Tirolerland in Bauernhand

Nordkette von der Wiesengasse aus
Tirolerland in Bauernhand

Die Identifikation mit dem Bauernstand ist in Tirol noch immer sehr hoch. Obwohl heute weniger als 2% der Bevölkerung von der Landwirtschaft leben, schaffen es Bauern über reges Vereinsleben, geschickte Selbstdarstellung und politische Vorfeldstrukturen eine überdurchschnittliche Repräsentation in der Gesellschaft zu haben. Das war nicht immer so. Über Jahrhunderte arbeitete der allergrößte Teil der Menschen in der Landwirtschaft, Bauern hatten aber kaum politisches Gewicht. Grundherren besaßen nicht nur Grund und Boden, sondern hatten auch Herrschaftsgewalt über die Bauleute selbst. Regelmäßig wurde die Pacht in Form von Naturalien eingetrieben. Der lokale Kleinadel verwaltete die Bauernschaften innerhalb seines Territoriums und entrichtete seinerseits seine Abgaben an den Landesfürsten oder den Bischof.

Es gab drei Arten der Verhältnisse zwischen Bauern und Grundherren. Durch das Mittelalter hindurch war das Leibgeding gängig. Bauern arbeiteten auf den herrschaftlichen Gütern als Leibeigene. Diese Leibeigenschaft konnte so weit gehen, dass über Heirat, Besitz, Mobilität und andere Angelegenheiten des persönlichen Lebens nicht frei entschieden werden durfte. Diese Form gehörte im allergrößten Teil Tirols in der Frühen Neuzeit bereits der Vergangenheit an.

Die zweite Form, das Freistift, umfasste eine Pacht über einen Hof über einen bestimmten Zeitraum, meistens ein Jahr. In der Regel wurde sie verlängert, da sowohl Grundherren als auch Bauern, ähnlich wie heute Arbeitgeber und Arbeitnehmer, von einer konstanten Geschäftsverbindung Vorteile hatten. Einen Rechtsanspruch auf ihrem Gut zu bleiben hatten die Untertanen allerdings nicht, ebenso wenig gab es Urkunden, die das Rechtsgeschäft vertraglich regelten. Die mündlich geregelten Verträge unterlagen dem Gewohnheitsrecht und Traditionen. Der Grundherr konnte seine Bauleute innerhalb seiner Güter hin- und herschieben oder sie komplett abstiften, sie vor die Tür setzen. Wurde der Hof nach Zustimmung des Grundherrn innerhalb der Familie von einem Bauern an seinen Sohn weitergegeben wurde eine Ehrung fällig, eine Zahlung in Höhe von bis zu 10% des Hofwertes.

Die dritte und modernste Form war die Erbleihe. Das Land blieb auch bei dieser Form der Pacht im Besitz des Grundherrn, ein Abstiften war aber nicht mehr so leicht möglich. Erbleute zahlten weniger Zins als Stiftleute. Im Herbst, entweder am St. Gallus Tag (16. Oktober) oder zu St. Martin (11. November) mussten die Bauern in Erbleihe ihren Pachtzins abliefern, der sich von Naturalabgaben mehr und mehr Richtung klingender Münze verlagerte. Durch Zukäufe oder geschickte Heiratspolitik konnten Bauern ihre Höfe vergrößern. Die Betriebe wurden innerhalb der Familie vererbt. Altbauern, die ihren Besitz mit der warmen Hand, also noch zu Lebzeiten, übergaben, behielten das Recht am Hof zu leben und wurden über ein vereinbartes Ausgedinge versorgt.

Das bäuerliche Erbrecht war je nach Region verschieden. Im Nordtiroler Oberland und in Südtirol herrschte die Realteilung vor, sprich, der Hof wurde unter allen Erben aufgeteilt. Das führte automatisch zu einer Zerstückelung der Güter und zu geringerer Rentabilität. Im Innsbrucker Raum und im Unterland hingegen war die Anerbenteilung gängige Praxis. Mit wenigen Ausnahmen erbte das älteste Kind den kompletten Hof, um die Struktur zu erhalten. Den Geschwistern des Alleinerben blieb meist nur der Weggang. Sie mussten ihren Lebensunterhalt als Dienstboten, Handwerker, Knechte und Mägde bestreiten. Als Söllhäusler, also Menschen mit einem kleinen Haus und vielleicht einem Garten aber ohne nennenswerten Grund und Boden, gehörten sie zum Pofel, der sich aus Wirten, fahrendem Volk, Prostituierten, Knechten, Mägden und Bettlern zusammensetze. Im Fall von Krankheit oder Verelendung hatten sie Ansprüche gegenüber dem Erben und konnten für eine gewisse Zeit am Hof unterkommen. Je nach Wert des Hofes hatten die Geschwister des Erben auch Anrecht auf einen Zins, meist war das jedoch wenig bis nichts. Bereits damals waren Bauern geschickt darin, den Buchwert ihrer Güter gering darzustellen.

Das 15. Jahrhundert änderte die Spielregeln. Den Landesfürsten war der Kleinadel als herrschaftliche Zwischenstufe mit Gerichtsbarkeit stets ein Dorn im Auge gewesen. Um den Einfluss des Kleinadels möglichst kleinzuhalten, legte Friedrich IV. in seiner Landesordnung von 1404 die rechtliche Anerkennung der Erbleihe fest. Diese Form der Vergabe landwirtschaftlicher Güter setzte sich in Folge mit Ausnahme der Territorien der Fürstbischöfe von Trient und Brixen in Tirol gegenüber dem Freistift durch. Rechtstreitigkeiten zwischen Bauern und Grundherren mussten vor dem Landesfürsten verhandelt werden. Friedrich erkaufte sich mit diesem waghalsigen politischen Akt die unmittelbare Zuneigung und Treue seiner Untertanen, um so direkten Zugriff auf militärische Manpower und Steuerleistung erhalten. Die Bauern hatten den Vorteil, ihren Grundherren nicht mehr auf Gedeih und Verderb ausgeliefert zu sein.

Mit der Erbleihe wurden Bauern zu einer Art Unternehmern, die als Marktteilnehmer am frühen Kapitalismus teilnahmen. Sie waren zwar noch immer den Launen der Natur und der politischen Großwetterlage wie Kriegen oder den Zollbestimmungen unterworfen, hatten nun aber auch die Möglichkeit aus der Subsistenz am Existenzminimum vergangener Jahrhunderte aufzusteigen. Nach Ablieferung des Zehnten und der Versorgung des Haushaltes verkauften sie ihre Waren am Markt. Motivierte und fleißige Bauern konnten einen gewissen Wohlstand aufbauen. Durch die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Veränderungen, die sich ab dem 15. Jahrhundert in Innsbruck durch die Erhebung zur Residenzstadt und in den Städten Hall und Schwaz durch den Bergbau vollzogen, profitierten auch die Bauern in den umliegenden Dörfern vom Aufschwung. Die Menschen, die als Beamte am Hof oder in der New Industrie Bergbau beschäftigt waren, bildeten eine Mittelschicht mit höherer Kaufkraft. Die Nachfrage nach Fleisch stieg an. Das wiederum hatte eine Veränderung der Landwirtschaft zur Folge. Die Bauern entdeckten die Viehzucht als einträglichere Quelle als den Ackerbau für sich.

Durch die Inflation nach der Entdeckung der neuen Welt und den finanziellen Verwerfungen des 16. Jahrhunderts verringerte sich auch die Höhe der Pacht, die die Bauern als Geldwert zu leisten hatten. Kleinere Bauern, die ihre Höfe als Freistift erhielten und die Abgaben in Naturalien abliefern mussten, litten unter der Geldentwertung, während große Landwirtschaften daraus Vorteile zogen.

Diese Entwicklungen führten zu neuen sozialen Beziehungsgeflechten auf den Höfen selbst und zu stärkeren Unterschieden innerhalb der Bauernschaft. Bauern standen ihrem Gesinde in allen Belangen vor, ähnlich wie der Pater Familias der Großfamilie im antiken Rom. Das Leben auf den Gütern hatte wenig mit dem heilen Familienleben, das heute gerne als traditioneller Tiroler Lifestyle propagiert wird, zu tun. Viel mehr waren es clanartige Großfamilienverbände, die im Alltag unter dem strengen Regime des Bauern standen: Er bestimmte über Arbeitsalltag, Kost, Logis, die karge Freizeit und persönliche Beziehungen. In den Dörfern bildeten sich klare Hierarchien heraus. Erbbauern hatte höheren Status als Stiftbauern. Großbauern hatten mehr Ansehen als kleine Bauern. Sie standen oft ihren Dörfern vor. Besonders erfolgreiche und treue Landwirte bekamen vom Landesfürsten ein eigenes Familienwappen verliehen und wurden zum Bauernadel. Diese Strukturen hielten sich am Land bis weit ins 19. Jahrhundert, in abgelegeneren Regionen des Landes bis ins 20. Jahrhundert. Die schönen Bauernhäuser in Hötting, Wilten, Pradl und Amras, auf deren Fassaden stolz die Familienwappen und der Hinweis auf den Status als Erbhof prangen, sind Zeugnis für den Aufstieg des Bauernstandes in der Frühen Neuzeit.

Sehenswürdigkeiten dazu…