismus, konservativ-katholischem Austrofaschismus und Nationalsozialismus. Wissenschaftlicher Antisemitismus sowie Antisozialismus waren salonfähig unter Akademikern der Zeit. Prorektor Theodor Rittler weihte das Denkmal mit den Worten ein: „Deutschland, dein Reich komm!“ Der burschenschaftliche Wahlspruch „Ehre – Freiheit – Vaterland“ wurde erst 2019 jeweils um das Wort „Welche“ erweitert. Mit der Umbenennung des Platzes in Christoph-Probst-Platz wird dem Innsbrucker Medizinstudenten gedacht, der 1943 als Mitglied der Widerstandsgruppe Weiße Rose hingerichtet wurde. Eine Gedenktafel am Ehrenmal erinnert ebenfalls an Probst und für die Universität wenig rühmliche Periode zwischen 1938 und 1945. Eine zweite Gedenktafel weist auf die Befreiungstheologen Ignacio Ellacuría und Segundo Montes hin, zwei Absolventen der Universität Innsbruck, die in San Salvador 1989 vom dortigen Regime ermordet wurden.

Auf der Rückseite zum Inn hin treffen sich junge Menschen in entspannter Atmosphäre. Das Mäuerchen oberhalb des Inns, besser bekannt als Sonnendeck, wurde in den letzten Jahren zu einem veritablen Diskussionspunkt in der Stadtpolitik. Der studentische Ansatz des konsumlosen Zusammentreffens im öffentlichen Raum trifft auf die Ordnungswut städtischer Beamter und Politiker. Vor allem die Abfallfrage ist zu klären, bevor das Sonnendeck als offizieller Bestandteil des Campus genutzt werden kann.

1669 gilt als das offizielle Gründungsjahr der Universität Innsbruck. Am 15. Oktober gab Kaiser Leopold I. den Tirolern das Privileg des „Haller Salzaufschlags“, der es ermöglichte die begehrte Handelsware stärker zu besteuern und damit den Universitätsbetrieb zu finanzieren. Die Universität ging aus der Lateinschule hervor, die von den Jesuiten etwas mehr als hundert Jahre zuvor unter Ferdinand I. gegründet worden war. Latein und Griechisch waren Schwerpunkte im Unterricht. Wissenschaftliche Bücher wurden in der Frühen Neuzeit noch immer auf Latein verfasst. Auch für höhere Posten im öffentlichen Dienst war Latein Voraussetzung. Die erste Fakultät, die den Lehrbetrieb aufnahm, war die Philosophie. Theologie, Recht und Medizin folgten kurz darauf. Als Papst Innozenz XI. der Universität 1677 seinen Segen gab, war der Betrieb schon voll angelaufen.

1665 hatte Innsbruck den Rang einer Residenzstadt verloren und hatte damit an Prestige und Glanz verloren. Der Universitätsbetrieb machte diese Degradierung etwas wett, blieb die Aristokratie so zumindest in Form von Studenten erhalten. Unter den anfangs knapp 300 Studenten fanden sich viele Söhne aus Adelshäusern wieder. Bei den Studenten handelte es sich trotz ihres gesellschaftlichen Ranges nicht unbedingt um strebsame Musterschüler, sondern um Burschen, die einen gewissen Lebensstil und Status gewohnt waren. So begaben sich im Januar 1674 „nit allein zu nächtlicher Zeit Ungelegenheiten, Rumores und ungereimte Handlungen“ und es wurden „Studenten der Universität angetroffen, die allerlei verbotene Waffen wie Feuerrohr, Pistolen, Terzerol, Stilett, Säbel, Messer…“ bei sich hatten. Die der Oberschicht entstammenden Teenager waren es gewohnt, Waffen zu tragen und auch zu benutzen. Im Adelsstand war der Ehrbegriff von immenser Bedeutung. Ehrverletzungen konnten ähnlich wie beim Militär auch in studentischen Kreisen zu Duellen führen. Schlagende Burschenschaften führen diese Tradition symbolisch bis heute fort. Auch das Zusammentreffen privilegierter Jugendlicher mit Bürgern, Dienstboten und Handwerkern lief nicht immer reibungsfrei ab. Dabei entstand das Problem, dass sich die Studenten zwar in der Stadt unter die Einwohner mischen konnten, in der Rechtsprechung aber dem Universitätsrecht unterlagen, das vom Stadtrecht losgelöst war.

Frauen und Söhnen von Handwerksfamilien war das Studium an der Universität lange nicht gestattet. Den ersten weiblichen Doktor der Juristerei der Universität feierte man erst am 11. Dezember 1923 in der Presse.

„Am kommenden Samstag wird an der Innsbrucker Universität Fräulein Mitzi Fischer zum Doktor iuris promoviert. Fräulein Fischer ist eine gebürtige Wienerin. In Wien absolvierte sie auch das Gymnasium. Nach der Reifeprüfung oblag sie dem juristischen Studium der Universität Innsbruck. Die zukünftige Doktorin hat sämtliche Prüfungen mit Auszeichnungen absolviert, müßte also nach dem früheren Brauche sub auspiciis imperatoris promovieren. Jedenfalls ist Fräulein Fischer die erste Dame, die sich an der Innsbrucker Universität den juristischen Doktortitel erwirbt.“

Die Universität war immer auch ein Politikum. Der Name Leopold-Franzens-Universität geht auf die beiden Kaiser Leopold und Franz zurück, unter denen sie jeweils gegründet wurde. Zweimal wurde die Universität zu einem Lyzeum herabgestuft bzw. geschlossen. Als die Bayern während der Napoleonischen Kriege in Tirol regierten, waren ihnen die jesuitisch geprägten Studenten ebenso suspekt wie viele andere katholische Vereine. 1810 wurde die Universität geschlossen, bevor Kaiser Franz I. 1826 die Neugründung vornahm. Unter Beobachtung blieb die Universität aber weiterhin. Diesmal waren es nationalistisch und liberal gesinnte Kräfte, die man fürchtete.

Der Wandel in Wirtschaft und Gesellschaft machte sich in den frühen Jahren der Industrialisierung auch im Universitätsbetrieb bemerkbar. Ganz im Geist der Zeit beschäftigte sich die Eröffnungsrede des Dekans der philosophischen Fakultät Prof. Dr. Joachim Suppan (1794 – 1864), mit einem praktischen Problem der Physik, damit „eine genauere Kenntnis der so wichtigen und nützlichen Erfindung der Dampfmaschine auch für die vaterländische Industrie, wo dieselbe bisher noch keine Anwendung hat,“ erreicht werde. Dass Supan neben seinen Abschlüssen in Philosophie und Mathematik auch geweihter Priester war, zeigt den Einfluss, den die Kirche auch im 19. Jahrhundert auf das Bildungswesen hatte. Wie sehr die Universität neben der Kirche der staatlichen Obrigkeit verbunden war, zeigt Supans abschließende Ermahnung in Richtung der Studenten, „dereinst dem Vaterlande durch Kenntnis und Tugend ersprießliche Dienste zu leisten“.

Die Nationalitätenkonflikte der späten Monarchie spiegelten sich ebenfalls in der Universitätsgeschichte wider. Im Falle Innsbruck waren es vor allem Probleme zwischen deutschsprachigen und italienischsprachigen Studenten, die immer wieder zu Problemen führten. Nach dem Verlust der lombardischen und venezianischen Gebiete nach 1866 gab es innerhalb der Kronländer keine italienische Universität mehr. Da Tirol den größten Anteil an Italienern in der Monarchie hatte, lag es nahe in Innsbruck eine Universität für diese Sprachgruppe zu eröffnen.1902 rief der italienische Irredentist Cesare Battisti zur Gründung einer italienischen Universität auf. Die erste Versammlung im Gasthof Österreichischer Hof in der heutigen Andreas-Hofer-Straße in Wilten endete mit einem Polizeieinsatz. Zwei Jahre später wurde der Plan Battistis in die Tat umgesetzt und eine italienischsprachige Fakultät in der Liebeneggstraße 8 in Wilten gegründet. Nach wüsten Ausschreitungen zwischen Studenten, Professoren, Polizei und Militär bei der Eröffnungsfeier im Gasthaus zum Weißen Kreuz in der Altstadt starb der bekannte Künstler August Pezzey, der sich selbst nicht an den Aufständen beteiligt hatte, nach einem Bajonettstich durch einen Tiroler Kaiserjäger. Nach zweiwöchigen Pogromen gegen italienische Einrichtungen und Geschäfte in Innsbruck wurde die italienische Universität auf behördliche Anweisung geschlossen. Alle Beteiligten wurden vor Gericht freigesprochen.

Deutschnational gesinnte Studenten spielten auch in weiterer Folge eine Hauptrolle an der Universität. Mit dem Anschluss an das Deutsche Reiche 1938 wurde die Universität ein weiteres Mal umbenannt. Nach dem Krieg wurde aus der Deutschen Alpenuniversität wieder die Leopold-Franzens-Universität.

Wissenschaftlich war die Universität stets eine Bereicherung für Innsbruck. Lehrende und Studierende sorgten im 20. und 21. Jahrhundert mehrfach für aufsehenerregende Leistungen in der Forschung. Victor Franz Hess wurde für seine Verdienste rund um die Erforschung der kosmischen Strahlung den Nobelpreis für Physik. Auch der Quantenphysiker Anton Zeilinger war an der Universität Innsbruck tätig, wenn auch nicht im Jahr 2022 bei seiner Verleihung. Den Nobelpreis für Chemie erhielten auch die Professoren Fritz Pregel, Adolf Windaus und Hans Fischer, wobei auch sie nicht mehr in Innsbruck tätig waren.

Nicht nur in intellektueller und wirtschaftlicher Hinsicht ist die Universität wichtig für die Stadt. 30.000 Studierende bevölkern und prägen das Leben zwischen Nordkette und Patscherkofel. Wie sehr die Studierenden Innsbruck beleben, merkt man erst, wenn die Auswärtigen zwischen den einzelnen Semestern in ihre Heimat zurückkehren. Zehntausende beleben nicht nur das Nachtleben und die Skipisten, sondern verpassen der Kleinstadt internationales Flair und hippe Urbanität.

Petrus Canisius und die Jesuiten

Franziskaner, Prämonstratenser, Karmeliten, Serviten, Kapuziner, Ursulinen. Wer Innsbruck besucht, spaziert, meist unbewusst, an vielen Klöstern vorbei. Der politisch und gesellschaftlich wohl einflussreichste Orden in der Geschichte der Stadt ab dem 16. Jahrhundert waren die Jesuiten. Die „Soldaten Christi“ wurden vom spanischen Adeligen Ignatius von Loyola (1491 – 1556) 1540 gegründet. Loyola war ein sittenstrenger Reformator und einflussreicher Kirchenpolitiker, der Zugang zu den höchsten Zirkeln der Macht seiner Zeit hatte. Er wollte die Kirche verändern, anders als Luther aber nicht ohne den Papst als Oberhaupt. Auch eine Auflösung des Eigentums der Klöster stand nicht am Programm. Erneuerung des Glaubens von oben nach unten anstatt Zerstörung der bestehenden Ordnung war die Devise der Societas Jesu.

Der Orden gewann schnell an Einfluss. Aus dem militärischen Bereich übernommene Organisation und Struktur, die Verbindung humanistischer Lehren und katholischer Traditionen, ein Faible für Wissenschaft und Bildung in Kombination mit einer mystisch anmutende Volksfrömmigkeit machten sie für viele Menschen, die vom mittelalterlichen Sittenverfall des Klerus enttäuscht waren, attraktiv. Die Jesuiten waren mit diesen Merkmalen am Puls einer Zeit, die von neuen politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Strukturen geprägt war. Sie nutzten wie protestantische Reformatoren geschickt das neue Medium Buchdruck, um ihre Schriften zu verbreiten. Man könnte sagen, sie waren die konfessionelle Fortsetzung der gesellschaftlichen Durchdringung durch den Staat, New Media und der doppelten Buchhaltung.

Die politische Situation war zur Mitte des 16. Jahrhunderts verfahren und krisenreich. Italien war nach den Kriegen zwischen Frankreich und den Habsburgern arg in Mitleidenschaft gezogen. Große Handelskonzerne wie die Fugger und die Welser gewannen immer mehr Einfluss. Die deutschen Länder hatten unter den Bauernkriegen gelitten. Die Inflation bedrohte und die vielen technischen Neuerungen der Zeit um 1500 machten vielen Menschen Angst. Wie aber sollte man den Zorn Gottes ob der Verfehlungen der Renaissancepäpste und das drohende Ende der Welt abwenden, wenn nicht durch sittliche Besserung moralisches Leben nach den Lehren Christi?

Ein eifriger Förderer der Jesuiten in Tirol war Landesfürst und spätere Kaiser Ferdinand I. Er war wie Ignatius von Loyola in Spanien aufgewachsen. Mit den Sitten der Deutschen und der in Spanien nicht existenten Reformationsbewegung hatte er ebenso seine Schwierigkeiten wie mit der Sprache. Die Tiroler Bevölkerung auf der anderen Seite fremdelte mit ihrem Landesfürsten, den man mit seinem fremdländischen Hofstaat leicht mit einer Besatzungsmacht verwechseln konnte. Ein verbindendes Element zwischen den beiden Welten war die römische Kirche, speziell der moderne Jesuitenorden.

Der wahrscheinlich bedeutendste jesuitische Theologe war Petrus Canisius (1521 – 1597). Er wuchs als Peter Kanis in einem Haushalt der gehobenen Mittelschicht in den Niederlanden auf. Sein Vater war Bürgermeister von Nimwegen. Bereits in früher Jugend machte der spätere Kirchenstratege erste Erfahrungen mit der hohen Politik und lernte höfisches Benehmen, bevor er nach Köln ging, um zu studieren. Canisius war der das erste Ordensmitglied auf dem Gebiet des Heiligen Römischen Reiches. Der intelligente und gebildete junge Mann legte eine steile Karriere hin. Ferdinand berief ihn nach Wien, wo er als bischöflicher Administrator und an der Universität für Ordnung sorgen sollte. Eine seiner Haupttätigkeiten an der Uni neben Lehre und Forschung war das Ausfindigmachen und Verhören des Protestantismus verdächtiger Universitätsangehöriger.

Canisius verbrachte auch einige Jahre in Innsbruck. Eigentlich hätten die Jesuiten in die fertiggestellte Hofkirche einziehen sollen, um die Chorgebete für Maximilian I. an dessen Grabstätte zu übernehmen. Dies lehnte Canisius als oberster Vertreter des Ordens nördlich der Alpen höflich, aber bestimmt ab. Für Ferdinand verfasste er eine Gebetsanleitung, um den Fürsten auf den rechten Weg zu bringen. 1563 schaffte es der Kaiser doch noch ihn in die Alpen zu locken. Der Gelehrte sollte ihm als Berater und Consultant für einen Disput mit dem Papst während des Konzils von Trient beistehen. Im Oktober 1571 erfuhr die Kirchengemeinde Wiltens aus seinem Mund vom Sieg der päpstlich-kaiserlichen Flotte gegen die Osmanen bei Lepanto. Von der Kanzel herab verkündete Canisius den Triumph der christlichen Streitkräfte gegen die drohende Heidengefahr in der größten Seeschlacht der Geschichte im Stil eines katholischen Nachrichtensprechers.

Als Hofprediger war Canisius Berater der Aristokratie, seine fromme Begeisterung machte ihn aber auch zum Kirchenmann für die Massen. Im Auftrag des Herrn, oder besser gesagt seiner weltlichen und kirchlichen Herren, reiste er quer durch Europa. Wie Martin Luther schaute auch er „dem Volk aufs Maul“. Man darf nicht vergessen, dass Gehen für die meisten Menschen die vorrangige Art des Reisens darstellte. Canisius soll über 100.000 Kilometer zwischen den Niederlanden, Rom und Polen zurückgelegt haben. Unterwegs übernachtete er meist in einfachen Gasthöfen. Er wusste, wie wichtig es war, die Landbevölkerung hinter sich zu bringen. Während seine Brüder im fernen Indien missionierten, missionierte er gegen den Protestantismus in den deutschen Ländern. Er erkannte, dass Predigten auf Latein nicht geeignet waren, um Bauern, Knechte und Mägde gegen die Bedrohung der römischen Kirche durch Luthers Protestantismus zu immunisieren. Mit seinem Katechismus verfasste Petrus Canisius eine wichtige deutschsprachige Ideensammlung im katholischen Kampf gegen die Reformation, der schnell in alle europäischen Sprachen übersetzt und lange als Leitfaden der katholischen Kirche galt. Für unterschiedliche Audiences wurden zwischen 1555 und 1558 drei verschieden komplexe Varianten des Werkes geschaffen. Findige Herausgeber schufen für Analphabeten einen Bilderkatechismus, um die Ideen der Kirche unters Volk zu bringen. Canisius nutzte auch das neue Medium des Flugblattes, um möglichst viele Menschen zu erreichen. Seine Schriften waren gemeinsam mit denen Luthers wahrscheinlich die meistgelesenen des 16. Jahrhunderts. Bis weit ins 19. Jahrhundert, in manchen Regionen sogar bis nach dem 2. Weltkrieg, war der Kanisi, wie der Katechismus liebevoll genannt wurde, das einflussreichste religiös-philosophische Werk in Tirol.

Die stärkste und nachhaltigste Säule im Kampf gegen die Reformatoren aber war die Bildung. Canisius sah viele Bischöfe und Politiker als korrupt, moralisch verdorben und sündhaft. Anstatt sie aber auszumerzen, sollten sie sich unter den Fittichen der Soldaten Jesu bessern. Die Jesuiten setzten durch die Eröffnung neuer Kollegien auf eine bessere Ausbildung der Beamtenschaft, des Adels und des Klerus und höhere moralische, an den christlichen Wurzeln ausgerichtete Maßstäbe im Kirchenalltag. Zu diesem Zweck gründeten sie im ganzen Reich Kollegien. Protestantische Länder und Städte hatten begonnen Deutsche Schulen, Akademien und Gymnasien zu installieren. Möglichst viele Untertanen sollten lesen können, um Frömmigkeit und Seelenheil in der individuellen und unmittelbaren Bibellektüre zu finden. Die Jesuiten hingegen konzentrierten sich auf die Elitenbildung und erlangten so nachhaltigen Einfluss in den Machtzentren der katholischen Staaten.

Die Jesuiten gründeten in Innsbruck die Lateinschule, aus der später die Universität hervorgehen sollte. Das neue Bildungsinstitut hatte große Auswirkungen auf die Stadtentwicklung. Hier wurde die Intelligenzia ausgebildet, die Innsbrucks Aufstieg zum Verwaltungs- und Wirtschaftsstandort ermöglichte. Unter Josef II. kam es zu einer Unterbrechung ihrer Tätigkeit. Er entmachtete und enteignete kirchliche Orden, darunter auch die von ihm wenig geliebten Jesuiten. Die Universität Innsbruck wurde unter ihm 1781 zu einem Lyzeum zurückgestuft. Erst 1838 wurden die Jesuiten wieder nach Innsbruck berufen. Neben Lehrstühlen an der Universität hatten sie das Theresianum, ein Gymnasium für die Aristokratie, in leitender Funktion über.

Durch dieses Netz aus einflussreichen Posten und Bildungssystem wuchs der Orden rasch an und schaffte es während der Gegenreformation ein besonderes Verhältnis zu den Habsburgern aufzubauen. Vielen Mitgliedern der Dynastie ist in ihrem Herrschen und Tun der Einfluss des Ordens anzumerken, bei dem sie ihre Bildung genossen. Jesuiten wie Bartholomäus Viller oder Wilhelm Lamormaini waren als Beichtväter und Berater der Habsburger in der Frühen Neuzeit politisch einflussreich. Nicht umsonst sind die Jesuiten heute noch die Widersacher der Freimaurer in unzähligen Verschwörungstheorien und Romanen und gelten vielen als neuzeitliches Äquivalent des James-Bond-Bösewichts. Sie waren Forschung, Wissenssammlung und Bildung gegenüber sehr aufgeschlossen und wollten die Welt im Sinne der christlichen Schöpfung zu verstehen lernen. Das machte sie für Katholiken zu einem hippen Gegenpol sowohl zu den verstaubten bestehenden Orden wie auch den Protestanten. Glaube und Empirie verbanden sich zu einer Art vormodernen Wissenschaft, die Natur und Physik zu erklären versucht. Die Sammlung Ferdinands II. auf Schloss Ambras zeugt vom Forschungsdrang der Zeit ebenso wie die heute absurd anmutenden alchemistischen Experimente, die Kaiser Matthias (1557 – 1619) durchführte.

Bei aller Liebe für das Rationale kehrte unter den Jesuiten aber auch das Mystische wieder in den Kirchenalltag zurück. Passionsspiele, Ostergräber, Prozessionen und Feiertage sollten die strengen Glaubensgrundsätze in Schauspiel und Spektakel weich verpacken. Work hard – play hard war das Motto. Die Feierlichkeiten während Prozessionen arteten oft in rauschende Feste aus, bei denen es ähnlich wie bei heutigen Zeltfesten zu Schlägereien, teils sogar zu tumultartigen und blutigen Szenen kam. Brot und Wein des Herrn wurden im Stil von Panem et Circenses (Brot und Spielen) des antiken Rom zelebriert. Petrus Canisius schrieb im Auftrag Ferdinands I. ein Buch über ein Wunder in Seefeld mit dem klingenden Namen „Von dem hoch an weitberhümpten Wunderzeichen so sich mit dem hochheiligsten Sacrament des Altars auff dem Seefeld in der fürstlichen Graffschaft Tyrol Anno 1384 zugetragen und was man sonst darbey christlich und nutzlich zu bedenken hab“, um die dortige Wallfahrt anzuheizen.

Bis heute erhielt sich dieses Prinzip der massentauglichen gesellschaftlichen Vereinnahmung. Die Marianische Kongregation, in Innsbruck als MK bekannt, war eines der größten Jugendzentren Europas. Sie kann in einem modernen Sinn durchaus in der Tradition der sanften Einführung in den Glauben und die Erziehung der Jugend durch die Kirche gesehen werden.

Der Jesuitenorden war, ganz dem Volksglauben verpflichtet, auch überaus motiviert, wenn es um Verfolgung von Hexen und Andersgläubigen ging. Petrus Canisius war einer der Vordenker der frühneuzeitlichen Hexenjagd:

„Überall bestraft man die Hexen, welche merkwürdig sich mehren…. Sie beneiden die Kinder um die Gnade der Taufe und berauben sie derselben. Kindesmörderinnen befinden sich unter ihnen in großer Zahl… Man sah früher niemals in Deutschland die Leute so sehr dem Teufel ergeben und verschrieben…“

Auch als Exorzist, vor allem bei vom Virus des Protestantismus befallenen adeligen Damen, machte er auf sich aufmerksam. Canisius nutzte die Aufmerksamkeit, die Hexen und vom Teufel besessene im Volk auf sich zogen, um die Macht der katholischen Kirche anzupreisen.

Auch in der Missionierung von Heiden in der damals erst kürzlich entdeckten Neuen Welt in Amerika und in Asien taten sich die Jesuiten eifrig hervor. Der Heilige Franz Xaver, einer der ersten Mitstreiter Ignatius´ von Loyola, starb auf Missionsreise in China. In einer Seitenkapelle der Innsbrucker Jesuitenkirche ist diesem Soldaten Christi ein Altar geweiht.

Die Jesuiten halten bis heute ihre Hand über Innsbruck. Der Aufenthalt Petrus Canisius machte die Stadt im 16. Jahrhundert zu einem der theologischen Zentren der deutschsprachigen Welt. Sein Auftreten als Prediger und Gelehrter in der Stadt wäre mit einem Lehrauftrag Albert Einsteins an der Universität in den 1930er Jahren vergleichbar. Als Innsbruck 1964 unter dem Jesuiten Paulus Rusch zur eigenen Diözese wurde, erkor man Petrus Canisius zu ihrem Patron. Am Karl-Rahner-Platz befindet sich heute nicht nur die Jesuitenkirche, sondern auch die Theologische Fakultät der Universität Innsbruck. Im Saggen gehört das Collegium Canisianum den Jesuiten. Auch die MK ist noch immer in der Jugendarbeit tätig.

Eine Erste Republik entsteht

Kaum eine Epoche ist schwerer zu fassen als die Zwischenkriegszeit. Die Roaring Twenties, Jazz und Automobile kommen einem ebenso in den Sinn wie Inflation und Wirtschaftskrise. In Großstädten wie Berlin gebärdeten sich junge Damen als Flappers mit Bubikopf, Zigarette und kurzen Röcken zu den neuen Klängen lasziv, Innsbrucks Bevölkerung gehörte als Teil der jungen Republik Österreich zum größten Teil zur Fraktion Armut, Wirtschaftskrise und politischer Polarisierung.

Die Republik Deutschösterreich war zwar ausgerufen, wie es in Österreich weitergehen sollte, war unklar. Monarchie und Adel wurden verboten. Der Beamtenstaat des k.u.k. Reiches setzte sich nahtlos unter neuer Fahne und Namen durch. Die Bundesländer als Nachfolger der alten Kronländer erhielten in der Verfassung im Rahmen des Föderalismus viel Spielraum in Gesetzgebung und Verwaltung. Die Begeisterung für den neuen Staat hielt sich aber in Grenzen. Nicht nur, dass die Versorgungslage nach dem Wegfall des allergrößten Teils des ehemaligen Riesenreiches der Habsburger miserabel war, die Menschen misstrauten dem Grundgedanken der Republik. Die Monarchie war nicht perfekt gewesen, mit dem Gedanken von Demokratie konnten aber nur die allerwenigsten etwas anfangen. Anstatt Untertan des Kaisers war man nun zwar Bürger, allerdings nur Bürger eines Zwergstaates mit überdimensionierter und in den Bundesländern wenig geliebter Hauptstadt anstatt eines großen Reiches. In den ehemaligen Kronländern, die zum großen Teil christlich-sozial regiert wurden, sprach man gerne vom Wiener Wasserkopf, der sich mit den Erträgen der fleißigen Landbevölkerung durchfüttern ließ.

Österreich war tief gespalten. Hauptstadt und Bundesländer, Stadt und Land, Bürger, Arbeiter und Bauern – im Vakuum der ersten Nachkriegsjahre wollte jede Gruppe die Zukunft nach ihren Vorstellungen gestalten. Die Kluft bestand nicht nur auf politischer Ebene. Moral, Familie, Freizeitgestaltung, Erziehung, Glaube, Rechtsverständnis – jeder Lebensbereich war betroffen. Wer sollte regieren? Wie sollten Vermögen, Rechte und Pflichten verteilt werden. Was sollte aus öffentlichen Gebäuden wie Kasernen, Burgen und Palästen gemacht werden?

Die Revolution in Russland und der darauffolgende Bürgerkrieg mit Millionen von Todesopfern, Enteignung und kompletter Systemumkehr warf ihren langen Schatten nach Europa. Die Aussicht auf sowjetische Zustände machte den Menschen Angst. Ein kommunistischer Umsturz war besonders in Tirol keine reale Gefahr, ließ sich aber medial gut als Bedrohung instrumentalisieren, um die Sozialdemokratie in Verruf zu bringen.

Knapp zwei Jahre lang besetzten italienische Truppen nach Kriegsende Innsbruck. Bei den Friedensverhandlungen in Paris war wurde der Brenner zur neuen Grenze erklärt. Das historische Tirol war zweigeteilt. Am Brenner stand Militär, um eine Grenze zu sichern, die es vorher nie gab und als unnatürlich und ungerecht empfunden wurde. Viele Menschen zu beiden Seiten des Brenners fühlten sich verraten. Man hatte den Krieg zwar bei Weitem nicht gewonnen, als Verlierer gegenüber Italien sah man sich aber nicht. Der Hass auf Italiener erreichte in der Zwischenkriegszeit seinen Höhepunkt, auch wenn die Besatzungstruppen sich betont milde gab. Eine Passage aus dem Erzählband „Die Front über den Gipfeln“ des nationalsozialistischen Autors Karl Springenschmid aus den 1930ern spiegelt die allgemeine Stimmung wider:

„`Walsch (Anm.:Italienisch) werden, das wär das Ärgste!` sagt die Junge.

Da nickt der alte Tappeiner bloß und schimpft: `Weiß wohl selber und wir wissen es alle: Walsch werden, das wär das Ärgste.“

Die neu gegründete Tiroler Volkspartei stand Wien und der Sozialdemokratie gegenüber mindestens so ablehnend gegenüber wie den Italienern. Das neue Österreich erschien zu klein und nicht lebensfähig. Auch andere Bundesländer spielten mit dem Gedanken, sich von der Republik abzukoppeln, nachdem der von allen Parteien unterstützte Plan sich Deutschland anzuschließen von den Siegermächten des Ersten Weltkriegs untersagt worden war. Die Tiroler Pläne allerdings waren besonders spektakulär. Von einem neutralen Alpenstaat mit anderen Bundesländern, einem Freistaat bestehend aus Tirol und Bayern oder von Kufstein bis Salurn, einem Anschluss an die Schweiz bis hin zu einem katholischen Kirchenstaat unter päpstlicher Führung gab es viele Überlegungen. Der Anschluss an Deutschland erhielt in Tirol bei einer Abstimmung in Tirol einen Zuspruch von 98%, kam aber nie zustande.

Die hohe Politik war aber nur der Rahmen der eigentlichen Probleme. Die als Spanische Grippe in die Geschichte eingegangene Epidemie forderte in den Jahren nach dem Krieg auch in Innsbruck ihren Tribut. Genaue Zahlen wurden nicht erfasst, weltweit schätzt man die Zahl der Todesopfer auf 27 – 50 Millionen. Viele Innsbrucker waren von den Schlachtfeldern nicht nach Hause zurückgekehrt und fehlten als Väter, Ehemänner und Arbeitskräfte. Viele von denen, die es zurückgeschafft hatten, waren verwundet und von den Kriegsgräueln gezeichnet. Noch im Februar 1920 veranstaltete der „Tiroler Ausschuss der Sibirier“ im Gasthof Breinößl „…zu Gunsten des Fondes zur Heimbeförderung unserer Kriegsgefangenen…“ einen Benefizabend.

Viele Menschen, besonders Beamten und Mitarbeiter im öffentlichen Dienst, hatten ihre Arbeit verloren, nachdem der Völkerbund seine Anleihe an herbe Sparmaßnahmen geknüpft hatte. Der Tourismus als Wirtschaftsfaktor war ob der Probleme in den umliegenden, vom Krieg ebenfalls gebeutelten Ländern inexistent. Erst mit der Währungssanierung und der Einführung des Schillings 1925 als neuer Währung unter Kanzler Ignaz Seipel begann sich Innsbruck langsam zu erholen. Große Projekte wie das Tivoli, das Städtische Hallenbad, neue Schulen und Wohnblöcke konnten erst nach der Überwindung der ersten Nachkriegsprobleme entstehen.

Die erste Republik war eine schwere Geburt aus den Überbleibseln der einstigen Monarchie und sie sollte nicht lange halten. Trotz vielen Nachkriegsproblemen passierte in der Ersten Republik aber auch viel Positives. Aus Untertanen wurden Bürgern. Was in der Zeit Maria Theresias begann, wurde nun unter neuen Vorzeichen weitergeführt. Der Wechsel vom Untertanen zum Bürger zeichnete sich nicht nur durch ein neues Wahlrecht, sondern vor allem durch die verstärkte Obsorge des Staates aus. Schulen, Kindergärten, Arbeitsämter, Krankenhäuser und städtische Wohnanlagen traten an die Stelle des Wohlwollens reicher Bürger, der Monarchie und der Kirche. Die Zeiten waren schwer und das neue System noch nicht eingeschliffen.

Bis heute basiert vieles im österreichischen Staatswesen sowie im Innsbrucker Stadtbild und der Infrastruktur auf dem, was nach dem Zusammenbruch der Monarchie entstanden war. In Innsbruck gibt es keine bewussten Erinnerungsorte an die Entstehung der Ersten Republik in Österreich. Die denkmalgeschützten Wohnbauprojekte wie der Schlachthofblock, der Pembaurblock oder der Mandelsbergerblock im Saggen sowie in Pradl und Wilten sind Stein gewordene Zeitzeugen.

Der Erste Weltkrieg und die italienische Besatzung

Beinahe hätte nicht Gavrilo Princip, sondern ein Innsbrucker Student die Geschicke der Welt verändert. Es ist dem Zufall zu verdanken, dass der 20 Jahre alte Serbe im Jahr 1913 gestoppt wurde, weil er mit dem geplanten Attentat auf den Thronfolger vor einer Kellnerin prahlte. Erst als es tatsächlich zu den die Welt verändernden Schüssen in Sarajevo kam, erschien ein Artikel in den Medien dazu. Welche Auswirkungen der daraufhin ausgebrochene Erste Weltkrieg auf die Welt und den Alltag der Menschen haben sollte, war nach dem tatsächlichen Attentat auf Franz Ferdinand am 28. Juni nicht absehbar. Zwei Tage nach der Ermordung des Habsburgers in Sarajewo war aber in den Innsbrucker Nachrichten bereits prophetisches zu lesen: „Wir sind an einem Wendepunkte – vielleicht an dem Wendepunkte“ – der Geschicke dieses Reiches angelangt“.

Auch in Innsbruck war die Begeisterung für den Krieg 1914 groß gewesen. Vom „Gott, Kaiser und Vaterland“ der Zeit angetrieben, begrüßten die Menschen den Angriff auf Serbien zum allergrößten Teil einhellig. Politiker, Klerus und Presse stimmten in den allgemeinen Jubel mit ein. Neben dem kaiserlichen Appell „An meine Völker“, der in allen Medien des Reiches erschien, druckten die Innsbrucker Nachrichten am 29. Juli, dem Tag nach der Kriegserklärung Österreich-Ungarns an Serbien einen Artikel rund um die Einnahme Belgrads durch Prinz Eugen im Jahr 1717. Der Ton in den Medien war feierlich, wenn auch nicht ganz ohne böse Vorahnung auf das, was kommen sollte.

„Der Appell des Kaisers an seine Völker wird tief ergreifen. Der innere Hader ist verstummt und die Spekulationen unserer Feinde aus Unruhen und ähnliche Dinge sind jämmerlich zu Schanden geworden. In alter und vielbewährter Treue stehen vor allem auch diesmal die Deutschen zu Kaiser und Reich: auch diesmal bereit, mit ihrem Blute für Dynastie und Vaterland einzustehen. Wir gehen schweren Tagen entgegen; niemand kann auch nur ahnen, was uns das Schicksal bescheiden wird, was es Europa, was es der Welt bescheiden wird. Wir können nur mit unserem alten Kaiser auf unsere Kraft und auf Gott vertrauen und die Zuversicht hegen, daß, wenn wir einig find und zusammenhalten, uns der Sieg beschieden sein muß, denn wir wollten den Krieg nicht und unsere Sache ist die der Gerechtigkeit!“

Besonders „verdient“ machten sich bei der Kriegstreiberei Theologen wie Joseph Seeber (1856 – 1919) und Anton Müllner alias Bruder Willram (1870 – 1919) die mit ihren Predigten und Schriften wie „Das blutige Jahr“ den Krieg zu einem Kreuzzug gegen Frankreich und Italien erhoben.

Viele Innsbrucker meldeten sich freiwillig für den Feldzug gegen Serbien, von dem man dachte, er wäre eine Angelegenheit weniger Wochen oder Monate. Von außerhalb der Stadt kam eine so große Anzahl an Freiwilligen zu den Stellungskommissionen, dass Innsbruck beinahe aus allen Nähten platzte. Wie anders es kommen sollte, konnte keiner ahnen. Schon nach den ersten Schlachten im fernen Galizien war klar, dass es keine Sache von Monaten werden würde.

1915 trat das Königreich Italien an der Seite Frankreichs und Englands in den Krieg ein. Damit ging die Front quer durch das damalige Tirol. Vom Ortler im Westen über den nördlichen Gardasee bis zu den Sextener Dolomiten fanden die Gefechte des Gebirgskriegs statt. Innsbruck war nicht direkt von den Kampfhandlungen betroffen. Zumindest hören konnte man das Kriegsgeschehen aber bis in die Landeshauptstadt, wie in der Zeitung vom 7. Juli 1915 zu lesen war:

„Bald nach Beginn der Feindseligkeiten der Italiener konnte man in der Gegend der Serlesspitze deutlich Kanonendonner wahrnehmen, der von einem der Kampfplätze im Süden Tirols kam, wahrscheinlich von der Vielgereuter Hochebene. In den letzten Tagen ist nun in Innsbruck selbst und im Nordosten der Stadt unzweifelhaft der Schall von Geschützdonner festgestellt worden, einzelne starke Schläge, die dumpf, nicht rollend und tönend über den Brenner herüberklangen. Eine Täuschung ist ausgeschlossen. In Innsbruck selbst ist der Donner der Kanonen schwerer festzustellen, weil hier der Lärm zu groß ist, es wurde aber doch einmal abends ungefähr um 9 Uhr, als einigermaßen Ruhe herrschte, dieser unzweifelhafte von unseren Mörsern herrührender Donner gehört.“

Bis zur Verlegung regulärer Truppen von der Ostfront an die Tiroler Landesgrenzen hing die Landesverteidigung an den Standschützen, einer Truppe, die aus Männern unter 21, über 42 oder mit Untauglichkeit für den regulären Militärdienst bestand.

Die Front war relativ weit von Innsbruck entfernt, der Krieg drang aber ins zivile Leben ein. Diese Erfahrung der totalen Einbeziehung der gesamten Gesellschaft war für die Menschen neu. In der Höttinger Au wurden Baracken zur Unterbringung von Kriegsgefangenen errichtet. Verwundetentransporte brachten eine so große Zahl grauenhaft Verletzter, dass viele eigentlich zivile Gebäude wie die sich gerade im Bau befindliche Universitätsbibliothek oder Schloss Ambras in Militärspitäler umfunktioniert wurden. Um der großen Zahl an Gefallenen Herr zu werden, wurde der Militärfriedhof Pradl angelegt. Ein Vorgänger der Straßenbahnlinie 3 wurde eingerichtet, um die Verwundeten vom Bahnhof ins neue Garnisonsspital, die heutige Conradkaserne in Pradl, bringen zu können. Die Bevölkerung in Innsbruck litt unter Mangel, vor allem im letzten Winter, der als Hungerwinter in die europäische Geschichte einging. Die Versorgung erfolgte in den letzten Kriegsjahren über Bezugsscheine. 500 g Fleisch, 60 g Butter und 2 kg Kartoffel waren die Basiskost pro Person – pro Woche, wohlgemerkt. Auf Archivbildern kann man die langen Schlangen verzweifelter und hungriger Menschen vor den Lebensmittelläden sehen.

Im Oktober 1918 kam es zum ersten Mal zu einem Fliegeralarm, Schaden entstand keiner. Zu dieser Zeit war den meisten Menschen schon klar, dass der Krieg verloren war, und welches Schicksal Tirol erwarten würde, wie dieser Artikel vom 6. Oktober 1918 zeigt:

 „Aeußere und innere Feinde würfeln heute um das Land Andreas Hofers. Der letzte Wurf ist noch grausamer; schändlicher ist noch nie ein freies Land geschachert worden. Das Blut unserer Väter, Söhne und Brüder ist umsonst geflossen, wenn dieser schändliche Plan Wirklichkeit werden soll. Der letzte Wurf ist noch nicht getan. Darum auf Tiroler, zum Tiroler Volkstag in Brixen am 13. Oktober 1918 (nächsten Sonntag). Deutscher Boden muß deutsch bleiben, Tiroler Boden muß tirolisch bleiben. Tiroler entscheidet selbst über Eure Zukunft!

Am 4. November vereinbarten Österreich-Ungarn und das Königreich Italien schließlich einen Waffenstillstand. Damit verbunden war das Recht der Alliierten Gebiete der Monarchie zu besetzen. Bereits am nächsten Tag rückten bayerische Truppen in Innsbruck ein. Der österreichische Verbündete Deutschland befand sich noch im Krieg mit Italien und hatte Angst, die Front könnte nach Nordtirol näher an das Deutsche Reich verlegt werden. Zum großen Glück für Innsbruck und die Umgebung kapitulierte aber auch Deutschland eine Woche später am 11. November. So blieben die großen Kampfhandlungen zwischen regulären Armeen außen vor.

Trotzdem war Innsbruck in Gefahr. Gewaltige Kolonnen an militärischen Kraftfahrzeugen, Züge voller Soldaten und tausende ausgezehrte Soldaten, die sich zu Fuß auf den Heimweg von der Front machten, passierten die Stadt. Die Stadt musste nicht nur die eigenen Bürger in Zaum halten, die Verpflegung garantieren, sondern sich auch vor Plünderungen schützen. Um die öffentliche Ordnung aufrecht zu erhalten, bildeten sich Wehrgruppen aus Schülern, Studenten, Arbeitern und Bürgern. Am 23. November 1918 besetzten italienische Truppen die Stadt und das Umland. Der beschwichtigende Aufruf an die Innsbrucker von Bürgermeister Greil, die Stadt ohne Aufruhr zu übergeben, hatte Erfolg. Es kam zwar zu vereinzelten Ausschreitungen, Hungerkrawallen und Plünderungen, bewaffnete Auseinandersetzungen mit den Besatzungstruppen oder gar eine bolschewistische Revolution wie in München gab es aber nicht.

Erinnerungsorte an den Ersten Weltkrieg und die Gefallenen finden sich in Innsbruck vor allem an Kirchen und Friedhöfen. Das Kaiserjägermuseum am Berg Isel zeigt Uniformen, Waffen und Bilder des Schlachtgeschehens. Den beiden Theologen Anton Müllner und Josef Seeber sind in Innsbruck Straßennamen gewidmet. Auch nach dem Oberbefehlshaber der k.u.k Armee an der Südfront, Erzherzog Eugen, wurde eine Straße benannt. Vor dem Hofgarten befindet sich ein Denkmal für den erfolglosen Feldherren. An die italienische Besatzung erinnert der östliche Teil des Amraser Militärfriedhofs.