Wissenswert

Etwas oberhalb des Brenners entspringt auf über 2300 m Höhe der Vennebach. Nach einem kurzen Stopover neben der Autobahn im Brennersee fließt sein eiskaltes Wasser, nun unter seinem bekannteren Namen Sill, Richtung Innsbruck. Unterwegs versorgen mehrere Bäche und Flüsse aus den alpinen Seitentälern die Sill und lassen sie zu ansehnlicher Dimension anschwellen. Zwischen Gärberbach und dem Stift Wilten formte der Fluss eine spektakuläre Landschaft. Die Sillschlucht ist eine schmale Klamm zwischen Stadt, Brennerbahn, Bundesstraße und Autobahn, die nicht nur Ruhe und Frieden, sondern auch ein ganz besonderes Flair bietet. Kaum ein Sonnenstrahl schafft es an Bäumen und Felsen vorbei. Schon früh umspielte die mystische Landschaft ein Hauch des Unheimlichen und wurde so zur Quelle etlicher Urban Legends. Den Anfang machte der Drache der Haymonsage, der sein Nest in der Sillschlucht hatte und schon in der Spätantike die Bewohner Wiltens mit seiner Zerstörungswut auf Trab hielt. Im 19. Jahrhundert konnte man in den Innsbrucker Nachrichten regelmäßig von Schreckensmeldungen aus der stadtnahmen Wildnis lesen. Räuber und Mörder versteckten sich vor der Obrigkeit gerne in der Sillschlucht. Dazu kamen verbotene Treffen sozialistischer „Aufwiegler“, Vermisste, Ertrunkene, verunglückte Holzarbeiter, verunfallte Wanderer, geheimnisvolle Leichenfunde und Selbstmorde. Die grausigsten Verbrechen allerdings waren wenig mysteriös, sondern geschahen mit voller Absicht und auf Anordnung. Während der Zeit des Nationalsozialismus wurden Deserteure in der Sillschlucht hingerichtet. In jüngerer Vergangenheit siedelten sich Obdachlose abseits der Stadt an während Jugendliche sich zu Partys und Raves ohne offizielle Genehmigung trafen.

Trotz des Gruselfaktors, oder vielleicht gerade deshalb, ist die Sillschlucht aber vor allem eins: Innsbrucks schönstes Naherholungsgebiet. Im Sommer bietet sie Hitzeflüchtlingen lauschige Badeplätze, während man im Winter mächtige Eiszapfen begutachten kann, die sich von den Felswänden abseilen. Das milde Sonnenlicht des Herbstes färbt die Blätter des Mischwaldes besonders schön. An den Ufern des teils langsam dahinfließenden, dann wieder wild donnernden Gewässers bizarre Felsformationen, Efeu und kleine Wasserfälle. Brücken und Stege führen immer wieder über den Fluss und erlauben schöne Ausblicke auf die beeindruckende, wildromantische Landschaft. In der Mitte der Sillschlucht zweigt der Berg Isel Panoramaweg ab, der zum Drachenfelsen mit der spektakulären Aussichtsplattform führt. Im südlichen Teil wird der Weg zum engen Pfad, der ein wenig Trittsicherheit und angemessenes Schuhwerk erfordert, jedoch ohne große Probleme auch mit Kindern begehbar bleibt. Nach heftigen Regenfällen und Gewittern kommt es immer wieder zu Sperren wegen Hangrutschen. Kurz vor Gärberbach spaziert man an Gärten mit kleinen Wochenendhäusern vorbei bevor man das spektakuläre Viadukt am Ende der Sillschlucht erreicht.

Auf einem der mächtigen Pfeiler unter der Brücke erinnert eine Bronzetafel an die sich ewig hinziehende Instandsetzung des Panoramaweges. 1907 tauchte erstmals die Idee auf, die schwer zugängliche Klamm für Wanderer zu erschließen. Wegen der Unwegsamkeit des Geländes und des schlechten Rufes der Sillschlucht sollte es 25 Jahre dauern, bis der Sillschluchtweg vom Innsbrucker Verschönerungsverein an die Stadt übergeben werden konnte.

Der Einstieg in die Sillschlucht ist an mehreren Stellen möglich. Vom Gasthaus Bretterkeller aus führt ein Weg vorbei an der Baustelle des Brennerbasistunnels an den Anfang des Spazierweges direkt am Fluss. Wer mit dem Auto anreist, kann am Berg Isel parken und von dort aus direkt absteigen. Etwas weiter südlich führt ein Pfad vom Sonnenburger Hof in den mittleren Teil der Sillschlucht. Wer den Spaziergang vom Ende aus starten möchte, kann mit dem Bus oder dem Auto nach Gärberbach fahren.

Thyrsus, Haymon und die Bajuwaren

Nach dem Verschwinden des weströmischen Reiches und der dazugehörenden Verwaltung übernahmen verschiedene germanische Stämme die Kontrolle über das Gebiet des heutigen Innsbrucks. Bei der Landnahme wurde zwar das Castell Veldidena zerstört, der Übergang zur bajuwarischen Herrschaft war für die breonisch-romanisierte Bevölkerung aber weniger plötzlich und kriegerisch als viel mehr fließend. Es waren keine barbarischen Zerstörer, sondern Gruppen, die seit Jahrhunderten mit der römischen Welt in der einen oder anderen Form im Austausch standen. Kampfhandlungen waren wohl die Ausnahme. Die Kulturen vermischten sich nach und nach in einer Zeit, in der das Herrschaftsgefüge eher von loser Natur war. Die Alltagssprache der Menschen war eine Form des Germanischen, schon früh hatte sich als Schriftsprache aber auch bei den „Barbaren“ nördlich der Alpen Latein durchgesetzt.

Das wichtigste Überbleibsel der Römer war aber das Christentum. Spätestens ab dem 8. Jahrhundert waren die Bajuwaren christianisiert. Zur Zeit Karls des Großen (ca. 748 – 814) wurden die Herzöge von Bayern und mit ihnen das Inntal zu einem Teil des Heiligen Römischen Reiches, das sich über weite Teile Zentraleuropas und Norditaliens erstreckte. Die Machthaber stützten sich in der Verwaltung auf die kirchlichen Strukturen der Römer zur Verwaltung des Gebiets, waren Kleriker doch vielfach die einzigen Schriftgelehrten. Anstatt Römischer Kaiser herrschte eine geharnischte Aristokratie als Lehensmänner des vom Papst gesalbten Frankenkönigs Karl im Namen Gottes über die Untertanen, die in er Landwirtschaft malochten. Der christliche Kirchenvater Paulus hatte in seinem Römerbrief die theologische Basis für dieses System gelegt:

Jedermann sei untertan der Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat. Denn es ist keine Obrigkeit außer von Gott; wo aber Obrigkeit ist, ist sie von Gott angeordnet. Darum: Wer sich der Obrigkeit widersetzt, der widerstrebt Gottes Anordnung; die ihr aber widerstreben, werden ihr Urteil empfangen. Denn die Gewalt haben, muss man nicht fürchten wegen guter, sondern wegen böser Werke. Willst du dich aber nicht fürchten vor der Obrigkeit, so tue Gutes, dann wirst du Lob von ihr erhalten. Denn sie ist Gottes Dienerin, dir zugut. Tust du aber Böses, so fürchte dich; denn sie trägt das Schwert nicht umsonst. Sie ist Gottes Dienerin und vollzieht die Strafe an dem, der Böses tut. Darum ist es notwendig, sich unterzuordnen, nicht allein um der Strafe, sondern auch um des Gewissens willen. Deshalb zahlt ihr ja auch Steuer; denn sie sind Gottes Diener, auf diesen Dienst beständig bedacht.

Kulturell zeigte sich das Christentum auch im alpinen Raum anpassungsfähig an Traditionen und Bräuche. Die Märtyrer und Heiligen des Christentums ersetzten die heidnische Vielgötterei. Alte Feste wie die Wintersonnwende, Erntedank oder der Frühlingsbeginn wurden in den christlichen Kalender integriert und von Weihnachten, Allerheiligen und Ostern ersetzt. Beliebte Legenden um wunderkräftige Pflanzen, unheilbringende Berggipfel, zauberkundige Wesen wie die Saligen Fräulein, verwunschene Könige und andere Sagengestalten konnten problemlos parallel zum Christentum verehrt werden.

Zwei der bis heute in Innsbruck populärsten unter ihnen spielen die Hauptrolle im Gründungsmythos des Stiftes Wilten. Ein außerordentlich kräftiger Ritter, bekannt als Riese Haymon begab sich irgendwann zwischen Spätantike und frühem Mittelalter nach Tirol. In Tirol traf er auf den alteingesessenen Riesen Thyrsus von Seefeld. Während der germanische Ritter Haymon mit Schwert und Schild bewaffnet war, hatte Thyrsus, der zwar einen romanisierten Namen trug, eigentlich aber ein wilder Alpenbewohner war, nur einen Baumstamm zur Verfügung. Es kam wie es kommen musste, das moderne Schwert schlug die hölzerne Keule und Haymon tötete Thyrsus. In Reue über seine Tat trat er zum Christentum über und ließ sich vom Bischof von Chur taufen. Anstatt wie geplant eine Burg im Inntal zu bauen, errichtete er aufbauend auf den Ruinen der römischen Festung Veldidena ein Kloster. In der nahen Sillschlucht aber hauste ein furchterregender Drache, der nicht nur jede Nacht den Neubau des nun christlichen Helden verwüstete, sondern auch eine sinnvolle Besiedlung des Landstrichs unmöglich machte. Haymon tötete das Untier, schnitt ihm die Zunge ab und vermachte sie seiner eigenen Stiftung. Nach seiner Karriere als Drachentöter übergab Haymon das Kloster den Benediktinermönchen vom Tegernsee und trat als Laienbruder selbst der Bruderschaft bei. Die Menschen der Region waren dem Riesen für die Befreiung vom Drachen so dankbar, dass sie sich gerne in die abgabenpflichtige Obhut des Stiftes Wilten begaben, um das einst wilde Land als Bauern fruchtbar zu bestellen.

Haymon steht in dieser Parabel für die anfangs gewaltbereiten, später aber edlen und wohltätigen germanischen Besiedler, Thyrsus für die mutigen und wilden, am Ende aber doch unterlegenen Bewohner der Region zwischen Seefelder Plateau und Brenner. Der Drache symbolisiert das böse, zerstörerische und unchristliche Heidentum, das vom konvertierten Germanen ausgemerzt wird. Die Klosterbrüder, reich beschenkt vom tapferen Ritter, sind die ordnende Hand, ohne die nichts funktionieren würde.

Die Haymonsage und ihre Moral zeigten sich im Laufe der Jahrhundert je nach Zeitgeist ebenso flexibel wie das Christentum bei seiner Einführung in der Spätantike. Einmal war Haymon ein Adliger vom Rhein, der nach dem Tod Karls des Großen nach Tirol kam, ein anderes Mal unterwegs zwischen Ravenna und Deutschland als Gefolgsmann des ostgotischen Königs Theoderich, besser bekannt als Dietrich von Bern. Vom Mittelalter bis ins 19. Jahrhundert standen die Konvertierung Haymons, der Schutz der bäuerlichen Untertanen durch das christliche Rittertum und die Klostergründung im Mittelpunkt, um das segensreiche Feudalwesen zu untermauern. In einem Artikel in den Innsbrucker Nachrichten vom 2. Oktober hingegen ließ der Autor Dr. Franz Wöß das katholische Element des Klosterbaus fast komplett beiseite und betonte das heldenhafte Deutsche, bevor er sich der heiltätigen Wirkung des Thyrsusöls widmete, das die Seefelder Bauern seit dem Mittelalter aus den ölhaltigen Schiefersteinen gewannen. In dieser Version der Sage zog sich Haymon nach seinen Heldentaten in die Wildnis in Seefeld als Einsiedler zurück anstatt als Kleriker sein Leben im Stift Wilten zu beenden. Nach dem Zweiten Weltkrieg wiederum wollte man sich vom Germanentum so weit als möglich distanzieren. Die 1956 an der Fassade des „Gasthauses Zum Riesen Haymon“ entstandene Wandmalerei zeigt den unterlegenen Thyrsus, mit österreichischem Wappenschild, ganz im Sinne des Opfermythos der Nachkriegszeit.

Tourismus: Von alpiner Sommerfrische zur Piefke Saga

In den 1990er Jahren sorgte eine österreichische Fernsehserie für einen Skandal. Die Piefke Saga aus der Feder des Tiroler Schriftstellers Felix Mitterer beschrieb in vier skurril-entlarvend-amüsanten Folgen die Beziehung zwischen der deutschen Urlauberfamilie Sattmann und ihren Gastgebern in einem fiktiven Tiroler Urlaubsort. Bei aller Skepsis gegenüber dem Tourismus in seinen heutigen teils extremen Auswüchsen sollte man nicht vergessen, dass der Fremdenverkehr im 19. Jahrhundert ein wichtiger Faktor in Innsbruck und Umgebung war, der die Entwicklung der Region nachhaltig antrieb, nicht nur wirtschaftlich.

Die ersten Reisenden, die Innsbruck ansteuerten, waren Pilger und Business People. Händler, Gesellen auf der Walz, Beamte, Soldaten, Entourage adeliger Gäste bei Hof, Fachkräfte verschiedener Gewerbe, Bergleute, Kleriker, Wallfahrer und Wissenschaftler waren die ersten Touristen, die es in die Stadt zwischen Italien und Deutschland zog. Reisen war teuer, gefährlich und mühsam. Zudem war es einem großen Teil der Untertanen ohne Einwilligung ihres Grundherrn oder Abtes nicht gestattet, die eigene Scholle zu verlassen. Wer sich fortbewegte, tat dies im Normalfall auf des Schusters Rappen. Zwar verdienten die Innsbrucker Gasthöfe und Wirte bereits im Mittelalter und der Frühen Neuzeit an den Reisenden, von Fremdenverkehr wie wir ihn heute verstehen war aber noch keine Rede. Der fing an, als es einige Verrückte erstmals auf die Berggipfel zog. Dazu bedurfte es neben einer wachsenden Mittelschicht auch einer neuen Einstellung gegenüber den Alpen. Lange waren die Berge eine reine Bedrohung für die Menschen gewesen. Es waren vor allem Briten, die sich aufmachten, sich nach den Weltmeeren auch die Gebirge dieser Erde untertan zu machen. Über Reiseberichte verbreitete sich ab dem späten 18. Jahrhundert, der Epoche der Romantik, die Kunde von der Naturschönheit der Alpen.

Neben der alpinen Attraktion waren es die wilden und exotischen Eingeborenen Tirols, die international für Aufsehen sorgten. Der bärtige Revoluzzer namens Andreas Hofer, der es mit seinem Bauernheer geschafft hatte, Napoleons Armee in die Knie zu zwingen, erzeugte bei den Briten, den notorischen Erzfeinden der Franzosen, ebenso großes Interesse wie bei deutschen Nationalisten nördlich der Alpen, die in ihm einen frühen Protodeutschen sahen. Die Tiroler galten als unbeugsamer Menschenschlag, archetypisch und ungezähmt, ähnlich den Germanen unter Arminius, die das Imperium Romanum herausgefordert hatten. Die Beschreibungen Innsbrucks aus der Feder des Autors Beda Weber (1798 – 1858) und andere Reiseberichte in der boomenden Presselandschaft dieser Zeit trugen dazu bei, ein attraktives Bild Innsbrucks zu prägen.

Nun mussten die wilden Alpen nur noch der Masse an Touristen zugänglich gemacht werden, die zwar gerne den frühen Abenteurern auf ihren Expeditionen nacheifern wollten, deren Risikobereitschaft und Fitness mit den Wünschen nicht schritthalten konnten. Der Deutsche Alpenverein eröffnete 1869 eine Sektion Innsbruck, nachdem der 1862 Österreichische Alpenverein wenig erfolgreich war. Angetrieben vom großdeutschen Gedanken vieler Mitglieder fusionierten die beiden Institutionen 1873. Der Alpenverein ist bis heute bürgerlich geprägt, sein sozialdemokratisches Pendant sind die Naturfreunde. Das Wegenetz wuchs durch dessen Erschließung ebenso wie die Zahl an Hütten, die Gäste beherbergen konnten. Der Tiroler Theologe Franz Senn (1831 – 1884) und der Schriftsteller Adolf Pichler (1819 – 1900) waren maßgeblich an der Vermessung Tirols und der Erstellung von Kartenmaterial beteiligt. Anders als gerne behauptet, waren die Tiroler nicht geborene Bergsteiger, sondern mussten sich die Fähigkeiten die Bergwelt zu erobern erst beibringen lassen. Bis dato waren Berge vor allem eins: gefährlich und mühsam im landwirtschaftlichen Alltag. Sie zu besteigen, war zuvor kaum jemandem in den Sinn gekommen. Die Alpenvereine bildeten auch Bergführer aus. Ab der Jahrhundertwende kam neben Wandern und Bergsteigen der Skisport in Mode. Lifte gab es noch nicht, um auf die Berge zu gelangen, musste man sich der Felle bedienen, die heute noch auf Tourenski geklebt werden. Erst ab den 1920ern konnte nach dem Bau der Seilbahnen auf die Nordkette und dem Patscherkofel eine zahlungskräftige Klientel den modernen Luxus von Bergbahnen beim Skivergnügen genießen.  

Für den Komfort bei der Beherbergung war ebenfalls gesorgt. Mit dem Grand Hotel Europa hatte 1869 auch in Innsbruck ein Haus ersten Ranges geöffnet und löste die oft in die Jahre gekommenen Gasthöfe in der Altstadt als die Unterkünfte erster Wahl ab. 1892 folgte mit dem Reformhotel Habsburger Hof ein zweiter großer Betrieb. Der Habsburger Hof bot seinen Gästen bereits elektrisches Licht, eine absolute Sensation. Ebenfalls am Bahnhof angesiedelt war der Arlberger Hof. Was heute eher als Wettbewerbsnachteil angesehen würde, war zu dieser Zeit ein Verkaufsargument. Bahnhöfe waren die Zentren moderner Städte. Die Bahnhofsplätze waren keine überfüllten Verkehrsknotenpunkte wie heute, sondern mondäne und gepflegte Orte vor den architektonisch anspruchsvoll gestalteten Hallen, in denen die Züge ankamen.

Die Anzahl der Gäste stieg langsam, aber stetig an. Kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges zählte Innsbruck 200.000 Gäste. Im Juni 1896 berichteten die Innsbrucker Nachrichten:

„Der Fremdenverkehr in Innsbruck bezifferte sich im Monat Mai auf 5647 Personen. Darunter befanden sich (außer 2763 Reisenden aus Oesterreich-Ungarn) 1974 Reichsdeutsche, 282 Engländer, 65 Italiener, 68 Franzosen, 53 Amerikaner, 51 Russen und 388 Personen aus verschiedenen anderen Ländern.“

Neben der Menge an Reisenden, die einen Einfluss auf das Leben in der Kleinstadt Innsbruck hatten, war es auch die Internationalität der Besucher, die Innsbruck nach und nach einen neuen Anstrich gaben. Es bedurfte neuer Hotels, Cafés, Gasthäuser, Geschäfte und Transportmittel, um die Bedürfnisse der Gäste zu befriedigen. Neben der rein touristischen Infrastruktur wurde auch die Entwicklung der allgemeinen Neuerungen beschleunigt. Die wohlhabenden Gäste konnten kaum in Gaststätten mit Senkgruben hinterm Haus verkehren. Natürlich wäre eine Kanalisation ohnehin am Plan gestanden, der Wirtschaftsfaktor Tourismus aber ermöglichte und beschleunigte die Mittelfreistellung für die Großprojekte der Jahrhundertwende. Das veränderte nicht nur das Aussehen der Stadt, sondern auch den Alltag und das Arbeitsleben der Menschen. Findige Unternehmer wie Heinrich Menardi schafften es, die Wertschöpfungskette um kostenpflichtige Urlaubsfreuden neben Kost und Logis zu erweitern. Er eröffnete 1880 die Lohnkutscherei und Autovermietung Heinrich Menardi für Ausflugsfahrten in die alpine Umgebung. Anfangs mit Kutschen, nach dem 1. Weltkrieg mit Bussen und PKW, wurden zahlungskräftige Touristen bis nach Venedig chauffiert. Das Unternehmen besteht bis heute und hat seinen Firmensitz mittlerweile im Menardihaus in der Wilhelm-Greil-Strasse 17 gegenüber des Landhausplatzes, auch wenn man sich von der Transport- und Handelsbranche im Lauf der Zeit auf die einträglichere Immobilienwirtschaft verlegt hat. Auch der lokale Handel profitierte von der zahlungskräftigen Klientel aus dem Ausland.

Innsbruck und die umgebenden Orte waren auch für Kururlaub, dem Vorgänger des heutigen Wellness, bei der betuchte Kunden sich in alpinem Umfeld von unterschiedlichsten Krankheiten erholten, bekannt. Der Igler Hof, damals Grandhotel Igler Hof und das Sporthotel Igls, verströmen heute noch teilweise den Chic dieser Zeit. Michael Obexer, der Gründer des Kurortes Igls und Besitzer des Grandhotels, war ein Tourismuspionier. In Egerdach bei Amras und in Mühlau, gab es zwei Kurbäder. So bekannt wie die Hotspots der Zeit in Bad Ischl, Marienbad oder Baden bei Wien waren die Anlagen nicht, wie man auf alten Fotos und Postkarten sehen kann, die Anwendungen mit Sole, Dampf, Gymnastik, sogar Magnetismus, entsprachen aber dem damaligen Standard dessen, was heute teilweise noch bei Kur- und Wellnessurlaubern beliebt ist. Bad Egerdach bei Innsbruck war als Heilquelle seit dem 17. Jahrhundert bekannt. Die Quelle sollte Gicht, Hautkrankheiten, Anämie, ja sogar die im 19. Jahrhundert als Vorgängerin des Burnouts als Neurasthenie bekannte Nervenkrankheit beheben. Die Kapelle der Anstalt besteht bis heute gegenüber dem SOS Kinderdorf. Die Badeanstalt in Mühlau existierte seit 1768 und wurde im Laufe des 19. Jahrhunderts zu einem Gasthaus mit Kuranstalt ganz im Stil der Zeit umgebaut. Die ehemalige Badeanstalt ist heute ein sehenswertes Wohnhaus in der Anton-Rauch-Straße.

Seit 1881 kümmerte sich der Innsbrucker Verschönerungsverein um Befriedigung der steigenden Bedürfnisse der Gäste. Der Verein kümmerte sich um die Anlage von Wander- und Spazierwegen, dem Aufstellen von Bänken und der Erschließung unwegsamer Gebiete wie der Mühlauer Klamm oder der Sillschlucht. Die markanten grünen Bänke entlang vieler Wege erinnern bis heute an den noch immer existierenden Verein. 1888 Jahre später gründeten die Profiteure des Fremdenverkehrs in Innsbruck die Kommission zur Förderung des Tourismus, den Vorgänger des heutigen Tourismusverbands. Durch vereinte Kräfte in Werbung und Qualitätssicherung bei den Beherbergungsbetrieben hofften die einzelnen Betriebe, den Tourismus weiter anzukurbeln.

„Alljährlich mehrt sich die Zahl der überseeischen Pilger, die unser Land und dessen gletscherbekrönte Berge zum Verdrusse unserer freundnachbarlichen Schweizer besuchen und manch klingenden Dollar zurücklassen. Die Engländer fangen an Tirol ebenso interessant zu finden wie die Schweiz, die Zahl der Franzosen und Niederländer, die den Sommer bei uns zubringen, mehrt sich von Jahr zu Jahr.“

Postkarten waren die ersten massentauglichen Influencer der Tourismusgeschichte. Viele Betriebe ließen ihre eigenen Postkarten drucken. Verlage produzierten unzählige Sujets der beliebtesten Sehenswürdigkeiten der Stadt. Es ist interessant zu sehen, was damals als sehenswert galt und auf den Karten abgebildet wurde. Anders als heute waren es vor allem die zeitgenössisch modernen Errungenschaften der Stadt: der Leopoldbrunnen, das Stadtcafé beim Theater, die Kettenbrücke, die Zahnradbahn auf die Hungerburg oder die 1845 eröffnete Stefansbrücke an der Brennerstraße, die als Steinbogen aus Quadern die Sill überquerte, waren die Attraktionen. Auch Andreas Hofer war ein gut funktionierendes Testimonial auf den Postkarten: Der Gasthof Schupfen in dem Andreas Hofer sein Hauptquartier hatte und der Berg Isel mit dem großen Andreas-Hofer-Denkmal waren gerne abgebildete Motive.

1914 gab es in Innsbruck 17 Hotels, die Gäste anlockten. Dazu kamen die Sommer- und Winterfrischler in Igls und dem Stubaital. Der Erste Weltkrieg ließ die erste touristische Welle mit einem Streich versanden. Gerade als sich der Fremdenverkehr Ende der 1920er Jahre langsam wieder erholt hatte, kamen mit der Wirtschaftskrise und Hitlers 1000 Mark Sperre, mit der er die österreichische Regierung 1933 unter Druck setzen wollte, um das Verbot der NSDAP zu beenden, die nächsten Dämpfer.

Es bedurfte des Wirtschaftswunders der 1950er und 1960er, um den Tourismus in Innsbruck nach den Zerstörungen wieder anzukurbeln. Nach den beschwerlichen Kriegsjahren und dem Wiederaufbau der europäischen Wirtschaft Jahren konnten Tirol und Innsbruck den Fremdenverkehr langsam, aber stetig stabil als Einnahmequelle etablieren, auch abseits der offiziellen Hotels und Pensionen. Viele Innsbrucker Familien rückten in den ohnehin engen Wohnungen zusammen, um die Haushaltskasse durch die Vermietung von Betten an Gäste aus dem Ausland aufzubessern. Der Tourismus brachte nicht nur Devisen, sondern ermöglichte es den Einheimischen ein neues Image nach innen und außen von sich zu kreieren. Aus den Kriegsfeinden vergangener Jahrzehnte wurden Gäste und Gastgeber.