Ballhaus Innsbruck

Ecke Herzog-Friedrich-Straße / Kiebachgasse

Wissenswert

Das schmale, gelbe Gebäude an der heutigen Ecke Herzog-Friedrich-Straße / Kiebachgasse war im Mittelalter und der Frühen Neuzeit als Ballhaus bekannt. Hier mussten durchziehende Händler ihre Warenballen während ihres Aufenthaltes in Innsbruck einlagern und auf einen neuen Wagen laden. Anders als die restlichen Gassen der Altstadt wurde der Platz vor dem Ballhaus breit angelegt, um den Fuhrwerken Platz zum Halten und Umdrehen zu geben. Die Wagenzüge waren meist keine einzelnen kleinen Fahrzeuge, sondern bestanden aus bis zu 20-30 beladenen Fahrzeugen. Für Innsbruck war das Ballhaus ein wichtiger Ort. Eine frühe, gesetzlich verankerte Form von Spedition und Fernhandel, das Rodfuhrwesen, regelte die Transitwirtschaft zwischen Venedig und Augsburg zu Gunsten von Stadt und Landesfürst. Das Rodfuhrwesen war eine wichtige Einnahmequelle und Wirtschaftsfaktor. Die Via Raetia war einer der wenigen Alpenübergänge, die bereits im 14. Jahrhundert befestigt und mit Wägen befahrbar war. Händler, die nicht mit Saumtieren die Alpen überquerten, passierten zu einem beträchtlichen Teil Innsbruck. Die einzelnen Stationen des Transportwegs durch Tirol waren zwischen 20 und 40 km voneinander entfernt. Die nächsten Stationen zu Innsbruck an den Handelsrouten nach Süden und Westen waren Matrei am Brenner und Telfs. Die Innsbrucker Rodfuhrleute hatten dieses Gebiet bis Mittenwald zu servicieren. Händler durften Waren nicht auf ihren eigenen Fuhrwerken transportieren, sondern mussten die örtlichen Fuhrleute engagieren. Das erzeugte eine Win-Win-Win-Situation zwischen den Kaufleuten, der Stadt und den Innsbrucker Bürgern. Die Händler konnten sich auf die erfahrenen und ortskundigen Fuhrleute verlassen, die immer nur einen kleinen, ihnen bekannten Abschnitt zu bedienen hatte. Auch waren die verwendeten Zugtiere stets ausgeruht. Sie profitierten von höherer Sicherheit unterwegs. Die bezahlten und bewaffneten Fuhrleute lotsten den Warenstrom bewaffnet vorbei an Gefahren und stellten sicher, dass niemand auf den gefährlichen Reiserouten über die Alpen verloren ging. Die Fuhrleute stellten im Interesse der Städte und Landesfürsten auch sicher, dass die Händler keine Schleichwege benutzten, um so den Zöllen oder der Warenniederlage entlang der Route zu entgehen. Die Überwachung dieses Niederlagsrechts, das für erhebliche finanzielle Einkünfte und viele Arbeitsplätze sorgte, oblag der Stadtregierung. Es waren nicht nur die Fuhrleute, die am Rodfuhrwesen Arbeit hatten und verdienten. Auch Handwerker, Schmiede, Sattler und Gastwirte machten mit durchziehender Kundschaft gutes Geld. Früh schon zog durch das Handelsaufkommen auch die Finanzwirtschaft in der Stadt ein. Italienische Händler hatten ihre Stationen und entwickelten mit ihren Wechseln erste Formen des Bankwesens. Innsbruck war nicht nur als Residenzstadt, sondern auch dank seiner Lage zwischen den deutschen und italienischen Großstädten im frühen Kapitalismus angekommen.

Als im 16. Jahrhundert Venedig im östlichen Mittelmeer nach der Entdeckung Amerikas an Bedeutung verlor, büßte auch das Rodfuhrwesen an Bedeutung ein. Die Wirtschaftszentren Europas lagen nun am Atlantik, nicht mehr am Mittelmeer. Mit der Neuanlage der Brennerroute zwischen Innsbruck und Matrei über den weniger steilen Schönberg in den 1580er Jahren unter Ferdinand II. konnte sich Innsbruck noch eine Zeit lang als Zentrum des Handelstransits halten. Im 18. Jahrhundert verlagerte sich auch der interne Handel des Habsburgerreiches in den Osten und wurde zwischen Triest und Wien über die Salzburger Alpenpässe abgewickelt. Innsbruck war mehr und mehr an den westlichen Rand des Reiches gewandert. Der Nord-Süd-Handel verlagerte sich Richtung Schweiz, wo die Zölle günstiger waren. Man könnte im Falle der Innsbrucker Fuhrleute von den ersten Globalisierungsverlierern sprechen. Das System hielt sich trotzdem in geringerem Maße bis 1867 und kollabierte erst mit der Eröffnung der Bahnstrecke über den Brenner komplett.

Mittelalterliches und Frühneuzeitliches Stadtrecht

Innsbruck, heute selbsternannte Weltstadt, hatte sich von einem römischen Castell über ein Kloster, zu dem mehrere Weiler gehörten zu einer Marktsiedlung und erst nach Hunderten von Jahren zu einer rechtlich anerkannten Stadt entwickelt. Mit dieser rechtlichen Anerkennung gingen Rechte und Pflichten einher. Verbunden mit dem vom Landesfürsten verliehenen Stadtrecht war das Marktrecht, das Zollrecht und eine eigene Gerichtsbarkeit. Bürger mussten im Gegenzug den Bürgereid leisten, der zu Steuern und Wehrdienst verpflichtete und die Stadt mit Mauer und Wehranlage sichern. Ab 1511 war der Stadtrat auch verpflichtet, laut dem Landlibell Kaiser Maximilians (83) ein Kontingent an Wehrpflichtigen im Falle der Landesverteidigung zu stellen. Darüber hinaus gab es Freiwillige, die sich im Freifähnlein der Stadt zum Kriegsdienst melden konnten, so waren zum Beispiel bei der Türkenbelagerung Wiens 1529 auch Innsbrucker unter den Stadtverteidigern. Der Sold war vor allem für die ärmeren Bürger reizvoll. Die Stadtbürger unterlagen damit nicht mehr direkt dem Landesfürsten, sondern der städtischen Gerichtsbarkeit, zumindest innerhalb der Stadtmauern. Das geflügelte Wort "Stadtluft macht frei" rührt daher, dass man nach einem Jahr in der Stadt von allen Verbindlichkeiten seines ehemaligen Herrn frei war. Faktisch war es der Übergang von einem Rechtsystem in ein anderes. Um 1500 änderte sich die Situation im Zuzug. Der Platz war eng geworden im neuen, rasch wachsenden Innsbruck unter Maximilian I. Es war nur noch freien Untertanen aus ehelicher Geburt möglich, das Stadtrecht zu erlangen. Nicht mehr jeder durfte in die Stadt ziehen. Kaufleute und Finanziers verzichteten auf dieses Recht meist, war es doch mit allerhand Pflichten verbunden, die bei den mobilen Schichten dieser Zeit die Anreize weit überstiegen. Um Stadtbürger zu werden, mussten entweder Hausbesitz oder Fähigkeiten in einem Handwerk nachgewiesen werden, an der die Zünfte der Stadt interessiert waren. Diese Handwerkszünfte übten teilweise eine eigene Gerichtsbarkeit neben der städtischen Gerichtsbarkeit unter ihren Mitgliedern aus. Löhne, Preise und das soziale Leben wurden von den Zünften unter Aufsicht des Landesfürsten geregelt. Man könnte von einer frühen Sozialpartnerschaft sprechen, sorgten die Zünfte doch auch für die soziale Sicherheit ihrer Mitglieder bei Krankheit oder Berufsunfähigkeit. Die einzelnen Gewerbe wie Schlosser, Gerber, Plattner, Tischler, Bäcker, Metzger oder Schmiede hatten jeweils ihre Zunft, der ein Meister vorstand. Es waren soziale Strukturen innerhalb der Stadtstruktur, die großen Einfluss auf die Politik hatten, konnten sie das Wahlverhalten ihrer Mitglieder stark mitbestimmen. Handwerker zählten, anders als Bauen, zu den mobilen Schichten im Mittelalter und der frühen Neuzeit. Sie gingen nach der Lehrzeit auf die Walz, bevor sie sich der Meisterprüfung unterzogen und entweder nach Hause zurückkehrten oder sich in einer anderen Stadt niederließen. Über Handwerker erfolgte nicht nur Wissenstransfer, auch kulturelle, soziale und politische Ideen verbreiteten sich in Europa durch sie. Ab dem 14. Jahrhundert besaß Innsbruck nachweisbar einen Stadtrat und einen Bürgermeister, der von der Bürgerschaft jährlich gewählt wurde. Es waren anderes als heute keine geheimen, sondern öffentliche Wahlen, die alljährlich rund um die Weihnachtszeit abgehalten wurden. Da nicht jeder Einwohner Bürger war, kann man auch nicht von einer Demokratie sprechen, eher war es eine Wahl der Oberschicht, die ihre Vertreter wählte. Im Innsbrucker Geschichtsalmanach von 1948 findet man Aufzeichnungen über die Wahl des Jahres 1598.

Der Erhardstag, d.i. der 8. Jänner, spielte alljährlich im Leben der Innsbrucker Bürger eine große Rolle. An diesem Tage versammelten sie sich zur Wahl der Stadtobrigkeit, nämlich des Bürgermeisters, Stadtrichters, Gemeinredners und des zwölfgliedrigen Rates…. Ein genaues Bild über den Ablauf dieser Wahlen in den Jahren 1598 bis 1607 vermittelt ein im Stadtarchiv verwahrtes Protocoll: „… Das Läuten der großen Glocke rief Rat und Bürgerschaft auf das Rathaus und dann als ein ehrsamer Rat und ganze Gmein aufm Rathaus versammelt gwest, ist anfangs ein ehrsamer Rat in der Ratstuben zusammen gesessen und des nächsten Jahr her gwesten Bürgermeisters, Augustin Tauschers, Urlaub angehört.“

Der Bürgermeister vertrat die Stadt gegenüber den anderen Ständen und dem Landesfürsten, der die Oberherrschaft über die Stadt je nach Epoche mal mehr, mal weniger intensiv ausübte. Jeder Stadtrat hatte eigene, klar zugeteilte Aufgaben zu erfüllen wie die Überwachung des Marktrechts, die Betreuung des Spitals und der Armenfürsorge oder die für Innsbruck besonders wichtige Zollordnung. Bei all diesen politischen Vorgängen sollte man sich stets in Erinnerung rufen, dass Innsbruck im 16. Jahrhundert etwa 5000 Einwohner hatte, von denen nur ein kleiner Teil das Bürgerrecht besaß. Besitzlose, fahrendes Volk, Erwerbslose, Dienstboten, Diplomaten, Angestellte, ab dem 17. Jahrhundert Studenten, leider auch Frauen waren keine wahlberechtigten Bürger. Die Wahlen basierten also auf persönlichen Verbindlichkeiten und Bekanntschaften in dieser kleinen Gemeinde. Ebenfalls ab dem 14. Jahrhundert mussten die Steuern, die von den Bürgern gezahlt wurden, nicht mehr an den Landesfürsten weitergegeben werden. Es gab eine fixe Abgabe von der Stadt an den Landesfürsten. Welche Gruppe innerhalb der Stadt welche Steuer zu bezahlen hatte, konnte die Stadtregierung selbst festlegen. Die Differenz zwischen den Einnahmen und den Ausgaben durfte die Stadt nach ihrem Gutdünken verwalten. Zu den Ausgaben neben der Verteidigung gehörte die Armenfürsorge. Notleidende Bürger konnten in der „Siedelküche“ Speisen beziehen, so sie denn das Bürgerrecht hatten. Auch das Baurecht oblag der Stadtverwaltung. Wie in den meisten mittelalterlichen Städten wurden die Holzbauten innerhalb der Stadtmauern häufiger als den Bewohnern lieb war zum Opfer von Flammen. Ein weiterer Punkt, der im Stadtrecht geregelt war, war das Marktrecht. Die Stadt hatte die Aufsicht über die angebotenen Waren und deren Menge und Qualität. Das Brot wurde zum Beispiel vom „Brothüter“ in der Brotbank im Rathaus gewogen, um Wucher, der unter Strafe stand, vorzubeugen. Interessanterweise konnte der Stadtrat auch über den Pfarrer bestimmen. Seelsorge war ein echtes Bedürfnis, die Qualität der Predigt oder des Chorgesanges deshalb sehr wichtig. Die Einhaltung der religiösen Ordnung wurde ebenfalls von der Stadt überwacht. Ketzer und theologisch Aufsässige wurden nicht von der Kirche, sondern der Stadtregierung gemaßregelt und im Fall der Fälle auch in den Kerker verfrachtet.

Neben den Steuern, die die Bürger zu entrichten hatten, war der Zoll eine wichtige Einnahmequelle Innsbrucks. Der Zoll wurde am Stadttor an der Innbrücke erhoben. Es gab zwei Arten von Zöllen. Der kleine Zoll richtete sich nach den Zugtieren des Wagens, der große nach Art und Menge der Waren. Die Zolleinnahmen wurden zwischen Innsbruck und Hall geteilt. Hall hatte dafür die Aufgabe, die Innbrücke in Stand zu halten. Mit der zunehmenden Zentralisierung unter Maria Theresia und Josef II. wurden Steuern und Zölle nach und nach zentralisiert und von der Reichshofkammer eingehoben. Innsbruck verlor dadurch, wie viele Kommunen in dieser Zeit, Einnahmen in großer Höhe, die nur bedingt über Ausgleiche aufgefangen wurden.

Entgegen landläufiger Meinung war das Mittelalter keine rechtfreie Zeit der Willkür. In Innsbruck, wie auch im Land Tirol, gab es einen Kodex, der Recht und Unrecht sowie Rechte und Pflichten von Bürgern sehr genau regelte. Diese Bestimmungen änderten sich nach den Sitten der Zeit. Der Strafvollzug beinhaltete auch weniger humane Methoden als heutzutage üblich, es wurde aber nicht wahllos und willkürlich gefoltert. Folter als Teil des Verfahrens in besonders schweren Fällen war aber ebenfalls geregelt. Verdächtige und Verbrecher wurden im Innsbruck bis zum 17. Jahrhundert im Kräuterturm an der südöstlichen Ecke der Stadtmauer, am heutigen Herzog-Otto-Ufer, festgehalten und traktiert. Die mittelalterlichen Gerichtstage wurden an der „Dingstätte“ im Freien abgehalten. Die Tradition des Ding reicht zurück auf den altgermanischen Thing, bei dem sich alle freien Männer versammelten um Recht zu sprechen. Der Stadtrat bestellte einen Richter, der für alle Vergehen zuständig war, die nicht dem Blutgericht unterlagen. Strafen reichten von Geldbußen über Pranger und Kerker. Eine Polizei gab es nicht, der Stadtrichter beschäftigte aber Knechte und an den Stadttoren waren Stadtwächter aufgestellt, um für Ruhe zu sorgen. Es war Bürgerpflicht, bei der Erfassung von Verbrechern mitzuhelfen. Selbstjustiz war verboten. Dem Blutrecht unterlagen die schweren Verbrechen wie Diebstahl, Mord oder Brandstiftung. Über diese Vergehen hatte weiterhin das Landesgericht zu bestimmen. Das Landesgericht war im Falle Innsbrucks auf der Sonnenburg, die sich südlich oberhalb Innsbrucks befand. Von 1817 – 1887 war das Leuthaus beim Stift Wilten (67) der Sitz des Hofrichters. Die Richtstätten befanden sich durch die Jahre an mehreren Orten, im Normalfall außerhalb der Stadtmauern. Auf einem Hügel im heutigen Stadtteil Dreiheiligen war lange Zeit neben der Landesstraße, die hier vorbeiführte, ein Galgen aufgestellt. Die Leichen wurden oft lange zur Abschreckung hängengelassen. Der Köpflplatz befand sich an der heutigen Weiherburggasse in Anpruggen. Es war nicht unüblich, dass der Verurteilte seinem Henker eine Art Trinkgeld zusteckte, damit sich dieser bemühte, möglichst genau zu zielen, um so die Hinrichtung so schmerzlos wie möglich zu gestalten. Aufsehenerregende Delinquenten wie der „Ketzer“ Jakob Hutter (87) oder die gefassten Anführer der Bauernaufstände von 1525 und 1526 wurden vor dem Goldenen Dachl publikumstauglich hingerichtet. „Peinliche“ Strafen wie Vierteilen oder Rädern, vom lateinischen Wort poena abgeleitet, waren nicht an der Tagesordnung, konnten in speziellen Fällen aber angeordnet werden. Der Scharfrichter Innsbrucks war ab dem späten 15. Jahrhundert zentralisiert für mehrere Gerichte zuständig und in Hall ansässig. Hinrichtungen waren eine Machtdemonstration der Obrigkeit und öffentlich. Sie galt als eine Art der Reinigung der Gesellschaft von Verbrechern. Die Hingerichteten wurden außerhalb des geweihten Bereichs der Friedhöfe begraben.

Mit der Zentralisierung des Rechts unter Maria Theresia (97) und Josef II im 18. und dem Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch im 19. Jahrhundert unter Franz I. ging das Recht von Städten und Landesfürsten an den Monarchen und deren Verwaltungsorgane auf verschiedenen Ebenen über. Unter Josef II. wurde die Todesstrafe kurzfristig sogar ausgesetzt. Die Folter war schon vorher abgeschafft worden. Die Aufklärung hatte die Vorstellung von Recht, Strafe und Resozialisierung grundlegend verändert. War es bislang unter Strafe gestanden und teils mit dem Pranger oder Schlimmerem bestraft worden, wenn eine Frau ein uneheliches Kind zur Welt brachte, so war dies kein Strafbestand mehr. Die Kinder wurden katholischen Pflegeeltern oder einem Waisenhaus übergeben. Die christliche Moral des Volkes zog noch lange nicht mit dem Gesetz nach. Frauen blieben, obwohl ein erheblicher Teil der Kinder unehelich war, bis weit ins 20. Jahrhundert ausgegrenzt. Goethes Faust erzählt unter anderem das Schicksal einer solchen Frau, die sich auf Grund der Scham umbrachte. Auch die Einhebung von Steuern wurde zentralisiert, was einen großen Bedeutungsverlust des lokalen Adels und eine Aufwertung der Beamtenschaft zur Folge hatte. Mit den neuen Rechtsvorstellungen veränderte sich nach und nach auch die Stadtlandschaft. Der Kräuterturm als Kerker wurde obsolet, dafür bedurfte es eines Zuchthauses, das heutige Turnusvereinshaus, in St. Nikolaus.

Die Entwicklung des Rechtsystems hin zu dem, das wir heute in der Republik Österreich und ihren Städten haben, war ein langer Prozess. Während der Bürgermeister und der Stadtrat noch immer gewählt werden, wird der Richter am Bezirksgericht ernannt. Die Mitarbeiter des Stadtmagistrats sind kaum noch Beamten und die Jungbürgerfeier, zu der die Stadt ihre jüngsten Mitglieder zu deren Volljährigkeit einlädt, ist wenig feierlich oder gar bedeutsam. Es gibt auch keine Zünfte mehr. Der Streit darum, wer ein „echter“ Innsbrucker ist, und wer nicht, ist aber eine Kontinuität, die sich bis heute hartnäckig zu halten vermag. Dass Migration und Austausch mit anderen immer schon die Garantie für Wohlstand waren und Innsbruck zu der lebenswerten Stadt gemacht haben, die sie heute ist, wird dabei leider oft vergessen.

Die Macht der Geographie

Was den meisten Besuchern Innsbrucks zuallererst auffällt, sind die Berge, die die Stadt einzukesseln scheinen. Die Bergwelt ist nicht nur wunderschön anzusehen, sondern beeinflusste schon immer vieles in der Stadt. Das fängt bei vermeintlichen Kleinigkeiten wie dem Wetter an, wie uns der Blick des Schriftstellers und Politikers Beda Webers aus vergangenen Tagen beweist:

"Eine eigene Erscheinung ist der warme Wind oder Scirocco. Er kommt aus dem Süden, prallt am Nordgebirge ab, und fällt mit Gewalt ins Thal. Er macht gern Kopfweh, schmelzt aber die winterlichen Schneemasen schnell und befördert die Fruchtbarkeit ungemein. Dadurch wird in Innsbruck die Pflanzung des Maises möglich"

Dieses Wetterphänomen mag seinen Namen von Scirocco auf Föhn geändert haben und Verkehr war 1851 noch kein großes Problem. Genau wie der Innsbrucker Autofahrer heute jammerten aber mit Sicherheit der Hufschmied in der Altstadt im Jahr 1450 und der aus Mittelitalien in die Alpen abkommandierte Legionär im Jahr 350 über den warmen Fallwind, der mehrmals pro Monat alle verrückt zu machen scheint. Waren früher die Menschen froh um die warme, den Schnee auf den Feldern schmelzende Luft, jammern Touristiker heute über die aperen Skipisten auf der Seegrube.

Die Lage zwischen dem Wipptal im Süden und der Nordkette beeinflusst nicht nur die Migränehäufigkeit, sondern auch die Freizeitgestaltung der Innsbrucker, wie schon Weber ebenfalls erkannte. "Die Einwohner zeichnen sich durch ihre Leutseligkeit und Wohlthätigkeit aus, sie lieben besonders Landausflüge in der schönen Jahreszeit.“ Man mag über Leutseligkeit und Wohlthätigkeit der Innsbrucker streiten, Landausflüge in Form von Wanderung, Skitour oder Radfahren erfreuen sich auch heute noch großer Beliebtheit. Kein Wunder, Innsbruck ist von Bergen umgeben. Innerhalb weniger Minuten kann man von jedem Ort in der Stadt aus mitten im Wald stehen. Junge Menschen aus ganz Europa verbringen ihre Studienzeit zumindest zu einem Teil an der Universität Innsbruck, nicht nur wegen der hervorragenden Professoren und Einrichtungen, sondern auch um ihre Freizeit auf den Pisten, Mountainbikerouten und Wanderwegen zu verbringen, ohne auf urbanes Flair vermissen zu müssen. Das ist Fluch und Segen zugleich. Die Universität als großer Arbeitgeber und Ausbildungsort kurbelt die Wirtschaft an, gleichzeitig steigen durch auswärtige Studenten die Lebenserhaltungskosten in der Stadt, die zwischen den Bergen eingeklemmt räumlich nicht weiterwachsen kann.

Der Aufstieg Innsbrucks zum Zentrum Tirols im 15. Jahrhundert ist ebenfalls zu einem großen Teil auf die Lage der Stadt zurückzuführen. Der Brennerpass ist sehr niedrig und erlaubt es, den Alpengürtel, der sich rund um Italiens Nordgrenze schlängelt, verhältnismäßig einfach zu überqueren. In den Zeiten vor die Eisenbahn Waren und Menschen mühelos von A nach B brachte, war die Alpenüberquerung harte Arbeit, der Brenner eine willkommene Erleichterung. Zwischen 1239 und 1303 war Innsbruck die einzige Stadt zwischen „Mellach und Ziller“ im mittleren Inntal, die das landesfürstliche Niederlagsrecht hatte. Hier mussten innerhalb des regulierten Rodfuhrwesens die Waren von einem Fuhrwerk auf das nächste umgeladen werden, ein enormer Vorteil für die Innsbrucker Wirtschaft. Innsbruck war nicht ganz so reich wie Bozen und hatte bis ins frühe 15. Jahrhundert keine politische Bedeutung, wurde aber zu einem der wichtigsten Verkehrs- und Handelsknotenpunkte im Alpenraum Die ehemalige Landeshauptstadt Meran hatte langfristig in ihrer Abgelegenheit keine Chance gegen die Stadt am Inn zwischen Brenner, Scharnitz und Achenpass. Die Lage in den Alpen begünstigte auch den Tourismus, der spätestens ab den 1860er Jahren Fuß fassen konnte. Reisende schätzten die Kombination aus leichter Erreichbarkeit, städtischer Infrastruktur und alpinem Flair. Mit der Erschließung des Landes im Gebirge durch die Eisenbahn konnte man bequem anreisen, seine Freizeit in der Bergwelt oder einem der Kurbäder verbringen, ohne auf den Komfort des Stadtlebens verzichten zu müssen. Spätestens mit ihrer Zähmung durch die Schienen waren die Alpen vom Problembereiter zum Wirtschaftsfaktor geworden. Vorbei waren die von der schwierigen Landwirtschaft geprägten Zeiten, der Feind von gestern wurde zum Heilsbringer.

Neben den Bergen waren die Flüsse maßgeblich an der Entwicklung Innsbrucks beteiligt. Innsbrucks Trinkwasser kam seit den Zeiten Maximilians von der Nordkette über eine Wasserleitung in die Stadt, für die sanitäre Versorgung waren Inn und Sill zuständig. Das Vieh wurde am Inn zur Tränke geführt, die Wäsche gewaschen und Abfälle aller Art, inklusive Fäkalien von Mensch und Tier, entsorgt. Als die während der Industrialisierung zu wachsen begann, entstand am Sillspitz im Osten der Stadt eine erste Mülldeponie, die später um eine weitere im Westen am heutigen Sieglanger ergänzt wurde. Bis zur Verbesserung des Straßennetzes im 16. Jahrhundert herrschte zwischen Telfs, Innsbruck und Hall reger Schiffsverkehr. Das Inntal war über 1000 Jahre nach der römischen Besiedlung noch immer ein sumpfiger, von Auwäldern durchzogener Landstrich. Siedlungen wie Wilten, Burgen wie die Festung über Amras und Straßen entstanden etwas vom Fluss entfernt auf Schwemmkegeln oder in Mittelgebirgshöhen. Rund um Innsbruck wurden die Auen als Allmende der Dörfer genutzt. Je nach Wasserhöhe standen Weideland und Brennholz zur Verfügung und der Fluss konnte als Transportweg genutzt werden – oder eben nicht. Flurnamen wie Am Gießen in der Höttinger Au erinnern bis heute daran, dass der Inn am heutigen Stadtgebiet bis in die frühe Neuzeit ebenfalls nicht gebändigt, sondern mehr schlecht als recht kultvierte Wildnis war. Überschwemmungen waren immer wieder Folge des unregulierten Flusses. Zwischen 1749 und 1789 forderten mehrere Hochwasser in Innsbruck viele Tote.

Auch der wirtschaftliche Schaden war immens. Die Innbrücke spülte Zolleinnahmen in die Stadtkassa und war der Grund, warum die Siedlung zur Stadt werden konnte. Vom Tiroler Oberland wurde über Jahrhundert hinweg Holz als Trift den Inn flussabwärts geschickt. In Hall fischte ein Holzrechen an der Innbrücke das kostbare Treibgut aus dem Wasser. Innsbruck, vor allem aber die Salz- und Silberbergwerke in Hall und Schwaz benötigten den Werkstoff und Energieträger. Bei der Bergfahrt gegen den Strom benötigte man Pferdegespanne mit über 20 Tieren, die auf den Treidelwegen genannten Trassen Waren flussaufwärts zogen. Nahe Siedlungen und Städten errichtete man befestigte Archen-Verbauungen, um den Fluss zumindest ein wenig zu zähmen und die Beeinträchtigung von Hochwasser und Dürre einzudämmen.

Im 18. Jahrhundert förderten Ökonomisierung und Verwissenschaftlichung, die sich in allen Lebensbereichen bemerkbar machten, auch die Kultivierung der Landschaft. Von diesem Geist der Aufklärung erfasst, wurde auch die Optimierung des Inns als Transportweg und die Erhöhung der Wirtschaftlichkeit des verfügbaren Bodens in Angriff genommen. Die Allmende entlang des Inn wurde mehr und mehr in die Obhut einzelner Grundherren gegeben, die die Urbarmachung dieses Schwemmlandes vorantrieben. Der Theresianische Staatsapparat wollte das Reich nicht nur am Landweg mit Straßen, sondern auch über die Hauptflüsse verbinden. Die Verantwortung für Regulierung und Verbauung des Inns ging von den Gemeinden und der Saline Hall auf den Staat über. Innsbrucks erster Oberarcheninspektor Franz Anton Rangger begann 1739 mit dem Kartografieren des Inns, um den Flusslauf durch Begradigungen und Verbauungen planbarer und schneller zu machen. Das Projekt der Bändigung sollte mehr als 100 Jahre in Anspruch nehmen. Die Napoleonischen Kriege verzögerten den Bau der Anlagen. Erst nach der wirtschaftlichen Not des frühen 19. Jahrhunderts war der Staat wieder in der Lage, das Projekt fortzusetzen. Blocksteindämme ersetzten nach und nach die Archen-Verbauungen. Als der Inn gebändigt war, hatte die Eisenbahn die Schifffahrt als Transportweg abgelöst. Die nächste größere Verbauungswelle des Inns kam in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Das Olympische Dorf, die Autobahn und Siedlungen wie der Sieglanger benötigten Raum, das vorher dem Fluss vorenthalten war, um das Wirtschaftswunder der Nachkriegszeit zu ermöglichen.

Fast genauso wichtig wie der Inn war der kleinere Fluss, der Innsbruck durchquert. Wo heute die Sill die Sillschlucht verlässt, entstand der Sillkanal, der die Stadt mit Wasser versorgte. Als die Grafen von Andechs 1180 den Markt an der Innbrücke gründeten, bestand der Kanal bereits, war doch die Mühle des Stiftes Wilten in St. Bartlmä bereits in Betrieb. Von hier führte der Kanal weiter entlang der Route Karmelitergasse, Adamgasse, Salurnerstraße, Meinhardstraße, Sillgasse, Ing.-Etzel-Straße bis zur Pradler Brücke, wo sie sich wieder mit der Sill verband, um dann in den Inn zu fließen. Anfangs vor allem zum Brandschutz gedacht, machten sich viele Betriebe an diesem künstlich angelegten Kanal das durch die Stadt fließende Wasser bald für den Betrieb von Mühlen zur Energiegewinnung dienstbar. Erst in den 1970er Jahren verschwanden die letzten Teile davon, nachdem Bombentreffer ihn während des Zweiten Weltkriegs beschädigt hatten.

Die letzte geographische Zutat zur Erfolgsgeschichte der Stadt ist der breite Talkessel, der die Entwicklung Innsbrucks begünstigte. Durch das Städtewachstum und den Bevölkerungsaufstieg stieg auch der Bedarf nach Nahrungsmitteln. Während die Bauern in den höhergelegenen Seitentälern harte Bedingungen vorfanden, bot das Inntal fruchtbaren Boden und Fläche für Viehzucht und Ackerwirtschaft. Bis ins Hochmittelalter war das Inntal wesentlich stärker bewaldet. Im 13. Jahrhundert war es rund um Innsbruck wie in vielen Teilen Europas zu frühen großen und langfristigen Eingriffen des Menschen für wirtschaftliche Zwecke in die Natur gekommen. Anders als oft dargestellt, war das Mittelalter keine primitive Zeit des Stillstands. Ab dem 12. Jahrhundert verließ man sich nicht mehr auf Gebete und Gottes Gnade, um den Auswirkungen regelmäßig auftretender Ernteausfälle zu entkommen. Innovationen wie die Dreifelderwirtschaft ermöglichten die Ernährung der landwirtschaftlich gesehen unproduktiven Stadtbevölkerung, die man im modernen Sprachgebrauch als Overhead bezeichnen würde. Die Urbarmachung des Landes erlaubte das Wachstum der Stadt. Die Städte wie Schwaz, Hall und Innsbruck konnten sich zwar nicht selbst ernähren, und es bedurfte vor allem in der Frühen Neuzeit während des Booms im Bergwerksbau erheblicher Lebensmittelimporte. Neben Fleisch war es lange vor allem Wein, der aus dem Ausland in die Grafschaft Tirol kam. Ohne die Bauern der Umgebung wäre Innsbruck aber nicht lebensfähig gewesen. Der Mais, den Beda Weber schon 1851 im Innsbrucker Stadtbild für erwähnenswert hielt, wächst noch immer munter vor sich hin und gibt auch heute noch großen Flächen am Stadtrand einen landwirtschaftlichen Anstrich.