Alte & Neue Pfarrkirche Hötting
Schulgasse / Schneeburggasse
Wissenswert
Gleich zwei Kirchen prägen das Ortszentrum von Hötting. Die Alte Pfarrkirche in der heutigen Schulgasse basiert auf den Überresten eines der ältesten Gotteshäuser in der Region rund um Innsbruck. Die Ausgrabungen von Wilhelm von Sydow auf dem Gelände konnten Gräber ins 7. oder 8. Jahrhundert zurückdatieren. Es müssen wohl sehr frühe bajuwarische Christen oder eine verbliebene breonische Siedlung gewesen sein, die an dieser Stelle eine Kirche betrieben. Über diesem frühen Innsbrucker Gottesacker wurde im 10. Jahrhunder das erste romanische Kirchengebäude errichtet. Wie später die Gotik oder in der Frühen Neuzeit der Barock, war die Romanik eine Architektur- und Kunstrichtung, die zwischen Spätantike und Hochmittelalter Europa dominierte. Die Schutzheiligen der Pfarrgemeinde waren ebenso zeitgemäß wie die Architektur des Gebäudes. Die Heiligen Ingenuin und Albuin, beide Bischöfe von Brixen, übernahmen das Patrozinium. Albuin war wohl zur Zeit des Kirchenbaus gerade Bischof. Ebenfalls rund um das Jahr 1000 wurden die Gebeine seines Jahrhunderte zuvor verblichenen Vorgängers Ingenuin als Reliquien in den Brixner Dom überführt.
Erstmals aktenkundig wurde die Höttinger Kirche 1286, als sie in einem Ablassbrief zur Sprache kam. Der Ablass, also eine Zahlung an die Kirche, um die eigene Zeit im Fegefeuer nach dem irdischen Ableben zu verringern, war gängige Praxis. Viele mittelalterliche Kirchen hätten ohne Ablass wohl nie Verwirklichung gefunden. Der heutige Kern des gotischen Kirchenschiffs und der Turm haben ihren Ursprung im 15. Jahrhundert, was den Bau bis heute von den meisten anderen Kirchen Innsbrucks markant abhebt. 1641 wurde der Turm nach einem Brand erneuert. Im 18. Jahrhundert kam es, wie es kommen musste. Die Kirche wurde im Innenbereich barockisiert.
1853 wurde Hötting, bis dato vom Stift Wilten betreut, zur eigenen Pfarre erhoben. Die Bevölkerung wuchs während des 19. Jahrhunderts in noch nie dagewesenem Ausmaß und die 400 Plätze in der Kirche wurden zu wenig. Auch der Friedhof wurde für die damals noch nicht zu Innsbruck gehörenden Gemeinde zu klein. 1888 gründete der Höttinger Pfarrer den Papst-Leo-Kirchenbauverein, um einen neuen Bau finanziell zu ermöglichen. Papst Leo XIII. (1810 – 1903). Papst Leo war ein politisch aktiver Papst. Er wollte mit der Stärkung der christlichen Arbeiterbewegung die Kirche als politischen Player zurück auf die Bühne bringen. Die alten Bande zwischen den europäischen Herrscherhäusern und dem Papsttum sollte in der Manier des Mittelalters wieder enger geknüpft werden. Das sollte sich durch neu erbaute, neogotische Kirchen überall auf der Welt manifestieren. Seine Abneigung gegen Republikanismus, den Staat als oberste soziale Instanz und Sozialismus sowie sein Faible für die Verehrung der Heiligen Mutter Gottes machten ihn in konservativen Innsbrucker Kreisen beliebt.
Einer der großen Antreiber und Spender war der Besitzer des Schloss Büchsenhausen, Brauer und Gastronom Robert Nißl, der Grund und Boden für das Projekt zur Verfügung stellte. Der Ablass war zwar mittlerweile keine gängige Praxis mehr in der katholischen Kirche, Spenden an die Kirchengemeinde waren aber sowohl für das Seelenheil nach dem irdischen Ableben wie auch für das Ansehen auf Erden innerhalb der Gemeinde von Vorteil. Fünf Jahre nach Gründung des Vereins entstand mit dem Friedhof und der Kapelle der erste Teil der Anlage. Mit weiteren Spenden und durch die Auflage der beliebten Entschuldigungskarten zu Neujahr sammelte die eifrige Kirchengemeinde in den folgenden gut 15 Jahren für den Kirchenneubau.
1909 begann das Bauunternehmen Josef Huter & Söhne mit der Errichtung der Neuen Höttinger Pfarrkirche. Etwas über 20 Jahre zuvor wurde der Baumeister bereits mit dem Bau der Kirche St. Nikolaus betraut. Es ist wenig erstaunlich, dass sich die beiden Gotteshäuser stark ähneln. Neoromanische Bögen und neogotische Spitzbögen und Türmchen prägen die Fassade. Über dem Eingangsportal wurden die Heiligen Florian und Sebastian sowie die beiden Höttinger Schutzheiligen Ingenuin und Albuin als Mosaik verewigt. Der Giebel präsentiert Statuen von Jesus und den beiden Kirchengründern Petrus und Paulus. Der Rohbau wurde 1911 feierlich gesegnet, noch vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs kam die Innenausstattung Stück für Stück hinzu. Besonders stechen die kunstvoll gestalteten Fenster der Tiroler Glasmalerei hervor. Bedingt durch die Kriegswirren konnte der Bau erst 1924 final fertiggestellt und geweiht werden. Der aktuelle Hochaltar wurde 1989 vom Innsbrucker Künstler Helmut Millonig, dessen Atelier sich gegenüber der Alten Höttinger Pfarrkirche befindet, gestaltet. Der Krieg bescherte dem Vorplatz, auf dem heute meist wenig schmückend Autos parken, mit dem Kriegerdenkmal von Clemens Holzmeister auch ein zusätzliches Kunstdenkmal hinzu.
Klingler, Huter, Retter & Co: Baumeister der Erweiterung
Die letzten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts gingen als Gründerzeit in die österreichische Geschichte ein. Nach einer Wirtschaftskrise 1873 begann sich die Stadt im Wiederaufschwung auszudehnen. Von 1880 bis 1900 wuchs Innsbrucks Bevölkerung von 20.000 auf 26.000 Einwohner an. Das 1904 eingemeindete Wilten verdreifachte sich von 4000 auf 12.000. Im Zuge technischer Innovationen veränderte sich auch die Infrastruktur. Gas, Wasser, Elektrizität wurden Teil des Alltags von immer mehr Menschen. Das alte Stadtspital wich dem neuen Krankenhaus. Im Saggen entstanden das Waisenhaus und das Greisenasyl Sieberers. Das erste Telephon Innsbrucks meldete sich 1893 zum Dienst. Um die Jahrhundertwende gab es bereits über 300 Anschlüsse in der Stadt.
Die Gebäude, die in den jungen Stadtvierteln gebaut wurden, waren ein Spiegel dieser neuen Gesellschaft. Unternehmer, Freiberufler, Angestellte und Arbeiter mit politischem Stimmrecht entwickelten andere Bedürfnisse als Untertanen ohne dieses Recht. Anders als im ländlichen Bereich Tirols, wo Bauernfamilien samt Knechten und Mägden in Bauernhäusern im Verbund einer Sippschaft lebten, kam das Leben in der Stadt dem Familienleben, das wir heute kennen, nahe. Der Wohnraum musste dem entsprechen. Der Lifestyle der Städter verlangte nach Mehrzimmerwohnungen und freien Flächen zur Erholung nach der Arbeitszeit. Das wohlhabende Bürgertum bestehend aus Unternehmern und Freiberuflern hatte den Adel zwar noch nicht überholt, den Abstand aber verringert. Sie waren es, die nicht nur private Bauprojekte beauftragten, sondern über ihre Stellung im Gemeinderat auch über öffentliche Bauten entschieden.
Die 40 Jahre vor dem Ersten Weltkrieg waren für Baufirmen, Handwerker, Baumeister und Architekten eine Art Goldgräberzeit. Die Gebäude spiegelten die Weltanschauung ihrer Bauherren wider. Baumeister vereinten dabei mehrere Rollen und ersetzten oft den Architekten. Die meisten Kunden hatten sehr klare Vorstellungen, was sie wollten. Es sollten keine atemberaubenden Neukreationen sein, sondern Kopien und Anlehnungen an bestehende Gebäude. Ganz im Geist der Zeit entwarfen die Innsbrucker Baumeister nach dem Wunsch der finanziell potenten Auftraggeber die Gebäude in den Stilen des Historismus und des Klassizismus sowie des Tiroler Heimatstils. Klare Formen, Statuen und Säulen waren stilprägende Elemente bei der Anlage neuer Gebäude. In einem teils wüsten Stilmix wurden die Vorstellungen, die Menschen vom klassischen Griechenland und dem antiken Rom hatten, verwirklicht. Nicht nur Bahnhöfe und öffentliche Gebäude, auch große Mietshäuser und ganze Straßenzüge, sogar Kirchen und Friedhöfe entstanden entlang der alten Flurwege in diesem Design. Das gehobene Bürgertum zeigte sein Faible für die Antike mit neoklassizistischen Fassaden. Katholische Traditionalisten ließen Heiligenbilder und Darstellungen der Landesgeschichte Tirols in Wandmalereien auf ihren Heimatstilhäusern anfertigen. Während im Saggen und Wilten der Neoklassizismus dominiert, finden sich in Pradl Großteils Gebäude im konservativen Heimatstil.
Viele Bauexperten rümpften lange Zeit die Nase über die Bauten der Emporkömmlinge und Neureichen. Heinrich Hammer schrieb in seinem Standardwerk „Kunstgeschichte der Stadt Innsbruck“:
„Schon diese erste rasche Erweiterung der Stadt fiel nun freilich in jene baukünstlerisch unfruchtbare Epoche, in der die Architektur, statt eine selbstständige, zeiteigene Bauweise auszudenken, der Reihe nach die Baustile der Vergangenheit wiederholte.“
Die Zeit der großen Villen, die die Adelsansitze vergangener Tage mit bürgerlicher Note nachahmten, kam mangels Platzgründen nach einigen wilden Jahrzehnten an ihr Ende. Eine weitere Bebauung des Stadtgebietes mit Einzelhäusern war nicht mehr möglich, zu eng war der Platz geworden. 1898 beschloss der Gemeinderat, östlich der Claudiastraße nur noch Wohnblöcke anstatt der Villen im großzügigen Cottage Stil zu genehmigen. Der Bereich Falkstraße / Gänsbachstraße / Bienerstraße gilt bis heute als Villensaggen, die Gebiete östlich als Blocksaggen. In Wilten und Pradl kam es zu dieser Art der Bebauung gar nicht erst gar nicht. Trotzdem versiegelten Baumeister im Goldrausch immer mehr Boden. Albert Gruber hielt zu diesem Wachstum 1907 eine mahnende Rede, in der er vor Wildwuchs in der Stadtplanung und Bodenspekulation warnte.
„Es ist die schwierigste und verantwortungsvollste Aufgabe, welche unsere Stadtväter trifft. Bis zu den 80er Jahren (Anm.: 1880), sagen wir im Hinblick auf unsere Verhältnisse, ist noch ein gewisses langsames Tempo in der Stadterweiterung eingehalten worden. Seit den letzten 10 Jahren jedoch, kann man sagen, erweitern sich die Städtebilder ungeheuer rasch. Es werden alte Häuser niedergerissen und neue an ihrer Stelle gesetzt. Natürlich, wenn dieses Niederreißen und Aufbauen planlos, ohne jede Überlegung, nur zum Vorteil des einzelnen Individuums getrieben wird, dann entstehen zumeist Unglücke, sogenannte architektonische Verbrechen. Um solche planlose, der Allgemeinheit nicht zum Frommen und Nutzen gereichende Bauten zu verhüten, muß jede Stadt dafür sorgen, daß nicht der Einzelne machen kann, was er will: es muß die Stadt dem schrankenlosen Spekulantentum auf dem Gebiete der Stadterweiterung eine Grenze setzen. Hierher gehört vor allem die Bodenspekulation.“
Eine Handvoll Baumeister und das Bauamt Innsbruck begleiteten diese Entwicklung in Innsbruck. Bezeichnet man Wilhelm Greil als Bürgermeister der Erweiterung, verdient der gebürtige Wiener Eduard Klingler (1861 – 1916) wohl den Titel als deren Architekt. Klingler prägte das Stadtbild Innsbrucks in seiner Funktion als Beamter und Baumeister wesentlich mit. 1883 begann er für das Land Tirol zu arbeiten. 1889 trat er zum städtischen Bauamt über, das er ab 1902 leitete. In Innsbruck gehen unter anderem die Handelsakademie, die Leitgebschule, der Friedhof Pradl, die Dermatologische Klinik im Klinikareal, der Städtische Kindergarten in der Michael-Gaismair-Straße, die Trainkaserne (Anm.: heute ein Wohnhaus), die Markthalle und das Tiroler Landeskonservatorium auf Klinglers Konto als Leiter des Bauamtes. Ein sehenswertes Gebäude im Heimatstil nach seinem Entwurf ist das Ulrichhaus am Berg Isel, das heute den Alt-Kaiserjäger-Club beheimatet.
Das vielleicht bedeutendste Innsbrucker Baubüro war Johann Huter & Söhne. Johann Huter übernahm das kleine Baugewerbe seines Vaters. 1856 erwarb er das erste Firmengelände, die Hutergründe, am Innrain. Drei Jahre später entstand in der Meranerstraße der erste repräsentative Hauptsitz. Die Firmeneintragung gemeinsam mit seinen Söhnen Josef und Peter stellte 1860 den offiziellen Startschuss des bis heute existierenden Unternehmens dar. Huter & Söhne verstand sich wie viele seiner Konkurrenten als kompletter Dienstleister. Eine eigene Ziegelei, eine Zementfabrik, eine Tischlerei und eine Schlosserei gehörten ebenso zum Unternehmen wie das Planungsbüro und die eigentliche Baufirma. 1906/07 errichteten die Huters ihren eigenen Firmensitz in der Kaiser-Josef-Straße 15 im typischen Stil der letzten Vorkriegsjahre. Das herrschaftliche Haus vereint den Tiroler Heimatstil umgeben von Garten und Natur mit neogotischen und neoromanischen Elementen. Bekannte von Huter & Söhne errichtete Gebäude in Innsbruck sind das Kloster der Ewigen Anbetung, die Pfarrkirche St. Nikolaus und mehrere Gebäude am Claudiaplatz.
Der zweite große Player war Josef Retter. Der gebürtige Tiroler wuchs in der Wachau auf. In früher Jugend absolvierte er eine Maurerlehre bevor er die k.k. Staatsgewerbeschule in Wien und die Werkmeisterschule der baugewerblichen Abteilung besuchte. Nach Berufserfahrungen über das Gebiet der Donaumonarchie verteilt in Wien, Kroatien und Bozen konnte er dank der Mitgift seiner Ehefrau im Alter von 29 Jahren seine eigene Baufirma mit Sitz in Innsbruck eröffnen. Wie Huter beinhaltete auch sein Unternehmen ein Sägewerk, ein Sand- und Schotterwerk und eine Werkstatt für Steinmetzarbeiten. 1904 eröffnete er in der Schöpfstraße 23a seine Wohn- und Bürogebäude, das bis heute als Retterhaus bekannt ist. Mit einem Neubau des Akademischen Gymnasiums und dem burgähnlichen Schulgebäude für die Handelsakademie und der Evangelischen Christuskirche im Saggen, der herrschaftlichen Sonnenburg in Wilten und dem neugotischen Schloss Mentlberg am Sieglanger realisierte er einige der bis heute für diese Zeit herausragendsten Gebäude Innsbrucks.
Spätberufen aber mit einem ähnlich praxisorientieren Hintergrund, der typisch für die Baumeister des 19. Jahrhunderts war, startete Anton Fritz 1888 sein Baubüro. Er wuchs abgelegen in Graun im Vinschgau auf. Nach Stationen als Polier, Stuckateur und Maurer beschloss er mit 36 Jahren die Gewerbeschule in Innsbruck zu besuchen. Talent und Glück bescherten ihm mit der Villa im Landhausstil in der Karmelitergasse 12 seinen Durchbruch als Planer. Seine Baufirma beschäftigte zur Blütezeit 150 Personen. 1912, kurz vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs und dem damit einhergehenden Einbruch der Baubranche, übergab er sein Unternehmen an seinen Sohn Adalbert. Das eigene Wohnhaus in der Müllerstraße 4, das Haus Mader in der Glasmalereistraße sowie Häuser am Claudiaplatz und dem Sonnenburgplatz zählen zu den Hinterlassenschaften von Anton Fritz.
Mit Carl Kohnle, Carl Albert, Karl Lubomirski und Simon Tommasi hatte Innsbruck weitere Baumeister, die sich mit typischen Gebäuden des späten 19. Jahrhunderts im Stadtbild verewigten. Sie alle ließen Innsbrucks neue Straßenzüge im architektonisch vorherrschenden Zeitgeist der letzten 30 Jahre der Donaumonarchie erstrahlen. Wohnhäuser, Bahnhöfe, Amtsgebäude und Kirchen im Riesenreich zwischen der Ukraine und Tirol schauten sich flächendeckend ähnlich. Nur zögerlich kamen neue Strömungen wie der Jugendstil auf. In Innsbruck war es der Münchner Architekt Josef Bachmann, der mit der Neugestaltung der Fassade des Winklerhauses einen neuen Akzent in der bürgerlichen Gestaltung setzte. Mit dem Beginn des Ersten Weltkrieges setzte die Bautätigkeit aus. Nach dem Krieg war die Zeit des neoklassizistischen Historismus und Heimatstils endgültig Geschichte. Spaziergänge im Saggen und in Teilen von Wilten und Pradl versetzen zurück in die Gründerzeit. Der Claudiaplatz und der Sonnenburgplatz zählen zu den eindrücklichsten Beispielen. Die Baufirma Huter und Söhne existiert bis heute. Das Unternehmen ist mittlerweile im Sieglanger in der Josef-Franz-Huter-Straße, benannt nach dem Firmengründer.
Die Success Story der Innsbrucker Glasmaler
Die Vereinigten Staaten von Amerika galten in der Vorkriegszeit als Land der unbegrenzten Möglichkeiten, wo aus Tellerwäschern Millionäre wurden. Diese Erfolgsgeschichten sind aber kein exklusives Phänomen der Neuen Welt. Auch in der noch nicht bis ins letzte durchregelten Gesellschaft der Donaumonarchie konnten tüchtige und fähige Menschen aus bäuerlichen Schichten, der Arbeiterschaft oder Handwerker ohne formale Ausbildung, Befähigungsprüfung oder staatlicher Genehmigung erstaunliche Aufstiege hinlegen. Die drei Gründer der Tiroler Glasmalerei- und Mosaikanstalt, Josef von Stadl, Georg Mader und Albert Neuhauser, sind Beispiele für eine solche Erfolgsstory aus der Innsbrucker Stadtgeschichte.
Josef von Stadl (1828 – 1893) wuchs auf dem elterlichen Bauernhof mit Gastwirtschaft in Steinach am Brenner auf. Schon als Kind musste er im Betrieb mithelfen. Die harte Arbeit bescherte ihm mit neun Jahren eine Knochenhautentzündung am Arm. Schwere körperliche Arbeit wurde ihm dadurch unmöglich. Stattdessen besuchte der zeichnerisch talentierte Bub die Musterhauptschule in Innsbruck, das heutige BORG. 1848 schloss er sich den Tiroler Scharfschützen seines Heimatortes an, wurde aber nicht zum Kampfeinsatz an den Landesgrenzen herangezogen. Anschließend sammelte er Erfahrungen als Schlosser und Drechsler. Der handwerklich begabte junge Mann arbeitete 1853 beim Wiederaufbau der Kirche in Steinach nach einem Dorfband mit. Bald erkannte man seine Fähigkeiten und er stieg nach und nach vom Arbeiter zum Baumeister auf.
Georg Mader (1824 – 1881) stammte ebenfalls aus Steinach. Auch er musste schon in jungen Jahren als Knecht arbeiten. Auf Patronage seines Bruders, ein Geistlicher, konnte der fromme Jugendliche bei einem Maler eine Lehre absolvieren, musste seine Passion aber aufgeben, um in der heimischen Mühle mitzuarbeiten. Nach seiner Gesellenwanderung beschloss er, sich auf die Malerei zu konzentrieren. In München vertiefte er bei Kaulbach und Schraudolph seine Kenntnisse. Nach Arbeiten am Dom zu Speyer kehrte er nach Tirol zurück. Als Historienmaler hielt er sich mit Aufträgen der Kirche über Wasser.
Albert Neuhauser (1832 – 1901) lernte in der Glaserei und Spenglerei seines Vaters. Auch er musste den ihm angedachten Karriereweg früh aufgeben. Bereits im Alter von zehn Jahren stellten sich Lungenprobleme ein. Statt im erfolgreichen väterlichen Betrieb zu arbeiten, reist er nach Venedig. Murano beherbergte seit Jahrhunderten die besten Betriebe der kunstvollen Glaserzeugung. Fasziniert von diesem Gewerbe besuchte er gegen den Willen seines Vaters die Glasmalereianstalt in München. Die Produkte der kurz zuvor gegründeten bayerischen Fabrik entsprachen nicht seinen Qualitätsvorstellungen. In der väterlichen Wohnung in der Herzog-Friedrich-Straße unternahm er, ähnlich den Nerds, die hundert Jahre später den Grundstein für den Personal Computer in der eigenen Garage legen sollten, erste eigene Versuche mit dem Werkstoff Glas.
Die Tüfteleien und Experimente Neuhausers weckten die Neugierde seines Freundes von Stadl. Er stellte den Kontakt zum kunstsinnigen Mader her. 1861 beschlossen die drei, ihre Expertise in einem offiziellen Unternehmen zu bündeln. Heute würde man bei der Betriebsgründung wohl von einem Startup sprechen. Neuhauser übernahm den technischen und kaufmännischen Teil sowie die Produktentwicklung, Von Stadl kümmerte sich um die dekorativen Aspekte und den Kontakt zu Baumeistern und Mader übernahm die figurale Gestaltung der zum größten Teil für Kirchen geschaffenen Werke. Die erste Niederlassung bestehend aus zwei Malern und einem Brenner entstand im dritten Stock des Gasthofs zur Rose in der Altstadt. Der Rohstoff kam aus England, da das einheimische Glas den hohen Qualitätsstandards Neuhausers nicht entsprach. Auf den Import allerdings wurden 25% Zoll aufgeschlagen. Gemeinsam mit einem Chemielehrer schaffte Neuhauser es nach einer Reise nach Birmingham und viel Tüftelei, die gewünschten Anforderungen selbst zu erzielen.
Josef von Stadl heiratete 1867 die Malerin und Arzttochter Maria Pfefferer. Aus dem Bauernbuben aus dem Wipptal mit dem kaputten Arm war nicht nur ein Mitglied des gehobenen Bürgertums geworden, die Mitgift seiner Gattin erlaubte es ihm auch finanziell unabhängig zu leben. 1869 beschlossen die drei Gesellschafter mit der finanziellen Unterstützung von Neuhausers Vater die erfolgreiche Glasmalerei zu vergrößern. Wie dynamisch und wenig reguliert diese als Gründerzeit in die Geschichte eingegangene Boomperiode war, zeigt das Beispiel der Glashütte auf den Wiltener Feldern, die 1872 als zusätzlicher Teil der Tiroler Glasmalerei in Betrieb ging. Nur 110 Tage nach dem offiziell von der Gemeindeverwaltung Wiltens nie genehmigten Baustart wurde mit der Fertigung begonnen.
Beginnend mit Neuhauser, der das Unternehmen auf Grund gesundheitlicher Probleme bereits 1874 verlassen musste, überließen die drei Firmengründer ihr Startup bald anderen, blieben der Tiroler Glasmalerei aber als Gesellschafter erhalten. Neben ihren Tätigkeiten für das gemeinsame Unternehmen arbeitete jeder der drei Gesellschafter erfolgreich an eigenen Projekten in ihren jeweiligen Tätigkeitsfeldern.
Von Stadl prägte Innsbruck nachhaltig. Die Anzahl der Mitarbeiter der Glasmalerei war in der Blütezeit auf über 70 gestiegen. Nach von Stadls Plänen entstanden 1878 Wohnhäuser für die Angestellten, Arbeiter, Künstler und Handwerker des Unternehmens. Die Glasmalereisiedlung umfasste die bis heute bestehenden Häuser in der Müllerstraße 39 – 57, Schöpfstraße 18 - 24 und Speckbacherstraße 14 – 16. Sie unterscheiden sich in ihrer Architektur markant von den umliegenden Häusern der späten Gründerzeit. Von Stadl war sparsamer mit dem Schmuck der Häuser, dafür aber auf einen kleinen Vorgarten bedacht. Die Landesgebärklinik in Wilten war ein weiteres Großprojekt in Innsbruck, das unter seiner Feder entstand. Nach Bau des Vinzentinums 1878 wurde von Stadl Ehrenbürger von Brixen und vom Bischof zum Diözesan-Architekten ernannt. Von Papst Leo XIII. wurde ihm für seine Verdienste der St. Gregor Orden verliehen. Die St. Nikolauskirche, für die die Tiroler Glasmalerei die Fenster hergestellt hatte, wurde zu seiner letzten Ruhestätte.
Georg Mader arbeitete weiterhin als Maler an Sakralbauten. Bereits 1868 wurde er Mitglied der Kunstakademie Wien. Als er 1881 einen Schlaganfall erlitt, wurde er zur Rehabilitation nach Badgastein gebracht. Der Kurort in Salzburg war damals Treffpunkt des europäischen Hochadels und gehobenen Bürgertums. Inmitten der High Society verstarb der ehemalige Müllergeselle als wohlhabender Mann.
Der rastlose und kreative Neuhauser reiste nach seinem Rücktritt vom Posten als Direktor der Tiroler Glasmalerei erneut nach Venedig, um mit neuer Inspiration die erste Mosaikanstalt Österreichs zu gründen. Die Fusion der beiden Betriebe im Jahr 1900 öffnete ein breiteres Spektrum an Möglichkeiten. Für seine künstlerischen Verdienste erhielt er den Franz-Josephs-Orden. In Wilten wurde die Neuhauserstraße nach ihm benannt.
Romantik, sonnenlose Sommer und Entschuldigungskarten
Dank der Universität und den Intellektuellen, die sie anzog und produzierte, schnupperte auch Innsbruck im 18. Jahrhundert in der Ära Maria Theresias die Morgenluft der Aufklärung, wenn auch schaumgebremst von der jesuitischen Fakultätsleitung. 1741 gründete sich mit der Societas Academica Litteraria im Taxispalais ein Gelehrtenzirkel. 1777 begründete sich die Freimaurerloge Zu den drei Bergen, vier Jahre später die Tirolische Gesellschaft für Künste und Wissenschaft. Angestachelt von der Französischen Revolution bekannten sich einige Studenten gar zu den Jakobinern.
Unter Kaiser Franz wurden all diese Vereinigungen nach der Kriegserklärung an Frankreich 1794 aber verboten und streng überwacht. Aufklärerische Ideen waren bereits vor der Französischen Revolution in großen Teilen der Bevölkerung verpönt. Spätestens nach der Enthauptung von Marie Antoinette, der Schwester des Kaisers, und dem Kriegsausbruch zwischen der Republik Frankreich und den Monarchien Europas, galten sie als gefährlich. Wer wollte schon als Jakobiner gelten, wenn es darum ging, die Heimat zu verteidigen?
Nach den Napoleonischen Kriegen begann Innsbruck sich zu erholen, sowohl wirtschaftlich wie auch gedanklich. Die kleine Stadt am Rande des Kaiserreiches hatte etwas mehr als 12.000 Einwohner, „ohne die Soldaten, Studenten und Fremden zu rechnen“. Universität, Gymnasium, Lesekasino, Musikverein, Theater und Museum zeugten von einer gewissen urbanen Kultur. Es gab ein Deutsches Kaffeehaus, eine Restauration im Hofgarten und mehrere Gasthöfe wie den Österreichischen Hof, die Traube, das Munding, die jeweils Goldenen Adler, Stern und Hirsch. Die größte Neuerung für die Bevölkerung trug sich 1830 zu, als Öllampen die Stadt auch in der Nacht erhellten. Es war wohl nur ein schummriges Dämmerlicht, das aus den über 150 auf Säulen und Armleuchtern angebrachten Lampen entstand, für Zeitgenossen war es aber eine wahrhaftige Revolution.
Die bayerische Besatzung war nach 1815 verschwunden, die Ideen der Denker der Aufklärung und der Französischen Revolution hatten sich aber in einigen Köpfen des städtischen Milieus verfangen. In den Gaststätten und Kaffeehäusern trafen sich Studenten, Beamte, Mitglieder des niederen Adels und Akademiker, um modernes Gedankengut auszutauschen. Dabei handelte es sich nicht nur um hochgeistig Abstraktes, sondern auch um profane Realpolitik wie die Aussetzung der Binnenzölle, die das Leben der Menschen unnötig teuer machten.
Die bürgerliche Bildungselite entdeckte in Romantik und Biedermeier die Flucht in die Vergangenheit für sich. Die Antike und ihre Denker feierten in Innsbruck wie in ganz Europa eine zweite Renaissance. Stilbildend waren Denker der Romantik des 18. und frühen 19. Jahrhunderts wie Winckelmann, Lessing oder Hegel. Den Griechen wurde „edle Einfalt und stille Größe“ attestiert. Goethe wollte das „Land der Griechen mit der Seele suchen“ und machte sich auf nach Italien, um dort seine Sehnsucht nach der guten, vorchristlichen Zeit zu suchen, in dem die Menschen des Goldenen Zeitalters ein ungezwungenes Verhältnis mit ihren Göttern pflegten. Römische Tugenden der Stoa wurden als Leitbilder in die Moderne transportiert und bildeten die Basis für bürgerliche Genügsamkeit und den Patriotismus, der groß in Mode kam. Philologen durchkämmten die Texte antiker Schriftsteller und Philosophen und transportierten ein gefälliges „Best of“ ins 19. Jahrhundert. Säulen, Sphinxe, Büsten und Statuen mit klassischen Proportionen schmückten Paläste, Verwaltungsgebäude und Museen wie das Ferdinandeum. Studenten und Intellektuelle wie der Brite Lord Byron wurden so sehr vom Panhellenismus und der Idee des Nationalismus ergriffen, dass sie im griechischen Unabhängigkeitskampf gegen das osmanische Reich ihr Leben aufs Spiel setzten.
Kanzler Clemens von Metternichs (1773 – 1859) Polizeistaat hielt diese gesellschaftlichen Regungen lange Zeit unter Kontrolle. Liberales Gedankengut, Zeitungen, Flugblätter, Schriften, Bücher und Vereine standen unter Generalverdacht der Obrigkeit. Magazine und Zeitschriften mussten sich anpassen oder im Untergrund verbreitet werden, um nicht der Zensur anheimzufallen.
Schriftsteller wie Hermann von Gilm (1812 – 1864) und Johann Senn (1792 – 1857), an beide erinnern heute Straßen in Innsbruck, verbreiteten in Tirol anonym politisch motivierte Literatur und Schriften. Der Mix aus großdeutsch-nationalem Gedankengut und tirolischem Patriotismus vorgetragen mit dem Pathos der Romantik mutet heute eher eigenartig, harmlos und pathetisch an, war aber dem metternich´schen Staatsapparat weder geheuer noch genehm, auch wenn er nur von einer verschwindend kleinen Elite überhaupt wahrgenommen wurde. Alle Arten von Vereinen wie die Innsbrucker Liedertafel und Studentenverbindungen, sogar die Mitglieder des Ferdinandeums wurden streng überwacht. Auch die Schützen standen, trotz ihrer demonstrativen Kaisertreue, auf der Liste der zu überwachenden Institutionen. Als zu aufsässig galten sie, nicht nur gegenüber fremden Mächten, sondern auch gegenüber der Wiener Zentralstaatlichkeit. Die Arbeiterschaft wurde von der Geheimpolizei Metternichs ebenfalls ins Visier genommen. Besonders St. Nikolaus und Hötting waren als „rote Pflaster“ bekannt.
All das waren aber Randphänomene, die nur eine kleine Anzahl an wohlhabenden Menschen beschäftigte. Nachdem die Bergwerke und Salinen im 17. Jahrhundert ihre Rentabilität verloren hatten und auch der Transit ob der neuen Handelsrouten über den Atlantik an wirtschaftlicher Bedeutung verlor, war Tirol zu einem armen Landstrich geworden. Die Napoleonischen Kriege hatten über 20 Jahre lang gewütet. Die Universität, die junge Aristokraten in den Wirtschaftskreislauf der Stadt zog, wurde erst 1826 wieder eröffnet. Anders als Industriestandorte in Böhmen, Mähren, Preußen oder England war die schwer erreichbare Stadt in den Alpen erst am Anfang der Entwicklung hin zu einem modernen Arbeitsmarkt. Auch der Tourismus steckte noch in den Kinderschuhen und war keine Cash Cow.
Und dann war da noch ein Vulkan am anderen Ende der Welt, der die Geschicke der Stadt Innsbruck über Gebühr beeinflusste. 1815 war in Indonesien der Tambora ausgebrochen und hatte eine riesige Staub-, Schwefel- und Aschewolke um die Welt geschickt. 1816 ging als Jahr ohne Sommer in die Geschichte ein. In ganz Europa kam es zu Wetterkapriolen, Überschwemmungen und Missernten. Die wirtschaftlichen Verwerfungen und Preissteigerungen führten zu Not und Elend vor allem in den ärmeren Teilen der Bevölkerung.
Nicht nur die Politik wurde von der Aufklärung erfasst. Auch im Sozialwesen ging der Trend weg von der Kirche, hin zum Staat. Die Armenfürsorge war im 19. Jahrhundert eine Aufgabe der Gemeinden, für gewöhnlich mit der Unterstützung wohlhabender Bürger, die als christliche Mäzen im Gedanken der Nächstenliebe Aristokratie und Kirche in dieser Rolle ergänzten. In Innsbruck trat eine Bettelordnung in Kraft, die besitzlosen Menschen ein Eheverbot auferlegte. Knapp 1000 Bürger waren als Almosenbezieher und Bettler klassifiziert. Als die Not immer größer wurde und die Stadtkassen leerer, kam es in Innsbruck zu einer Innovation, die für über 100 Jahre Bestand haben sollte: Die Neujahrs-Entschuldigungskarte.
Auch damals war es Brauch, am ersten Tag des Jahres seine Verwandten zu besuchen, um sich gegenseitig ein Gutes Neues Jahr zu wünschen. Ebenfalls war es Brauch, dass notleidende Familien und Bettler an die Türen der wohlhabenden Bürger klopften, um zu Neujahr um Almosen zu bitten. Mit der Einführung der Neujahrs-Entschuldigungskarte schlug man gleich mehrere Fliegen mit einer Klappe. Die Käufer der Karte konnten institutionalisiert und in geregelten Bahnen ihre ärmeren Mitglieder, ähnlich wie es heutzutage mit dem Kauf der Straßenzeitung Zwanziger möglich ist, unterstützen. Gleichzeitig diente die Neujahrs-Entschuldigungskarte dazu, sich durch ihren Versand vor den wenig geliebten Pflichtbesuchen bei der Verwandtschaft zu drücken. Wer die Karte an seine Haustüre hängte, signalisierte den Bedürftigen auch, dass weiteres Fragen um Almosen nicht von Nöten sei, da man seinen Beitrag bereits abgedungen hatte. Zu guter Letzt wurden die edlen Spender auch noch in den Medien wohlwollend erwähnt, damit jeder sehen konnte, wie sehr sie sich im Namen der Nächstenliebe um ihre weniger begüterten Mitmenschen kümmern.
Die Neujahrs-Entschuldigungskarten waren ein voller Erfolg. Bei ihrer Premiere zum Jahreswechsel von 1819 auf 1820 wurden bereits 600 Stück verkauft. Viele Gemeinden übernahmen das Innsbrucker Rezept. In der Zeitschrift „Der Kaiserlich-königlich priviligierte Bothe von und für Tirol und Vorarlberg“ wurden am 12. Februar die Erlöse für Bruneck, Bozen, Trient, Rovereto, Schwaz, Imst, Bregenz und Innsbruck veröffentlicht. Auch sonstige Institutionen wie Feuerwehren und Vereine übernahmen die gut funktionierende Sitte, um Spenden für ihr Anliegen zu schaffen. Der Bau der Neuen Höttinger Pfarrkirche wurde neben Spenden zu einem guten Teil aus den Erlösen eigens aufgelegter Entschuldigungskarten finanziert. Die mannigfaltige Gestaltung reichte von christlichen Motiven über Portraits bekannter Persönlichkeiten, Amtsgebäude, Neubauten, Sehenswürdigkeiten und Kuriositäten. Im Stadtarchiv Innsbruck können viele der Designs noch ausgehoben werden.
Glaube, Kirche, Obrigkeit und Herrschaft
Die Fülle an Kirchen, Kapellen, Kruzifixen und Wandmalereien im öffentlichen Raum wirkt auf viele Besucher Innsbrucks aus anderen Ländern eigenartig. Nicht nur Gotteshäuser, auch viele Privathäuser sind mit Darstellungen der Heiligen Familie oder biblischen Szenen geschmückt. Der christliche Glaube und seine Institutionen waren in ganz Europa über Jahrhunderte alltagsbestimmend. Innsbruck als Residenzstadt der streng katholischen Habsburger und Hauptstadt des selbsternannten Heiligen Landes Tirol wurde bei der Ausstattung mit kirchlichen Bauwerkern besonders beglückt. Allein die Dimension der Kirchen umgelegt auf die Verhältnisse vergangener Zeiten sind gigantisch. Die Stadt mit ihren knapp 5000 Einwohnern besaß im 16. Jahrhundert mehrere Kirchen, die in Pracht und Größe jedes andere Gebäude überstrahlte, auch die Paläste der Aristokratie. Das Kloster Wilten war ein Riesenkomplex inmitten eines kleinen Bauerndorfes, das sich darum gruppierte. Die räumlichen Ausmaße der Gotteshäuser spiegelt die Bedeutung im politischen und sozialen Gefüge wider.
Die Kirche war für viele Innsbrucker nicht nur moralische Instanz, sondern auch weltlicher Grundherr. Der Bischof von Brixen war formal hierarchisch dem Landesfürsten gleichgestellt. Die Bauern arbeiteten auf den Landgütern des Bischofs wie sie auf den Landgütern eines weltlichen Fürsten für diesen arbeiteten. Damit hatte sie die Steuer- und Rechtshoheit über viele Menschen. Die kirchlichen Grundbesitzer galten dabei nicht als weniger streng, sondern sogar als besonders fordernd gegenüber ihren Untertanen. Gleichzeitig war es auch in Innsbruck der Klerus, der sich in großen Teilen um das Sozialwesen, Krankenpflege, Armen- und Waisenversorgung, Speisungen und Bildung sorgte. Der Einfluss der Kirche reichte in die materielle Welt ähnlich wie es heute der Staat mit Finanzamt, Polizei, Schulwesen und Arbeitsamt tut. Was uns heute Demokratie, Parlament und Marktwirtschaft sind, waren den Menschen vergangener Jahrhunderte Bibel und Pfarrer: Eine Realität, die die Ordnung aufrecht hält. Zu glauben, alle Kirchenmänner wären zynische Machtmenschen gewesen, die ihre ungebildeten Untertanen ausnützten, ist nicht richtig. Der Großteil sowohl des Klerus wie auch der Adeligen war fromm und gottergeben, wenn auch auf eine aus heutiger Sicht nur schwer verständliche Art und Weise.
Anders als heute, war Religion keineswegs Privatsache. Verletzungen der Religion und Sitten wurde vor weltlichen Gerichten verhandelt und streng geahndet. Die Anklage bei Verfehlungen lautete Häresie, worunter eine Vielzahl an Vergehen zusammengefasst wurde. Sodomie, also jede sexuelle Handlung, die nicht der Fortpflanzung diente, Zauberei, Hexerei, Gotteslästerung – kurz jede Abwendung vom rechten Gottesglauben, konnte mit Verbrennung geahndet werden. Das Verbrennen sollte die Verurteilten gleichzeitig reinigen und sie samt ihrem sündigen Treiben endgültig vernichten, um das Böse aus der Gemeinschaft zu tilgen.
Bis in kleine Details des täglichen Lebens regelte die Kirche lange Zeit das alltägliche Sozialgefüge der Menschen. Kirchenglocken bestimmten den Zeitplan der Menschen. Ihr Klang rief zur Arbeit, zum Gottesdienst oder informierte als Totengeläut über das Dahinscheiden eines Mitglieds der Gemeinde. Menschen konnten einzelne Glockenklänge und ihre Bedeutung voneinander unterscheiden. Sonn- und Feiertage strukturierten die Zeit. Fastentage regelten den Speiseplan. Familienleben, Sexualität und individuelles Verhalten hatten sich an den von der Kirche vorgegebenen Moral zu orientieren. Das Seelenheil im nächsten Leben war für viele Menschen wichtiger als das Lebensglück auf Erden, war dies doch ohnehin vom determinierten Zeitgeschehen und göttlichen Willen vorherbestimmt. Fegefeuer, letztes Gericht und Höllenqualen waren Realität und verschreckten und disziplinierten auch Erwachsene.
Während das Innsbrucker Bürgertum von den Ideen der Aufklärung nach den Napoleonischen Kriegen zumindest sanft wachgeküsst worden war, blieb der Großteil der Menschen in den Umlandgemeinden weiterhin der Mischung aus konservativem Katholizismus und abergläubischer Volksfrömmigkeit verbunden.
Glaube und Kirche haben noch immer ihren fixen Platz im Alltag der Innsbrucker, wenn auch oft unbemerkt. Die Kirchenaustritte der letzten Jahrzehnte haben der offiziellen Mitgliederzahl zwar eine Delle versetzt und Freizeitevents werden besser besucht als Sonntagsmessen. Die römisch-katholische Kirche besitzt aber noch immer viel Grund in und rund um Innsbruck, auch außerhalb der Mauern der jeweiligen Klöster und Ausbildungsstätten. Etliche Schulen in und rund um Innsbruck stehen ebenfalls unter dem Einfluss konservativer Kräfte und der Kirche. Und wer immer einen freien Feiertag genießt, ein Osterei ans andere peckt oder eine Kerze am Christbaum anzündet, muss nicht Christ sein, um als Tradition getarnt im Namen Jesu zu handeln.
Der Erste Weltkrieg
Beinahe hätte nicht Gavrilo Princip, sondern ein Innsbrucker Student die Geschicke der Welt verändert. Es ist dem Zufall zu verdanken, dass der 20 Jahre alte Serbe im Jahr 1913 gestoppt wurde, weil er mit dem geplanten Attentat auf den Thronfolger vor einer Kellnerin prahlte. Erst als es tatsächlich zu den die Welt verändernden Schüssen in Sarajevo kam, erschien ein Artikel in den Medien dazu. Welche Auswirkungen der daraufhin ausgebrochene Erste Weltkrieg auf die Welt und den Alltag der Menschen haben sollte, war nach dem tatsächlichen Attentat auf Franz Ferdinand am 28. Juni nicht absehbar. Zwei Tage nach der Ermordung des Habsburgers in Sarajewo war aber in den Innsbrucker Nachrichten bereits prophetisches zu lesen: „Wir sind an einem Wendepunkte – vielleicht an dem Wendepunkte“ – der Geschicke dieses Reiches angelangt“.
Auch in Innsbruck war die Begeisterung für den Krieg 1914 groß gewesen. Vom „Gott, Kaiser und Vaterland“ der Zeit angetrieben, begrüßten die Menschen den Angriff auf Serbien zum allergrößten Teil einhellig. Politiker, Klerus und Presse stimmten in den allgemeinen Jubel mit ein. Neben dem kaiserlichen Appell „An meine Völker“, der in allen Medien des Reiches erschien, druckten die Innsbrucker Nachrichten am 29. Juli, dem Tag nach der Kriegserklärung Österreich-Ungarns an Serbien einen Artikel rund um die Einnahme Belgrads durch Prinz Eugen im Jahr 1717. Der Ton in den Medien war feierlich, wenn auch nicht ganz ohne böse Vorahnung auf das, was kommen sollte.
„Der Appell des Kaisers an seine Völker wird tief ergreifen. Der innere Hader ist verstummt und die Spekulationen unserer Feinde aus Unruhen und ähnliche Dinge sind jämmerlich zu Schanden geworden. In alter und vielbewährter Treue stehen vor allem auch diesmal die Deutschen zu Kaiser und Reich: auch diesmal bereit, mit ihrem Blute für Dynastie und Vaterland einzustehen. Wir gehen schweren Tagen entgegen; niemand kann auch nur ahnen, was uns das Schicksal bescheiden wird, was es Europa, was es der Welt bescheiden wird. Wir können nur mit unserem alten Kaiser auf unsere Kraft und auf Gott vertrauen und die Zuversicht hegen, daß, wenn wir einig find und zusammenhalten, uns der Sieg beschieden sein muß, denn wir wollten den Krieg nicht und unsere Sache ist die der Gerechtigkeit!“
Besonders „verdient“ machten sich bei der Kriegstreiberei Theologen wie Joseph Seeber (1856 – 1919) und Anton Müllner alias Bruder Willram (1870 – 1919) die mit ihren Predigten und Schriften wie „Das blutige Jahr“ den Krieg zu einem Kreuzzug gegen Frankreich und Italien erhoben.
Viele Innsbrucker meldeten sich freiwillig für den Feldzug gegen Serbien, von dem man dachte, er wäre eine Angelegenheit weniger Wochen oder Monate. Von außerhalb der Stadt kam eine so große Anzahl an Freiwilligen zu den Stellungskommissionen, dass Innsbruck beinahe aus allen Nähten platzte. Wie anders es kommen sollte, konnte keiner ahnen. Schon nach den ersten Schlachten im fernen Galizien war klar, dass es keine Sache von Monaten werden würde. Kaiserjäger und andere Tiroler Truppen wurden regelrecht verheizt. Schlechte Ausrüstung, mangelnder Nachschub und die katastrophale des Oberkommandos unter Konrad von Hötzendorf brachten Tausenden den Tod oder in Kriegsgefangenschaft, wo Hunger, Misshandlung und Zwangsarbeit warteten.
1915 trat das Königreich Italien an der Seite Frankreichs und Englands in den Krieg ein. Damit ging die Front quer durch das damalige Tirol. Vom Ortler im Westen über den nördlichen Gardasee bis zu den Sextener Dolomiten fanden die Gefechte des Gebirgskriegs statt. Innsbruck war nicht direkt von den Kampfhandlungen betroffen. Zumindest hören konnte man das Kriegsgeschehen aber bis in die Landeshauptstadt, wie in der Zeitung vom 7. Juli 1915 zu lesen war:
„Bald nach Beginn der Feindseligkeiten der Italiener konnte man in der Gegend der Serlesspitze deutlich Kanonendonner wahrnehmen, der von einem der Kampfplätze im Süden Tirols kam, wahrscheinlich von der Vielgereuter Hochebene. In den letzten Tagen ist nun in Innsbruck selbst und im Nordosten der Stadt unzweifelhaft der Schall von Geschützdonner festgestellt worden, einzelne starke Schläge, die dumpf, nicht rollend und tönend über den Brenner herüberklangen. Eine Täuschung ist ausgeschlossen. In Innsbruck selbst ist der Donner der Kanonen schwerer festzustellen, weil hier der Lärm zu groß ist, es wurde aber doch einmal abends ungefähr um 9 Uhr, als einigermaßen Ruhe herrschte, dieser unzweifelhafte von unseren Mörsern herrührender Donner gehört.“
Bis zur Verlegung regulärer Truppen von der Ostfront an die Tiroler Landesgrenzen hing die Landesverteidigung an den Standschützen, einer Truppe, die aus Männern unter 21, über 42 oder mit Untauglichkeit für den regulären Militärdienst bestand. Die Opferzahlen waren dementsprechend hoch.
Die Front war zwar relativ weit von Innsbruck entfernt, der Krieg drang aber auch ins zivile Leben ein. Diese Erfahrung der totalen Einbeziehung der gesamten Gesellschaft war für die Menschen neu. In der Höttinger Au wurden Baracken zur Unterbringung von Kriegsgefangenen errichtet. Verwundetentransporte brachten eine so große Zahl grauenhaft Verletzter, dass viele eigentlich zivile Gebäude wie die sich gerade im Bau befindliche Universitätsbibliothek oder Schloss Ambras in Militärspitäler umfunktioniert wurden. Um der großen Zahl an Gefallenen Herr zu werden, wurde der Militärfriedhof Pradl angelegt. Ein Vorgänger der Straßenbahnlinie 3 wurde eingerichtet, um die Verwundeten vom Bahnhof ins neue Garnisonsspital, die heutige Conradkaserne in Pradl, bringen zu können.
Mit dem Kriegsende rückte auch die Front näher. Im Februar 1918 schaffte es die italienische Luftwaffe, drei Bomben auf Innsbruck abzuwerfen. In diesem Winter, der als Hungerwinter in die europäische Geschichte einging, machte sich auch der Mangel bemerkbar. Die Versorgung erfolgte in den letzten Kriegsjahren über Bezugsscheine. 500 g Fleisch, 60 g Butter und 2 kg Kartoffel waren die Basiskost pro Person – pro Woche, wohlgemerkt. Auf Archivbildern kann man die langen Schlangen verzweifelter und hungriger Menschen vor den Lebensmittelläden sehen. Immer wieder kam es zu Protesten und Streiks. Politiker, Gewerkschafter, Arbeiter und Kriegsheimkehrer sahen ihre Chance auf Umbruch gekommen. Unter dem Motto Friede, Brot und Wahlrecht vereinten sich unterschiedlichste Parteien im Widerstand gegen den Krieg. Zu dieser Zeit war den meisten Menschen schon klar, dass der Krieg verloren war, und welches Schicksal Tirol erwarten würde, wie dieser Artikel vom 6. Oktober 1918 zeigt:
„Aeußere und innere Feinde würfeln heute um das Land Andreas Hofers. Der letzte Wurf ist noch grausamer; schändlicher ist noch nie ein freies Land geschachert worden. Das Blut unserer Väter, Söhne und Brüder ist umsonst geflossen, wenn dieser schändliche Plan Wirklichkeit werden soll. Der letzte Wurf ist noch nicht getan. Darum auf Tiroler, zum Tiroler Volkstag in Brixen am 13. Oktober 1918 (nächsten Sonntag). Deutscher Boden muß deutsch bleiben, Tiroler Boden muß tirolisch bleiben. Tiroler entscheidet selbst über Eure Zukunft!“
Am 4. November vereinbarten Österreich-Ungarn und das Königreich Italien schließlich einen Waffenstillstand. Damit verbunden war das Recht der Alliierten Gebiete der Monarchie zu besetzen. Bereits am nächsten Tag rückten bayerische Truppen in Innsbruck ein. Der österreichische Verbündete Deutschland befand sich noch im Krieg mit Italien und hatte Angst, die Front könnte nach Nordtirol näher an das Deutsche Reich verlegt werden. Zum großen Glück für Innsbruck und die Umgebung kapitulierte aber auch Deutschland eine Woche später am 11. November. So blieben die großen Kampfhandlungen zwischen regulären Armeen außen vor.
Trotzdem war Innsbruck in Gefahr. Gewaltige Kolonnen an militärischen Kraftfahrzeugen, Züge voller Soldaten und tausende ausgezehrte Soldaten, die sich zu Fuß auf den Heimweg von der Front machten, passierten die Stadt. Die Stadt musste nicht nur die eigenen Bürger in Zaum halten, die Verpflegung garantieren, sondern sich auch vor Plünderungen schützen. Um die öffentliche Ordnung aufrecht zu erhalten, bildete der Tiroler Nationalrat am 5. November eine Volkswehr aus Schülern, Studenten, Arbeitern und Bürgern. Am 23. November 1918 besetzten italienische Truppen die Stadt und das Umland. Der beschwichtigende Aufruf an die Innsbrucker von Bürgermeister Greil, die Stadt ohne Aufruhr zu übergeben, hatte Erfolg. Es kam zwar zu vereinzelten Ausschreitungen, Hungerkrawallen und Plünderungen, bewaffnete Auseinandersetzungen mit den Besatzungstruppen oder gar eine bolschewistische Revolution wie in München gab es aber nicht.
Über 1200 Innsbrucker verloren auf den Schlachtfeldern und in Lazaretten ihr Leben, über 600 wurden verwundet. Erinnerungsorte an den Ersten Weltkrieg und seine Opfer finden sich in Innsbruck vor allem an Kirchen und Friedhöfen. Das Kaiserjägermuseum am Berg Isel zeigt Uniformen, Waffen und Bilder des Schlachtgeschehens. Den beiden Theologen Anton Müllner und Josef Seeber sind in Innsbruck Straßennamen gewidmet. Auch nach dem Oberbefehlshaber der k.u.k Armee an der Südfront, Erzherzog Eugen, wurde eine Straße benannt. Vor dem Hofgarten befindet sich ein Denkmal für den erfolglosen Feldherren. An die italienische Besatzung erinnert der östliche Teil des Amraser Militärfriedhofs.