Tiroler Glasmalerei- und Mosaikanstalt
Glasmalereistraße / Müllerstraße
Wissenswert
Die Tiroler Glasmalerei- und Mosaikanstalt war der international vielleicht erfolgreichste Industriebetrieb Innsbrucks im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert. Die Architektur des Fabriksgebäudes in Wilten spiegelt die außergewöhnlichen Fertigkeiten der Künstler und Handwerker wider. Anders als viele andere Unternehmer legten die kunstsinnigen Firmengründer viel Wert auf die Ästhetik ihrer Fabrikanlage. Der Mitbegründer der Firma Josef von Stadl (1828 – 1893) schuf ein neoromanisches Fabriksgebäude, das in seinem Kern bis heute besteht. Die Anlage musste den Spagat zwischen Kunstwerkstatt, Ausstellungsraum, Büros und industrieller Fertigung bei großen Aufträgen mit mehr als hundert Fenstern schaffen.
Mindestens ebenso interessant wie das Gebäude ist die Geschichte der Tiroler Glasmalerei- und Mosaikanstalt und ihrer Gründer. Nach Jahrhunderten, in denen die Glasmalerei in der Bedeutungslosigkeit versunken war, schaffte dieses Handwerk im Windschatten der neuen Architekturstile des Historismus und unter der Patenschaft König Ludwigs in Form Deutschlands erster industrieller Glasmalereianstalt ein Comeback. In Tirol bedurfte es vieler Zufälle und drei bemerkenswerter Männer, um dieses für Sakralbauten wichtige Handwerk aus der Taufe zu heben.
Von Stadl wuchs in Steinach am Brenner auf. Schon als Kind musste er am heimischen Bauernhof mit Gastwirtschaft mithelfen. Die harte Arbeit bescherte ihm mit neun Jahren eine Knochenhautentzündung am Arm. Schwere körperliche Arbeit wurde ihm dadurch unmöglich. Stattdessen besuchte der zeichnerisch talentierte Bub die Musterhauptschule in Innsbruck, das heutige BORG. Nach kurzem Militärdienst bei den Scharfschützen 1848 sammelte er Erfahrungen als Schlosser und Drechsler. Der handwerklich begabte junge Mann arbeitete 1853 beim Wiederaufbau der Kirche in Steinach mit, wo er durch seine Fähigkeiten im Eiltempo vom Arbeiter zum Baumeister aufstieg.
Georg Mader (1824 – 1881) stammte ebenfalls aus Steinach. Er arbeitete als Knecht bevor er das Müllerhandwerk erlernte. Mit Hilfe seines Bruders, der selbst Geistlicher war, konnte der fromme junge Mann bei einem Maler eine Lehre machen, musste diese aber aufgeben, um in der heimischen Mühle mitzuarbeiten. Nach seiner Gesellenwanderung beschloss er, als Maler zu arbeiten. In München vertiefte er seine Kenntnisse. Nach mageren Jahren fand er als Spezialist für sakrale Werke sein Auskommen.
Albert Neuhauser (1832 – 1901) lernte in der Glaserei und Spenglerei seines Vaters. Auch er musste den Beruf früh aufgeben, bereits im Alter von zehn Jahren stellten sich Lungenprobleme ein. Statt im väterlichen Betrieb zu arbeiten, reist er nach Venedig, dem europäischen Zentrum der Glasherstellung. Fasziniert von diesem Gewerbe besuchte er die Glasmalereianstalt in München. In der väterlichen Wohnung in der Herzog-Friedrich-Straße folgen erste Versuche, im eigenen Brennofen Fenster für eine Kirche in Telfs herzustellen. Der mittlerweile etablierte Baumeister Von Stadl besuchte seinen Freund Neuhauser bei einem dieser Versuche. Begeistert von diesem Experiment stellte er den Kontakt zum Historienmaler Mader her, den er aus Steinach kannte.
1861 beschlossen die drei, ihre Expertise in einem offiziellen Unternehmen zu bündeln. Neuhauser übernahm den technischen und kaufmännischen Teil sowie die Produktentwicklung, Von Stadl kümmerte sich um die dekorativen Aspekte und den Kontakt zu Baumeistern und Mader übernahm die figurale Gestaltung der zum größten Teil für Kirchen geschaffenen Werke.
Die erste Niederlassung bestehend aus zwei Malern und einem Brenner entstand im dritten Stock des Gasthofs zur Rose in der Altstadt. Schnell stellte sich der Erfolg ein. 1865 waren bereits über 450 Fenster entstanden. Die Werkstätte wuchs, was einen Umzug in das Baur´sche Haus des Textilfabrikanten Franz Baur nötig machte.
Bald wurden auch diese Räumlichkeiten zu klein für das Unternehmen und die Zukunftsplanung. Der Rohstoff Glas kam aus England, da das einheimische Glas den Qualitätsstandards nicht entsprach. Auf den Import wurden 25% Zoll aufgeschlagen. Gemeinsam mit einem Chemielehrer schafft er es nach einer Reise nach Birmingham und viel Tüftelei, den gewünschten Rohstoff selbst herzustellen.
1869 wurde mit dem Bau des neuen Fabriksgeländes in Wilten begonnen. Möglich geworden war dies nicht nur durch den unternehmerischen Erfolg, sondern auch durch die Mitgift aus Von Stadls Hochzeit mit der Arzttochter und Malerin Maria Pfefferer und der finanziellen Unterstützung durch Neuhausers Vater. Noch im selben Jahr begann die Produktion des hauseigenen Glases. Von Anfang an zeichnete sich die Glasmalerei durch ihre guten Verbindungen und ihr großes Netzwerk nicht nur innerhalb der Donaumonarchie aus. 1871 verließ der erste Überseeauftrag das Werk Richtung USA. Nach 1873 war man Stammgast auf den damals populären Weltausstellungen.
Auf den Wiltener Feldern am Platz der heutigen Schöpfstraße 19 entstand 1872 eine werkseigene Kathedralglashütte, in der der kostbare Rohstoff in größeren Umfang bis 1899 produziert wurde. Wie dynamisch und wenig reguliert diese als Gründerzeit in die Geschichte eingegangene Boomperiode war, zeigt das Beispiel dieser Fabrik: nur 110 Tage nach dem offiziell von der Gemeindeverwaltung Wiltens nie genehmigten Baustart wurde mit der Fertigung begonnen.
Kurz darauf musste Neuhauser das Unternehmen aus gesundheitlichen Gründen verlassen. Erneut reiste er nach Venedig, um mit neuer Inspiration 1877 die erste Mosaikanstalt Österreichs zu gründen. Nach der Wirtschaftskrise von 1873 florierte die Baubranche unter den massenhaften Aufträgen der öffentlichen Hand. Das Fabriksgelände der Mosaikanstalt ging 1880 westlich der Glasmalerei in Betrieb. Im selben Jahr expandierte die Tiroler Glasmalerei mit einer eigenen Niederlassung in Wien, bevor vier Jahre später die Fabrik in Wilten nach Norden hin erweitert wurde. Jugendstilkünstler und Architekten hatten die bunten Fenster aus Wilten für Projekte außerhalb des Kirchenbaus für sich entdeckt.
1891 eröffnete das Tiroler Unternehmen eine Niederlassung in New York, um den Einfuhrzöllen in die USA in Höhe von 45% zu entgehen.
Die Glasmalerei war auch außerhalb des Unternehmens an der Erschließung Wiltens tätig. Die Anzahl der Mitarbeiter in Wilten war in der Blütezeit auf über 70 gestiegen. Nach Von Stadls Plänen entstanden 1878 mehrere Wohnhäuser für die Angestellten, Arbeiter, Künstler und Handwerker des Unternehmens. Damit wurde er endgültig zu einem der bedeutendsten Baumeister des Wiltener Wachstums. Die Glasmalereisiedlung umfasste die bis heute bestehenden Häuser in der Müllerstraße 39 – 57, Schöpfstraße 18 - 24 und Speckbacherstraße 14 – 16.
Auch wenn die goldenen Zeiten Glasmalereihandwerks spätestens mit dem Ende der Monarchie vorüber waren, konnte sich der Betrieb halten. Frische Inputs wechselnder Künstler und künstlerischer Leiter, darunter große Namen wie Hans Andre, Max Weiler, Ernst Nepo, Max Spielmann, hielten den Betrieb am Laufen. 1929 erfolgte ein Umbau nach den Plänen Franz Baumanns. 1944 wurde die Glasmalerei- und Mosaikanstalt bei einem Luftangriff schwer beschädigt. Direkt nach dem Krieg wurde mit dem Wiederaufbau begonnen. Seit 2000 befindet sich im westlichen Teil des denkmalgeschützten Gebäudes ein Gasthaus. Vom Historismus der Belle Epoque bis zum Expressionismus der Zwischenkriegszeit und zur abstrakten Kunst nach 1945 begleitete die Glasmalerei die Tiroler Architektur- und Kunstszene seit über 150 Jahren. Die Statue der Heiligen Barbara über dem Eingang blieb wie der restliche Kern des dreistöckigen Hauptgebäudes trotz vieler Umbauarbeiten bis heute erhalten. Im Innenhof zeugen mehrere erhaltene Arbeiten wie der Wappenschild vom großartigen Handwerk, das hier entstand.