Innsbrucker Mittelgebirgsbahn

Erschienen: Innsbrucker Nachrichten / 27. Juni 1900

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Begeistert zeigt sich die lokale Presse von der Eröffnung der heutigen Straßenbahnlinie 6. 

Der Artikel

In der letzten Woche herrschte an der nun zur Eröffnung gelangenden Mittelgebirgsbahn noch eine besonders rege Thätigkeit. Allenthalben wurde an der vollständigen Fertigstellung der Strecke gearbeitet und besonders auch die Ausgestaltung der Stationsgebäude und Haltestellen in energischer Weise gefördert. Im übrigen zeigte sich der Bahnvor- stand bei der ersten Probefahrt in einem außer- ordentlich vorgeschrittenen Zustande der Vollendung, wenn man bedenkt, daß mit dem Baurechte erst im Monat August v. J. begonnen wurde und daß nahezu der ganze Winterlag, wenn auch nicht von besonderer Milde, den Bau einer Bergbahn doch immerhin in bedeutendem Maße behindert und verzögert. Nun denn, das Werk ist fertig, Damm und Schienenstrang läuft glatt dahin, die Böschungen zeigen sich wie mit Rieselgleise behandelt und vielfach sproßt bereits junges Grün an den Dämmen und Abhängen aus dem aufgeschütteten oder ausgehobenen Erdreich empor.

Die Innsbrucker Mittelgebirgs-Bahn zweigt von der Station Berg Isel der Localbahn Innsbruck- Hall nach Süden ab, übersteigt sogleich in einem Tunnels, durch welchen dann künftig eine Straße durchgeführt wird, zunächst mittels einer Brücke den Wiltenerbach und beschreibt einen großen Halbkreis gegen Westen, um sodann nach dem Sillthale und gleich nachher den Sillfluß selbst zu treten. Von hier verläuft sie längs der alten und im Zuge der Straße aufwärts zur Höhe von Vill, überschreitet die auf der Anhöhe nach Igls und Ambras führende Straße, zieht in mäßiger Steigung von Vill weiter zur neuen Bergbahnstraße (deren Ganglinie ein wenig nach Südost abbiegt) bis nach Igls, woselbst sich bei der neuen Haltestelle ein sehr schöner Ueberblick auf die auf 472 m Seehöhe (bei Kl 4 42) die Halte- und Ausweichstelle Jochatz auch „Innsbrucker Waldbahn“ nennen, mitten in stiller Waldeinsamkeit gelegen, worauf in Steigung bei Kilometer 5,7 die Haltestelle Wirtshaus erreicht wird, von wo sich ein neuer Wagenanschluß zum genannten Hotel hinaufzieht und jetzt in neuerlicher Verbindung mit dem alten Seitental des in den Villnauer Tal von unten herauf Kessel empor, wo bis vor wenigen Jahren der alte, schon erwähnte Bauernhof des Innsbrucker Berg Isel-Tales war. In dieser Kessellage ist wiederum eine Haltestelle und Hütte für die Bahnwarte angelegt worden. Ueber Bäumerücken und Lichtungen der Mittelgebirgswälder, zwischen Feldern und Obstgärten zieht die Bahn nun weiter bis zur Endstation Igls, die nahe der kurz gelegene Station Igls erreicht.

Die Gesamtlänge der Bahn vom Berg Isel bis zur Station Igls beträgt 8,45 Kilometer. Bezüglich der Gefälls-Verhältnisse dürften folgende Angaben von allgemeinerem Interesse erscheinen: Bei Station Berg Isel der Localbahn beginnt die Linie auf einer Seehöhe von 588·4 m; die Endstation Igls liegt 872·5 m über dem Meere, so daß somit ein Höhenunterschied von 272·5 m auf eine Strecke von 8,45 km zu überwinden, was im Mitteldurchschnitt einem Gefälle von 32·29%o betragen. Da der Wagenlauf so im horizontal oder in 15% Curven erfolgt, empfiehlt sich eine Ausweichgleise, die Haltestellen sind sowohl auf der Strecke bis Umkehrplatz beim Wirtshaus als auch nach Igls ganz objectiv so angebracht, daß die Haltestellen von Passagieren auf kurzem Wege zu den bewohnten Ortschaften zu erreichen sind.

Nur zwei bedeutende Viaducte waren zu bauen, so der große Viaduct mit vier Oeffnungen für die Ueberführung über das Sillthal und der kleinere bei Innsbruck-Amtshaus. Auch zwei Tunnelanlagen waren erforderlich, der längere von 42 m bei Kl 2·45 fortlaufend, der andere mit 19 m bei Kl 4·45 kurz ausgemessen; weiterhin eine Reihe von größeren und kleineren Regulirungen zur Wasserableitung und Wasserdurchlass. Außerdem entsprechen an mehreren Stellen (bei Kl 1·42) die Halte- und Ausweichstelle Jochatz.

Für die Ausführung der Bahn mußten ausschließlich Regienarbeiten angenommen, da die besonderen technischen Schwierigkeiten es nahelegten, von einer Vergabe der Arbeiten an Private abzusehen. Umso mehr muß hervorgehoben werden, daß die Direction und der mit dem Bau beschäftigte technische Personal in vorzüglicher Weise gewirkt hat. Die Leitung der Bauausführung war dem städtischen Oberingenieur Josef Riehl anvertraut, welchem der erfahrene Staatsbahn-Insp. R. M. Wilhelm als technischer Berater zur Seite stand, den Bau überragend beteiligten Ingenieur Karl Ammerle aus Bozen und der Bauführer Josef Kirchner aus Matrei, sowie der bereits früher erwähnte und von Ingenieur Riehl in stiller und tüchtiger Arbeit ausgewählte Bauleiter Franz Schaffenrath. Unter dem genannten technischen Commando haben alle am Bau betheiligten Beamten und Arbeiter gearbeitet, wie es in der Folge von der allgemeinen Verkehrsbehörde, als auch von den bei der Probefahrt benutzten Personen-Waggons und dem Fracht-Wagen die größte Zufriedenheit geäußert werden konnte.

Die bedeutendsten Schwierigkeiten erwuchsen bei der Deckung des riesigen Bedarfs an Holz für die Bahnschwellen und die Errichtung von Schutzbauten an verschiedenen Stellen gegen Lawinen und Steinschlag, die auf einer so lange in einsamen Wäldern und buschreichen Thälern sich hinziehenden Bergbahn gerade zu von besonderer Wichtigkeit war. Die Stadt Innsbruck hatte, wobei sie die Holzschläge in ihren sehr umfangreichen Waldungen hinsichtlich des Bedarfs so rationell wie möglich eingerichtet hatte, jedoch immer noch in beachtlichem Maßstab die Frommenwalde und andern bei der Bahnlinie gelegenen Hochwaldungen in Anspruch nehmen müssen, um den gewaltigen Bedarf vollständig zu decken.

Die Gesamtbaukosten der Bahn beliefen sich auf ca. 1,100.000 K. Die Finanzierung erfolgt in der Weise, daß die Stadt Innsbruck 300.000 K. Private 240.000 K. an Anleihenscheinen liefern, während Herr Ingenieur Josef Riehl mit 60.000 K. Stammactien und mit 500.000 K. Staatsbeitrag die Landesbahn für die Stadt übernahm.

Soweit die Uebersicht über diese bemerkenswerte Anlage eines neuen und für die immer steigende Cultur Innsbrucks gewiß recht bedeutenden und segensreichen Werkes, das, in kurzer Zeit vollendet, einstimmen wird in die Reihe großer Bahnprojekte, welche im Hinblick auf die schnelle und leistungsfähige Verbindung der hohen Mittelgebirgsorte mit der Stadt für die Bevölkerung von unschätzbarem Wert erscheinen und vom Central-Bureau unseres Landesverbandes für Fremdenverkehr wurde schon früher durch Notizen in mehr als hundert hervorragenden ausländischen Blättern auf die neue Innsbrucker Bergbahn aufmerksam gemacht sowie auch die Aufnahme derselben in das soeben in XXIX. Auflage erschienene Reisehandbuch von Baedeker veranlaßt.