Johanneskirche
Bischof-Reinhold-Stecher-Platz
Wissenswert
Der Innrain, heute eine belebte Durchzugstraße, wurde ab dem 16. Jahrhundert vor allem von der Beamtenschaft besiedelt, die als Teil des landesfürstlichen Verwaltungsapparats immer größer wurde. Um das Seelenheil der neuen Bewohner nicht brachliegen zu lassen, 1728 wurde mit dem Bau der Johanneskirche nach Plänen von Georg Anton Gumpp im Stil des Hochbarock begonnen. Besucher werden von den für den Barockstil typischen zwiebelförmigen Türmen empfangen. Der tempelförmige Eingangsbereich der Kirche ist mit einem schönen Deckenfresko geschmückt. Das Bild zeigt in klassisch barocker Manier im Zentrum der Komposition die Providentia Divina, die göttliche Vorsehung. Während das Füllhorn Reichtum und Wohlstand auf die Gerechten ergießt, sieht man im unteren Abschnitt rechts die Hölle, in der Sünder Gottes Strafe für liederliches Dasein auf Erden erfahren. Auch der Innenraum ist reich geschmückt und entzückt mit seinem blendenden Weiß.
Die Johanneskirche ist nicht Johannes dem Täufer, sondern dem Heiligen Johannes von Nepomuk geweiht. Der Legende nach wollte Johannes Nepomuk das Beichtgeheimnis nicht brechen, als der König von Böhmen ihn zum Beichtgespräch seiner Gattin befragte. Daraufhin ließ König Wenzel IV. ihn in Prag foltern und anschließend in der Moldau ertränken. Er gilt als Schutzpatron der Brücken und des Beichtgeheimnisses. Der Platz vor der Kirche erinnert an den in Tirol bis heute sehr beliebten, 2013 verstorbenen Bischof Reinhold Stecher und ermöglicht einen schönen Blick auf das freistehende Gotteshaus. Bis 1985 war diese kleine, innerstädtische Oase ein Parkplatz. Die Umwidmung zur autofreien Zone erfolgte verhältnismäßig früh für Innsbrucker Verhältnisse, wenn man bedenkt, wie lange es dauerte, die Maria-Theresien-Straße zur Fußgängerzone zu machen.
Bekannt ist die Johanneskirche auch als Neue Universitätskirche. Als die Universität 1669 aus dem Jesuitenkolleg hervorging, hatte dieser mächtige Orden in Innsbruck die Oberaufsicht über das höhere Bildungswesen in der Stadt. Lange Zeit über fanden universitäre Gottesdienste in der Jesuitenkirche statt. Mit der Übersiedlung der Hauptuniversität an den Innrain war die Johanneskirche den Studenten zumindest örtlich näher. Bischof Stecher, dem der Platz vor der Kirche gewidmet ist, erhob 1993 die Johanneskirche zur Universitätskirche. An der Nordseite der Außenfassade der Johanneskirche erinnert eine Gedenktafel an die in den Weltkriegen gefallenen Mitglieder der katholischen Studentenverbindung Leopoldina.
Die Baumeister Gumpp und die Barockisierung Innsbrucks
Die Werke der Familie Gumpp bestimmen bis heute sehr stark das Aussehen Innsbrucks. Vor allem die barocken Teile der Stadt sind auf sie zurückzuführen. Der Begründer der Dynastie in Tirol, Christoph Gumpp (1600-1672) war eigentlich Tischler. Sein Talent allerdings hatte ihn für höhere Weihen auserkoren. Den Beruf des Architekten oder Künstler gab es zu dieser Zeit noch nicht, selbst Michelangelo und Leonardo da Vinci galten als Handwerker. Der gebürtige Schwabe Gumpp trat nach seiner Mitarbeit an der Dreifaltigkeitskirche in die Fußstapfen der italienischen Baumeister, die unter Ferdinand II den Ton angegeben hatten. Auf Geheiß Leopolds V. reiste Gumpp nach Italien, um dort Theaterbauten zu studieren und bei den zeitgenössisch stilbildenden Kollegen sein Know-How für das geplante landesfürstliche Comedihaus aufzupolieren.
Seine offizielle Tätigkeit als Hofbaumeister begann 1633. Neue Zeiten bedurften eines neuen Designs, abseits des architektonisch von der Gotik geprägten Mittelalters und den Schrecken des Dreißigjährigen Krieges. Über die folgenden Jahrzehnte wurde Innsbruck unter der Regentschaft Claudia de Medicis einer kompletten Renovierung unterzogen. Gumpp vererbte seinen Titel an die nächsten beiden Generationen innerhalb der Familie weiter. Die Gumpps traten nicht nur als Baumeister in Erscheinung. Sie waren Tischler, Maler, Kupferstecher und Architekten, was ihnen erlaubte, ähnlich der Bewegung der Tiroler Moderne rund um Franz Baumann und Clemens Holzmeister Anfang des 20. Jahrhunderts, Projekte ganzheitlich umzusetzen. Auch bei der Errichtung der Schanzwerke zur Landesverteidigung während des Dreißigjährigen Krieges waren sie als Planer beteiligt.
Christoph Gumpps Meisterstück aber war die Errichtung des Comedihaus im ehemaligen Ballhaus. Die überdimensionierten Maße des damals richtungsweisenden Theaters, das in Europa zu den ersten seiner Art überhaupt gehörte, erlaubte nicht nur die Aufführung von Theaterstücken, sondern auch Wasserspiele mit echten Schiffen und aufwändige Pferdeballettaufführungen. Das Comedihaus war ein Gesamtkunstwerk an und für sich, das in seiner damaligen Bedeutung wohl mit dem Festspielhaus in Bayreuth des 19. Jahrhunderts oder der Elbphilharmonie heute verglichen werden muss.
Seine Nachfahren Johann Martin Gumpp der Ältere, Georg Anton Gumpp und Johann Martin Gumpp der Jüngere waren für viele der bis heute prägendsten Gebäude im Stadtbild zuständig. So stammen die Wiltener Stiftskirche, die Mariahilfkirche, die Johanneskirche und die Spitalskirche von den Gumpps. Neben dem Entwurf von Kirchen und ihrer Arbeit als Hofbaumeister machten sie sich auch als Planer von Profanbauten einen Namen. Viele der Bürgerhäuser und Stadtpaläste Innsbrucks wie das Taxispalais oder das Alte Landhaus in der Maria-Theresien-Straße wurden von Ihnen entworfen. Mit dem Verlust des Status als Residenzstadt gingen die prunkvollen Großaufträge zurück und damit auch der Ruhm der Familie Gumpp. Ihr ehemaliges Wohnhaus beherbergt heute die Konditorei Munding in der Altstadt. Im Stadtteil Pradl erinnert die Gumppstraße an die Innsbrucker Baumeisterdynastie.
Glaube, Kirche, Obrigkeit und Herrschaft
Die Fülle an Kirchen, Kapellen, Kruzifixen und Wandmalereien im öffentlichen Raum wirkt auf viele Besucher Innsbrucks aus anderen Ländern eigenartig. Nicht nur Gotteshäuser, auch viele Privathäuser sind mit Darstellungen der Heiligen Familie oder biblischen Szenen geschmückt. Der christliche Glaube und seine Institutionen waren in ganz Europa über Jahrhunderte alltagsbestimmend. Innsbruck als Residenzstadt der streng katholischen Habsburger und Hauptstadt des selbsternannten Heiligen Landes Tirol wurde bei der Ausstattung mit kirchlichen Bauwerkern besonders beglückt. Allein die Dimension der Kirchen umgelegt auf die Verhältnisse vergangener Zeiten sind gigantisch. Die Stadt mit ihren knapp 5000 Einwohnern besaß im 16. Jahrhundert mehrere Kirchen, die in Pracht und Größe jedes andere Gebäude überstrahlte, auch die Paläste der Aristokratie. Das Kloster Wilten war ein Riesenkomplex inmitten eines kleinen Bauerndorfes, das sich darum gruppierte. Die räumlichen Ausmaße der Gotteshäuser spiegelt die Bedeutung im politischen und sozialen Gefüge wider.
Die Kirche war für viele Innsbrucker nicht nur moralische Instanz, sondern auch weltlicher Grundherr. Der Bischof von Brixen war formal hierarchisch dem Landesfürsten gleichgestellt. Die Bauern arbeiteten auf den Landgütern des Bischofs wie sie auf den Landgütern eines weltlichen Fürsten für diesen arbeiteten. Damit hatte sie die Steuer- und Rechtshoheit über viele Menschen. Die kirchlichen Grundbesitzer galten dabei nicht als weniger streng, sondern sogar als besonders fordernd gegenüber ihren Untertanen. Gleichzeitig war es auch in Innsbruck der Klerus, der sich in großen Teilen um das Sozialwesen, Krankenpflege, Armen- und Waisenversorgung, Speisungen und Bildung sorgte. Der Einfluss der Kirche reichte in die materielle Welt ähnlich wie es heute der Staat mit Finanzamt, Polizei, Schulwesen und Arbeitsamt tut. Was uns heute Demokratie, Parlament und Marktwirtschaft sind, waren den Menschen vergangener Jahrhunderte Bibel und Pfarrer: Eine Realität, die die Ordnung aufrecht hält. Zu glauben, alle Kirchenmänner wären zynische Machtmenschen gewesen, die ihre ungebildeten Untertanen ausnützten, ist nicht richtig. Der Großteil sowohl des Klerus wie auch der Adeligen war fromm und gottergeben, wenn auch auf eine aus heutiger Sicht nur schwer verständliche Art und Weise.
Anders als heute, war Religion keineswegs Privatsache. Verletzungen der Religion und Sitten wurde vor weltlichen Gerichten verhandelt und streng geahndet. Die Anklage bei Verfehlungen lautete Häresie, worunter eine Vielzahl an Vergehen zusammengefasst wurde. Sodomie, also jede sexuelle Handlung, die nicht der Fortpflanzung diente, Zauberei, Hexerei, Gotteslästerung – kurz jede Abwendung vom rechten Gottesglauben, konnte mit Verbrennung geahndet werden. Das Verbrennen sollte die Verurteilten gleichzeitig reinigen und sie samt ihrem sündigen Treiben endgültig vernichten, um das Böse aus der Gemeinschaft zu tilgen.
Bis in kleine Details des täglichen Lebens regelte die Kirche lange Zeit das alltägliche Sozialgefüge der Menschen. Kirchenglocken bestimmten den Zeitplan der Menschen. Ihr Klang rief zur Arbeit, zum Gottesdienst oder informierte als Totengeläut über das Dahinscheiden eines Mitglieds der Gemeinde. Menschen konnten einzelne Glockenklänge und ihre Bedeutung voneinander unterscheiden. Sonn- und Feiertage strukturierten die Zeit. Fastentage regelten den Speiseplan. Familienleben, Sexualität und individuelles Verhalten hatten sich an den von der Kirche vorgegebenen Moral zu orientieren. Das Seelenheil im nächsten Leben war für viele Menschen wichtiger als das Lebensglück auf Erden, war dies doch ohnehin vom determinierten Zeitgeschehen und göttlichen Willen vorherbestimmt. Fegefeuer, letztes Gericht und Höllenqualen waren Realität und verschreckten und disziplinierten auch Erwachsene.
Während das Innsbrucker Bürgertum von den Ideen der Aufklärung nach den Napoleonischen Kriegen zumindest sanft wachgeküsst worden war, blieb der Großteil der Menschen in den Umlandgemeinden weiterhin der Mischung aus konservativem Katholizismus und abergläubischer Volksfrömmigkeit verbunden.
Glaube und Kirche haben noch immer ihren fixen Platz im Alltag der Innsbrucker, wenn auch oft unbemerkt. Die Kirchenaustritte der letzten Jahrzehnte haben der offiziellen Mitgliederzahl zwar eine Delle versetzt und Freizeitevents werden besser besucht als Sonntagsmessen. Die römisch-katholische Kirche besitzt aber noch immer viel Grund in und rund um Innsbruck, auch außerhalb der Mauern der jeweiligen Klöster und Ausbildungsstätten. Etliche Schulen in und rund um Innsbruck stehen ebenfalls unter dem Einfluss konservativer Kräfte und der Kirche. Und wer immer einen freien Feiertag genießt, ein Osterei ans andere peckt oder eine Kerze am Christbaum anzündet, muss nicht Christ sein, um als Tradition getarnt im Namen Jesu zu handeln.
Barock: Kunstrichtung und Lebenskunst
Wer in Österreich unterwegs ist, kennt die Kuppen und Zwiebeltürme der Kirchen in Dörfern und Städten. Diese Form der Kirchtürme entstand in der Zeit der Gegenreformation und ist ein typisches Kennzeichen des Architekturstils Barock. Auch in Innsbrucks Stadtbild sind sie vorherrschend. Die bekanntesten Gotteshäuser Innsbrucks wie der Dom, die Johanneskirche oder die Jesuitenkirche, sind im Stile des Barocks gehalten. Prachtvoll und prunkvoll sollten Gotteshäuser sein, ein Symbol des Sieges des rechten Glaubens. Die Religiosität spiegelte sich in Kunst und Kultur wider: Großes Drama, Pathos, Leiden, Glanz und Herrlichkeit vereinten sich zum Barock, der den gesamten katholisch orientierten Einflussbereich der Habsburger und ihrer Verbündeten zwischen Spanien und Ungarn nachhaltig prägte.
Das Stadtbild Innsbrucks veränderte sich enorm. Die Gumpps und Johann Georg Fischer als Baumeister sowie die Bilder Franz Altmutters prägen Innsbruck bis heute nachhaltig. Das Alte Landhaus in der Altstadt, das Neue Landhaus in der Maria-Theresien-Straße, die unzähligen Palazzi, Bilder, Figuren – der Barock war im 17. und 18. Jahrhundert das stilbildende Element des Hauses Habsburg und brannte sich in den Alltag ein. Das Bürgertum wollte den Adeligen und Fürsten nicht nachstehen und ließen ihre Privathäuser im Stile des Barocks errichten. Auf Bauernhäusern prangen Heiligenbilder, Darstellungen der Mutter Gottes und des Herzen Jesu.
Barock war nicht nur eine architektonische Stilrichtung, es war ein Lebensgefühl, das seinen Ausgang nach dem Ende des Dreißigjährigen Krieges nahm. Die Türkengefahr aus dem Osten, die in der zweimaligen Belagerung Wiens gipfelte, bestimmte die Außenpolitik des Reiches, während die Reformation die Innenpolitik dominierte. Die Barockkultur war ein zentrales Element des Katholizismus und der politischen Darstellung derselben in der Öffentlichkeit, das Gegenmodell zum spröden und strengen Lebensentwurf Calvins und Luthers. Feiertage mit christlichem Hintergrund wurden eingeführt, um den Alltag der Menschen aufzuhellen. Architektur, Musik und Malerei waren reich, füllig und üppig. In Theaterhäusern wie dem Comedihaus in Innsbruck wurden Dramen mit religiösem Hintergrund aufgeführt. Kreuzwege mit Kapellen und Darstellungen des gekreuzigten Jesus durchzogen die Landschaft. Die Volksfrömmigkeit in Form der Wallfahrten, Marien- und Heiligenverehrung hielt Einzug in den Kirchenalltag.
Die Barockfrömmigkeit wurde auch zur Erziehung der Untertanen eingesetzt. Auch wenn der Ablasshandel in der Zeit nach dem 16. Jahrhundert keine gängige Praxis mehr in der katholischen Kirche war, so gab es doch noch eine rege Vorstellung von Himmel und Hölle. Durch ein tugendhaftes Leben, sprich ein Leben im Einklang mit katholischen Werten und gutem Verhalten als Untertan gegenüber der göttlichen Ordnung, konnte man dem Paradies einen großen Schritt näherkommen. Die sogenannte Christliche Erbauungsliteratur war nach der Schulreformation des 18. Jahrhunderts in der Bevölkerung beliebt und zeigte vor, wie das Leben zu führen war. Das Leiden des Gekreuzigten für die Menschheit galt als Symbol für die Mühsal der Untertanen auf Erden innerhalb des Feudalsystems. Mit Votivbildern baten Menschen um Beistand in schweren Zeiten oder bedankten sich vor allem bei der Mutter Gottes für überstandene Gefahren und Krankheiten. Tolle Beispiele dafür finden sich an der östlichen Fassade der Basilika in Wilten.
Der Historiker Ernst Hanisch beschrieb den Barock und den Einfluss, den er auf die österreichische Lebensart hatte, so:
„Österreich entstand in seiner modernen Form als Kreuzzugsimperialismus gegen die Türken und im Inneren gegen die Reformatoren. Das brachte Bürokratie und Militär, im Äußeren aber Multiethnien. Staat und Kirche probierten den intimen Lebensbereich der Bürger zu kontrollieren. Jeder musste sich durch den Beichtstuhl reformieren, die Sexualität wurde eingeschränkt, die normengerechte Sexualität wurden erzwungen. Menschen wurden systematisch zum Heucheln angeleitet.“
Die Rituale und das untertänige Verhalten gegenüber der Obrigkeit hinterließen ihre Spuren in der Alltagskultur, die katholische Länder wie Österreich und Italien bis heute von protestantisch geprägten Regionen wie Deutschland, England oder Skandinavien unterscheiden. Die Leidenschaft für akademische Titel der Österreicher hat ihren Ursprung in den barocken Hierarchien. Der Ausdruck Barockfürst bezeichnet einen besonders patriarchal-gönnerhaften Politiker, der mit großen Gesten sein Publikum zu becircen weiß. Während man in Deutschland politische Sachlichkeit schätzt, ist der Stil von österreichischen Politikern theatralisch, ganz nach dem österreichischen Bonmot des „Schaumamal“.
Universitätsstadt Innsbruck
1669 gilt als das offizielle Gründungsjahr einer der wichtigsten Institutionen der Innsbrucker Stadtgeschichte. Am 15. Oktober gab Kaiser Leopold I. den Tirolern das Privileg des „Haller Salzaufschlags“, der es ermöglichte die begehrte Handelsware stärker zu besteuern und damit den Universitätsbetrieb zu finanzieren. Die Universität ging aus der Lateinschule hervor, die von den Jesuiten etwas mehr als hundert Jahre zuvor unter Ferdinand I. gegründet worden war. Der Schwerpunkt am Gymnasium lag auf der humanistischen Bildung. Latein und Griechisch waren Schwerpunkte im Unterricht. Wissenschaftliche Bücher wurden in der Frühen Neuzeit noch immer auf Latein verfasst. Auch für höhere Posten im öffentlichen Dienst war Latein Voraussetzung. Die Universität brachte neue Ausbildungsmöglichkeiten nach Innsbruck. Die erste Fakultät, die den Lehrbetrieb aufnahm, war die Philosophie. Theologie, Recht und Medizin folgten kurz darauf. Als Papst Innozenz XI. der Universität 1677 seinen Segen gab, war der Betrieb schon voll angelaufen und Studenten aus Tirol und anderen Ländern tummelten sich in Innsbruck. Ein Studium dauerte für gewöhnlich sieben Jahre, bevor sich der Absolvent als Zeichen seines Status als Doktor einen Ring über den Finger streifen durfte. In den ersten beiden Jahren musste jeder Student der Philosophie widmen, bevor er sich für ein Gebiet entschied. Zum geisteswissenschaftlichen Unterricht kamen Kirchendienste, Theateraufführungen, Musizieren und praktische Dinge wie Fechten und Reiten, die im Leben eines gebildeten jungen Mannes nicht fehlen durften.
Die Universität war aber mehr als ein Bildungsinstitut. Studenten und Professoren veränderten das soziale Gefüge der Stadt. Bei gesellschaftlichen Anlässen wie Prozessionen stachen Abordnungen wie die Congregation der heiligen Jungfrau, die sich aus Mitgliedern der jesuitisch geprägten Universität speiste, hervor. Die Professoren pflegten in ihren je nach Fachgebiet verschiedenartigen Samtmänteln aufzutreten, die Studenten mit den Schwertern, die sie tragen durften. Die Akademiker sprachen auch auf Deutsch anders als die einheimische Bevölkerung, offizielles wurde ohnehin meist auf Latein erledigt. 1665 hatte Innsbruck den Rang einer Residenzstadt verloren und hatte damit an Prestige und Glanz verloren. Der Universitätsbetrieb machte diese Degradierung etwas wett, blieb die Aristokratie so zumindest in Form von Studenten erhalten. Work hard, play hard galt auch damals als Motto. Der von den Professoren streng überwachte studentische Alltag in Aula und den Hörsälen wurde von einem bunten Mix aus feuchtfröhlicher Abendunterhaltung, Ausflügen in die Umgebung Innsbrucks, Musizieren, kirchlichen Prozessionen und Theateraufführungen aufgelockert. Das Zusammentreffen privilegierter Jugendlicher mit Bürgern, Dienstboten und Handwerkern lief nicht immer reibungsfrei ab. Unter den anfangs knapp 300 Studenten fanden sich viele Söhne aus Adelshäusern wieder. Die jungen Männer traten, anders als die streng und sittlich gekleideten Einwohner Innsbrucks, bunt und keck nach der Art mittelalterlicher Gecken in Erscheinung. Sie sprachen in einer Art und Weise miteinander, die Uneingeweihten als vollkommen lächerlich erscheinen musste. Bei den Studenten handelte es sich trotz ihres gesellschaftlichen Ranges häufig genug auch nicht um strebsame Musterschüler, sondern um junge Burschen, die einen gewissen Lebensstil und Status gewohnt waren. So begaben sich im Januar 1674 „nit allein zu nächtlicher Zeit Ungelegenheiten, Rumores und ungereimte Handlungen“ und es wurden „Studenten der Universität angetroffen, die allerlei verbotene Waffen wie Feuerrohr, Pistolen, Terzerol, Stilett, Säbel, Messer…“ bei sich hatten. Die der Oberschicht entstammenden Teenager waren es gewohnt, Waffen zu tragen und auch zu benutzen. Ehrverletzungen konnten, ähnlich wie beim Militär, auch in studentischen Kreisen zu Duellen führen. Besonders in Paarung mit Alkohol waren Ausschreitungen nicht ungewöhnlich.
Das exzentrische Verhalten der jungen Männer führte immer wieder zu skurrilen Problemen untereinander und mit den nicht-akademischen Innsbruckern. Studenten war es zum Beispiel verboten, über den Durst zu trinken. Geschah dies doch in einer der Wirtschaften Innsbrucks, so wurde der junge Delinquent ermahnt. Konnte oder wollte er die Rechnung nicht begleichen, konnte der geschädigte Wirt bei Gericht keine Anzeige einbringen, da der Ausschank alkoholischer Getränke über die Maßen an die Studentenschaft verboten war. Um den jungen Eliten Herr zu werden, bedurfte es eines eigenen Rechtssystems. Studenten unterlagen bis zu einem gewissen Grad dem Universitätsrecht unterlagen, das vom Stadtrecht losgelöst war. Um das Recht durchzusetzen, stellte das Rektorat eine eigene Truppe aus. Die Scharwache war mit Hellebarden bewaffnet und sollte die Rumores der Studenten so gut als möglich verhindern. Sechs Mann hatten Tag und Nacht bewaffneten Dienst, um die Ordnung aufrecht zu erhalten. Die Kosten dafür teilten sich die Stadt Innsbruck und die Universität. Es gab auch einen eigenen Carcer, um Übeltäter bei Wasser und Brot zu verwahren. Freiheitsentzug, Geldbußen und sogar Landesverweise konnten von der Universität ausgesprochen werden. Nur für die Blutgerichtsbarkeit musste die Landesregierung angerufen werden.
Die Universität war auch sonst durch ihre Geschichte hindurch ein Politikum. Der Name Leopold-Franzens-Universität geht auf die beiden Kaiser Leopold und Franz zurück, unter denen sie jeweils gegründet wurde. Zweimal wurde die Universität zu einem Lyzeum herabgestuft oder gar ganz abgeschafft. Kaiser Josef II. schloss die Pforten ebenso wie die bayerische Verwaltung während der Napoleonischen Kriege. Die jesuitisch geprägten und Studenten und Professoren waren ihnen suspekt und wurden aus dem Bildungssektor verband. Kaiser Franz I., der in der Restauration wieder mehr auf der traditionell katholischen Linie der Habsburger war, nahm 1826 die Neugründung vor. Unter Beobachtung blieb die Universität aber auch im Polizeistaat Metternichs weiterhin. Im Vormärz waren es nationalistisch und liberal gesinnte Kräfte, die man fürchtete. Die geheime Staatspolizei war nicht nur in den Hörsälen, sondern auch sonst in den studentischen Kreisen präsent, um problematisches Gedankengut junger Aufwiegler möglichst früh im Keim zu ersticken.
Die Industrialisierung und die damit einhergehenden neuen wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Spielregeln veränderten den Universitätsbetrieb. Ganz im Geist der Zeit beschäftigte sich die Eröffnungsrede des Dekans der philosophischen Fakultät Prof. Dr. Joachim Suppan (1794 – 1864), mit einem praktischen Problem der Physik, damit „eine genauere Kenntnis der so wichtigen und nützlichen Erfindung der Dampfmaschine auch für die vaterländische Industrie, wo dieselbe bisher noch keine Anwendung hat,“ erreicht werde. Dass Supan neben seinen Abschlüssen in Philosophie und Mathematik auch geweihter Priester war, zeigt den Einfluss, den die Kirche auch im 19. Jahrhundert auf das Bildungswesen hatte. Wie sehr die Universität neben der Kirche der staatlichen Obrigkeit verbunden war, zeigt Supans abschließende Ermahnung in Richtung der Studenten, „dereinst dem Vaterlande durch Kenntnis und Tugend ersprießliche Dienste zu leisten“.
Die Nationalitätenkonflikte der späten Monarchie spiegelten sich ebenfalls in der Universitätsgeschichte wider. Das 19. Jahrhundert war das Zeitalter des Vereinswesens, im Fall der Universität der Studentenverbindungen. Im Falle Innsbruck waren es vor allem Probleme zwischen deutschsprachigen und italienischsprachigen Studenten, die immer wieder zu Problemen führten und ihren Höhepunkt in den Fatti di Innsbruck fanden. Deutschnational gesinnte Studenten spielten auch in weiterer Folge eine Hauptrolle an der Universität. Viele der jungen Männer waren im habsburgischen Großreich aufgewachsen und hatten im Ersten Weltkrieg gedient. Die junge Republik Österreich lag unter den jungen Akademikern nicht im Trend. Die Begeisterung flog teils dem als modern und dynamisch wirkenden faschistischen Italien und später dem nationalsozialistischen Deutschland zu. Mit dem Anschluss an das Deutsche Reiche 1938 wurde die Universität ein weiteres Mal umbenannt. Nach dem Krieg wurde aus der Deutschen Alpenuniversität wieder die Leopold-Franzens-Universität.
Die Universität war wie so vieles dem Standesdenken ihrer jeweiligen Zeit unterworfen. Frauen und Söhnen von Handwerksfamilien war das Studium an der Universität lange nicht gestattet. Das änderte sich erst in der Zeit nach der Monarchie. Den ersten weiblichen Doktor der Juristerei der Universität feierte man gar erst fünf Jahre nach der Entstehung der Republik. Die Presse notierte:
„Am kommenden Samstag wird an der Innsbrucker Universität Fräulein Mitzi Fischer zum Doktor iuris promoviert. Fräulein Fischer ist eine gebürtige Wienerin. In Wien absolvierte sie auch das Gymnasium. Nach der Reifeprüfung oblag sie dem juristischen Studium der Universität Innsbruck. Die zukünftige Doktorin hat sämtliche Prüfungen mit Auszeichnungen absolviert, müßte also nach dem früheren Brauche sub auspiciis imperatoris promovieren. Jedenfalls ist Fräulein Fischer die erste Dame, die sich an der Innsbrucker Universität den juristischen Doktortitel erwirbt.“
Erstaunlich ruhig verhielten sich die Studenten in Innsbruck in den Wendejahren 1848 und 1968 an der Universität. Während in anderen europäischen Städten die Studenten Treiber des Wandels waren, blieb man in Innsbruck unaufgeregt. Es gab in den späten 1960ern und 70ern zwar einzelne Gruppen wie die Kommunistische Gruppe Innsbruck, das Komitee für Solidarität mit Vietnam, die sozialistische VSStÖ oder die liberal-katholische Aktion innerhalb der ÖH, zu einer Massenbewegung kam es nicht. Während in Paris Pflastersteine flogen, gab man sich in Innsbruck mit Boykotten und Sit-ins zufrieden. Der allergrößte Teil der Studenten entstammte der Oberschicht und hatte die Matura in einem katholisch orientierten Gymnasium absolviert. Beethovens Weisheit, dass „solange der Österreicher noch braun´s Bier und Würstel hat, revoltiert er nicht,“ traf zu. Nur wenige Studenten konnten sich für Solidarität mit Vietnam, Mao Zedong und Fidel Castro begeistern. Wer wollte schon die eigene Karriere aufs Spiel setzen, in einem Land, das von der Dreifaltigkeit aus Tiroler Tageszeitung, Bischof Paulus Rusch und dem Landtag mit absoluter Mehrheit der ÖVP dominiert wurde? Wer es trotzdem wagte, aufsässige Flugblätter oder linke Literatur zu verbreiten, musste mit medialer Diffamierung, einer Rüge durch das Rektorat oder gar dem Besuch der Staatsgewalt rechnen. Kritisiert wurden nur selten die Professoren, die im 20. Jahrhundert häufig noch Distanziertheit und den unnahbaren Nimbus der Frühen Neuzeit versprühten oder kaum Hehl aus ihrer politischen Gesinnung machten. Eher war die mangelhafte Ausstattung der bescheidenen Lehrsäle für die stets zunehmende Anzahl an Studenten. Die große Veränderung in den Universitäten wurde in Österreich nicht erkämpft, sondern gewählt. Unter Bundeskanzler Bruno Kreisky fielen die die Studiengebühren. Bildung wurde für eine größere Anzahl junger Menschen leist- und vorstellbar. Die Zahl der Studenten an österreichischen Hochschulen stieg dadurch zwischen 1968 und 1974 von 50.000 auf über 73.000 Menschen an.
Trotz aller Widrigkeiten und Kuriositäten durch die Jahrhunderte genoss die Universität Innsbruck seit ihren Anfangstagen meist einen sehr guten Ruf. Lehrende und Studierende sorgten im 20. und 21. Jahrhundert mehrfach für aufsehenerregende Leistungen in der Forschung. Victor Franz Hess wurde für seine Verdienste rund um die Erforschung der kosmischen Strahlung den Nobelpreis für Physik. Auch der Quantenphysiker Anton Zeilinger war an der Universität Innsbruck tätig, wenn auch nicht im Jahr 2022 bei seiner Verleihung. Den Nobelpreis für Chemie erhielten auch die Professoren Fritz Pregl, Adolf Windaus und Hans Fischer, wobei auch sie nicht mehr in Innsbruck tätig waren. Die Universitätsklinik erbrachte sowohl in Forschung und Ausbildung wie auch in der täglichen Versorgung der Stadt sehr gute Leistungen und zählt zu den Aushängeschildern Innsbrucks.
Nicht nur in intellektueller und wirtschaftlicher Hinsicht ist die Universität wichtig für die Stadt. 30.000 Studierende bevölkern und prägen das Leben zwischen Nordkette und Patscherkofel. Die Zeit, in der junge Aristokraten in bunten Klamotten bei Prozessionen ausfällig werden, sind vorüber. Mittlerweile sind sie eher auf den Skipisten und Mountainbike-Trails zu finden. Das größte Problem, das die jungen Damen und Herren verursachen, sind auch keine Pogrome gegenüber nicht-deutschen Bevölkerungsgruppen. Ein großer Teil der Studierenden des 21. Jahrhunderts kommt selbst aus dem Ausland und treibt die Preise am Wohnungsmarkt seit den 1970erJahren auf Rekordhöhe. Im Oktober 1972 kam es zur Besetzung des Hexenhauses, einer leerstehenden Immobilie der Universität in der Schöpfstraße 24, die kurzerhand von einer Handvoll Studenten okkupiert wurde. Innsbruck gilt als die teuerste Landeshauptstadt, was Wohnraum betrifft, der Leerstand von Immobilien ist mehr als 50 Jahre nach der Hausbesetzung noch immer ein drängendes Problem. Wie sehr die Studierenden Innsbruck beleben, merkt man erst, wenn die Auswärtigen zwischen den einzelnen Semestern in ihre Heimat zurückkehren. Zehntausende beleben nicht nur das Nachtleben, sondern verpassen der Kleinstadt auch fast 400 Jahre nach der Gründung internationales Flair und hippe Urbanität.