Dreiheiligenkirche

Dreiheiligenstraße 10

Dreiheiligenkirche Innsbruck

Das 16. Jahrhundert, oft als Wiege der Neuzeit bezeichnet, war alles andere als eine behagliche und ruhige Zeit. Reformation und Gegenreformation spalteten die Gesellschaft. Erfindungen und Neuerungen brachten einigen wenigen finanziellen Wohlstand, dadurch entstanden gleichzeitig soziale Spannungen zwischen den neu entstehenden Schichten. Der Bergwerksboom im Tiroler Unterland, der Fernhandel und der politische Bedeutungszuwachs Innsbrucks brachten nicht nur Wohlstand. 1512 starben in Innsbruck über 500 Menschen an der Pest, 1543 kam der Schwarze Tod erneut nach Innsbruck. Die Natur schien sich ebenfalls gegen das sündige Treiben in der Stadt zu richten. 1572 wurde Innsbruck von einem Erdbeben stark in Mitleidenschaft gezogen. Dazu kamen regelmäßig Hochwasserkatastrophen und Versorgungsschwierigkeiten wegen Missernten. Viele Menschen neigten in ihrer Frömmigkeit dazu, schlechte Ereignisse auf ihre eigenen Sünden vor Gott zu schieben. Die Bemühungen der Kirche, dem Zorn Gottes entgegenzuwirken, drückten sich nicht nur in einer möglichst gottgefälligen Lebensweise, sondern auch in prunkvollen Bauten und der Ansiedlung neuer Orden wie den Franziskanern oder den Jesuiten aus. Daneben sorgten sich auch die Stadtverantwortlichen, Landesfürsten und fromme Bürger darum, den Arbeitern und ihren Familien Seelsorge zukommen zu lassen. Einer dieser frommen Bürger war der Arzt Paul Weinhart (1570 – 1648). Während der Pestepidemie, die 1611 aus der Silberstadt Schwaz nach Innsbruck kam, leitete er als Contagationsarzt das Pestkollegium, das unter anderem das Pesthaus in der Kohlstatt betreute. Seine Ehefrau war ein Opfer der Seuche geworden. Das Zeughaus hatte die Kohlstatt durch die Arbeitskräfte, die in diesem Arsenal benötigt wurden seit den Zeiten Maximilians recht zügig wachsen lassen. Die Arbeiter und ihre Familien, die sich angesiedelt hatten, lebten in Holzbaracken auf engstem Raum unter unhygienischen Verhältnissen, was die Ausbreitung der Krankheit verstärkte. Mit Maßnahmen wie Ausräuchern, Erhöhung der Hygiene und dem beliebten Aderlass versuchten die Ärzte, der Seuche Herr zu werden. Weinhart beschloss nicht nur seinen Kenntnissen zu vertrauen, sondern das Wohl der Stadt den Pestheiligen Pirmin, Sebastian und Rochus zu überantworten. Er legte ein Gelübde ab, eine Kirche errichten zu lassen, wenn die Pest nur aufhören möge. Auf Drängen des späteren, bei Maximilian III. hoch angesehen Hofarztes Weinhart und der Stadtregierung hin, entschloss sich der Landesfürst zur Stiftung einer Kirche nahe dem Pestkrankenhaus am Stadtrand. Die Mischung aus Glaube und Wissenschaft sind für diese Zeit nicht ungewöhnlich. Weinhart sah sich selbst nicht nur als Arzt, sondern auch als eine Art Seelsorger für die Pestkranken. Unter den Armen der Stadt war er als mildtätig bekannt und erfreute sich großer Beliebtheit. Gleichzeitig war er mit dem Landesfürsten und den Jesuiten bestens vernetzt. Auch unter Kollegen war Weinhart hoch angesehen. So schrieb der Stadtarzt Halls über die Spaziergänge mit Dr. Weinhart:

„Dieser Spaziergang ist mir, wie auch dem edlen, hochgelehrten meinem herzgeliebten Herrn Brudern Paulo Weinhard dermaßen wohl bekannt und befohlen, daß wir bisher wenig halbe Monate ausgelassen…“

Die Dreiheiligenkirche wurde am 13.10.1613 nach zweijähriger Bauzeit geweiht. Das heutige Pfarrhaus in seiner Grundstruktur, das zuvor als Fürstliches Schafferhaus diente, also als Verwaltungsgebäude über die Kohlstatt, ist älter als die Kirche selbst. Doktor Weinhart ließ sich am Deckenfresko neben dem Jesuiten Melchior Köstlan verewigen. Die Gebeine des Heiligen Pirmin waren seit 1575 im Besitz der Jesuiten. Wer das Glück hat, in den häufig versperrten Innenraum zu kommen, kann eine zeitgenössische Darstellung der Vorgänge während der Pestepidemie betrachten. Das düstere Bild stellt den Aberglauben der Menschen ebenso detailreich dar wie die Kritik an der Obrigkeit. Die Tiroler Landesregierung hatte die Stadt nach dem Krankheit der Pest verlassen, was den Künstler dazu anstachelte, sie in einem Palast fernab des Volkes zu zeichnen. Der Schwarze Tod zeigt sich als Gerippe auf schwarzem Pferd mit Bogen und geflügelter Sanduhr. Die Erkrankten waren von den Pfeilen des Gerippes getroffen worden. Ein Erkrankter erhält von einem Geistlichen die Sterbesakramente, während sich der Teufel hinter dessen Sterbebett versteckt. Im Hintergrund sieht man ein Feldlager voller Soldaten, die ebenfalls von Pfeilen getroffen am Boden dahinsiechen.

1863 wurde die Dreiheiligenkirche um ein Vorhallenjoch erweitert. 1900 wurde das markante, von Philipp Schumacher entworfene und von der Tiroler Glasmalerei angefertigte Mosaik an der Fassade angebracht. Die Fassade der Pestkirche zeigt diese drei Heiligen, die seither zu den vielen Schutzpatronen Innsbrucks zählen. Der Heilige Alexius, der Schutzheilige gegen Erdbeben, war nach der Auflösung des Siebenkapellenareals im 18. Jahrhundert unter Josef II. ebenfalls in die Kohlstatt übersiedelt. Ähnlich wie zu ihrer Entstehungszeit im 17. Jahrhundert ging die neue Fassade ebenfalls nicht auf die Initiative eines Ordens, die Dreiheiligenkirche untersteht nicht wie die meisten Pfarreien den Prämonstratensern, sondern wurde von Mäzen gesponsort. Anders als damals war es aber nicht der Landesfürst, sondern es war die „Munificenz der Sparkasse der Stadt Innsbruck unter deren Vorstand Anton von Schumacher, Handelskammerpräsident u. deren Director Dr. Heinrich Falk, Altbürgermeister“ die die Neugestaltung ermöglichten.

Der Deutsche Orden & Maximilian III.

Gleich zwei einflussreiche Hochmeister des Deutschen Ordens haben einen starken Bezug zu Innsbruck. Maximilian III. (1558 – 1618) war Landesfürst von Tirol, Erzherzog Eugen, der oberste Befehlshaber der österreichisch-ungarischen Armee an der Italienfront des Ersten Weltkriegs. Beide Mitglieder der Familie Habsburg sind im Dom zu St. Jakob in Innsbruck begraben. Die Geschichte Maximilians III. ist ein gutes Beispiel, um die Verbindung von weltlicher und kirchlicher Macht im Mittelalter und der frühen Neuzeit durch den Deutschen Orden aufzuzeigen. Er war nicht nur Hochmeister des Ordens, sondern auch Erzherzog von Österreich und Administrator von Preußen. Trotz aller Macht lebte er enthaltsam. Oft zog er sich für Wochen in seine Kammer im heutigen Kapuzinerkloster zurück, um trotz seines Status als Landesfürst unter spartanischen Bedingungen zu leben. Die Kapuziner waren 1594 in Innsbruck eingezogen. Maximilian der Deutschmeister folgte 1602, auch wenn er erst 1612 die offizielle Position als Gubernator von Tirol einnahm. Er war ein frommer und tiefgläubiger Mensch. Maximilian ist ein Beispiel dafür, dass die Herrscher des Hauses Habsburg den Glauben sowohl nach außen hin vertraten wie auch im Privaten praktizierten. Zynismus, wie man landläufig vermuten könnte, war ihnen in dieser Hinsicht fremd. Unter ihm zogen in Innsbruck strenge Sitten ein. Er war ein eifriger Vertreter der Gegenreformation. Erzählungen nach soll Kindern sogar das Spielen auf der Straße verboten worden sein. Während seiner Regierungszeit hatte er mit dem Ausbruch einer Pestepidemie zu kämpfen. Die Pestkirche in Dreiheiligen wurde während seiner Regierungszeit aus. Der Dreißigjährige Krieg brach unter seiner Regentschaft aus, verschonte Innsbruck aber zu größten Teilen. Im selben Jahr verstarb Maximilian. Sein Grab im Innsbrucker Dom zählt zu den eindrucksvollsten Gräbern der Barockzeit.

Der Deutsche Orden wurde als Ritterorden um 1120 in Jerusalem in einem Hospiz gegründet. Es war die Zeit der Kreuzzüge. Christliche Herrscher waren seit 1096 dazu aufgerufen, die Heilige Stadt Jerusalem aus den Händen der Ungläubigen zu befreien. Auf mehreren abenteuerlichen Expeditionen machten sich Europäer aus allen Ländern unter christlicher Fahne auf Richtung Osten. Kirche und Rittertum vereinten sich in Orden, die Pilgern den Besuch der Heiligen Städten in Jerusalem, vor allem der Grabeskirche, ermöglichen sollten. Der Aufwand für diese heilige Mission war immens. 1229 begannen die Ritter des Deutschen Ordens mit dem Bau der Festung Montfort bei Akko an der Mittelmeerküste Palästinas, dem heutigen Israel. Gleichzeitig schaute man sich aber in weiser Voraussicht ob der drohenden Niederlage in Palästina nach neuen Territorien in Europa um. Nach der Vertreibung aus dem Nahen Osten engagierten sich die Ritter des Deutschen Ordens für die christlichen Ungarn in Siebenbürgen im heutigen Rumänien gegen heidnische Stämme. Im 13. Jahrhundert konnte der Orden unter Hermann von Salza im Baltikum im Kampf gegen die heidnischen Prußen viel Land gewinnen und den Deutschordensstaat errichten. Bei der Bekehrung der Heiden ging man nicht zimperlich vor. Im Prinzip handelte es sich dabei auch um einen Kreuzzug, auch wenn das Ziel nicht die Befreiung Jerusalems war. Der Deutsche Orden trat als eine Art Staatlichkeit auf, die sich ähnlich den religiösen Fundamentalisten heute, auf Gott berief und dessen Ordnung auch auf Erden herstellen wollte. Die Marienburg im heutigen Polen ist ein eindrucksvolles Zeugnis von Macht und Reichtum des Deutschen Ordens. Entitäten wie der Deutsche Orden dienen gut dazu, die Denkweise des Mittelalters zu erklären. Ergebene Frömmigkeit und Gottesfurcht traf in der Zeit bis 1500 häufig auf die Ausübung von weltlicher Macht. Es waren die Ideale wie christliche Nächstenliebe und der Schutz der Armen und Hilflosen, die auch den Deutschen Orden in seinem Kern antrieben. Die Durchsetzung dieser Ideale mit Waffengewalt ohne Rücksicht auf die nichtchristliche Perspektive wirkt aus unserer Sicht paradox, war aber lange Zeit gängige Praxis. Mit der Zeit der Söldnerheere änderten sich die Moral von Ritterlichkeit und damit auch das Verhalten am Schlachtfeld. Nach dem Niedergang des Ordens im 15. Jahrhundert in Nordosteuropa behielt der Orden durch geschickte Verbindung zum Adel und zum Militär vor allem im Habsburgerreich noch Besitzungen und Macht.

Barock: Kunstrichtung und Lebenskunst

Wer in Österreich unterwegs ist, kennt die Kuppen und Zwiebeltürme der Kirchen in Dörfern und Städten. Diese Form der Kirchtürme entstand in der Zeit der Gegenreformation und ist ein typisches Kennzeichen des Barock. Prachtvoll und prunkvoll sollten Gotteshäuser sein, ein Symbol des Sieges des rechten Glaubens. Die Religiosität spiegelte sich in der Kunst wider: Großes Drama, Pathos, Leiden, Glanz und Herrlichkeit vereinten sich zum Barock.  Barock war nicht nur eine Stilrichtung, es war ein Lebensgefühl, das seinen Ausgang zur Mitte des 17. Jahrhunderts nach dem Ende des Dreißigjährigen Krieges, der Mitteleuropa schwer in Mitleidenschaft gezogen hatte, nahm. Die Türkengefahr aus dem Osten, die in der zweimaligen Belagerung Wiens gipfelte, bestimmte die Politik, während die Reformation den christlichen Glauben spaltete. Nach den Entbehrungen dieser turbulenten Jahre und der theologischen Streitigkeiten sollte der öffentliche Raum in einem neuen Stil, abseits der dunklen Gotik neu erstrahlen. Die Bedeutung des Religiösen gegenüber dem Weltlichen sowie die Einflussnahme des Religiösen auf das Weltliche nahmen nach der kritischen Renaissance wieder zu. Die Barockkultur war ein zentrales Element des Katholizismus und der politischen Darstellung derselben in der Öffentlichkeit. Der Alltag der Menschen wurde von Feiertagen mit christlichem Hintergrund aufgehellt. Architektur, Musik und Malerei waren reich, füllig und üppig. Man wollte den katholischen Glauben gegenüber dem protestantischen für die Bevölkerung attraktiver machen. Der Strenge Calvins und Luthers, die den Fehler machten, die Volksfrömmigkeit in Form der Wallfahrten, Marien- und Heiligenverehrung als Aberglauben abzutun, ja sogar verbieten zu lassen, gefiel nicht allen. Die Macht des Kaisers wurde vom Papst legitimiert. Die Ideen Martin Luthers und anderer Reformatoren waren nicht nur katholischen Herrschern ein Dorn im Auge. Der Barockstil wurde in der Zeit der Gegenreformation häufig als eine Art Propagandamittel gegen die Reformation genutzt, um die Einheit von Kaisertum und Katholizismus in all seiner Pracht zu demonstrieren. Man musste nicht lesen können, um die allgegenwärtige Bildsprache zu verstehen. Prunk und Protz statt puritanischer Genügsamkeit und sparsamer Lebensart, die Reformatoren zu eigen war. Kreuzwege mit Kapellen durchzogen die Landschaft. Auch absolutistische Fürsten wählten den Barock als architektonisches und künstlerisches Stilmittel, um ihre Macht in der Mode der Zeit zu demonstrieren. Jesus wurde verstärkt als der Gekreuzigte dargestellt, um sein Leiden für die Welt hervorzuheben und so das Leiden der Masse der bäuerlichen Bevölkerung innerhalb des Feudalsystems zu rechtfertigen. Neben Kirchen sind es die prunkvollen Schlösser und Parkanlagen, die in ganz Europa in dieser Zeit errichtet wurden. Das Bürgertum wollte den Adeligen und Fürsten nicht nachstehen und ließen ihre Privathäuser im Stile des Barocks errichten. Auf Bauernhäusern prangen ebenfalls häufig Heiligenbilder, Darstellungen der Mutter Gottes und des Herzen Jesu als eine Art bäuerlicher Barock.

Das Stadtbild Innsbrucks veränderte sich enorm. Viele Palazzi der Neustadt, der heutigen Maria-Theresienstraße erstrahlten unter den Baumeistern der Familie Gumpp (94), oder Johann Georg Fischers. Einer der bekanntesten Vertreter in der Malerei war Franz Altmutter. Seine Bilder verbinden auf überfrachtete Art und Weise Himmel und Erde. Die Antike als Vorbild wie es in der Renaissance üblich war, hatte ausgedient. Die bekanntesten Gotteshäuser Innsbrucks wie der Dom, die Johanneskirche oder die Jesuitenkirche, sind im Stile des Barocks gehalten. Die gotische Altstadt wurde mit Ausnahme des Helblinghaus in ihrem Stil erhalten. Um- und Neubauten sowie Innenräume wurden aber häufig barock ausgestattet. Das Alte Landhaus in der Altstadt, das Neue Landhaus in der Maria-Theresien-Straße, die unzähligen Palazzi, Bilder, Figuren – der Barock war im 17. und 18. Jahrhundert das stilbildende Element des Hauses Habsburg und brannte sich in den Alltag ein. Besonders in Österreich gab es das Phänomen der Barockfrömmigkeit, die von Kaiser und Fürsten zur Erziehung der Untertanen eingesetzt wurde. Auch wenn der Ablass, das Freikaufen von Sünden, in der Zeit nach dem 16. Jahrhundert keine gängige Praxis mehr in der katholischen Kirche war, so gab es doch noch eine rege Vorstellung von Himmel und Hölle. Durch ein tugendhaftes Leben, sprich ein Leben im Einklang mit katholischen Werten und gutem Verhalten als Untertan gegenüber der göttlichen Ordnung, konnte man dem Paradies einen großen Schritt näherkommen. Die sogenannte christliche Erbauungsliteratur war in der Bevölkerung beliebt und zeigte vor, wie das Leben zu führen war. Der Historiker Ernst Hanisch beschrieb den Barock und den Einfluss, den er auf die österreichische Lebensart hatte, so:

Österreich entstand in seiner modernen Form als Kreuzzugsimperialismus gegen die Türken und im Inneren gegen die Reformatoren. Das brachte Bürokratie und Militär, im Äußeren aber Multiethnien. Staat und Kirche probierten den intimen Lebensbereich der Bürger zu kontrollieren. Jeder musste sich durch den Beichtstuhl reformieren, die Sexualität wurde eingeschränkt, die normengerechte Sexualität wurden erzwungen. Menschen wurden systematisch zum Heucheln angeleitet.

Die Rituale und das untertänige Verhalten gegenüber der Obrigkeit hinterließen auch im Alltag ihre Spuren in Verhalten und sozialer Alltagskultur, die katholische Länder wie Österreich und Italien bis heute von protestantisch geprägten Regionen wie Deutschland oder Skandinavien unterscheiden. Die Leidenschaft für akademische Titel der Österreicher hat ihren Ursprung in den barocken Hierarchien. Diese Hierarchien manifestierten sich in einem feudalen System der Patronage, das heute als Vitamin B Korruption im Kleinen begünstigt. Auch die Sprache, das typisch österreichische „Schaumamal“ zum Beispiel, lässt auf barocke Art und Weise dem Sprecher mehr Handlungsspielraum als eine konkrete Aussage. Während man in Deutschland politische Sachlichkeit schätzt, ist der Stil von Politikern in Österreich eher theatralisch, angelehnt an die katholischen Prozessionen, die in protestantischen Ländern nicht Teil des Alltags waren. Der konservative politische Beamte Bernhard Bonelli, der vor Gericht mit einer Zeichnung des Lieben Gottes, die sein Sohn angefertigt hatte, anmerkte, er wäre für einen guten Ausgangs der Verhandlung wallfahrten gegangen, mag skurril erscheinen, ist aber nichts weiter als eine Ausprägung der barocken Tradition Österreichs. Der Ausdruck Barockfürst bezeichnet noch immer einen besonders patriarchal-gönnerhaften Politiker, der mit großen Gesten sein Publikum zu becircen weiß. Es ist kein Zufall, dass die ersten fixen Theater im deutschsprachigen Raum ebenfalls in der Zeit der Gegenreformation entstanden. Nur langsam konnte sich die Aufklärung ausgehend von England und Frankreich, quasi als eine Art Gegenbewegung zur absoluten Frömmigkeit des Barock, durchsetzen. Der bekannteste aufgeklärte Vertreter der Habsburger war Josef II., der Sohn Maria Theresias. Unter ihm begann auch Österreich sich des säkularen Lebens stärker zu besinnen. Beamte, Militärs, Universitätsprofessoren, Lehrer, Juristen, Mediziner und aufgeklärte Theologen wagten sich aus der Deckung um die Vormachtstellung der Kirche, besonders der Jesuiten im Bildungsbereich in Frage zu stellen. Im konservativen Tirol wurden diese Schritte besonders misstrauisch beäugt. Wie man sieht, prägen Barockbauten, aber auch Gebräuche wie Prozessionen, Feiertage und Festlichkeiten, die in dieser Zeit entstanden, das Leben in Österreich bis heute.

Glaube, Kirche, Obrigkeit und Herrschaft

Die Fülle an Kirchen, Kapellen, Kruzifixen und Wandmalereien im öffentlichen Raum wirkt auf viele Besucher Innsbrucks aus anderen Ländern eigenartig. Nicht nur Gotteshäuser, auch viele Privathäuser sind mit Darstellungen der Heiligen Familie oder biblischen Szenen geschmückt. Der christliche Glaube und seine Institutionen waren in ganz Europa über Jahrhunderte alltagsbestimmend. Innsbruck als Residenzstadt der streng katholischen Habsburger und Hauptstadt des selbsternannten Heiligen Landes Tirol wurde bei der Ausstattung mit kirchlichen Bauwerkern besonders beglückt. Allein die Dimension der Kirchen umgelegt auf die Verhältnisse vergangener Zeiten sind gigantisch. Die Stadt mit ihren knapp 5000 Einwohnern besaß im 16. Jahrhundert mehrere Kirchen, die in Pracht und Größe jedes andere Gebäude überstrahlte, auch die Paläste der Aristokratie. Das Kloster Wilten war ein Riesenkomplex inmitten eines kleinen Bauerndorfes, das sich darum gruppierte. Die räumlichen Ausmaße der Gotteshäuser spiegelt die Bedeutung im politischen und sozialen Gefüge wider.

Die Kirche war für viele Innsbrucker nicht nur moralische Instanz, sondern auch weltlicher Grundherr. Der Bischof von Brixen war formal hierarchisch dem Landesfürsten gleichgestellt. Die Bauern arbeiteten auf den Landgütern des Bischofs wie sie auf den Landgütern eines weltlichen Fürsten für diesen arbeiteten. Damit hatte sie die Steuer- und Rechtshoheit über viele Menschen. Die kirchlichen Grundbesitzer galten dabei nicht als weniger streng, sondern sogar als besonders fordernd gegenüber ihren Untertanen. Gleichzeitig war es auch in Innsbruck der Klerus, der sich in großen Teilen um das Sozialwesen, Krankenpflege, Armen- und Waisenversorgung, Speisungen und Bildung sorgte. Der Einfluss der Kirche reichte in die materielle Welt ähnlich wie es heute der Staat mit Finanzamt, Polizei, Schulwesen und Arbeitsamt tut. Was uns heute Demokratie, Parlament und Marktwirtschaft sind, waren den Menschen vergangener Jahrhunderte Bibel und Pfarrer: Eine Realität, die die Ordnung aufrecht hält. Zu glauben, alle Kirchenmänner wären zynische Machtmenschen gewesen, die ihre ungebildeten Untertanen ausnützten, ist nicht richtig. Der Großteil sowohl des Klerus wie auch der Adeligen war fromm und gottergeben, wenn auch auf eine aus heutiger Sicht nur schwer verständliche Art und Weise.

Anders als heute, war Religion keineswegs Privatsache. Verletzungen der Religion und Sitten wurde vor weltlichen Gerichten verhandelt und streng geahndet. Die Anklage bei Verfehlungen lautete Häresie, worunter eine Vielzahl an Vergehen zusammengefasst wurde. Sodomie, also jede sexuelle Handlung, die nicht der Fortpflanzung diente, Zauberei, Hexerei, Gotteslästerung – kurz jede Abwendung vom rechten Gottesglauben, konnte mit Verbrennung geahndet werden. Das Verbrennen sollte die Verurteilten gleichzeitig reinigen und sie samt ihrem sündigen Treiben endgültig vernichten, um das Böse aus der Gemeinschaft zu tilgen.

Bis in kleine Details des täglichen Lebens regelte die Kirche lange Zeit das alltägliche Sozialgefüge der Menschen. Kirchenglocken bestimmten den Zeitplan der Menschen. Ihr Klang rief zur Arbeit, zum Gottesdienst oder informierte als Totengeläut über das Dahinscheiden eines Mitglieds der Gemeinde. Menschen konnten einzelne Glockenklänge und ihre Bedeutung voneinander unterscheiden. Sonn- und Feiertage strukturierten die Zeit. Fastentage regelten den Speiseplan. Familienleben, Sexualität und individuelles Verhalten hatten sich an den von der Kirche vorgegebenen Moral zu orientieren. Das Seelenheil im nächsten Leben war für viele Menschen wichtiger als das Lebensglück auf Erden, war dies doch ohnehin vom determinierten Zeitgeschehen und göttlichen Willen vorherbestimmt. Fegefeuer, letztes Gericht und Höllenqualen waren Realität und verschreckten und disziplinierten auch Erwachsene.

Die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts war in der Innsbrucker Stadtpolitik vom Kampf liberaler und konservativer Kräfte geprägt. Während das Innsbrucker Bürgertum von den Ideen der Aufklärung zumindest sanft wachgeküsst worden war, blieb der Großteil der Menschen in den Umlandgemeinden weiterhin der Mischung aus konservativem Katholizismus und abergläubischer Volksfrömmigkeit verbunden. Ähnlich wie in Thomas Manns Roman Der Zauberberg der aufgeklärte Settembrini und der Jesuit Naphta um die Seele des Hauptakteurs Hans Castorp kämpfen, bemühten sich großdeutsch-liberale und katholisch-konservative Politiker um die Gunst der Wähler. Dieser Gegensatz zwischen Stadt und Land besteht bis heute und manifestiert sich noch immer in den Wahlergebnissen.

Glaube und Kirche haben noch immer ihren fixen Platz im Alltag der Innsbrucker, wenn auch oft unbemerkt. Die Kirchenaustritte der letzten Jahrzehnte haben der offiziellen Mitgliederzahl zwar eine Delle versetzt und Freizeitevents werden besser besucht als Sonntagsmessen. Die römisch-katholische Kirche besitzt aber noch immer viel Grund in und rund um Innsbruck, auch außerhalb der Mauern der jeweiligen Klöster und Ausbildungsstätten. Etliche Schulen in und rund um Innsbruck stehen ebenfalls unter dem Einfluss konservativer Kräfte und der Kirche. Und wer immer einen freien Feiertag genießt, ein Osterei ans andere peckt oder eine Kerze am Christbaum anzündet, muss nicht Christ sein, um als Tradition getarnt im Namen Jesu zu handeln.