Neue Stadtschule
Kiebachgasse 10
Wissenswert
Das Gebäude der Neuen Stadtschule in der Kiebachgasse mag von außen unscheinbar sein, wer es aber schafft einen Blick in den Innenhof zu werfen, wird vom gotischen Gebälk aus dem 16. belohnt. Die kunstvolle Holzschnitzerei gibt einen guten Eindruck von der Kunstfertigkeit der Handwerker der Frühen Neuzeit. Der Blick nach oben macht beinahe schwindelig. Interessant ist auch der Brunnen, der die Zeiten überdauerte. Neugierige können beim Schlüsseldienst im Nebengebäude um Zutritt fragen. Mit etwas Glück gelangt man so ins Gebäude.
Die Neue Stadtschule in der Kiebachgasse erzählt die Geschichte einer der größten gesellschaftlichen Veränderungen. 1774 trat die „Allgemeine Schulordnung für die deutschen Normal-, Haupt- und Trivialschulen in sämmtlichen Kaiserl. Königl. Erbländern“ Maria Theresias in Kraft. Alle Kinder, auch Mädchen, bis 12 mussten die Schulbank drücken, zumindest theoretisch. Österreichweit ging auch nach der Gesetzesänderung nur jedes dritte Kind in die Schule, wobei es ein großes Stadt-Land-Gefälle gab. In den damals noch nicht zu Innsbruck gehörenden Dörfern wie Pradl, Amras und Wilten sahen die Bauern ihre Kinder lieber am Feld bei der Arbeit als in der Schule. Auch das in den ersten Jahren des neuen Schulsystems zu zahlende Schulgeld stellte eine Hürde dar. In der Stadt hingegen waren Bildungshunger und finanzielle Möglichkeiten schon vor der Gesetzesänderung größer gewesen. Bereits 1768 waren Innsbrucks Lehrer und Schüler wegen Platzmangel von der alten Schule am Domplatz in die neue Stadtschule in der heutigen Kiebachgasse umgezogen.
Der aufgeklärte Staatsapparat Maria Theresias hatte großes Interesse daran, die Erziehung der Kinder nicht mehr im Wildwuchs Gemeinden und der Kirche zu überlassen, wie es über Jahrhunderte hinweg geschehen war. Die Folge davon war das, was man heute als Bildungskrise bezeichnen würde: Schlecht ausgebildete Arbeitskräfte, die in Handwerk und Armee nicht ihr volles Potential ausschöpften. Ein weiteres Anliegen war das Staatsbewusstsein, das für einen modernen Flächenstaat notwendig war. Von jungen Jahren an sollten Kinder zwar katholisch erzogen werden, ihre Treue sollte aber auch dem Staat gelten.
Das neue Schulsystem gliederte sich in Normal-, Haupt, und Trivialschulen. Die Trivialschulen waren vor allem in den Dörfern und den ärmeren Innsbrucker Stadtteilen verbreitet. Zwar waren die Trivialschulen in St. Nikolaus und der Kohlstatt nicht mit der Stadtschule vergleichbar, was den Unterricht anbelangt, zumindest war die Anwesenheitsquote hier aber höher als am Land.
Kinder wurden in Klassen oft unabhängig von ihrem Alter zusammengefasst. Religion, Deutsch und Rechnen waren noch immer Teil des Unterrichtsplans. Hinzu kam das Fach „Anleitungen zu Rechtschaffenheit und Wirtschaft“. Sachkunde vermittelte Wissen in Disziplinen wie Geografie und Naturwissenschaften, alles natürlich streng im Rahmen der katholischen Lehre.
Besonders auf mathematische Grundkenntnisse legte der Unterricht mehr Wert. Egal ob Handwerker, Beamter oder Artillerist in der stetig wachsenden Armee, die Mathematik hatte seit 1500 an Bedeutung gegenüber den klassischen humanistischen Fächern wie Rhetorik, Philosophie und Sprachen zugenommen. Wirtschaft und Technik bevorzugten Mathematiker gegenüber Philosophen, auch wenn die Einzelbereiche noch nicht in strengen Kategorien und Disziplinen voneinander getrennt waren, wie sie es heute sind.
Änderungen gab es aber nicht nur für die Schüler. Auch Lehrer wurden der Normierung unterworfen. Ein am Hof verfasstes Standardwerk sollte die Lehrmethoden im gesamten Reich Maria Theresias auf ein ähnliches Niveau bringen und eine gewisse reichsweite Standardisierung garantieren. Der damalige Innsbrucker Schuldirektor Philipp Jakob Tangl (1733 – 1780) war als Berater nach Wien an den Hof Maria Theresias berufen worden. Bei aller Aufgeklärtheit des Unterrichts blieben Stockschläge bei Ungehorsam und Fehlverhalten aber weiterhin Teil des Alltags und sollten es auch noch für einige Jahrhunderte bleiben.
Bis 1868 wurden die Innsbrucker Kinder in der Kiebachgasse unterrichtet. Durch das Reichsvolksschulgesetz dieses Jahres wurde die Pflichtschulzeit bis 14 Jahre erweitert und die Trivialschulen in Volks- und Bürgerschule umgewandelt. Das Gebäude in der Kiebachgasse war damit zu klein geworden. Der Nachmieter war mit der Evangelischen Kirche schnell gefunden, gab es doch in der Stadtschule auch eine kleine Kapelle, die benutzt werden konnte. Als die protestantische Glaubensgemeinschaft 1905 in den Saggen übersiedelte, mietete sich eine Schlosserei ein.
Die Reformation in Tirol
Die Reformation mag aus heutiger Sicht eine Glaubensangelegenheit gewesen sein. Betrachtet man den Glauben aber als einen essentiellen Baustein des Alltags und der Identität der Zeitgenossen, erkennt man, dass sie nur ein Ausdruck für vieles war, was sich im Umbruch befand. Die Reformation war eine gesamtgesellschaftliche Zäsur ähnlich den Jahren 1848 oder 1968. Die Mehrzahlt der Menschen mag davon oberflächlich unberührt geblieben sein, trotzdem veränderte sich in der Folge dieser Revolutionen vieles für alle. Der damit einhergehende soziale und politische Wandel machte auch vor dem Heiligen Land Tirol nicht Halt.
Um 1500 begannen neue Entdeckungen und Denkansätze das Ende des Mittelalters einzuläuten. Künstler, Gelehrte und Kleriker begannen überall in Europa Hierarchien, Ordnung und Legitimationen zu hinterfragen. Mit den theologischen Reformatoren des 15. und 16. Jahrhunderts begann das Feudalsystem, das Kirche und Adel über Volk und Bürgerschaft sah, brüchig zu werden. Der böhmische Geistliche Jan Hus hatte im 15. Jahrhundert als einer der ersten in Festlandeuropa die Allmacht des Papstes angezweifelt und wurde dafür am Konzil von Konstanz am Scheiterhaufen verbannt. In Frankreich und der Schweiz war es Jean Calvin (1509 – 1564), im Heiligen Römischen Reich Martin Luther (1483 – 1546) und Thomas Müntzer (1489 – 1525), die die Römische Kirche im 16. Jahrhundert herausforderten.
In Tirol waren vor allem die Bergwerkstädte Hall und Schwaz die Zentren der Reformation, in denen im frühen 16. Jahrhundert Prediger wie Jacob Strauß die Menschen mit abweichenden aufwiegelten. Die neuen Lehren waren ein Symbol für das neue Selbstverständnis und die gesellschaftliche Bedeutung, die Handwerker, Facharbeiter und Unternehmer in dieser aufstrebenden Branche gegenüber dem alten System der Feudalherren hatten. Auch die progressiven Teile des Adels interessierten sich für die neue Art, seinen Glauben, der wichtiger Teil des Lifestyles war, zu leben. Strauß predigte vor vollen Kirchen – allerdings nach den Lehren Luthers auf Deutsch anstatt denen des Papstes in Latein.
Ferdinand I. und seine Nachfolger konnten die Reformation in Tirol erfolgreich zurückdrängen. Ferdinand II. beschrieb seine Motive mit den Worten:
„…aus eingebung Gotes und seines Hayligen Geistes Inspiration. Alles zu ehre des aller höchsten aus ainem Rechen inprünstigen zu der heyligen Catholischen Alleinsseligmachenden Religion tragenden eyfer.“
Die Religionskrise führte auch außerhalb der Kirchen zu Problemen. Glaube und Weltliches waren keine getrennten Sphären. Waren die Knappen unzufrieden mit der Seelsorge, streikten sie. Die öffentliche Ordnung war in Gefahr, nicht nur dadurch, dass die Bergleute das Recht hatten, Waffen zu tragen. Sie waren gut verknüpft untereinander. Ein Generalstreik konnte eine Wirtschaftskrise auslösen. Fugger und Habsburger, Kapital und politische Macht, waren sehr bedacht darauf, es nicht so weit kommen zu lassen und räumten den Bergleuten Sonderrechte ein.
Im 16. und 17. Jahrhundert waren es vor allem Priester des Jesuitenordens, die abtrünnige Gemeinden und Bürger vom reformierten Glauben zurück in den Schoß der katholischen Kirche bringen sollten. Die Habsburger setzten in Österreich sogenannte Religionsreformationskommissionen ein. Fanden diese „Missionare“ protestantisch orientierte Pfarrer oder Untertanen, die verbotene Bücher besaßen, wurden diese verhaftet und des Landes verwiesen und nicht selten ihre Häuser angezündet. Protestantische Beamte konnten ihren Beruf nicht ausüben. Sie mussten entweder konvertieren oder emigrieren. Besonders sture Untertanen wurden öffentlich angekettet, je niederer der Stand des Bürgers, desto schwerer die Bestrafung.
Unter Maria Theresia im 18. Jahrhundert wurden Tiroler Protestanten in weit entlegene Teile des Habsburgerreichs zwangsweise umgesiedelt. Die Umsiedlungen bedeuteten aber nicht nur für die betroffenen Bürger ein Problem. Die Länder standen vor dem Problem dessen, was man heute als Braindrain bezeichnet. Mit den Umgesiedelten verließen auch Arbeitskraft und Kompetenzen das Land. 1781 erließ der aufgeklärte Kaiser Joseph II. auch aus diesem Grund das Toleranzpatent, das den Bau von protestantischen Kirchen erlaubte, wenn auch an Bedingungen gebunden. So durften diese Bethäuser keine Türme oder sonstigen baulichen Besonderheiten aufweisen. Sogar straßenseitige Fenster waren verboten. In Tirol kam es zu Widerständen gegen das Toleranzpatent, man fürchtete um die guten Sitten und wollte fremdartige Religionen, Zwietracht und Unruhen aller Art vermeiden. Konvertierten Untertanen wurden Dinge wie Ehe und ein Begräbnis auf katholischen Friedhöfen verwehrt.
Bis heute gilt Tirol als selbsternanntes „Heiliges Land“, wobei sich heilig explizit auf den katholischen Glauben bezieht. Noch 1837 wurden Protestanten aus dem Zillertal abgeschoben. Die Nachfahren der sogenannten Zillertaler Inklinanten, die unter behördlichem Druck auswanderten, leben bis heute in Deutschland. Nach und nach hielt die Toleranz zwar Einzug im Kaiserreich und in den Ländern, die Zusammengehörigkeit von Obrigkeit und katholischer Kirche biss sich aber weit ins 20. Jahrhundert in vielen Lebensbereiche, zum Beispiel der Schulbildung, fest. 1861 erließ Kaiser Franz Josef das Protestantenpatent, das der evangelischen Kirche mehr oder minder die gleichen Rechte wie die katholische Kirche. Die Tiroler Bevölkerung ließ sich in ihrer Beharrungsfähigkeit auch nicht vom kaiserlichen Protestantenpatent von ihrer Intoleranz abbringen. Das Argument lautete, dass es in Tirol ohnehin keine Andersgläubigen gäbe, es daher auch keiner Toleranz gegenüber Nichtkatholiken bedurfte. Erst 1876 kam es zur Gründung einer offiziellen evangelischen Pfarrgemeinde in Innsbruck.
Maria Theresia, Reformatorin und Landesmutter
Maria Theresia zählt zu den bedeutendsten Figuren der österreichischen Geschichte. Obwohl sie oft als Kaiserin tituliert wird, war sie offiziell "nur" unter anderem Erzherzogin von Österreich, Königin von Ungarn und Königin von Böhmen. Bedeutend waren ihre innenpolitischen Reformen. Gemeinsam mit ihren Beratern Friedrich Wilhelm von Haugwitz, Joseph von Sonnenfels und Wenzel Anton Kaunitz schaffte sie es aus den sogenannten Österreichischen Erblanden einen modernen Staat zu basteln. Anstatt der Verwaltung ihrer Territorien durch den ansässigen Adel setzte sie auf eine moderne Verwaltung. Das Wohl der Untertanen wurde wichtiger. Ihre Berater hatten ganz im Stil der Aufklärung erkannt, dass sich das Staatswohl aus der Gesundheit und Bildungsgrad seiner Einzelteile ergab. Untertanen sollten katholisch sein, ihre Treue aber sollte dem Staat gelten. Schulbildung wurde unter zentrale staatliche Verwaltung gestellt. Es sollten keine kritischen, humanistischen Geistesgrößen, sondern Material für den staatlichen Verwaltungsapparat erzogen werden. Über Militär und Verwaltung konnten nun auch Nichtadlige in höhere staatliche Positionen aufsteigen.
In Strafverfolgung und Justiz fand ein Umdenken statt. 1747 wurde in Innsbruck eine kleine Polizei eingesetzt, die sich um Angelegenheiten der Marktaufsicht, Gewerbeordnung, Fremdenkontrolle und öffentliche Sittsamkeit kümmerte. Das Strafgesetzbuch Constitutio Criminalis Theresiana schaffte die Folter zwar nicht ab, reglementierte aber deren Anwendung.
Wirtschaftsreformen sollten nicht nur mehr Möglichkeiten für die Untertanen schaffen, sondern auch die Staatseinnahmen erhöhen. Gewichte und Maßeinheiten wurden nominiert, um das Steuersystem undurchlässiger zu machen. Für Bürger und Bauern hatte die Vereinheitlichung der Gesetze den Vorteil, dass das Leben weniger von Grundherren und deren Launen abhing. Auch der Robot, den Bauern auf den Gütern des Grundherrn kostenfrei zu leisten hatten, wurde unter Maria Theresia abgeschafft.
So sehr sich Maria Theresia auch als fromme Landesmutter inszenierte und heute als Aufklärerin bekannt ist, die streng katholische Regentin war nicht zimperlich in Fragen von Macht und Religion. Im Trend der Zeit der Aufklärung ließ sie Aberglauben wie den Vampirismus, der in den östlichen Teilen ihres Reiches weit verbreitet war, kritisch untersuchen und leitete das endgültige Ende der Hexenprozesse ein. Gleichzeitig aber wurden Protestanten von ihr gnadenlos des Landes verwiesen. Viele Tiroler mussten ihr Heimatgebiet verlassen und sich in weiter vom Zentrum entfernten Teilen des Habsburgerreiches niederlassen.
In Kronländern wie Tirol stießen die Reformen Maria Theresias auf wenig Gegenliebe. Mit Ausnahme von ein paar Liberalen sah man sich mehr als eigenständiges und autonomes Land und weniger als Teil eines modernen Territorialstaates. Auch dem Klerus gefiel die neue, untergeordnete Rolle, die sich unter Josef II. nochmals verschärfte, nicht. Für den lokalen Adel bedeuteten die Reformen nicht nur den Verlust von Bedeutung und Autonomie, sondern auch höhere Steuern und Abgaben. Steuern, Abgaben und Zölle, die der Stadt Innsbruck stets verlässliche Einnahmen gebracht hatten, wurden nun zentral eingehoben und über einen Finanzausgleich nur zum Teil rückgeführt. Um die Fallhöhe für Söhne aus verarmten Adelsfamilien abzuschwächen und sie für den Staatsdienst auszubilden, gründete Maria Theresie das Theresianum, das ab 1775 auch in Innsbruck eine Niederlassung hatte.
Wie so oft bügelte die Zeit manche Falte aus und Innsbrucker sind mittlerweile stolz darauf, eine der bedeutendsten Herrscherpersönlichkeiten der österreichischen Geschichte beherbergt zu haben. Heute erinnern vor allem die Triumphpfote und die Hofburg in Innsbruck an die Theresianische Zeit.