Hotel Weisses Kreuz
Herzog-Friedrich-Straße 31
Wissenswert
Das Weisse Kreuz zählt zu den ältesten Gasthäusern Innsbrucks. Glaubt man dem Hotel selbst, so öffnete es seine Pforten bereits 1465, als Innsbruck unter Siegmund dem Münzreichen zur wichtigsten Stadt Tirols aufzusteigen begann. Das schmale Haus bildete einen Teil der Laubengänge der Herzog-Friedrich-Straße, der damaligen Hauptverkehrsader durch die Stadt. Verlässlich bestätigt ist das Gasthaus am Oberen Stadtplatz seit dem 16. Jahrhundert unter seinem damaligen Besitzer Achazi Zürler.
Der bekannteste Gast des Hauses war Wolfgang Amadeus Mozart (1756 - 1791), der hier auf einer seiner Italienreisen nächtigte. Sein Manager und Vater wollte die Talente des kleinen, bereits im Jugendalter im ganzen Reich bekannten Genies, auch in Tirol vorzeigen. Der vielleicht erfolgreichste Export Österreichs gab am 17. Dezember 1769 im zarten Alter von 13 Jahren ein Konzert im Palais Trapp in Innsbruck. Zur nachhaltigen touristischen Ausbeutung Innsbrucks zum Thema Mozart reichte dieser eine Auftritt zwar nicht, das Hotel ist dank einer Erinnerungstafel an den hochbegabten Gast aber als Mozarthaus bekannt.
Sechs Jahre post Mozart erhielt das Gasthaus unter dem Besitzer Nikolaus Benz seinen offiziellen Namen Weißes Kreuz Wirtsbehausung. Wie viele Lokale wurde auch die altehrwürdige Gaststätte in der Altstadt im Laufe des 19. Jahrhunderts dank der gesellschaftlichen Umbrüche zum Treffpunkt von Bürgern und Studenten. Es wurde nicht nur getrunken und getanzt. 1904 kam es im Weißen Kreuz zu einem tragischen Vorfall. Italienische Studenten feierten die Eröffnung der neuen italienischsprachigen Rechtsfakultät an der Universität Innsbruck. Großdeutsch gesinnte Studenten, denen die Wallschen spätestens seit 1848 ein Dorn im Fleisch waren, attackierten ihre Kommilitonen. Es kam zu einer Massenschlägerei mit einem Todesopfer.
Durch viele Renovierungen der Innenräume ist von der alten gotischen Bausubstanz nur noch wenig übrig. 1926 verpasste Rudolf Stolz der Fassade das markante Putzrelief im typischen Stil der Zwischenkriegszeit, der Tiroler Moderne. Die Ähnlichkeit mit der nur kurz später erfolgten Malerei am gegenüberliegenden Weinhaus Happ ist erstaunlich. Stolz schmückte die für die Altstadt typischen Erker mit Weinreben und zwei Weinbauern. Über die Szenerie wacht Sankt Urban, der Schutzheilige der Winzer und Beschützer vor Trunkenheit. Das bunte Gemälde passt sich harmonisch an die Altstadt und das sehenswerte Straßenschild des Weißen Kreuz an.
1952 und 2020 kam es zu umfassenden Renovierungsarbeiten. Die Gaststätte wurde aus dem Erdgeschoss ganz nach oben verlegt. Die Bar Blaue Brigitte im Dachgeschoss des sechsstöckigen Gebäudes zählt zu Innsbrucks beliebtesten Lokalen für den Aperitif samt tollem Ausblick über die Dächer der Altstadt.
Siegmund der Münzreiche
Auf Friedl mit der leeren Tasche folgte Siegmund der Münzreiche als Tiroler Landesfürst. Siegmund von Tirol (1427 – 1496) startete denkbar schlecht in sein Amt als Landesfürst. Als sein Vater Friedrich starb, war Siegmund erst 12 Jahre alt. Deshalb nahm ihn sein Onkel Friedrich III., der Kaiser des Heiligen Römischen Reichs und Vater Maximilians I., in unfreiwillige Obhut und Vormundschaft. Man könnte sagen, Siegmund startete seine Karriere als Geisel des Kaisers, seines eigenen Vetters. Tirol war mittlerweile eine reiche Grafschaft, die direkte Kontrolle darüber wollte der Kaiser nur ungern aufgeben. Erst als die Tiroler Landstände gegen diese Bevormundung protestierten, konnte Siegmund sein Amt antreten. Der Tiroler Landtag hatte die Regierungsgeschäfte in Ermangelung eines Landesfürsten übernommen und damit politisches Gewicht bewiesen. Mit 18 Jahren zog Siegmund in Innsbruck ein, um die Amtsgeschäfte zu übernehmen. Vier Jahre später heiratete er Eleonore von Schottland (1433 – 1480), die optisch wenig attraktive 16 Jahre alte Tochter Königs Jakob aus dem Hause Stewart. Die Ehe sollte ohne Kinder bleiben.
Siegmund erließ die Schwazer Bergordnung, die zum Vorbild für alle Bergwerke der Habsburger werden sollte. Den Bergbeamten wurden, ähnlich den Universitäten, mehr Rechte innerhalb ihres Wirkungsbereiches gegeben. Für die Bergarbeiter gab es Sonderregelungen innerhalb der Gesellschaft, waren sie doch heiß begehrte Arbeitskräfte. Man kann von einer frühen sozial- und arbeitsrechtlichen Vereinbarung sprechen. Die Bergleute arbeiteten hart, verdienten aber verhältnismäßig gut. Dasselbe galt für die Münzprägeanstalt und die Salinen in Hall. Auch in Innsbruck und Umgebung zog das städtische Leben neues Handwerk an. In Mühlau etablierte sich mit der Plattnerei hochwertiges Metallgewerbe. Die Menschen, die in dieser New Industry beschäftigt waren, bildeten eine Art Mittelschicht mit höherer Kaufkraft. Die Nachfrage nach Fleisch stieg an. Das wiederum hatte eine Veränderung der Landwirtschaft zur Folge. In stadtnahen Dörfern wie Pradl und Amras oder im Tiroler Unterland nahe den Bergwerken Hall und Schwaz östlich Innsbrucks entdeckten die Bauern die Viehzucht als einträglichere Quelle als den Ackerbau für sich. Bis heute unterscheiden sich die Anbauarten in den unterschiedlichen Regionen Tirols stark.
1484 ließ Siegmund die Münzprägeanstalt von Meran in Südtirol nach Hall verlegen, was ihm den Beinamen Siegmund der Münzreiche einbrachte. Für die kleine Stadt Hall, die ja in unmittelbarer Umgebung von Innsbruck liegt, sowie für Innsbruck selbst, bedeutete das eine immense Aufwertung. In Wahrheit war Siegmund aber trotz des reichen Landes, das er von Friedrich IV. geerbt hatte, auf Grund seines opulenten Lebenswandels nicht besonders münzreich im Gegensatz zu seinem Vater. In zweiter Ehe hatte er Katharina von Sachsen (1468 – 1524), eine Dame aus kurfürstlichem hocharistokratischem Haus, geheiratet. Es war wohl auch dem Einfluss und der Hofhaltung Siegmunds und seiner beiden Ehefrauen zu verdanken, dass die Ausgaben des Münzreichen auf lange Sicht die Einnahmen aus Steuern, Salinen und den Bergwerken überstiegen. Bei der landesfürstlichen Hochzeit 1484 umfasste allein der Zug der Braut 54 Wagen. Die Gäste mussten in Innsbruck einquartiert und verköstigt werden. Auch mit der 40 Jahre jüngeren Frau war dem mittlerweile senilen Siegmund männlicher Erbe vergönnt, was besonders bitter für ihn gewesen sein muss, betrachtet man die ihm nachgesagten 30 außerehelich gezeugten Kinder.
Innsbruck blühte unter Hofstaat und Säckel Siegmunds auf. Die Stadt war während seiner opulenten Regentschaft zu einem Anziehungspunkt für Handwerker, Goldschmiede und Künstler geworden. Der Stadtturm beim Alten Rathaus als Ausdruck des städtischen Wohlstands und erste Teile der Hofburg wurden unter Siegmund erbaut. Ein Glasmaler siedete sich in Innsbruck an und begründete die Tradition der Glasmalerei in Innsbruck. Um 1900 war die darauf zurückgehende Glasmalerei Innsbruck in der heutigen Glasmalereistraße einer der weltweit führenden Betriebe mit Niederlassungen in New York und München. Die Hofbibliothek wuchs im Gleichschritt mit Siegmunds und Eleonores humanistisch gelehrten Gästen. Beide galten als kunstsinnig und literarisch interessiert. Bücher waren in der Zeit vor der Erfindung des Buchdrucks ein teures Hobby. Auch fahrendes Volk und Schausteller waren am Hof gerne gesehen, um die einheimischen und internationalen Gäste zu unterhalten.
Gleichzeitig wurden die Zeiten rauer für die, die mit dem neuen Lebensrhythmus der Stadt nicht mithalten konnten. Man kann von circa 2000 Stadtbürgern zu dieser Zeit ausgehen. Der Hofstaat Sigmunds dürfte aus 500 Personen bestanden haben, der Hofstaat seiner Frau war dabei nicht miteingerechnte. Diese „Fremden“ erregten in Innsbruck Aufsehen. Die Kluft zwischen den sozialen Schichten wuchs. Der Hexenprozess von 1485 fanden in einem Klima aus Neid, Missgunst und Skepsis gegenüber den neuen Sitten statt, die in Innsbruck Einzug hielten.
Siegmund war nicht der erfolgreichste Herrscher Tirols, blieb dank seiner Verdienste um den kulturellen Aufschwung in Innsbruck aber bis heute in guter Erinnerung. Sein Hof war am Ende seiner Regierungszeit übermäßig aufgebläht und teuer. Ein verlorener Krieg mit den Schweizer Eidgenossen verpflichtete ihn zu Zahlungen, auch ein Krieg mit Venedig endete schlecht. Siegmund musste habsburgische Besitzungen im Elsass und dem heutigen Breisgau an Karl den Kühnen von Burgund, den zukünftigen Schwiegervater Maximilians I. verpfänden. Die österreichischen Vorlande verkaufte er zu einem Spottpreis an das Herzogtum Bayern, die Tiroler Silberbergwerke verpfändete er an Jakob Fugger. Die bayerischen Wittelsbacher wollten über einen Erbvertrag mit dem altersbedingt geistig umnachteten Sigmund auch Tirol wieder unter ihre Kontrolle bringen. Erst kaiserlicher Druck und das eilige Einschreiten der Tiroler Landstände und Maximilians ermöglichten den Verbleib des Landes beim Haus Habsburg.
Rudolf von Habsburg: Politik und Sitten der Zeit
Der intelligente, liberal eingestellte und sensible Kronprinz Rudolf (1858 – 1889) galt als der Liebling der Völker des Habsburgerreichs. Sein Leben kann in vielerlei Hinsicht als exemplarisch für die Zeit zwischen 1848 und dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs gelesen werden. Der Kampf zwischen neuen politischen Ideen und Althergebrachtem, die Begeisterung für Wissenschaft, Kunst und Kultur sowie Sitten und Moral, der auch in Innsbruck Gesellschaft und Alltag prägte, spiegeln sich in der Figur des Sohnes Kaiser Franz Josesfs I. wider. Der allergrößte Teil der Innsbrucker hatte nicht die materiellen Möglichkeiten oder den Status eines Habsburgers, die Moden und Strömungen, unter denen sie lebten, waren aber dieselben.
Seit dem Amtsantritt Franz Josefs I. hatte sich die Donaumonarchie räumlich und sittlich verändert. 1866 war Österreich nach Königgrätz aus dem Deutschen Bund ausgeschieden. 1867 war es zum sogenannten Ausgleich mit Ungarn gekommen. Die italienischen Gebiete mit Ausnahme des Trentino und des Hafens Triest waren verlorengegangen. Die Bestrebungen der einzelnen Volksgruppen nach nationaler Selbstständigkeit machten auch vor Tirol nicht halt, gehörte mit dem Trentino zwischen Salurn und Riva am Gardasee doch auch ein italienischsprachiger Teil zum Land. Im Tiroler Landtag forderten italienischsprachige Abgeordnete, sogenannte Irredentisten, mehr Rechte und Autonomie für das damalige Südtirol. In Innsbruck kam es zwischen italienischen und deutschsprachigen Studenten immer wieder zu Spannungen und Auseinandersetzungen. Die Wallschen, dieser Begriff für Italiener hält sich bis heute in Tirol hartnäckig, galten als ehrlos, unzuverlässig und faul.
Rudolf galt als sehr belesen und gebildet. Er interessierte sich ganz im Zeitgeist des Bildungsbürgertums für ein breites Spektrum an Themen. Er sprach neben Griechisch und Latein auch Französisch, Ungarisch, Tschechisch und Kroatisch. Er widmete er sich als Privatier dem Verfassen von Presseartikeln, der Wissenschaft und dem Reisen durch die Länder der Monarchie. Er veranlasste die Herausgabe des Kronprinzenwerks, einer naturwissenschaftlichen Enzyklopädie. 1893 erschien Band 13, der das Kronland Tirol behandelte.
Auch politisch war er Neuem gegenüber aufgeschlossen. Rudolf verfasste liberale Artikel im "Neuen Wiener Tagblatt" unter einem Pseudonym. Er wollte unter anderem Grund- und Bodenreformen vorantreiben durch stärkere Besteuerung der Großgrundbesitzer und den einzelnen Nationalitäten des Habsburgerreichs mehr Rechte zugestehen. Besonders im konservativen, ländlichen Tirol und unter Militärs war er sehr unbeliebt. Bei den liberal gesinnten Innsbruckern hingegen galt er als Hoffnung für eine Erneuerung der Monarchie im Sinne eines modernen, föderalen Staates. Der Rudolfsbrunnen in Innsbruck am Boznerplatz erinnert zwar nicht an den Kronprinzen, bei seiner Einweihung war er aber zugegen.
Rudolfs Privatleben war trotz, oder gerade wegen seines aristokratischen Hintergrundes, turbulent, allerdings nicht untypisch für diese Zeit, in der Eltern und Lehrer weniger nahbare Erziehungspersonen als vielmehr distanzierte Respektpersonen darstellten. Kinder wurden streng erzogen. Weder Lehrer noch Eltern schreckten vor körperlicher Züchtigung zurück, auch wenn es Grenzen, Gesetze und Regeln für den Einsatz von häuslicher Gewalt gab. Militarismus und Fokus auf die zukünftige Erwerbsarbeit verhinderten Kindheit und Jugend, wie wir sie heute kennen. Auch Rudolfs frühe Jahre, als er auf Wunsch Kaiser Franz Josef eine soldatische Erziehung unter General Gondrecourt durchlaufen musste, waren wenig luxuriös. Erst nach Einschreiten seiner Mutter Elisabeth wurden Schikanen wie Wasserkuren, Exerzieren in Regen und Schnee und das Aufwecken mit Pistolenschüssen aus dem täglichen Programm des sechsjährigen Kronprinzen genommen.
Wie viele seiner Zeitgenossen fand sich auch Rudolf als Erwachsener in einer unglücklichen, da arrangierten Ehe wieder. Das 19. Jahrhundert war nicht das Zeitalter der Liebesheiraten, auch wenn Romantik und Biedermeierzeit gerne dahingehend gerühmt werden. Aristokraten und Mitglieder des hohen Bürgertums heirateten aus Standesdünkel und mit dem Ziel, die Dynastie zu erhalten. Dienstboten, Hausmädchen, Knechten und Mägden war die Hochzeit lange untersagt. In der Oberschicht waren Ehefrauen nichts weiter als Schmuck ihres Gatten und Oberhaupt des Haushaltes. Erst wenn der oft ältere Ehemann verstorben war, konnten auch Witwen ihr Leben abseits dieser Rolle genießen.
Zeit seines Lebens war auch Rudolf dem schönen Geschlecht außerhalb der Ehe nicht abgeneigt. In seinen letzten Lebensmonaten unterhielt Rudolf eine Affäre mit der als besonders schön geltenden Mary Vetsera, einem erst 17 Jahre alten Mädchen aus reichem ungarischem Adel. Er war zu dieser Zeit von Depressionen, Gonorrhö, Alkohol- und Morphiumsucht bereits schwer gezeichnet. Am 30. Januar 1889 traf sich Rudolf mit Vetsera, nachdem er die Nacht zuvor mit seiner Langzeitgeliebten, der Prostituierten Maria „Mizzi“ Kaspar, verbracht hatte. Unter nie vollständig geklärten Umständen tötete er zuerst die junge Frau und dann sich selbst mit einem Schuss in den Kopf. Von der Familie Habsburg wurde der Selbstmord nie anerkannt. Zita (1892 – 1989), die Witwe des letzten Kaisers Karl, sprach noch in den 1980ern von einem Mordanschlag. Wie Rudolf hielten es auch viele seiner Untertanen. Zwar konnte sich kaum jemand rühmen, eine ungarische Adelige als Gespielin für sich zu beanspruchen, eine Liebhaberin, so waren die Sitten nicht so, wie es Pfarrer täglich von der Kanzel predigten. Ehemänner tobten sich sexuell bei Affären mit Dienstmädchen, Geliebten und Prostituierten aus.
Die Diskussion um die Beisetzung des Thronfolgers und seiner Geliebten zeigte die christliche Moral und die Doppelmoral des Habsburgerreiches. Selbstmord galt als schwere Sünde und verhinderte eigentlich ein christliches Begräbnis. Vetsera wurde am Friedhof in Heiligenkreuz bei Mayerling in einem kleinen Grab an der Friedhofsmauer unauffällig beigesetzt, während Rudolf nach kaiserlicher Intervention beim Papst ein Staatsbegräbnis erhielt und seine letzte Ruhe in der Kapuzinergruft, der wohl berühmtesten Grablege der Habsburger in Wien erhielt.
Franz Baumann und die Tiroler Moderne
Die Zäsur des Ersten Weltkrieges veränderte Innsbruck nicht nur wirtschaftlich und sozial, sondern verpasste der Stadt auch ein neues Äußeres. Die bildenden Künste erfanden sich nach den Schrecken des Krieges neu. Der Klassizismus der Jahrhundertwende war die Architektur eines Bürgertums, das den Adel nachzuahmen versucht hatte. Diesem Adel wurde nach dem Weltkrieg von vielen Bürgern die Schuld an den Schrecken auf den Schlachtfeldern Europas gegeben. Sport und das Phänomen Freizeit waren noch vor dem Krieg der Ausdruck eines neuen bürgerlichen Selbstverständnisses gegenüber der alten von der Aristokratie bestimmten Ordnung geworden. Bauwerke und Infrastruktur sollten von nun an jedem Bürger gleichermaßen dienen. Aristokratische Tugenden und das Interesse an der klassischen Antike hatten innerhalb kürzester Zeit ihren Glanz verloren.
Die Architekten der Nachkriegszeit wollten sich in der Optik von vorhergehenden Generationen unterscheiden und gleichzeitig den Gebäuden ein Maximum an Funktionalität geben. Das Ende der Monarchie spiegelt sich in der Einfachheit der Architektur wider. Lois Welzenbacher schrieb 1920 in einem Artikel der Zeitschrift Tiroler Hochland über die architektonischen Verirrungen dieser Zeit:
„Soweit wir heute urteilen können, steht wohl fest, daß dem 19. Jahrhundert in seinem Großteile die Kraft fehlte, sich einen eigenen, ausgesprochenen Stil zu schaffen. Es ist das Zeitalter der Stillosigkeit… So wurden Einzelheiten historisch genau wiedergegeben, meist ohne besonderen Sinn und Zweck, und ohne harmonisches Gesamtbild, das aus sachlicher oder künstlerischer Notwendigkeit erwachsen wäre.“
Neue Formen der Gestaltung wie der Bauhausstil aus Weimar, Hochhäuser aus den USA und die Sowjetische Moderne aus der revolutionären UdSSR hielten Einzug in Design, Bauwesen und Handwerk. Die bekanntesten Tiroler Vertreter dieser neuen Art und Weise die Gestaltung des öffentlichen Raumes waren Siegfried Mazagg, Theodor Prachensky, Clemens Holzmeister und Lois Welzenbacher. Jeder dieser Architekten hatte seine Eigenheiten, wodurch die Tiroler Moderne nur schwer eindeutig zu definieren ist. Mit Bauwerken wie dem Elektrizitätswerk Innsbruck in der Salurnerstraße oder dem Adambräu beim Bahnhof entstanden markante Gebäude, nicht nur in ungeahnter Höhe, sondern auch in einem komplett neuen Stil. Bei aller Begeisterung für den Aufbruch in neue Zeiten spielte auch eine Gedankenströmung mit, die für uns Nachgeborene problematisch ist. Der Futurismus von Filippo Tommaso Marinetti übte nicht nur auf den italienischen Faschismus, sondern auch auf viele Vertreter der Kunst und Architektur der Moderne eine große Anziehungskraft aus.
Der bekannteste und im Innsbrucker Stadtbild am eindrücklichsten bis heute sichtbare Vertreter der sogenannten Tiroler Moderne war Franz Baumann (1892 – 1974). Baumann kam 1892 als Sohn eines Postbeamten in Innsbruck zur Welt. Der Theologe, Publizist und Kriegspropagandist Anton Müllner alias Bruder Willram wurde auf das zeichnerische Talent von Franz Baumann aufmerksam und ermöglichte dem jungen Mann mit 14 Jahren den Besuch der Staatsgewerbeschule, der heutigen HTL. Hier lernte er seinen späteren Schwager Theodor Prachensky kennen. Gemeinsam mit Baumanns Schwester Maria waren die beiden jungen Männer auf Ausflügen in der Gegend rund um Innsbruck unterwegs, um Bilder der Bergwelt und Natur zu malen. Während der Schulzeit sammelte er erste Berufserfahrungen als Maurer bei der Baufirma Huter & Söhne, die in Innsbruck für Großprojekte wie das Kloster zur Ewigen Anbetung oder die Kirche St. Nikolaus zuständig waren. 1910 folgte Baumann seinem Freund Prachensky nach Meran, um bei der Firma Musch & Lun zu arbeiten. Meran war damals Tirols wichtigster Tourismusort mit internationalen Kurgästen. Die vorrangigen Stile waren Jugendstil und Historismus. Unter dem Architekten Adalbert Erlebach machte er erste Erfahrungen bei der Planung von Großprojekten wie Hotels und Seilbahnen.
Wie den Großteil seiner Generation riss der Erste Weltkrieg auch Baumann aus Berufsleben und Alltag. An der Italienfront erlitt er im Kampfeinsatz einen Bauchschuss, von dem er sich in einem Lazarett in Prag erholte. In dieser ansonsten tatenlosen Zeit malte er Stadtansichten von Bauwerken in und rund um Prag. Diese Bilder, die ihm später bei der Visualisierung seiner Pläne helfen sollten, wurden in seiner einzigen Ausstellung 1919 präsentiert.
Vom Krieg heimgekehrt arbeitete Baumann bei Grissemann & Walch und vollendete seine Berufsberechtigung. Anders als Holzmeister oder Welzenbacher hatte er keine akademische Ausbildung genossen. In seiner Freizeit nahm er regelmäßig an öffentlichen Ausschreibungen für öffentliche Projekte teil.
Sein großer Durchbruch kam in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre. Baumann konnte die Ausschreibungen für den Umbau des Weinhaus Happ in der Altstadt und der Nordkettenbahn für sich entscheiden. Neben seiner Kreativität und dem Vermögen ganzheitliche zu denken, kamen ihm die Übereinstimmung seines Ansatzes mit der Gesetzeslage und den Anforderungen der Ausschreibungen der 1920er Jahre entgegen. Laut der Bundesverfassung der Republik Österreich war das Bauwesen Landessache. Seit dem Vorjahr war der Tiroler Heimatschutzverband gemeinsam mit der Bezirkshauptmannschaft als letztentscheidende Behörde bei Bauprojekten für Bewertung und Genehmigung zuständig. Kunibert Zimmeter hatte den Verein bereits 1908 gemeinsam mit Gotthard Graf Trapp gegründet. Zimmeter schrieb in seinem Buch „Unser Tirol. Ein Heimatschutzbuch“:
„Schauen wir auf die Verflachung unseres Privat-Lebens, unserer Vergnügungen, in deren Mittelpunkt bezeichnender Weise das Kino steht, auf die literarischen Eintagsfliegen unserer Zeitungslektüre, auf die heillosen und kostspieligen Auswüchse der Mode auf dem Gebiete der Frauenbekleidung, werfen wir einen Blick in unserer Wohnungen mit den elenden Fabriksmöbeln und all den fürchterlichen Erzeugnissen unserer sogenannten Galanteriewaren-Industrie, Dinge, an deren Herstellung tausende von Menschen arbeiten und dabei wertlosen Krims-Krams schaffen, oder betrachten wir unsere Zinshäuser und Villen mit den Paläste vortäuschenden Zementfassaden, unzähligen überflüssigen Türmen und Giebeln, unsere Hotels mit ihren aufgedonnerten Fassaden, welche Verschleuderung des Volksvermögens, welche Fülle von Geschmacklosigkeit müssen wir da finden.“
Natur und Ortsbilder sollten von allzu modischen Strömungen, überbordendem Tourismus und hässlichen Industriebauten geschützt werden. Bauprojekte sollten sich harmonisch, ansehnlich und zweckdienlich in die Umwelt eingliedern. Architekten mussten trotz der gesellschaftlichen und künstlerischen Neuerungen der Zeit den regionaltypischen Charakter mitdenken.
Nach dem ersten Weltkrieg entstand eine neue Kunden- und Gästeschicht, die neue Anforderungen an Gebäude und somit an das Baugewerbe richtete. In vielen Tiroler Dörfern hatten Hotels die Kirchen als größtes Bauwerk im Ortsbild abgelöst. Bergdörfer wie Igls, Seefeld oder St. Anton wurden vom Tourismus komplett umgestaltet, in Innsbruck entstand mit der Hungerburg ein neuer Stadtteil. Die aristokratische Distanz zur Bergwelt war einer bürgerlichen Sportbegeisterung gewichen. Das bedurfte neuer Lösungen in neuen Höhen. Man baute keine Grandhotels mehr auf 1500 m für den Kururlaub, sondern eine komplette Infrastruktur für Skisportler im hochalpinen Gelände wie der Nordkette. In seiner Zeit in Meran war Baumann schon mit dem Heimatschutzverband in Berührung gekommen. Genau hier lagen die Stärken seines Ansatzes des ganzheitlichen Bauens im Tiroler Sinne. Alle technischen Funktionen und Details, die Einbettung der Gebäude in die Landschaft unter Berücksichtigung der Topografie und des Sonnenlichtes spielten für ihn, der offiziell den Titel Architekt gar nicht führen durfte, eine Rolle. Er folgte damit den „Regeln, für den, der in den Bergen baut“ des Architekten Adolf Loos von 1913:
Baue nicht malerisch. Überlasse solche Wirkung den Mauern, den Bergen und der Sonne. Der Mensch, der sich malerisch kleidet, ist nicht malerisch, sondern ein Hanswurst. Der Bauer kleidet sich nicht malerisch. Aber er ist es…
Achte auf die Formen, in denen der Bauer baut. Denn sie sind Urväterweisheit, geronnene Substanz. Aber suche den Grund der Form auf. Haben die Fortschritte der Technik es möglich gemacht, die Form zu verbessern, so ist immer diese Verbesserung zu verwenden. De Dreschflegel wird von der Dreschmaschine abgelöst.“
Baumann entwarf von der Außenbeleuchtung bis hin zu den Möbeln auch kleinste Details und fügte sie in sein Gesamtkonzept der Tiroler Moderne ein.
Ab 1927 war Baumann selbstständig in seinem Atelier in der Schöpfstraße in Wilten tätig. Immer wieder kam er dabei in Berührung mit seinem Schwager und Mitarbeiter des Bauamtes Theodor Prachensky. Gemeinsam projektierten die beiden ab 1929 das Gebäude für die neue Hauptschule Hötting am Fürstenweg. Buben und Mädchen waren zwar noch immer traditionell baulich getrennt einzuplanen, ansonsten entsprach der Bau aber in Form und Ausstattung ganz dem Stil der Neuen Sachlichkeit unter dem Prinzip Licht, Luft und Sonne. 1935 leitete er das Projekt Hörtnaglsiedlung im Westen der Stadt.
Zur Blütezeit stellte er in seinem Büro 14 Mitarbeiter an. Dank seines modernen Ansatzes, der Funktion, Ästhetik und sparsames Bauen vereinte, überstand er die Wirtschaftskrise gut. Die 1000 Mark Sperre, die Hitler 1934 über Österreich verhängte, um die Republik finanziell in Bredouille zu bringen, leitete seinen langsamen Niedergang seines Architekturbüros ein. Nicht nur die Arbeitslosenquote im Tourismus verdreifachte sich innerhalb kürzester Zeit, auch die Baubranche geriet in Schwierigkeiten.
1935 wurde Baumann als Shootingstar der Tiroler Architekturszene zum Leiter der Zentralvereinigung für Architekten, nachdem er mit einer Ausnahmegenehmigung ausgestattet diesen Berufstitel endlich tragen durfte. Nach dem Anschluss 1938 trat er zügig der NSDAP bei. Einerseits war er wohl den Ideen des Nationalsozialismus nicht abgeneigt, andererseits konnte er so als Obmann der Reichskammer für bildende Künste in Tirol seine Karriere vorantreiben. In dieser Position stellte er sich mehrmals mutig gegen den zerstörerischen Furor, mit dem die Machthaber das Stadtbild Innsbrucks verändern wollten, der seiner Vorstellung von Stadtplanung nicht entsprach. Der Innsbrucker Bürgermeister Egon Denz wollte die Triumphpforte und die Annasäule entfernen, um dem Verkehr in der Maria-Theresienstraße mehr Platz zu geben. Die Innenstadt war noch immer Durchzugsgebiet, um vom Brenner im Süden, um auf die Bundesstraße nach Osten und Westen am heutigen Innrain zu gelangen. Anstelle der Annasäule sollte nach Wusch von Gauleiter Franz Hofer eine Statue Adolf Hitlers als Deutscher Herold errichtet werden. Hofer wollte auch die Kirchtürme der Stiftskirche sprengen lassen. Die Stellungnahme Baumanns zu diesen Plänen fiel negativ aus. Als der Sachverhalt es bis auf den Schreibtisch Albert Speers schaffte, pflichtet dieser ihm bei. Von diesem Zeitpunkt an erhielt Baumann von Gauleiter Hofer keine öffentlichen Projekte mehr zugesprochen.
Nach Befragungen im Rahmen der Entnazifizierung begann Baumann im Stadtbauamt zu arbeiten, wohl auch auf Empfehlung seines Schwagers Prachensky. Baumann wurde zwar voll entlastet, unter anderem durch eine Aussage des Abtes von Wilten, sein Ruf als Architekt war aber nicht mehr zu kitten. Zudem hatte ein Bombentreffer hatte 1944 sein Atelier in der Schöpfstraße zerstört. In seiner Nachkriegskarriere war er für Sanierungen an vom Krieg in Mitleidenschaft gezogenen Gebäuden zuständig. So wurde unter ihm der Boznerplatz mit dem Rudolfsbrunnen wiederaufgebaut sowie Burggraben und die neuen Stadtsäle (Anm.: heute Haus der Musik) gestaltet.
Franz Baumann verstarb 1974. Seine Bilder, Skizzen und Zeichnungen sind heiß begehrt und werden hoch gehandelt. Die vielfältigen öffentlichen und privaten Bauten und Projekte des ewig rauchenden Architekten prägen Innsbruck bis heute.