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Ich lege in Innsbruck beinahe alle Strecken zu Fuß oder mit dem Rad zurück. Bei schönem Wetter versüße ich mir meinen Arbeitsweg von Amras im Osten in die Höttinger Au im Westen der Stadt mit einem kurzen Umweg durch die Innenstadt. Die Pradlerstraße mit den Häusern im Tiroler Heimatstil und den Bauernhöfen, die Universitätsstraße mit der modernen Wirtschaftsuniversität auf der einen und der Theologischen Fakultät in der Jesuitenkirche auf der anderen Seite, die Altstadt und Mariahilf sind auch nach Jahren immer wieder etwas Besonderes. Spaziergänge führen mich oft durchs alte Dorf Wilten, die Koatlackn oder den Saggen, wo ich still die Bewohner der schönen Villen beneide und mich darüber ärgere, dass das Panoramagebäude noch immer ungenutzter Leerstand ist. Mit meinen Beiträgen möchte ich sowohl Besuchern als auch Einheimischen die bekannten wie auch die weniger offensichtlichen Sehenswürdigkeiten und die damit verbundene(n) Geschichte(n) näherbringen. Innsbrucks Randbezirke spielen dabei ebenso eine Rolle wie Gebäude aus der Zwischenkriegszeit, scheinbare Nutzobjekte, unscheinbare Alltagsdenkmäler und die klassischen Highlights in der Altstadt. Neben den ortsbezogenen Beiträgen führen die Kapitel im Teil Wissenswertes durch die Geschichte Innsbrucks und wenn hilfreich und nötig ein klein wenig darüber hinaus. Österreichs vielleicht bedeutendster Philosophie-Export Sir Karl Popper, und wer möchte dem schon widersprechen, meinte einst, dass es die EINE Geschichte nicht gibt. Es gäbe nur viele Geschichten, die nebeneinander bestehen, sich widersprechen oder ergänzen. Diesem Ansatz folge ich nur zu gerne. Gebäude, Plätze, Geschichte, Stories, Personen und Legenden verknüpfen sich so zu einer erlebbaren Erzählung, dem man entweder vor Ort oder gemütlich zu Hause auf der Couch lesend folgen kann. Während Spaziergängen, Fotosafaris und Recherchen konnte ich viel für mich Neues über meine Heimatstadt, von der ich dachte, sie in- und auswendig zu kennen, erfahren. Ich hoffe der Leser hat ebenso viel Spaß und Freude bei der Lektüre und auf eigenen Erkundungen wie ich ihn beim Schreiben hatte.
Introduction
Die Identität einer Stadt speist sich aus ihren Gebäuden, ihren Besuchern und Einwohnern. Aus Rom wurde die Eternal city, aus Paris die Stadt der Liebe und aus New York die Stadt, die niemals schläft. Auch Innsbruck häufte im Lauf der letzten 2000 Jahre einiges an anekdotischem und historischem Füllstoff an. Es gibt nicht das EINE Innsbruck, jede Zeit hat ihr Innsbruck. Schaut man sich alte Stadtveduten und Panoramen Innsbrucks an, wie sehr sich die Stadt veränderte. Das Innsbruck von 1500 hat ebenso wenig zu tun mit dem Innsbruck von 1800 wie das von 1900 mit dem von 2000. Lange war Innsbruck nicht mehr als eine kleine befestigte Stadt, eine Brücke mit Zollstation zwischen den Handelszentren nördlich und südlich des Brenners. Ein paar Revolutionen, Weltkriege, Olympiaden und Erweiterungs- und Umbauphasen später ist Innsbruck seit der Jahrtausendwende selbsternannte „Weltstadt“. Oder Sportstadt. Oder die Hauptstadt der Alpen. Oder hippe, junge Universitätsstadt. Es liegt ganz im Auge des Betrachters sowie den Umständen und der Epoche seines Aufenthalts. Je nachdem wer, wann und mit welchem Hintergrund über Innsbruck erzählte, lieferte eine andere Ansicht der Stadt und prägte damit auch ihre Identität.
„Bei Zirl fährt man ins Inntal herab. Die Lage ist unbeschreiblich schön, und der hohe Sonnenduft machte sie ganz herrlich. Der Postillon eilte mehr, als ich wünschte: er hatte noch keine Messe gehört und wollte sie in Innsbruck, es war eben Marientag, um desto andächtiger zu sich nehmen. Nun rasselte es immer an dem Inn hinab, an der Martinswand vorbei, einer steil abgehenden ungeheuern Kalkwand. Zu dem Platze, wohin Kaiser Maximilian sich verstiegen haben soll, getraute ich mir wohl ohne Engel hin und her zu kommen, ob es gleich immer ein frevelhaftes Unternehmen wäre. Innsbruck liegt herrlich in einem breiten, reichen Tale zwischen hohen Felsen und Gebirgen. Erst wollte ich dableiben, aber es ließ mir keine Ruhe. Kurze Zeit ergetzte ich mich an dem Sohne des Wirts, einem leibhaftigen Söller. So begegnen mir nach und nach meine Menschen. Das Fest Mariä Geburt zu feiern, ist alles geputzt. Gesund und wohlhäbig, zu Scharen, wallfahrten sie nach Wilten, einem Andachtsorte, eine Viertelstunde von der Stadt gegen das Gebirge zu. Um zwei Uhr, als mein rollender Wagen das muntere bunte Gedränge teilte, war alles in frohem Zug und Gang.“
Das notierte Johann Wolfgang Goethe 1786 am Brenner in sein Tagebuch, nachdem er am Weg Richtung Italien die Stadt passiert hatte. Der Dichterfürst war ein Vertreter der frühen Romantik und ein Kind der Zeit der Aufklärung. Die exotischen Alpenbewohner Tirols mit ihrem bäuerlichen Erscheinungsbild und ihre Bräuche sowie die wilde Bergwelt faszinierten ihn. Es waren Berichte von Schriftstellern wie Goethe, die den Grundstein für den Tourismus im Alpenraum legen sollten. Nüchterner klang die Beschreibung 70 Jahre später. Innsbrucker mögen heute zu Recht stolz auf ihre Altstadt sein. Im 19. Jahrhundert hingegen hielt man nicht viel von den alten Gemäuern. Auch Innsbruck war vom Rausch der Modernisierung ergriffen worden, eine komplette Umgestaltung der Altstadt wurde mehr als nur erwogen. 1862 kürte man bereits einen Siegerentwurf für das neue, neogotische Rathaus an der Stelle, an der sich heute das Old town hall samt Stadtturm befindet. Aus heutiger Sicht ist es ein Glücksfall, dass damals die Mittel fehlten, um die kühnen Pläne umzusetzen. In einem Reisebericht aus dem Jahr 1846 ist Folgendes über den alten Teil der Stadt „am Fuße dieser Gebirgsdekoration im Innthale“ zu lesen:
„Alterthümliche Baudenkmale von Kunstinteresse besitzt Innsbruck, mit Ausnahme des goldnen Dachlgebäudes, keine. Zu dem freundlichen Eindruck, den ihr Anblick von dieser Seite hervorbringt, trägt der Umstand wesentlich bei, daß sie nicht, wie man vermuthen könnte, aus einer Mehrzahl von alterthümlichen, sondern im Gegentheil von neuern Gebäuden besteht… Die Häuser der Altstadt, mit Laubengängen nach italienischer Sitte versehen, sind mehrentheils von älterer, schlechter Bauart.“
Die Zwischenkriegszeit war weniger poetisch als das Zeitalter der Romantik Goethes und ließ auch die Euphorie des 19. Jahrhunderts vermissen. In den 1920er Jahren ließ der Schriftsteller Ödön von Horvath (1901 – 1938), ein spitzzüngiger Zyniker, der die Schrecken des ersten Weltkriegs und den Zerfall Österreich-Ungarns erlebt hatte, seine Romanfigur Kobler im Buch “Der ewige Spießer“ noch profaner über Innsbruck denken.
„Unter dieser Dunstwolke lag Innsbruck, die Hauptstadt des heiligen Landes Tirol. Kobler wusste nichts weiter von ihr, als dass sie ein berühmtes goldenes Dachl hat, einen preiswerten Tiroler Wein und dass der Reisende, der von Westen ankommt, zur linken Hand einige große Bordelle sehen kann.“
Städte sind erlebbare Historie. Architektur, Bauweise, Material und Zweck von Gebäuden sind Hinweise auf politische, kulturelle, finanzielle und soziale Umstände, unter denen sie entstanden. Die Geschichte einer Stadt endet nicht an ihren örtlichen Grenzen. Stilrichtungen wie Barock, Historismus oder Brutalismus waren keine Innsbrucker Eigenheit. Kunstwerke, Gebäude und Stadtteile entstanden nicht ohne Grund. Die gotischen Häuser der Altstadt erzählen von der Entwicklung Innsbrucks im Mittelalter und der frühen Neuzeit. Anhand der Stadtpaläste der Aristokratie in der Maria-Theresienstraße lassen sich der frühe Kapitalismus und die Anfänge vom Ende der Feudalwirtschaft verfolgen. Das Zeughaus gibt einen Einblick in eine Zeit, in der Innsbruck das militärische Rüstungs- und Machtzentrum des alpinen Raums war. Die Wohnhäuser Wiltens, des Saggens und Pradls zeigen das Wachstum und die sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Veränderungen des 19. Jahrhunderts. Die oft wenig ansehnlichen Bauten der Zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zeugen von den Luftangriffen, der kargen Nachkriegszeit und dem Wiederaufschwung, während die Sportstätten den Geist von zwei olympischen Spielen wiederaufleben lassen.
Unter den 101 Orten in diesem Buch finden sich natürlich die üblichen Verdächtigen wieder, die jeder Einwohner und Besucher bewusst wahrnimmt. Mindestens ebenso viel Platz wird aber Plätzen, Gebäuden, Straßen, Denkmälern eingeräumt, an denen wir tagtäglich vorübergehen, ohne uns viele Gedanken über sie zu machen, die sich bei näherer Betrachtung aber als nicht minder interessant erweisen. Dasselbe gilt für die Artikel der Kategorie Wissenswertes. Neben den wohlbekannten Akteuren der Stadtgeschichte wie Maximilian, Friedrich und Ferdinand kommen auch Beamte, Handwerker, Bierbrauer, Bänker, Baumeister, Hochschulprofessoren und Schausteller zu Wort, um die Geschichte Innsbrucks zu erzählen.