Wirtschaftskammer

Meinhardstraße 12

Hofburg Innsbruck

Das Gebäude, in dem die Wirtschaftskammer Tirol heute ihren Sitz hat, ist ein sehenswerter Mix verschiedener Stilrichtungen. Geschmückt mit Erkern und Türmchen wirkt das Gebäude wie ein kleiner Palast. Die Architektur wurde vom Münchner Architektenbüro Ludwig Lutz geplant und ist ein Beispiel für den Historismus und den Heimatstil. Die Mosaikfassade im Jugendstil stellt die verschiedenen Wirtschaftszweige als Personen dar, die sich über den Fenstern die Hand reichen. Sie wurde von Alfons Siber, der in der Tiroler Glasmalerei- und Mosaikanstalt gelernt hatte, unter dem Titel Allegorie von Handel und Gewerbe entworfen. Der oberste der Erker stellt eine kleine Imitation des Goldenen Dachls dar und demonstriert damit die Verbundenheit der Wirtschaftskammer zur Tiroler Tradition. Während die restliche Meinhardstraße während des Zweiten Weltkriegs ein Opfer der Bombardements wurde, blieb die Wirtschaftskammer unversehrt. Durch einen Verbindungstrakt ist der alte Teil des Gebäudes mit dem neuen in der Wilhelm-Greil-Straße verbunden.

Bereits 1851 war in Tirol die Kammer für Handel und Gewerbe als Vorgängerorganisation der Wirtschaftskammer gegründet worden. Nach den sozialen Umwälzungen des Jahres 1848 musste man auf die gesellschaftlichen Veränderungen reagieren. Die Mitsprache der Unternehmer des Bürgertums war der des Adels noch nicht ebenbürtig, obwohl der faktische Einfluss dieser Gruppe auf die Gesellschaft stetig zunahm. Besonders in den Vororten der damaligen Stadt waren viele Unternehmen wie die Rauchmühle in Mühlau, die Seifenfabrik Epp, die Spinnerei Herrburger und Rhomberg und die Schlosserei Köllensperger entstanden. Das Gewerbegesetz aus dem Jahr 1859 stellte die wirtschaftlichen Bedingungen und somit den Alltag vieler Menschen auf den Kopf. Hatten bisher Zünfte neben kirchlichen Institutionen auch im sozialen für ihre Mitglieder gesorgt, ging diese Pflicht nun an die Stadtgemeinde über. An ihre Stelle rückten Innungen und Genossenschaften. Damit ging auch der Schutz, den Zünfte ihren Mitgliedern boten, verloren. Es kam zu einer Gewerbefreiheit, die 1883 allerdings wieder durch Befähigungsnachweise und Meisterprüfungen reglementiert wurde. 1901 wurde das Gewerbeförderungs-Institut, ein Vorgänger des WIFI, gegründet das Kurse für Handwerker und Selbstständige anbot. Das österreichische System der Wirtschaftsförderung, Erwachsenenbildung und der Kammerstaat gehen auf diese Entwicklung im 19. Jahrhundert zurück.

Innsbruck war seit seiner Gründung mehr Verwaltungs- und Universitätsstadt als Industriestandort. Anders als in Städten Oberösterreichs oder der Steiermark gibt es bis heute kaum nennenswerte Großbetriebe in der Stadt. Handel und Handwerk sowie die Tourismusbetriebe sind eher kleinstrukturiert. Mit der Universität, Klinik, dem Land Tirol und der Stadt sind die größten Arbeitgeber Innsbrucks die öffentliche Hand. Trotzdem ist die Industrie der wichtigste Arbeitgeber in Tirol, noch vor dem Tourismus. Die Wirtschaftskammer als Vertretung der Selbstständigen und Unternehmer nimmt eine wichtige Rolle im Sozialgefüge des Landes ein.

Das Jahr 1848 und seine Folgen

Das Revolutionsjahr 1848 ging in die Geschichte Europas als richtungsweisend für Demokratie, Bürgerrechte und Herausbildung der Nationalstaaten ein, auch in Österreich. Tirol war von Bürgerkrieg und Aufständen zwar nicht nur geographisch, sondern auch gedanklich weit entfernt, trotzdem änderte sich in Folge der Märzrevolutionen, die sich gegen die Politik des österreichischen Kanzlers Metternich und der Habsburger richteten, vieles im politischen und sozialen Gefüge. Weltliche und klerikale Obrigkeiten hatten jahrhundertelang von ihren Schäflein verlangt, ihre Wünsche nach allgemein gültiger Moral zum Wohl der Gemeinschaft zu unterdrücken. Man stützte sich dabei auf das Gedankengut antiker Philosophen wie Aristoteles und Seneca. Während der Aufklärung war es zu einem Umdenken gekommen. Der Individualismus, das Streben des Einzelnen nach Glück, war nicht etwas gänzlich neues, erhielt aber breiteren Aufschwung. Nach Adam Smith (1723 – 1790) war der kollektive Wohlstand durch individuelles, ethisches Wirtschaften zu erreichen. Diese ökonomische Überlegung hatte auch Einfluss auf das soziale und politische Verhalten des Einzelnen. Untertanen wollten keine Untertanen eines Monarchen oder Landesfürsten mehr sein, sondern Bürger mit Rechten und Pflichten gegenüber einem Staat. Studenten, Akademiker und Beamte wollten sich nicht mehr einschränken lassen. Karl Marx und Friedrich Engels schrieben im Jahr 1848 Das Kommunistische Manifest, in dem sie Arbeiter, die in prekären Verhältnissen vegetierten, zur Revolution riefen. Unter Kaiser Josef II. waren die Länder der Habsburger im Sinne der Aufklärung reformiert worden. Unter Franz I. von Österreich und Metternich wurde vieles wieder zurückgenommen. Liberales Gedankengut, Zeitungen, Flugblätter, Schriften, Bücher und Vereine standen unter Generalverdacht der Obrigkeit. Die bestehenden Magazine und Zeitschriften mussten sich anpassen oder im Untergrund verbreitet werden, um nicht der Zensur anheimzufallen. Wie in vielen Städten Europas, so standen sich auch in Innsbruck im politisch aufgeheizten Klima des Vormärz verschiedenste Gruppen von Liberalen über frühe Sozialisten und Konservativen gegenüber. Schriftsteller wie Hermann von Gilm (1812 – 1864) und Johann Senn (1792 – 1857), an beide erinnern heute Straßen in Innsbruck, verbreiteten anonym politisch motivierte Literatur und Schriften. Der Mix aus großdeutschem Gedankengut und tirolischem Patriotismus vorgetragen mit dem Pathos der Romantik mutet heute eigenartig und pathetisch an, war aber dem metternich´schen Staatsapparat weder geheuer noch genehm. Alle Arten von Vereinen wie die Innsbrucker Liedertafel oder Studentenverbindungen, sogar Mitglieder des Ferdinandeums wurden streng überwacht.

Nach dem Wiener Kongress, der den Frieden in Europa nach den napoleonischen Kriegen wieder herstellte, verlor Tirol einige der Sonderrechte, die es seit dem Mittelalter innerhalb des Habsburgerreiches hatte. Das Maximilianische Landlibell, das es den Tirolern erlaubte, nur die eigenen Landesgrenzen zu verteidigen, ohne sich in den regulären Militärdienst zu integrieren, wurde zu Gunsten der allgemeinen Konskription aufgehoben. Die bewaffnete und wehrhafte Bevölkerung war in Wien nicht gerne gesehen. Die Schützen standen trotz ihrer demonstrativen Kaisertreue auf der Liste der zu überwachenden Institutionen Kanzler Metternichs und dessen Polizeiapparat. Als zu aufsässig galten die Tiroler, nicht nur gegenüber fremden Mächten, sondern auch gegenüber der Wiener Zentralstaatlichkeit. Auch die Arbeiterschaft, die sich in den Innsbrucker Randgebieten durch die zarte Industrialisierung der Stadt bildete, wurde von der Geheimpolizei Metternichs streng überwacht. Sozialismus und Kommunismus entwickelten sich in Europa langsam. Besonders St. Nikolaus und Hötting waren als „rote Pflaster“ bekannt. Der Gegenpol der Arbeiter sozial gesehen waren die Studenten, die zum allergrößten Teil der Oberschicht angehörten. Sie forderten vor allem politische Mitsprache, Pressefreiheit und Bürgerrechte. Im Großen und Ganzen war Innsbruck aber kaisertreu und weit entfernt von flächendeckend revolutionären Gedanken. Opfer der Bespitzelung Metternichs war nur eine kleine Gruppe innerhalb der Bevölkerung. Als in Wien im März 1848 der Bürgerkrieg ausbrach, floh Kaiser Ferdinand I. nach Innsbruck. Glaubt man den Presseberichten aus dieser Zeit, wurde er hier von der Bevölkerung begeistert empfangen. Innsbruck war wieder Residenz des Kaisers, wenn auch nur für einen Sommer. Ferdinand übergab die Krone an Kaiser Franz Josef I., der die Geschicke Österreich-Ungarns bis in den Ersten Weltkrieg lenken sollte. Im Juli 1848 kam es in Wien in der Hofreitschule zur Abhaltung eines ersten parlamentarischen Reichstages. Der Reformwille des Kaisers flachte schnell wieder ab, die zart in Gang gesetzte Liberalisierung nahm trotzdem ihren Lauf. Auch wenn Tirol konservativ und katholisch-ständisch orientiert war, erhielt Innsbruck im Sog der Liberalisierung nach 1848 und der Landesverfassung den Status einer Stadt mit eigenem Statut. Das Innsbrucker Gemeinderecht sah ein Bürgerrecht vor, das zwar an Besitz oder die Abgabe von Steuern gebunden war, jedoch den Angehörigen der Gemeinde gewisse Rechte gesetzlich zusicherte. Das Heimatrecht konnte durch Geburt, Verehelichung oder außerordentlicher Verleihung erworben werden und verlieh zumindest den männlichen Volljährigen das Wahlrecht auf kommunaler Ebene. Geriet man in finanzielle Notlage, so hatte man das Anrecht auf eine Grundversorgung durch die Stadt.

Eine weitere nachhaltige Veränderung vollzog sich in der Landwirtschaft. Bis dahin war in Tirol der Landesfürst der größte Grundherr. In Innsbruck hielt der Klerus, vor allem das Stift Wilten, einen großen Teil des bäuerlichen Grundes. Kirche und Adel waren nicht steuerpflichtig. Eine unter Josef II. versuchte Ablösung der bäuerlichen Grundlasten von den Grundherren war 1798 gescheitert. Im Revolutionsjahr 1848/49 schließlich wurden in Österreich Grundherrschaft und Untertänigkeitsverhältnis aufgehoben. Abgelöst wurden damit Grundzinsen, Zehent und Robot, wobei diese Arbeiten auf den Gütern der Grundherren ohne Entlohnung der Bauern in Tirol seit dem 16. Jahrhundert ohnehin nicht mehr sehr verbreitet war. Die Grundherren erhielten im Rahmen der Grundentlastung ein Drittel des Wertes ihrer Ländereien vom Staat, ein Drittel wurde als Steuererleichterung gewertet, ein Drittel der Ablöse mussten die Bauern selbst übernehmen. Die Bauern konnten diesen Betrag in Raten innert zwanzig Jahren abzahlen. An den Krediten gingen einige Familien zu Grunde, andere schafften den Schritt erfolgreich. Die Nachwirkungen sind bis heute zu spüren. Die Nachkommen der damals erfolgreichen Bauern genießen durch den geerbten Landbesitz, der auf die Grundentlastung 1848 zurückzuführen ist, die Früchte des Wohlstandes und auch politischen Einfluss durch Grundstücksverkäufe für Wohnbau, Pachten und Ablösen der öffentlichen Hand für Infrastrukturprojekte.

Im Alltag der Menschen kam es nach dem Revolutionsjahr 1848 zu einer steigenden Verbürgerlichung, bedingt auch durch die Grundentlastung. Adelige investierten das Geld, das sie als Ablöse für ihre Ländereien erhalten hatten, in Industrie und Wirtschaft. Der Kapitalismus moderner Prägung hielt so auch im abgeschiedenen Tirol Einzug. Landwirte ohne Land machten sich ebenfalls vom Umland auf nach Innsbruck, um dort Arbeit zu finden. Der Wechsel vom bäuerlichen Leben des Dorfes in die Stadt beinhaltete mehr als einen örtlichen Wechsel. War der Grundherr am Land noch Herr über das Privatleben seiner Knechte und Mägde und konnte bis zur Sexualität über die Freigabe zur Ehe über deren Lebenswandel bestimmen, war man nun individuell zumindest etwas freier. Diese neue Freiheit gefiel nicht allen, was zu ideologisch motivierten sozialen Spannungen führte. Innsbruck begann zu wachsen. Damit hielt auch vermehrt die Teilung von Arbeit und Haushalt Einzug. In der Landwirtschaft war diese Trennung weniger streng, weibliche Familienmitglieder arbeiteten am Hof mit und die Wohnstätte war zugleich auch Arbeitsplatz. Arbeiter und Handwerker gingen morgens hingegen zur Arbeit und kamen abends wieder retour, während sich die Frau des Hauses um Kinder und Haushalt kümmerte. Männer als Patriarchen waren noch immer die Familienvorstände, es handelte sich aber nicht mehr um eine Sippe bestehend aus Kindern, Mägden und Knechten, sondern um einen kleinen Familienverband wie wir ihn heute kennen. Die Geschlechterrollen, die bis heute eine gewisse Relevanz haben, begründeten sich zu dieser Zeit. Vereine aller Art, das Phänomen der Freizeit und Teuflisches wie Fahrräder oder Sport kamen auf. Parks wie der Englische Garten rund um das Schloss Ambras waren nicht mehr exklusiv der Aristokratie zugänglich, sondern dienten den Bürgern als Naherholungsgebiete. Die Stadt Innsbruck und das Umland, schon immer unterschiedlich orientiert im Politischen, entfernten sich noch weiter voneinander. Nachdem Innsbruck 1849 an Stelle Merans zur Landeshauptstadt und somit auch endgültig zum Zentrum Tirols geworden war, begannen sich ausgehend von hier Parteien zu gründen. In den sich entwickelnden Cafés wurde von der Bürgerschaft die Pressefreiheit in Form von Zeitungen konsumiert und diskutiert. Katholisch-konservative Kräfte standen den Liberalen entgegen. Während im Tiroler Landtag die Konservativen getragen von der ländlichen Bevölkerung die Mehrheit dauerhaft festigen konnten, setzten sich in der Stadt nach und nach die Liberalen durch. Die Konservativen traten für die Beibehaltung des Einflusses der Kirche auf soziale Fragen wie Sozialpolitik und Schulen ein, die Liberalen plädierten für eine Säkularisierung des Alltags nach den Grundsätzen der Aufklärung wie sie in Frankreich seit Napoleon zum Teil vorangetrieben wurde. Kirchen und Klöster hatten es in Innsbruck immer schwerer, ihren Einfluss auf die Sozialstruktur durch die Bildung zu bewahren. Ab 1868 stellte die liberal und großdeutsch orientierte Partei den Bürgermeister der Stadt Innsbruck. Der gesellschaftliche Einfluss der Kirche, der seit den Zeiten Kaisers Maximilian Stück für Stück in ganz Europa unter den Säkularisierungstendenzen brüchiger wurde, nahm in Innsbruck im Gegensatz zu den Umlandgemeinden recht zügig ab. Kapitalismus und Konsum sprangen für ihn als ordnende Elemente in die Bresche, Kaufhäuser, Cafes und Tanzlokale hielten Einzug in den Alltag der Menschen. Für die nächsten 50 Jahre sollte der Kampf zwischen Liberalen und Konservativen die Geschichte der Stadt Innsbruck prägen.

Wie schwierig diese neue Ordnung im Verhältnis von Rechten und Pflichten war, zeigen die Bauten Johann von Sieberers im Saggen. Das Waisenhaus und das Kaiser-Franz-Josef-Greisenasyl waren Infrastruktur, die von der Kommune ob der angespannten finanziellen Lage nicht finanziert werden konnte. Auch die Aristokratie fiel nach den Reformen von 1848 als Sponsor aus. Sieberer hatte sich aus ärmlichen Verhältnissen nach oben gearbeitet. Er fühlte sich dem, was Max Weber als protestantische Arbeitsethik bezeichnet hätte zugehörig, ahmte aber den Adel, der ihn erzogen hatte, nach. Seine beiden Bauprojekte waren Statements und Ausdruck dieses bürgerlichen Selbstvertrauens. Auch Bahnprojekte wurden vielfach nichtstaatlich finanziert und förderten den gesellschaftlichen Wandel und die Öffnung des Landes.