Es ist ein Merkmal städtischer Erweiterung und Entwicklung, dass Infrastruktur sich nicht nur technisch verändert, sondern auch was die Positionierung innerhalb der Gemeinde angeht. Friedhöfe und Krankenhäuser wachsen nicht nur, sondern verlagern sich häufig in Richtung der neuen Randgebiete. Als Innsbruck von der kleinen Gemeinde an der Brücke zu einer Stadt wurde, verlegte man den Friedhof von der Pfarrkirche innerhalb der Stadtmauern neben das Stadtspital an den heutigen Adolf-Pichler-Platz. Die sich ausdehnende Hofburg unter Kaiser Maximilian benötigte den Platz des alten Gottesackers. Im 19. Jahrhundert, als um die Spitalskirche und den Gottesacker mehr und mehr Gebäude in die Höhe wuchsen, wanderten beide Institutionen nach Westen. Der Tiroler Kunsthistoriker Heinrich Hammer (1873 – 1953) beschrieb die Umsiedlung 1923 in seinem Buch Kunstgeschichtlicher Führer durch die Bauwerke und Denkmäler folgendermaßen:
„Der älteste Friedhof der Stadt lag um die St. Jakobs-Pfarrkirche; offenbar wegen der sich ausdehnenden Hofburg Maximilians I. wurde er 1510 außerhalb der Stadt verlegt, zur Hl. Geist-Spitalskirche, wo schon 1510–16 eine gotische Doppelkapelle (unten zu Ehren der Heiligen Michael und Veit, oben Hl. Anna) und (1571, 1591) Bogengänge entstanden. Nachdem dieser „alte“ Friedhof mehrmals (1849) vergrößert worden war, beschloss die Stadt 1855, einen neuen Gottesacker im Westen der Stadt anzulegen, eröffnete 1856 bereits einen Teil desselben und stellte im selben Zeitpunkt die Beerdigungen auf dem alten Friedhof ein, dessen Kapelle und Gräber dann 1869 unter barbarischer Zerstörung des größten Teiles der alten Grabsteine abgebrochen wurden; seinen Platz nimmt jetzt die 1869 erbaute Staatsoberrealschule und der 1896 abgesteckte Karl Ludwig-Platz ein.“
Die Umsiedlung war nicht nur dem Platzmangel geschuldet, auch die Hygienevorstellungen der Menschen gingen nicht mehr konform mit einem Friedhof mitten im Zentrum. Der aufgeklärte Kaiser Josef II. scheiterte zwar mit seinem Wunsch nach mehr Rationalität beim Thema Tod und Sterben, der in der Einführung von wiederverwertbaren Klappsärgen gipfelte, in der Zeit nach 1848 brachen aber auch im katholischen Tirol neue Zeiten an. Die Stadt Innsbruck schrieb 1855 einen Wettbewerb zur Gestaltung eines neuen Friedhofs aus. Die Vorgaben waren ein rechteckiger Grundriss und die Gestaltung der Anlage nach dem Vorbild eines italienischen Campo Santo. Carl Müller konnte sich mit seinem zeitgenössisch modernen Entwurf mit mehreren Eingängen und kunstvoll gestalteten Arkaden, die die heute nördlich von der Einsegnungshalle gelegenen Gräberfelder umfasste, durchsetzen. Der neue Friedhof wurde im Sommer 1856 auf den unbebauten Wiltener Feldern südlich des Innrain gebaut. Der Arkadengang wurde von Franz Plattner, August von Wörndle, Mathias Schmid und Georg Mader, einem der Mitbegründer der Tiroler Glasmalerei, in einem späten Wurf des damals modernen, romantischen Nazarenerstils gestaltet. 1859 schaffte der Brunecker Künstler Josef Gröbmer (1815 – 1882) die Statue des Auferstandenen über dem damaligen Hauptportal am Nordeingang
Ein Spaziergang durch die gepflegte Anlage mit ihren alten Bäumen ist wie ein Museumsbesuch und eine Reise in die Vergangenheit. Die Denkmäler und Grabstätten zeigen nicht nur die verschiedensten Kunstrichtungen, sondern geben auch viel über die Begrabenen und die Umstände der jeweiligen Zeit preis. Viele der Grabstätten, wie das Monument der Familie Unterberger und die neogotische Gruft des Innsbrucker Komponisten Josef Pembaur, sind wie die Arkaden mit Malereien im Nazarenerstil versehen und deuten auf die tiefe Frömmigkeit der Beerdigten hin. Der Grabstein des sozialdemokratischen Innsbrucker Politikerehepaares Maria und Martin Rapoldi wurde hingegen als Mosaik im typisch sachlich-republikanischen Stil der Zwischenkriegszeit gestaltet. Die androgyn wirkende Figur trägt Palmzweig und Krone, darunter prangt stolz das Stadtwappen Innsbrucks als säkulares Symbol. Auch das sparsam gehaltene, bürgerliche Ehrengrab Josef Kiebachs trägt das Stadtwappen. Das Grabmal des letzten Landeshauptmanns der k.u.k. Monarchie Josef Schraffl (1855 – 1922) versprüht mit einem barock-leidenden Gekreuzigten und steinernem Adler die allgemeine Stimmungslage des frisch nach dem Ersten Weltkrieg am Brenner geteilten Landes Tirol. Unter Arkade 96 befindet sich die Grablege des großdeutsch-nationalen Bürgermeisters Wilhelm Greils, der einer aus der Antike entsprungenen, verhüllten Frau deutsches Eichenlaub in die Hand gibt. Der Trentiner Bildhauer Andrea Malfatti gestaltete Die Oberer´sche Grabstätte in Arkade 48 mit der Verklärung Christi und die Lodron´sche Grabstätte Trauernde Mädchengestalt in Arkade 52 im italienisch-naturalistischen Stil. 1909 ließ der Innsbrucker Baumeister Josef Retter zentral im neueren, südlichen Teil des Friedhofs eine neogotische Kapelle, die mittlerweile dank ihres romantischen Efeubewuchses als Filmkulisse dienen könnte, als Familiengrablege errichten. Die massive Holztür wird von einem Mosaik umrahmt, das dem Jugendstil nahesteht.
Einige der aufwändig gestalteten Denkmäler, Ehrengräber und Familiengrablegen bedeutender Innsbrucker sind durchaus umstritten. Eine Büste erinnert an Prälat Anton Müllner, der als kriegstreibender Dichter unter dem Synonym Bruder Willram wüste Machwerke fabrizierte. Besonders „patriotisch“ präsentiert sich das Gefallenendenkmal der schlagenden Burschenschaft Suevia. Ihren Wahlspruch „Freiheit, Ehre, Vaterland“, den sie sich mit anderen deutschnationalen schlagenden akademischen Verbindungen wie der Libertas in Wien teilen, wird von einer martialischen Figur gekrönt. Der erste Bürgermeister der Nachkriegszeit Anton Melzer (1898 – 1951), der nach 1938 aus dem Stadtrat entfernt wurde und lange Zeit im Lager Reichenau in Haft war, hat sein kunstvoll gestaltetes Ehrengrab in unmittelbarer Nähe zur letzten Ruhestätte von Egon Denz, der während der NS-Zeit Bürgermeister in Innsbruck war.
Die ältesten Ehrengräber wurden wie auch das Kruzifix im Zentrum des Nordteils der Anlage 1858 vom alten städtischen Friedhof auf den neuen Zentralfriedhof übertragen, zum Beispiel die Grabstätte des Hofbildhauers unter Ferdinand I. Alexander Colin (1527 – 1612), der sich sein Denkmal mit der Erweckung des Lazarus zu Lebzeiten selbst schuf, oder des Vertreters der frühen Aufklärung in Österreich und Kanzlers von Tirol Josef von Hormayr (1705 – 1779). Ein besonders gruseliges Denkmal am Nordeingang erinnert an diese Übersiedlung. Josef fertigte das Ensemble 1775 für die Grabstätte der Grafen Wolkenstein-Trostburg an, einem der ältesten Adelsgeschlechter Tirols. 1873 wurde das neogotische Denkmal von der Stadt direkt vor dem Haupteingang aufgestellt. Im selben Jahr erwähnten die Innsbrucker Nachrichten das Denkmal lobend in einem Bericht rund um den Friedhof zu Allerseelen:
„Den Friedhof nach dieser kurzen Rundschau verlassend, begegnen wir in demselben, theilweise etwas hinter Cypressen versteckt, heuer einem bekannten Denkmale aus dem alten Friedhofe. Das dort gestandene ehemals Wolkenstein'sche Monument hat die Stadtvertretung vom Bildhauer Grissemann restauriren und in sinniger Weise zur Erinnerung an alle aus dem alten Friedhofe übertragenen Ueberreste hier aufstellen lassen. Dieses bedeutende Marmorwerk aus dem Ende des vorigen Jahrhunderts bildet mit seinem etwas geckenhaft die Sanduhr über den hohen Sarg haltenden Alten, dem Gevatter Tod, und der schönen ihm gegenüberstehenden weiblichen Figur, die sich mit Grauen von ihm abwendet, eine Zierde unseres Friedhofes, der nachgerade eine Stätte tirolischer Kunst geworden.“
Das Denkmal zeigt Saturn, das römische Äquivalent zum griechischen Gott Chronos. Die kunstvoll gestalteten Figuren im Stil der klassischen Antike erstaunlich gut in die 1870er Jahre, die vom beginnenden Historismus geprägt waren. Saturn war der römische Schutzpatron der Zeit, des Ackerbaus und der Fruchtbarkeit. Der Legende nach verschlang der Himmelsvater seine eigenen Kinder, um zu verhindern, dass er von ihnen als Herrscher entmachtet wird. Sein Sohn Jupiter, der griechische Zeus, wurde aber gerettet und konnte ihn stürzen. Das Denkmal zeigt Saturn in Gestalt eines Todesengels, der einer trauernden Frau über einen Totenkopf gebeugt unbarmherzig eine abgelaufene Sanduhr vorhält, während ein Kind am Fuße des Sarkophags sein Gesicht mit einem Schleier verhüllt.
Drei Jahre nach der Einweihung des neuen städtischen Friedhofs eröffnete die Stadt südlich der Hauptanlage den evangelischen Teil, natürlich baulich getrennt, um die katholische Ordnung im Land Tirol aufrecht zu erhalten. Fünf Jahre später folgte der jüdische Teil, ebenfalls eigens eingefriedet. Der ehemalige jüdische Friedhof am Judenbühel in St. Nikolaus musste verlegt werden, nachdem die Gräber mehrmals verwüstet worden waren. 1961 sollte sich diese traurige Geschichte während der Eichmann-Prozesse wiederholen, als der jüdische Teil am Westfriedhof erneut von Unbekannten geschändet wurde. 1889 wuchs der Friedhof auf seine doppelte Fläche an, nachdem die Anlage innerhalb von etwas mehr als 30 Jahren zu klein geworden war. Der ehemalige Abschluss mit der Friedhofskapelle wurde zum Verbindungsteil, der Haupteingang wurde ans Ostende verlegt.
Im kurzen Wirtschaftsaufschwung der Zwischenkriegszeit wurde die nach der Eröffnung des Pradler Friedhofs Westfriedhof genannte Anlage erneut erweitert und modernisiert. Die Kapelle in der Mitte der Anlage 1927 wurde nach Plänen des städtischen Baubeamten Franz Wiesenberg im kubischen Stil mit Pyramidendach erneuert. Das steinerne Ensemble über dem Eingang in die neue Einsegnungshalle mit Gott Vater, Sohn und dem Heiligen Geist ist im sachlichen Stil der Zwischenkriegszeit gestaltet. Gottlieb Schuller und Rudolf Jettmar gestalteten die Gemälde, Franz Santifaller die Holzfiguren, die Glaube, Liebe und Hoffnung symbolisieren. Im Inneren schmücken Mosaike der Tiroler Glasmalerei die Wände. Die alte Vorhalle mit den Fresken Untergang der Welt, Jüngstes Gericht und Himmlisches Jerusalem Franz Plattners blieb zum Glück erhalten. Der Friedhof erhielt gemäß den modernen Vorstellungen der Zeit der Ersten Republik einen kleinen Urnenhain. Die Umstellung des Beerdigungsritus vom pompösen orthodoxen Ritus zur bürgerlichen Verbrennung war eine der ersten Maßnahmen in der revolutionären Sowjetunion der 1920er Jahre, um die Abkehr vom monarchistischen System des Zarismus zu manifestieren. Die in Innsbruck starke Sozialdemokratie konnte mit dem Urnenhain nur einen Teilerfolg landen landen. Das geplante Krematorium war dann doch zu viel des Guten und zerschellte, wie schon der wiederverwertbare Sarg Josefs II. an den Protesten des katholischen Teils Tirols.