Palais Ferrari & Altes Garnisonsspital

Weinhartstraße 2 – 4

Wissenswert

Im Grenzgebiet zwischen der Innenstadt, Dreiheiligen und Pradl befinden sich wie eine kleine Insel, umspült von der König-Laurin-Straße, der Dreiheiligenstraße und der Weinhartstraße, das ehemalige k.u.k. Garnisonsspital und das Palais Ferrari. Beide Gebäude blicken auf eine lange Geschichte zurück, die etliche Kehrtwenden erfuhr.

Der erste Besitzer des Palais Ferrari war Hieronymus Bernardo Ferrari d´Occhieppo (1615 – 1691). Der piemontesische Adelige trat als Obersthofmeister der Erzherzogin Anna von Österreich, Gattin des letzten Tiroler Landesfürsten Ferdinand Karl, in den Dienst des Hauses Habsburg. Als späteres Mitglied des Geheimen Rats Kaisers Leopold I. gehörte er zu den höchsten Regierungskreisen der Monarchie. Für seine Dienste erhielt der fromme Beamte von Kaiser Leopold die Erlaubnis, an der Sill seine Tiroler Residenz zu bauen. Inmitten eines großzügigen Parks entstand 1686 das dreigeschossige Palais Ferrari nach Plänen von Johann Martin Gumpp im typisch barocken Stil dieser Zeit. Trotz mehrerer Umbauten und Renovierungen blieb das Flair des Hochadels des 17. Jahrhunderts bis heute erhalten. Über dem kleinen Balkon im ersten Stock thront noch immer die Statue der Maria Immaculata. Um seinen Weg ins Himmelreich zu verkürzen, überschrieb der fromme Graf Ferrari, neben seinen politischen Tätigkeiten war er auch Kommandeur des Mauritius- und Lazarusordens, der Kirche und der Gemeinde Innsbruck einen Teil seines Vermögens. Diese 30.000 Gulden ermöglichten es Vertreterinnen der Gesellschaft der Heiligen Ursula aus Bayern nach Tirol zu holen, um hinter der Spitalskirche die erste Schule für Mädchen der Stadt zu gründen. Am Eingang zur Ursulinenpassage ist der Orden, der sich als erstes der Erziehung und Bildung von Mädchen verschrieb, gut sichtbar im Stadtbild vertreten.

So tugendhaft der erste der Innsbrucker Ferraris war, seine Nachkommen zeichneten sich vor allem durch verschwenderischen Lebenswandel aus. Innerhalb von 200 Jahren war das einst große Vermögen aufgebraucht. 1893 übernahm die Stadt Innsbruck das Anwesen und verpachtete es an das Militär, das seit den Napoleonischen Kriegen direkt angrenzend in der heutigen Weinhartstraße 2 ein Garnisonsspital betrieb. Schon in der Frühen Neuzeit war hier im Industrieviertel in der Nähe des Zeughauses ein Spital für die Bürger Innsbrucks entstanden. 1541 wurde zum ersten Mal das Siechen- und Brestenhaus erwähnt. Der Innsbrucker Kongregationsarzt Weinhart, nach dem die Straße benannt wurde, ließ das Spital während dem Pestausbruch 1611 erweitern. Mit Maßnahmen wie Ausräuchern, Erhöhung der Hygiene und dem beliebten Aderlass versuchten die Ärzte und Geistlichen, dem Schwarzen Tod Herr zu werden. Im noblen Palais Ferrari wurde die Krankenhausverwaltung untergebracht.

Nachdem das Garnisonsspital noch vor dem Ersten Weltkrieg nach Amras in die heutige Conradstraße übersiedelt war und das Militär nach dem verlorenen Krieg drastisch verkleinert wurde, die Wohnungsnot dafür aber umso größer war, wurden in das leerstehende Haus städtische Wohnungen gebaut. 1924 übernahmen die Österreichischen Bundesbahnen das Gebäude, um hier nahe zum Bahnhof Mitarbeiter unterzubringen. Trotz mehrerer Renovierungen besteht der Kern des Gebäudes wie die massiven Eingangstore aus dem 17. Jahrhundert noch.

Auch das mittlerweile heruntergekommene Palais Ferrari wurde vom militärischen in den zivilen Verwendungszweck überführt. Unter Ägide der späteren Direktorin Adolfine Sieberer, der Ministerialdirektorin der Ersten Republik Herta von Sprung und Bürgermeister Wilhelm Greil fand die Lehranstalt für hauswirtschaftliche und gewerbliche Frauenberufe ihr neues Domizil.  1922 wurde die Schule um eine Gartenbauschule erweitert und unter die Bundesverwaltung des Bundes gestellt. Der angeschlagene Staatshaushalt der Republik in den Jahren der Weltwirtschaftskrise hatte auch auf die Schule Einfluss: Nur durch den Verkauf von Obst und Gemüse aus dem eigenen Garten und Stipendien der Sparkasse konnte der Betrieb in den 1930er Jahren aufrechterhalten werden. Nicht viel besser war es in den folgenden Jahrzehnten um den Betrieb bestimmt. Das Kriegsgeschehen und die Luftangriffe forderten ihren Tribut. Während des Zweiten Weltkrieges wurden Flüchtlinge im Obergeschoss des Palais Ferrari untergebracht. Die Schüler wurden zum Schutz vor den Bombardements nach Imst verlegt.

In den Nachkriegsjahrzehnten wurden Garten und Schule renoviert, modernisiert und erblühte zu neuem Leben. Rudi Wach, Erschaffer des umstrittenen Kruzifixes auf der Innbrücke, gestaltete die Steinstatue Flora mit Reh, die sich neben weiteren Kunstwerken aus den 1950er Jahren im Garten befindet. Um den Anforderungen des modernen Schulwesens zu genügen, erfolgten mehrere Anbauten und Erweiterungen des barocken Palais.

Die unzähligen Veränderungen des Schultypus während des 20. Jahrhunderts zeigen die sich langsam entwickelnden und wandelnden beruflichen Möglichkeiten junger Frauen im 20. Jahrhundert. Trotz aller offiziellen Bemühungen wurde die Schule bis weit in die Nachkriegszeit vor allem als Ausbildungsstätte für zukünftige Hausfrauen und Mütter wahrgenommen. Erst mit der Umstellung zur Modeschule rückte der Aspekt der Berufsbildung in den Vordergrund. Mittlerweile dürfen auch junge Männer hier die Reifeprüfung ablegen, in der auch Pflege und Mediendesign zu den Schwerpunkten zählen. Der Erbauer des einstigen Palais, der aus seinem Vermögen 1689 auch die erste Schule für Mädchen der Ursulinen stiftete, würde es wohlwollend zur Kenntnis nehmen, dass sein Palazzo mehr als drei Jahrhunderte später unter dem spöttischen Namen des bösen Volksmundes Putz- und Knödelakademie noch immer eine Säule der Innsbrucker Bildungslandschaft darstellt. Die Gesellschaft der Heiligen Ursula, die über Ferraris Stiftung in Innsbruck ansässig werden konnte, betreibt im Innsbrucker Westen ein Gymnasium, in dem mittlerweile Mädchen und Buben „christliche Bildung“ erhalten.

Artikel zum Thema Mädchen & Bildung - 1931

Eine merkwürdige Erscheinung tritt immer mehr zutage, die nachdenklich machen könnte. Eine Rund­frage in sämtlichen Haushaltungsschulen des Landes und darüber hinaus ergibt das Resultat, daß die Mädchen beinahe überallhin eher zur Ausbildung ge­hen als in die eigentlich fraulichen Schulen, die Haus­haltungsschulen. Die Handelsschulen, heißt es, seien überfüllt; die höheren Studienanstalten entlassen all­jährlich eine gute Anzahl von Absolventinnen; ander­seits stellen Fabriken und Büros auch auf weiblicher Seite viele, viele Arbeitslose: fragt man aber nach Mädchen, die sich in der Hauswirtschaft ertüchtigen, so sind sie selten, werden scheinbar immer seltener.

Warum dies? „Ach", hört man, „Hausgehilfin will ich doch nicht werden!" „Gute Posten als Stütze sind sehr rar!" „Wer wird denn selber kochen, wo es doch Speisehäuser. Gemeinschaftsküchen usw. gibt, wo man alles viel schneller und bequemer haben kann!" „Na, überhaupt eine eigene Wirtschaft, das zahlt sich wirk­lich nimmer aus!"

So sind die modernen Gedankengänge und dabei geht langsam aber unaufhaltsam etwas vom Kostbar­sten verloren, was immer noch das Leben wie etwas Heiliges verklärte: das umsorgte, liebe Daheim. Gewiß, in vielen, sehr vielen Fällen hat es schon die harte Not zerstört, hat selbst dort, wo noch ehrlicher Heimwille lebt, häßliche Oede aufgerissen und Hast und Unsicherheit hingesetzt, wo feine Besinnlichkeit und umsichtige kluge Tüchtigkeit und Liebe ihres Am­tes walten sollten. Hunderte und Hunderte gehen ver­dienen, weil es daheim nicht reicht, und mit dem Ver­dienten weiß man nicht hauszuhalten. Man hat es nicht gelernt, und wozu soll man es denn tun? — es geht ja auch so bergab! Viele klagen still und laut über die wirtschaftliche Notlage, aber dort, wo man im kleinen mit der Besserung anfangen könnte, dort macht auch das heimische, das tirolische Denken kehrt!

Die Haushaltungsschulen stehen beinahe leer. Ist der Ausbau, der Lehrplan schuld daran? Wird zu viel Theorie gelehrt, die den Mädchen mit praktischem Sinne weniger liegt? Kann man das schulmäßig Ge­lernte im Leben nicht brauchen? Paßt sich der Unter­richt zu wenig den tatsächlichen Verhältnissen einzel­ner Mädchengruppen an und wird der Unterschied zwi­schen bäuerlicher und städtischer, der derben Schwerarbeiterküche und jener des Geistesarbeitenden nicht genug ins Auge gefaßt? Vielleicht braucht es da hin und wieder noch ein Umstellen, ein Umlernen: ganz sicher ist aber auch ein Umstellen seitens mancher El­tern und Mädchen notwendig, daß dem Wirtschaftsaufbau im großen zuerst im kleinen und kleinsten vorgearbeitet werde. Erst wenn der Einzelhaushalt ra­tionell, sparsam und doch zuträglich geführt wird, und solche Haushalte in Stadt und Land sich mehren, ist ein tragfähiger Unterbau für eine auswärtsstrebende gesunde Volkswirtschaft vorhanden. Andernfalls steu­ern wir der bolschewikischen, familienauflösenden Kol­lektivwirtschaft, der Massenverelendung zu.

Kluge Eltern mögen sich fragen, ob es nicht am Platze wäre, ihre Töchter ein ordentliches Wirtschafts­jahr (nicht nur ein gelegentliches Nippen, wie es ne­ben den übrigen Hauptschulfächern beispielsweise nicht anders möglich ist!) durchleben zu lassen, ehe sie in eine Berufsstellung gehen, und kluge Mädchen mögen überlegen, ob es nicht trotz allem Entgegenstehenden noch möglich wäre, ein solches Jahr ein­zuschalten, bevor man als Maschinfräulein oder in ir­gendwelchen anderen Beruf eintritt, wenn dies schon sein muß. In vielen Fällen wird ja der Verzicht auf das Mitverdienen oder Selbstverdienen der jungen Mädchen nicht leichtfallen, aber ganz sicher ist es, daß sie mit der hauswirtschaftlichen Ausbildung dann le­benstüchtiger und gefestigter an ihrem modernen Ar­beitsposten stehen, als ohne diese. Und wenn früher oder später das Mädchen doch eine eigene Familie gründet? — Was wird ihr dann mehr zugute kom­men? Also Voraussicht! Umlernen müssen viele in unserer Zeit. Warum nicht auch in aller Stille die Eltern, die weibliche Jugend und Hand in Hand mit ihnen, wo es not tut, auch die hauswirtschaftliche Schule!

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Anschließend an obige, nicht von der Hand zu wei­sende Gedanken sei auf die Möglichkeiten zu hauswirtschaftlicher Ausbildung hinge­wiesen, die wir in Tirol haben. Abgesehen von der fachlichen höheren Ausbildung, die durch das Haushaltungsseminar der ehrw. Frauen Ursulinen in Innsbruck und in der höheren Lehranstalt für wirt­schaftliche und gewerbliche Frauenberufe (gleichfalls in Innsbruck) die sogenannte „Ferrarischule" in der Fa­briksgasse in mehrjährigen Lehrgängen geboten wird, bestehen Haushaltungsschulen mit zehn-Monatlichem Unterrichte in den beiden vor­genannten Anstalten, ferner im Mädcheninstitute in Pfaffenhofen, bei den ehrw. Terziarschwestern in Hall (städtische Schule!) eine private Haushaltungsschule mit eigenem Lehrplan im Zufluchtshause in Hall. Winterkurse mit beiläufig fünfmonatlicher Unterrichtdauer mit hauswirtschaftlicher Betonung für die bäuerliche Mädchenwelt bieten die landwirtschaftlichen Landeslehranstalten: ein dreimonatlicher Tageskurs mit durch­aus praktischer Einstellung, besonders für Mädchen des Mittelstandes, beginnt im September in Innsbruck bei den Frauen Ursulinen. Sechs- bis achtwö­chentliche interne Winterkurse zum Nä­hen und Kochenlernen mit dem notwendigsten theore­tischen Unterricht bietet den Mädchen das Vinzenzheim in Ried und das Kloster der Barmherzigen Schwestern in Ried, ausschließlich praktisch gehaltene Kochkurse sind über Winter bei Fräulein Staudacher in Stams. So ist zweifellos für jede einschlägige Forderung im Lande Möglichkeit genug geboten. Mochten die durchgehends strebsamen und leistungsfähigen Leitungen derselben doch auch die Genugtuung erfahren, daß ihre Bemühungen vom Volke und allen Kreisen desselben entsprechend unserer Notzeit gewürdigt werden!

 

Vom Tiroler Mädchenverband.

Artikel zum Geschlecht Ferrari - 1937
1. Im Jahre 1657 tauchte in Innsbruck, der Haupt- und Residenzstadt von Tirol und der ober- und vorderösterreichischen Lande es regierte Erzherzog Ferdinand Karl (1646—1662) mit seiner Gemahlin Anna, einer Tochter des reichen und mächtigen Cosimo II., Großherzogs von Toskana, aus dem Haufe Medici ein piemontesischer Edelmann, namens Girolamo Bernardo Ferrari, Conte d'O cchieppo, auf, der vorher als Gesandter des Herzogs von Savoyen nach Wien gekommen und dort in die Dienste des Hauses Oesterreich getreten war. Der damalige herzoglich savoyische Kämmerer und Ritter des St. Mauritius- und Lazarusordens ward anfangs des 17. Jahrhunderts in Biella, einem kleinen Städtchen in Piemont, Provinz Novara, geboren, wo feine Familie, dem Stadtadel angehörig, Häuser und Güter besaß, darunter die Lehensherrschaften Occhieppo und später Chiavazza, mit denen der Grafentitel verbunden war und nach denen sich die Familie zubenannte. Am Innsbrucker Hofe übten zu jener Zeit die Italiener den größten Einfluß aus. Sie förderten zwar einerseits Künste und Wissenschaften, nährten aber andererseits den Hang zur Prunk- und Verschwendungssucht. Dieser Hieronymus Bernhard Ferrari Graf v. Occhieppo, wie er sich später auf deutsch nannte, gelangte daher bald zu den höchsten Stellen und Würden bei Hof und Regierung: er wurde Obersthofmeister bei Ihrer fürstlich Durchlaucht der Erzherzogin Anna, die ihm bei ihrem Tode (1676) wegen der vielen Jahre hindurch gehorsamst und ersprießlichst geleisteten Dienste ein Legat von 80.000 Gulden vermacht hatte; er war kaiserlicher Kämmerer, dann o. ö. und Sr. Majestät wirklicher Geheimer Rat. Als Herzog Karl v. Lothringen, der berühmte Türkenbezwinger, Tirol und die o. und v. ö. Lande 1678—1690 als Gubernator verwaltete, wurde er auch noch zum Obersthofmeister dessen Gemahlin, einer geborenen Eleonora Erzherzogin v. Oesterreich, einer Schwester Kaisers Leopold, erwählt. Da diese in erster Ehe mit dem polnischen Wahlkönig Michael Wisnowiecki (1669 1673) vermählt war, wird sie auch immer„polnische Königin" genannt. Durch seine Gemahlin, eine geborene Anna Dorothea , war endlich Hieronymus Bernhard Graf Ferrari, wenn auch auf unehelichem Wege, mit dem Hause Habsburg weitschichtig verwandt, denn ihr Großvater mütterlicherseits war Karl Markgraf v. Burgau, der jüngere Sohn des Erzherzogs Ferdinand v. Tirol und der Philippine Welser. Den durch seine Stellung und seine Verbindungen erworbenen Reichtum verwendete Graf Ferrari noch in seinen alten Tagen zu großen Unternehmungen. 1682 erwarb er um die Pfandsumme von 60.000 Gulden die Gerichtsherrschaft Imst im Oberinntal, 1685 um 70.000 Gulden jene von Taufers im Pustertal, begann im selben Jahre den Bau des großartigen Barockpalastes auf der Kohlstatt (Dreiheiligen) und bestimmte ein Stiftungskapital von 30.000 Gulden für die Einführung des Ursulinenordens in Innsbruck. 1678 ist er zugleich mit seinem Brudersohn (Neffen) Johann Baptist Graf Ferrari in die tirolische Adelsmatrikel aufgenommen worden, so daß die männlichen Familienmitglieder die Titel „Gerichtsherr von Imst und Taufers, Herr und Landmann von Tirol" führen durften. Aus allen seinen Besitzungen in Piemont und Tirol errichtete er letztwillig 1687 ein Familiendynastie mit Primogenitur, um das Ansehen und den Glanz der Familie zu erhalten. Hieronymus Bernhard starb zu Innsbruck am 3. Jänner 1691, fast 90 Jahre alt, seine Frau ein Jahr später am 15. Jänner 1692 im 80. Lebensjahre. Beide wurden in der von ihm gewählten Familiengrabstätte in der Stiftskirche der Prämonstratenser zu Wilten begraben. Für fein und seiner Familie Seelenheil machte er außerdem noch große fromme Stiftungen. Der alte Graf hatte allen Grund, seinen Neffen Ioh. Bapt. Ferrari Graf v. Occhieppo (geboren noch in Biella um 1650), vom Erbe des Fideikommisses auszuschließen; denn nicht nur daß dieser unwirtschaftlich war, sondern sein heißes, italienisches Blut verführte ihn immer wieder zu Ausschreitungen und Verletzungen von Recht und Sitte, zu einem Lebenswandel, der unvereinbar war mit seinem Stande und hohem Berufe, war er doch kaiserlicher Kämmerer und o. ö. Regimentsrat. Schon als junger Student überfiel er in einer Nacht des Monates April 1676 mit seinen nach welscher Art vermummten Kumpanen die ebenfalls an der Universität Innsbruck studierenden Brüder Ferdinand und Alexander Grafen von Arco, wobei letzterem außer einer Gesichtsverletzung durch eine Pistolenkugel ein Glied des rechten Daumes abgeschossen worden war 3 . Da er seine durch eine un glückselige Naturanlage und ein hitziges Temperament bedingte Lebensführung nicht aufgab und ein unstetes Wanderleben noch führte, wurde er auf Befehl des Kaisers 1695 zuerst auf dem Schlosse Rattenberg, dann auf der Festung Kufstein Jahre hin durch in„Arrest" gesetzt. Als der bayerisch-französische Einfall im Juni 1703 drohte, wurde er zunächst von Kufstein nach Innsbruck gebracht und sollte dann im Herbste zur Wiederherstellung seiner gebrochenen Gesundheit unter Aufsicht nach Meran über führt werden. Aus der Reise dorthin entwich er in der Nächtigungsstation Brixen nach Italien. Von da ab ist jede Spur von ihm und seiner Familie in Tirol verschwunden mit Ausnahme von zweien seiner Söhne, die nacheinander zur Fideikommißerb folge berufen wurden. 2. Johann Baptist Graf Ferrari war zweimal verheiratet. Seine erste Frau war eine Nichte der Gemahlin seines Oheims Hieronymus Bernhard, namens Anna Adelheid Ferrero Marchesa della Marmora, die nach der Geburt eines Söhnchens bald daraus starb. Diesen Großneffen Karl Josef Graf Ferrari (geboren 1681, gestorben 1705) setzte nun der alte Graf in seinem Testamente vom Jahre 1687 zum Universalerben in das Fideikommiß ein, während er seinen Neffen, den oft erwähnten Ioh. Baptist, also den Vater des Karl Josef, nur mit einem Jahreslegat von 1500 Gulden bedachte. 3. Die zweite Gemahlin, eine geborene Maria Katharina Gräfin v. Kuenburg aus Graz, erkor sich Ioh. Baptist Graf Ferrari auf etwas eigentümliche und ungewöhnliche Weise. Er entführte sie, die am Hofe des Herzogs Karl o. Lothringen zu Innsbruck Hoffräulein war, kurzer Hand in einer schönen Sommernacht des August 1682 in die Schweiz. Natürlich wurde der Herr kaiserliche, oberösterr. Regimentsrat ob dieses Frevels seiner Stellung entsetzt, aber auf Verwendung des Fürsterzbischofs von Salzburg, Max Gandolf Graf v. Kuenburg, eines nahen Verwandten der Entführten, vom Kaiser wieder in Gnaden aus genommen. Dieses Ehepaar wurden nun die Stammeltern dertirolischenGrafenv. Ferrari. Ihrer Ehe entspros sen in den Jahren 1683 bis 1692 sieben Kinder, von denen Leo pold Ignaz Graf Ferrari (geboren 1687, gestorben 1764), feinem ohne männliche Nachkommen verstorbenen Stiefbruder Karl Josef (aus der ersten Ehe seines Paters) 1705 als nächst berufener Fideikommißerbe folgte. Aber über ihm schwebte wie über seinem Vater, von dem er das heißblütige Naturell geerbt hatte, gleichfalls ein Unstern. Seine Verschwendungssucht hielt er doch oft bis zu 10 Bedienstete zerrüttete seine Hauswirtschaft. Fortwährend steht er im Kampfe mit den kirchlichen und weltlichen Obrigkeiten. Man versucht ihn mit den verschiedensten Zwangsmitteln zur Einkehr zu bewegen. So wird eine ihm auferlegte Kirchenstrafe von 200 Gulden zur Anschaffung einer Orgel in Ahrn (Tauferertal) be timmt. Ein anderes Mal vergleicht er sich mit der Regierung zur„Wiederherstellung seiner Ehre" auf eine Geldstrafe von 4500 Gulden, die bei der Erbauung eines Zucht- und Strafhauses in Innsbruck (heute Einquartierungs-Turnusvereinshaus, Inn straße 2) verwendet wurde. Bußübungen„zur Rettung seines Seelenheiles" in den Kapuzinerklöstern zu Münster in der Schweiz und Innsbruck wechseln mit Hausarrest ab. Er entflieht auch öfters ins Ausland. Endlich wird der immer wieder Rückfällige wie fein Vater auf dem Schlosse Rattenberg „verarrestiert", bis ihm schließlich das Städtchen Hall als Zwangsaufenthalt angewiesen wird. Die letzten Lebensjahre verbrachte der alternde Graf, der ebenfalls kaiserlicher Kämmerer und o. ö. Regiments rat war, in beschaulicher Weise in seinem Palais zu Dreiheiligen.
4. Graf Leopold Ignaz war zweimal vermählt. Die erste Ehe Mit Maria Franziska Gräfin Truchseß v. Waldburg-Zeil (gestorben 1730) blieb kinderlos. Die zweite Gemahlin, eine geborene Sidonia Wenzl v. Ragen und Kirchegg* schenkte ihm vier Kinder, von denen Josef Graf Ferrari (geboren in Hall 1735, gestorben 1794) Fideikommißerbe wurde. Er war k. k. Kämmerer und der letzte o. ö. Regimentsrat in dieser Familie. 5. Nur Josefs erste Ehe mit Maria Iofepha Gräfin v. Wolkenstein-Trostburg war mit vier Kindern gesegnet. Von ihnen ward Johann von Gott Graf Ferrari (geb. 1764, gestorben 1834), k. k. Kämmerer, der letzte Inhaber der Fideikommiß- und Lehensgüter in ihrem alten Umfange, die von den bei den letzten Besitzern wieder gut bewirtschaftet wurden. Die napoleonischen Umwälzungen brachten aber den wirtschaftlichen Zusammenbruch. Infolge der Eroberungen Napoleons in Oberitalien gingen 1805 die dortigen Besitzungen verloren. Während der baye rischen Regierung (1806—1813) wurde ein Teil des tirolischen Fideikommiß- und Lehenbesitzes in freies Eigentum verwandelt und dann nach und nach veräußert. Die Patrimonialgerichte Imst und Täufers wurden vom Staate übernommen. Graf Johann von Gott war ebenfalls zweimal verheiratet. Die Tochter Katharina aus der zweiten Ehe (1810) mit Msria Anna Freiin v. Zech zu Deybach und Sulz war die Gattin Ferdinands Freiherrn Fenner von und zum Fennberg
5 . Die erste Frau, Kreszenzia Gräfin v. Sarnthein, hatte ihrem Gatten acht Kinder geboren. Sein ältester Sohn Josef (gestorben 1869) war k. k. Tabak und Stempelverschleiß-Magazinsverwalter. Das Magazin befand sich in seinem Palais in Dreiheiligen. Diese Linie ist mit dessen gleichnamigen Enkel Josef 1918 ausgestorben. Johannes v. Gott zweiter Sahn Friedrich (gestorben 1872) war Zollamtskontrollor in Vorarlberg. Seine Nachkommen leben in Südtirol, Ungarn und Deutschem Reich. Ignaz (gestorben 1858) der dritte Sohn Johanns von Gott, war Finanzbezirks-Direktionsassistent. Seine Tochter 4 Ein altes, jetzt ausgestorbenes Pustertaler Geschlecht, dessen jüngere Linie in den heutigen Freiherren v. Sternbach zu Stock und Luttach noch fortlebt. 5 Dieser, ein Sohn des berühmten Tiroler Freiheitskämpfers, späteren Feldmarschalleutnants und Maria-Therefien-Ritters Phi lipp Freiherr v. Fenner, schloß sich der revolutionären Bewegung der Jahre 1848 und 1849 an, mußte nach Amerika flüchten, wurde aber später amnestiert. Seine Tochter Ada, eine im hohen Alter stehende, aber noch geistreiche und geistesfrische Frau von Energie, ist die heutige Oberin des gräfl. Wolkenfteinischen adeligen Damenstiftes in Innsbruck. Rosa war mit dem Universitätsprofessor und berühmten öster reichischen Geschichtsforscher Dr. Alfons Huber vermählt. Die übrigen Nachkommen dieser Linie leben in Innsbruck und Steiermark.
 
 
Eine Republik entsteht

Kaum eine Epoche ist schwerer zu fassen als die Zwischenkriegszeit. Die Roaring Twenties, Jazz und Automobile kommen einem ebenso in den Sinn wie Inflation und Wirtschaftskrise. In Großstädten wie Berlin gebärdeten sich junge Damen als Flappers mit Bubikopf, Zigarette und kurzen Röcken zu den neuen Klängen lasziv, Innsbrucks Bevölkerung gehörte als Teil der jungen Republik Österreich zum größten Teil zur Fraktion Armut, Wirtschaftskrise und politischer Polarisierung.

Die Republik Deutschösterreich war zwar ausgerufen, wie es in Österreich weitergehen sollte, war unklar. Das neue Österreich erschien zu klein und nicht lebensfähig. Monarchie und Adel wurden verboten. Der Beamtenstaat des k.u.k. Reiches setzte sich nahtlos unter neuer Fahne und Namen durch. Die Bundesländer als Nachfolger der alten Kronländer erhielten in der Verfassung im Rahmen des Föderalismus viel Spielraum in Gesetzgebung und Verwaltung. Die Begeisterung für den neuen Staat hielt sich aber in der Bevölkerung in Grenzen. Nicht nur, dass die Versorgungslage nach dem Wegfall des allergrößten Teils des ehemaligen Riesenreiches der Habsburger miserabel war, die Menschen misstrauten dem Grundgedanken der Republik. Die Monarchie war nicht perfekt gewesen, mit dem Gedanken von Demokratie konnten aber nur die allerwenigsten etwas anfangen. Anstatt Untertan des Kaisers war man nun zwar Bürger, allerdings nur Bürger eines Zwergstaates mit überdimensionierter und in den Bundesländern wenig geliebter Hauptstadt anstatt eines großen Reiches. In den ehemaligen Kronländern, die zum großen Teil christlich-sozial regiert wurden, sprach man gerne vom Wiener Wasserkopf, der sich mit den Erträgen der fleißigen Landbevölkerung durchfüttern ließ.

Auch andere Bundesländer spielten mit dem Gedanken, sich von der Republik abzukoppeln, nachdem der von allen Parteien unterstützte Plan sich Deutschland anzuschließen von den Siegermächten des Ersten Weltkriegs untersagt worden war. Die Tiroler Pläne allerdings waren besonders spektakulär. Von einem neutralen Alpenstaat mit anderen Bundesländern, einem Freistaat bestehend aus Tirol und Bayern oder von Kufstein bis Salurn, einem Anschluss an die Schweiz bis hin zu einem katholischen Kirchenstaat unter päpstlicher Führung gab es viele Überlegungen. Besonders populär war die naheliegendste Lösung. In Tirol war es nicht neu, sich als Deutscher zu fühlen. Warum sich also nicht auch politisch an den großen Bruder im Norden anhängen? Besonders unter städtischen Eliten und Studenten war dieser Wunsch sehr ausgeprägt. Der Anschluss an Deutschland erhielt in Tirol bei einer Abstimmung in Tirol einen Zuspruch von 98%, kam aber nie zustande.

Anstatt ein Teil Deutschlands zu werden, unterstand man den ungeliebten Wallschen. Knapp zwei Jahre lang besetzten italienische Truppen nach Kriegsende Innsbruck. Bei den Friedensverhandlungen in Paris war wurde der Brenner zur neuen Grenze erklärt. Das historische Tirol war zweigeteilt. Am Brenner stand Militär, um eine Grenze zu sichern, die es vorher nie gab und als unnatürlich und ungerecht empfunden wurde. 1924 beschloss der Innsbrucker Gemeinderat, Plätze und Straßen rund um den Hauptbahnhof nach Südtiroler Städten zu benennen. Der Bozner Platz sowie die Brixner- und die Salurnerstraße tragen ihre Namen bis heute. Viele Menschen zu beiden Seiten des Brenners fühlten sich verraten. Man hatte den Krieg zwar bei Weitem nicht gewonnen, als Verlierer gegenüber Italien sah man sich aber nicht. Der Hass auf Italiener erreichte in der Zwischenkriegszeit seinen Höhepunkt, auch wenn die Besatzungstruppen sich betont milde gab. Eine Passage aus dem Erzählband „Die Front über den Gipfeln“ des nationalsozialistischen Autors Karl Springenschmid aus den 1930ern spiegelt die allgemeine Stimmung wider:

„`Walsch (Anm.:Italienisch) werden, das wär das Ärgste!` sagt die Junge.

Da nickt der alte Tappeiner bloß und schimpft: `Weiß wohl selber und wir wissen es alle: Walsch werden, das wär das Ärgste.“

Ungemach drohte auch in der Innenpolitik. Die Revolution in Russland und der darauffolgende Bürgerkrieg mit Millionen von Todesopfern, Enteignung und kompletter Systemumkehr warf ihren langen Schatten bis nach Österreich. Die Aussicht auf sowjetische Zustände machte den Menschen Angst. Österreich war tief gespalten. Hauptstadt und Bundesländer, Stadt und Land, Bürger, Arbeiter und Bauern – im Vakuum der ersten Nachkriegsjahre wollte jede Gruppe die Zukunft nach ihren Vorstellungen gestalten. Die Kluft bestand nicht nur auf politischer Ebene. Moral, Familie, Freizeitgestaltung, Erziehung, Glaube, Rechtsverständnis – jeder Lebensbereich war betroffen. Wer sollte regieren? Wie sollten Vermögen, Rechte und Pflichten verteilt werden. Ein kommunistischer Umsturz war besonders in Tirol keine reale Gefahr, ließ sich aber medial gut als Bedrohung instrumentalisieren, um die Sozialdemokratie in Verruf zu bringen. 1919 hatte sich in Innsbruck zwar ein Arbeiter-, Bauer- und Soldatenrat nach sowjetischem Vorbild ausgerufen, sein Einfluss blieb aber gering und wurde von keiner Partei unterstützt. Die ab 1920 offiziell gebildeten Soldatenräte waren christlich-sozial dominiert. Das bäuerliche und bürgerliche Lager rechts der Mitte militarisierte sich in Folge mit der Tiroler Heimatwehr professioneller und in größerer Zahl als linke Gruppen. Die Sozialdemokratie wurde von den Kirchkanzeln herab und in konservativen Medien trotzdem als Judenpartei und heimatlose Vaterlandsverräter bezeichnet. Allzu gerne gab man ihnen die Schuld am verlorenen Krieg und den Folgen gab. Der Tiroler Anzeiger brachte die Volksängste auf den Punkt: “Wehe dem christlichen Volke, wenn bei den Wahlen die Juden=Sozi siegen!“.

Während in den ländlichen Bezirken die Tiroler Volkspartei als Zusammenschluss aus Bauernbund, Volksverein und Katholischer Arbeiterschaft dominierte, konnte die Sozialdemokratie unter der Führung von Martin Rapoldi trotz des starken Gegenwindes in Innsbruck bei den ersten Wahlen 1919 stets zwischen 30 und 50% der Stimmen erringen. Dass es mit dem Bürgermeistersessel für die Genossen nicht klappte, lag an den Mehrheiten im Gemeinderat durch Bündnisse der anderen Parteien. Liberale und Tiroler Volkspartei stand der Sozialdemokratie gegenüber mindestens so ablehnend gegenüber wie der Bundeshauptstadt Wien und den italienischen Besatzern.

Die hohe Politik war aber nur der Rahmen des eigentlichen Elends. Die als Spanische Grippe in die Geschichte eingegangene Epidemie forderte in den Jahren nach dem Krieg auch in Innsbruck ihren Tribut. Genaue Zahlen wurden nicht erfasst, weltweit schätzt man die Zahl der Todesopfer auf 27 – 50 Millionen. Viele Innsbrucker waren von den Schlachtfeldern nicht nach Hause zurückgekehrt und fehlten als Väter, Ehemänner und Arbeitskräfte. Viele von denen, die es zurückgeschafft hatten, waren verwundet und von den Kriegsgräueln gezeichnet. Noch im Februar 1920 veranstaltete der „Tiroler Ausschuss der Sibirier“ im Gasthof Breinößl „…zu Gunsten des Fondes zur Heimbeförderung unserer Kriegsgefangenen…“ einen Benefizabend. Noch lange nach dem Krieg bedurfte das Land Tirol Hilfe von auswärts, um die Bevölkerung zu ernähren. Unter der Überschrift „Erhebliche Ausdehnung der amerikanischen Kinderhilfsaktion in Tirol“ stand am 9. April 1921 in den Innsbrucker Nachrichten zu lesen: „Den Bedürfnissen des Landes Tirol Rechnung tragend, haben die amerikanischen Vertreter für Oesterreich in hochherzigster Weise die tägliche Mahlzeitenanzahl auf 18.000 Portionen erhöht.“

Dazu kam die Arbeitslosigkeit. Vor allem Beamte und Mitarbeiter im öffentlichen Dienst, hatten ihre Arbeit verloren, nachdem der Völkerbund seine Anleihe an herbe Sparmaßnahmen geknüpft hatte. Der Tourismus als Wirtschaftsfaktor war ob der Probleme in den umliegenden, vom Krieg ebenfalls gebeutelten Ländern inexistent. Viele Menschen verloren ihre Bleibe. 1922 waren in Innsbruck 3000 Familien auf Wohnungssuche trotz eines städtischen Notwohnungsprogrammes, das bereits mehrere Jahre in Kraft war. In alle verfügbaren Objekte wurden Wohnungen gebaut. Am 11. Februar 1921 fand sich in einer langen Liste in den Innsbrucker Nachrichten über die einzelnen Projekte, die betrieben wurden unter anderem dieser Posten:

Das städtische Krankenhaus hat die Seuchenbaracke in Pradl aufgelassen und der Stadtgemeinde zur Herstellung von Notwohnungen zur Verfügung gestellt. Zur Errichtung von 7 Notwohnungen wurde der erforderliche Kredit von 295 K (Anm.: Kronen) bewilligt.

In den ersten Jahren passierte nur sehr wenig. Erst mit der Währungssanierung und der Einführung des Schillings 1925 als neuer Währung unter Kanzler Ignaz Seipel begann Innsbruck sich zumindest oberflächlich zu erholen und konnte die Modernisierung der Stadt einleiten. Es trat das ein, was Wirtschaftswissenschaftler eine Scheinblüte nennen. Diese Bubble bescherte der Stadt Innsbruck große Projekte wie das Tivoli, das Städtische Hallenbad, die Höhenstraße auf die Hungerburg, die Bergbahnen auf den Berg Isel und die Nordkette, neue Schulen und Wohnblöcke. Die Stadt kaufte den Achensee und errichtete als Hauptaktionär der TIWAG das Kraftwerk in Jenbach. Die Handschrift der neuen, großen Massenparteien in der Gestaltung dieser Projekte ist dabei nicht zu übersehen.

Die erste Republik war eine schwere Geburt aus den Überbleibseln der einstigen Monarchie und sie sollte nicht lange halten. Trotz der Nachkriegsprobleme passierte in der Ersten Republik aber auch viel Positives. Aus Untertanen wurden Bürger. Was in der Zeit Maria Theresias begann, wurde nun unter neuen Vorzeichen weitergeführt. Der Wechsel vom Untertanen zum Bürger zeichnete sich nicht nur durch ein neues Wahlrecht, sondern vor allem durch die verstärkte Obsorge des Staates aus. Staatliche Regelungen, Schulen, Kindergärten, Arbeitsämter, Krankenhäuser und städtische Wohnanlagen traten an die Stelle des Wohlwollens des Grundherren, Landesfürsten, wohlhabender Bürger, der Monarchie und der Kirche.

Bis heute basiert vieles im österreichischen Staatswesen sowie im Innsbrucker Stadtbild und der Infrastruktur auf dem, was nach dem Zusammenbruch der Monarchie entstanden war. In Innsbruck gibt es keine bewussten Erinnerungsorte an die Entstehung der Ersten Republik in Österreich. Die denkmalgeschützten Wohnanlagen wie der Schlachthofblock, der Pembaurblock oder der Mandelsbergerblock oder die Pembaurschule sind Stein gewordene Zeitzeugen.

Der Deutsche Orden & Maximilian III.

Maximilian der Deutschmeister (1558 – 1618) trat seinen Posten als Gubernator von Tirol und Vorderösterreich offiziell 1602 an. Anders als seine Vorgänger war er Verwalter des Landes, und nicht dessen Eigentümer. Das spiegelte sich in seinem Auftreten wider. Er war ein frommer und tiefgläubiger Mensch, der die christliche Nächstenliebe auf eigenartige Weise mit dem politischen Amt des Regenten unter einen Hut bringen musste. Er zog sich regelmäßig für lange Perioden in die Abgeschiedenheit seiner Studierstube ins 1594 gestifteten Kapuzinerkloster zurück, um dort unter bescheidensten Verhältnissen und enthaltsam zu leben. Er veranstaltete keine rauschenden Feste. Der aufgeblähte Hofstaat Ferdinands wurde fast um die Hälfte geschrumpft. Unter ihm zogen in Innsbruck strenge Sitten ein. Erzählungen nach soll Kindern das Spielen auf der Straße verboten worden sein. Als eifriger Vertreter der Gegenreformation war ihm die Durchsetzung des katholischen Glaubens ein besonderes Anliegen. Anders als seine Vorgänger wollte er das durch Sittenstrenge anstatt mit protzigen Bauprojekten erreichen. Er beschränkte sich auf die Vollendung bereits begonnener Gotteshäuser wie der Servitenkirche oder der Jesuitenkirche. Auch der Innsbrucker Stadtteil St. Nikolaus erhielt einen eigenen Pfarrer, der über das Seelenheil der weniger begüterten Untertanen wachte. Maximilian veranstaltete keine prunkvollen Konzerte in Theatern, sondern förderte gemeinsam mit der Witwe seines Vorgängers, Anna Katharina Gonzaga, den kirchlichen Gesang. Weihnachtskrippen und Ostergräber begannen sich als Ausdruck des Volksglaubens zu etablieren. Ob es sein Vorbild als frommer Landesfürst, seine maßvolle und umsichtige Glaubenspolitik oder gegenreformatorische Unterdrückung war, das protestantische Gedankengut starb im Heiligen Land Tirol unter Maximilians Regentschaft einen stillen Tod während es in vielen deutschen Fürstentümern weiterhin brodelte.

Seine Frömmigkeit schloss wissenschaftliches Interesse und daraus abgeleitete praktische Maßnahmen zum Wohl der Stadt aber nicht aus. Das 17. Jahrhundert war die Zeit, in der sich aufgeschlossene Aristokraten an Alchemisten wandten, um die Staatskassen aufzufüllen und sich von Wissenschaftlern wie Johannes Keppler Horoskope legen ließen, während sie gegen das „Ketzertum“ der Protestanten gewaltsam zu Felde zogen. Der Jesuit, Physiker und Astronom Christoph Scheiner, einer der Entdecker der Sonnenflecken neben Galileo Galilei, war drei Jahre lang am Innsbrucker Hof Maximilians und erforschte am Inn die Funktion des menschlichen Auges. Maximilian ließ sich von ihm ein Fernrohr einrichten und stellte gemeinsam mit Scheiner astronomische Forschungen an. Auch Bildungsinstitute profitierten von ihm. Die Jesuiten erweiterten unter seiner Regentschaft ihren Bildungsauftrag durch ein Studium der Theologie und Dialektik, was einen ersten Schritt Richtung Universität darstellte.

Die beginnende Aufklärung war aber keine reine Angelegenheit der landesfürstlichen Studierstube, sondern schlug sich auch im Alltag der Bürger Innsbrucks nieder. Das städtische Feuerlöschwesen und die Hygiene der Ritschen, die als Kanalisation und Wasserquelle innerhalb der Stadtmauern dienten, wurden unter Maximilian nach neuesten Erkenntnissen der Zeit verbessert. Besonders die zweite Maßnahme sollte die Stadt zukünftig vor einer Wiederholung der großen Katastrophe unter Maximilians Ägide bewahren. Während seiner Regierungszeit hatte er mit dem Ausbruch einer Pestepidemie zu kämpfen. Die Dreiheiligenkirche in der Kohlstatt, dem Arbeiterviertel der Frühen Neuzeit beim Zeughaus, entstand unter seiner Patronanz, um neben dem Schutz durch bessere Hygiene auch himmlische Patronanz sicherzustellen.

Im Jahr Maximilians Ablebens 1618 begann in Europa die Zeit des Dreißigjährigen Krieges. So langweilig seine fromme und friedliche Regierungszeit ohne Protz und Drama heute erscheint, waren die Jahre des Friedens für seine Zeitgenossen wohl ein Segen. Der sittenstrenge Habsburger nahm zwischen den Exzentrikern Ferdinand II. und Leopold V. den undankbaren Mittelstuhl ein und konnte sich kaum ins Gedächtnis der Stadt einprägen. Neben der Dreiheiligenkirche ist seine letzte Ruhestätte seine auffälligste Hinterlassenschaft. Maximiliens Grab im Innsbrucker Dom zählt zu den sehenswertesten Gräbern der Barockzeit.

Es erzählt auch die interessante Geschichte des Deutschen Ordens. Maximilian war nicht nur Gubernator von Tirol und Vorderösterreich, sondern auch Erzherzog von Österreich, Administrator von Preußen und Hochmeister des Deutschen Ordens. Neben ihm begraben liegt auch ein anderer Hochmeister des Deutschen Ordens aus dem Haus Habsburg mit Bezug zu Innsbruck. Erzherzog Eugen war der oberste Befehlshaber der österreichisch-ungarischen Armee an der Italienfront im Ersten Weltkrieg. Der Deutsche Orden zeigt die theologische Denkweise und die Verbundenheit von frommem Glauben und weltlicher Macht der Frühen Neuzeit anschaulich. Ergebene Frömmigkeit und Gottesfurcht traf in der Zeit bis 1500 häufig auf die Ausübung von weltlicher Macht.

Der Orden wurde als Ritterorden um 1120 im Rahmen der Kreuzzüge in Jerusalem gegründet. Kirche und Rittertum vereinten sich, um Pilgern den Besuch der Heiligen Städten, vor allem der Grabeskirche, gefahrlos zu ermöglichen. Nach der Vertreibung aus Palästina engagierten sich die Ritter des Deutschen Ordens auf Seiten christlicher Magyaren in Siebenbürgen im heutigen Rumänien gegen heidnische Stämme. Im 13. Jahrhundert konnte der Orden unter Hermann von Salza im Baltikum im Kampf gegen die heidnischen Prußen viel Land gewinnen und den Deutschordensstaat errichten. Diese Bruderschaft trat als eine Art Staatlichkeit auf, die sich ähnlich den religiösen Fundamentalisten heute, auf Gott berief und dessen Ordnung auch auf Erden herstellen wollte. Es waren die Ideale wie christliche Nächstenliebe und der Schutz der Armen und Hilflosen, die auch den Deutschen Orden in seinem Kern antrieben. Damit passte er ideal zum Herrscherhaus Habsburg. Nach dem Niedergang des Ordens im 15. Jahrhundert in Nordosteuropa behielt der Orden durch geschickte Verbindung zum Adel und zum Militär vor allem im Habsburgerreich noch Besitzungen und Macht.

Die Baumeister Gumpp und die Barockisierung Innsbrucks

Die Werke der Familie Gumpp bestimmen bis heute sehr stark das Aussehen Innsbrucks. Vor allem die barocken Teile der Stadt sind auf sie zurückzuführen. Der Begründer der Dynastie in Tirol, Christoph Gumpp (1600-1672) war eigentlich Tischler. Sein Talent allerdings hatte ihn für höhere Weihen auserkoren. Den Beruf des Architekten oder Künstler gab es zu dieser Zeit noch nicht, selbst Michelangelo und Leonardo da Vinci galten als Handwerker. Der gebürtige Schwabe Gumpp trat nach seiner Mitarbeit an der Dreifaltigkeitskirche in die Fußstapfen der italienischen Baumeister, die unter Ferdinand II den Ton angegeben hatten. Auf Geheiß Leopolds V. reiste Gumpp nach Italien, um dort Theaterbauten zu studieren und bei den zeitgenössisch stilbildenden Kollegen sein Know-How für das geplante landesfürstliche Comedihaus aufzupolieren.

Seine offizielle Tätigkeit als Hofbaumeister begann 1633. Neue Zeiten bedurften eines neuen Designs, abseits des architektonisch von der Gotik geprägten Mittelalters und den Schrecken des Dreißigjährigen Krieges. Über die folgenden Jahrzehnte wurde Innsbruck unter der Regentschaft Claudia de Medicis einer kompletten Renovierung unterzogen. Gumpp vererbte seinen Titel an die nächsten beiden Generationen innerhalb der Familie weiter. Die Gumpps traten nicht nur als Baumeister in Erscheinung. Sie waren Tischler, Maler, Kupferstecher und Architekten, was ihnen erlaubte, ähnlich der Bewegung der Tiroler Moderne rund um Franz Baumann und Clemens Holzmeister Anfang des 20. Jahrhunderts, Projekte ganzheitlich umzusetzen. Auch bei der Errichtung der Schanzwerke zur Landesverteidigung während des Dreißigjährigen Krieges waren sie als Planer beteiligt.

Christoph Gumpps Meisterstück aber war die Errichtung des Comedihaus im ehemaligen Ballhaus. Die überdimensionierten Maße des damals richtungsweisenden Theaters, das in Europa zu den ersten seiner Art überhaupt gehörte, erlaubte nicht nur die Aufführung von Theaterstücken, sondern auch Wasserspiele mit echten Schiffen und aufwändige Pferdeballettaufführungen. Das Comedihaus war ein Gesamtkunstwerk an und für sich, das in seiner damaligen Bedeutung wohl mit dem Festspielhaus in Bayreuth des 19. Jahrhunderts oder der Elbphilharmonie heute verglichen werden muss.

Seine Nachfahren Johann Martin Gumpp der Ältere, Georg Anton Gumpp und Johann Martin Gumpp der Jüngere waren für viele der bis heute prägendsten Gebäude im Stadtbild zuständig. So stammen die Wiltener Stiftskirche, die Mariahilfkirche, die Johanneskirche und die Spitalskirche von den Gumpps. Neben dem Entwurf von Kirchen und ihrer Arbeit als Hofbaumeister machten sie sich auch als Planer von Profanbauten einen Namen. Viele der Bürgerhäuser und Stadtpaläste Innsbrucks wie das Taxispalais oder das Alte Landhaus in der Maria-Theresien-Straße wurden von Ihnen entworfen. Mit dem Verlust des Status als Residenzstadt gingen die prunkvollen Großaufträge zurück und damit auch der Ruhm der Familie Gumpp. Ihr ehemaliges Wohnhaus beherbergt heute die Konditorei Munding in der Altstadt. Im Stadtteil Pradl erinnert die Gumppstraße an die Innsbrucker Baumeisterdynastie.

Wilhelm Greil: DER Bürgermeister Innsbrucks

Einer der wichtigsten Akteure der Stadtgeschichte war Wilhelm Greil (1850 – 1923). Von 1896 bis 1923 bekleidete der Unternehmer das Amt des Bürgermeisters, nachdem er vorher bereits als Vizebürgermeister die Geschicke der Stadt mitgestaltet hatte. Es war die Zeit des Wachstums, der Eingemeindung ganzer Stadtviertel, technischer Innovationen und neuer Medien. Die vier Jahrzehnte zwischen der Wirtschaftskrise 1873 und dem Ersten Weltkrieg von einem nie dagewesenen Wirtschaftswachstum und einer rasenden Modernisierung gekennzeichnet. Private Investitionen in Infrastruktur wie Eisenbahn, Energie und Strom waren vom Staat gewünscht und wurden steuerlich begünstigt, um die Länder und Städte der kränkelnden Donaumonarchie in die Moderne zu führen. Die Wirtschaft der Stadt boomte. Betriebe in den neuen Stadtteilen Pradl und Wilten entstanden und lockten Arbeitskräfte an. Auch der Tourismus brachte frisches Kapital in die Stadt. Die Ansammlung an Menschen auf engstem Raum unter teils prekären Hygieneverhältnissen brachte gleichzeitig aber auch Probleme mit sich. Besonders die Randbezirke der Stadt und die umliegenden Dörfer wurden regelmäßig von Typhus heimgesucht.

Die Innsbrucker Stadtpolitik, in der Greil sich bewegte, war vom Kampf liberaler und konservativer Kräfte geprägt. Greil gehörte der "Deutschen Volkspartei" an, einer liberalen und national-großdeutschen Partei. Was heute als Widerspruch erscheint, liberal und national, war im 19. Jahrhundert ein politisch übliches und gut funktionierendes Gedankenpaar. Der Pangermanismus war keine politische Besonderheit einer rechtsradikalen Minderheit, sondern besonders in deutschsprachigen Städten des Reiches eine Strömung der Mitte, die bis nach dem Zweiten Weltkrieg durch fast alle Parteien hindurch in unterschiedlicher Ausprägung Bedeutung hatte. Innsbrucker, die auf sich hielten, bezeichneten sich nicht als Österreicher, sondern als Deutsche. Wer Ausgaben der liberalen Innsbrucker Nachrichten der Zeit rund um die Jahrhundertwende unter die Lupe nimmt, findet unzählige Artikel, in denen das Gemeinsame zwischen dem Deutschen Reich und den deutschsprachigen Ländern zum Thema des Tages gemacht wurde, während man sich von anderen Volksgruppen innerhalb des multinationalen Habsburgerreiches distanzierte. Greil war ein geschickter Politiker, der sich innerhalb der vorgegebenen Machtstrukturen seiner Zeit bewegte. Er wusste sich um die traditionellen Kräfte, die Monarchie und den Klerus geschickt zu manövrieren und sich mit ihnen zu arrangieren.

Steuern, Gesellschaftspolitik, Bildungswesen, Wohnbau und die Gestaltung des öffentlichen Raumes wurden mit Leidenschaft und Eifer diskutiert. Bedingt durch eine Wahlordnung, die auf das Stimmrecht über Vermögensklassen aufgebaut war, konnten nur etwa 10% der gesamten Innsbrucker Bevölkerung zur Wahlurne schreiten. Frauen waren prinzipiell ausgeschlossen. Dabei galt das relative Wahlrecht innerhalb der drei Wahlkörper, was so viel heißt wie: The winner takes it all. Massenparteien wie die Sozialdemokraten konnten sich bis zur Wahlrechtsreform der Ersten Republik nicht durchsetzen. Konservative hatten es in Innsbruck auf Grund der Bevölkerungszusammensetzung, besonders bis zur Eingemeindung von Wilten und Pradl, ebenfalls schwer. Bürgermeister Greil konnte auf 100% Rückhalt im Gemeinderat bauen, was die Entscheidungsfindung und Lenkung natürlich erheblich vereinfachte. Bei aller Effizienz, die Innsbrucker Bürgermeister bei oberflächlicher Betrachtung an den Tag legten, sollte man nicht vergessen, dass das nur möglich war, weil sie als Teil einer Elite aus Unternehmern, Handelstreibenden und Freiberuflern ohne nennenswerte Opposition und Rücksichtnahme auf andere Bevölkerungsgruppen wie Arbeitern, Handwerkern und Angestellten in einer Art gewählten Diktatur durchregierten. Das Reichsgemeindegesetz von 1862 verlieh Städten wie Innsbruck und damit den Bürgermeistern größere Befugnisse. Es verwundert kaum, dass die Amtskette, die Greil zu seinem 60. Geburtstag von seinen Kollegen im Gemeinderat verliehen bekam, den Ordensketten des alten Adels erstaunlich ähnelte.

Unter Greils Ägide und dem allgemeinen wirtschaftlichen Aufschwung, angeheizt von privaten Investitionen, erweiterte sich Innsbruck im Eiltempo. Der Gemeinderat kaufte ganz im Stil eines Kaufmanns vorausschauend Grund an, um der Stadt Neuerungen zu ermöglichen. Der Politiker Greil konnte sich bei den großen Bauprojekten der Zeit auf die Beamten und Stadtplaner Eduard Klingler, Jakob Albert und Theodor Prachensky stützen. Infrastrukturprojekte wie das neue Rathaus in der Maria-Theresienstraße 1897, die Eröffnung der Mittelgebirgsbahn, die Hungerburgbahn und die Karwendelbahn wurden während seiner Regierungszeit umgesetzt. Weitere gut sichtbare Meilensteine waren die Erneuerung des Marktplatzes und der Bau der Markthalle.

Neben den prestigeträchtigen Großprojekten entstanden in den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts aber viele unauffällige Revolutionen. Vieles, was in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts vorangetrieben wurde, gehört heute zum Alltag. Für die Menschen dieser Zeit waren diese Dinge aber eine echte Sensation und lebensverändernd. Bereits Greils Vorgänger Bürgermeister Heinrich Falk (1840 – 1917) hatte erheblich zur Modernisierung der Stadt und zur Besiedelung des Saggen beigetragen. Seit 1859 war die Beleuchtung der Stadt mit Gasrohrleitungen stetig vorangeschritten. Mit dem Wachstum der Stadt und der Modernisierung wurden die Senkgruben, die in Hinterhöfen der Häuser als Abort dienten und nach Entleerung an umliegende Landwirte als Dünger verkauft wurden, zu einer Unzumutbarkeit für immer mehr Menschen. 1880 wurde das Raggeln, so der Name im Volksmund für die Entleerung der Aborte, in den Verantwortungsbereich der Stadt übertragen. Zwei pneumatische Maschinen sollten den Vorgang zumindest etwas hygienischer gestalten. Zwischen 1887 und 1891 wurde Innsbruck mit einer modernen Hochdruckwasserleitung ausgestattet, über die auch Wohnungen in höher gelegenen Stockwerken mit frischem Wasser versorgt werden konnten. Wer auf sich hielt und es sich leisten konnte, hatte damit erstmals die Gelegenheit eine Spültoilette im Eigenheim zu installieren.

Greil setzte diesen Feldzug der Modernisierung fort. Nach jahrzehntelangen Diskussionen wurde 1903 mit dem Bau einer modernen Schwemmkanalisation begonnen. Ausgehend von der Innenstadt wurden immer mehr Stadtteile an diesen heute alltäglichen Luxus angeschlossen. 1908 waren nur die Koatlackler Mariahilf und St. Nikolaus nicht an das Kanalsystem angeschlossen. Auch der neue Schlachthof im Saggen erhöhte Hygiene und Sauberkeit in der Stadt. Schlecht kontrollierte Hofschlachtungen gehörten mit wenigen Ausnahmen der Vergangenheit an. Das Vieh kam im Zug am Sillspitz an und wurde in der modernen Anlage fachgerecht geschlachtet. Greil überführte auch das Gaswerk in Pradl und das Elektrizitätswerk in Mühlau in städtischen Besitz. Die Straßenbeleuchtung wurde im 20. Jahrhundert von den Gaslaternen auf elektrisches Licht umgestellt. 1888 übersiedelte das Krankenhaus von der Maria-Theresienstraße an seinen heutigen Standort.

Bürgermeister und Gemeinderat konnten sich bei dieser Innsbrucker Renaissance neben der wachsenden Wirtschaftskraft in der Vorkriegszeit auch auf Mäzen aus dem Bürgertum stützen. Waren technische Neuerungen und Infrastruktur Sache der Liberalen, verblieb die Fürsorge der Ärmsten weiterhin bei klerikal gesinnten Kräften, wenn auch nicht mehr bei der Kirche selbst. Freiherr Johann von Sieberer stiftete das Greisenasyl und das Waisenhaus im Saggen. Leonhard Lang stiftete das Gebäude, das vorher als Hotel genutzt wurde, in das das Rathaus von der Altstadt 1897 übersiedelte, gegen das Versprechen der Stadt ein Lehrlingsheim zu bauen.

Im Gegensatz zur boomenden Vorkriegsära war die Zeit nach 1914 vom Krisenmanagement geprägt. In seinen letzten Amtsjahren begleitete Greil Innsbruck am Übergang von der Habsburgermonarchie zur Republik durch Jahre, die vor allem durch Hunger, Elend, Mittelknappheit und Unsicherheit geprägt waren. Er war 68 Jahre alt, als italienische Truppen nach dem Ersten Weltkrieg die Stadt besetzten und Tirol am Brenner geteilt wurde, was für ihn als Vertreter des Deutschnationalismus besonders bitter war. 1919 konnte die Sozialdemokraten in Innsbruck zwar zum ersten Mal den Wahlsieg davontragen, dank der Mehrheiten im Gemeinderat blieb Greil aber Bürgermeister. 1928 verstarb er als Ehrenbürger der Stadt Innsbruck im Alter von 78 Jahren. Die Wilhelm-Greil-Straße war noch zu seinen Lebzeiten nach ihm benannt worden.

Die Eisenbahn als Entwicklungshelfer Innsbrucks

1830 wurde zwischen Liverpool und Manchester die erste Bahnlinie der Welt eröffnet. Nur wenige Jahrzehnte später war auch das seit geraumer Zeit etwas von den Haupthandelswegen abgelegene und wirtschaftlich rückständige Tirol mit spektakulären Bahnbauten über die Alpen hinaus mit der Welt verbunden. Waren Reisen bisher teure, lange und beschwerliche Trips in Kutschen, auf Pferden oder zu Fuß, bedeutete das immer stärker ausgebaute Bahnnetz nie zuvor dagewesenen Komfort und Geschwindigkeit.

Es war Innsbrucks Bürgermeister Joseph Valentin Maurer (1797 – 1843), der die Bedeutung der Eisenbahn als Chance für den Alpenraum begriff. 1836 trat er für den Bau einer Bahnlinie ein, um das schöne, aber schwer erreichbare Land einem möglichst breiten, zahlungskräftigen Publikum zugänglich zu machen. Der erste praktische Pionier des Eisenbahnverkehrs in Tirol war Alois von Negrelli (1799 – 1858), der auch maßgeblich Anteil am Jahrhundertprojekt Suezkanal hatte. Ende der 1830er, als die ersten Bahnlinien der Donaumonarchie im Osten des Reiches in Betrieb gingen, erstellte er ein „Gutachten über den Zug einer Eisenbahn von Innsbruck über Kufstein bis zur königl. Bairischen Grenze an der Otto-Kapelle bei Kiefersfelden“ vorgelegt. Negrelli hatte in jungen Jahren in der k.k. Baudirektion Innsbruck Dienst getan, kannte die Stadt also sehr gut. Sein Gutachten enthielt bereits Skizzen und eine Aufstellung der Kosten. Als Platz für den Hauptbahnhof hatte er die Triumphpforte und den Hofgarten ins Spiel gebracht. In einem Brief äußerte er sich über die Bahnlinie durch seine ehemalige Heimatstadt mit diesen Worten:

„…Daß es mit der Eisenbahn von Innsbruck nach Kufstein ernst wird, vernehme ich ebenfalls mit innigster Theilnahme, in dem die Laage hierzu sehr geeignet ist und die Gegen dem Inn entlang so reich an Naturprodukten und so bevölkert ist, daß ich an ihr Gedeihen gar nicht zweifeln kann, auch werde ich nicht ermangeln, wenn es an die Abnahme von Actien kommen wird, selbst und durch meine Geschäftsfreunde thätigen Antheil daran zu nehmen. Das neue Leben, welches eine solche Unternehmung in der Gegen erweckt, ahnen Sie gar nicht…“

Friedrich List, bekannt als Vater der deutschen Eisenbahn, brachte den Plan einer Bahnverbindung von den norddeutschen Hansestädten über Tirol an die italienische Adria auf den Tisch. Auf österreichischer Seite erbte Carl Ritter von Ghega (1802 – 1860) die Gesamtverantwortung über das Projekt Eisenbahn innerhalb des Riesenreiches der Habsburger vom früh verstorbenen Negrelli. 1851 bekundeten Österreich und Bayern in einem Vertrag die Absicht, eine Eisenbahnlinie in die Tiroler Landeshauptstadt zu bauen. Im Mai 1855 begann der Bau. Es war die bis dahin größte Baustelle, die Innsbruck gesehen hatte. Nicht nur der Bahnhof wurde errichtet, die Bahnviadukte hinaus aus der Stadt Richtung Nordosten mussten gebaut werden.

Am 24. November 1858 ging die Bahnlinie zwischen Innsbruck und Kufstein und weiter über Rosenheim nach München in Betrieb. Die Linie war ihrer Zeit voraus. Anders als der Rest der Eisenbahn, der erst 1860 privatisiert wurde, eröffnete die Linie bereits als Privatbahn, betrieben von der zuvor gegründeten k.k. privilegierten südlichen Staats-, Lombardisch-, Venetianisch- und Zentral-italienischen Eisenbahngesellschaft. Mit diesem Schachzug konnte der aufwändige Bahnbau aus dem ohnehin stets klammen Staatshaushalt Österreichs ausgeklammert werden. Der erste Schritt war mit dieser Öffnung in die Richtung der östlichen Teile der Monarchie, vor allem nach München getan. Waren und Reisende konnten nun schnell und komfortabel von Bayern in die Alpen und retour transportiert werden. In Südtirol rollten die ersten Züge zwischen Verona und Trient im Frühjahr 1859 über die Schienen.

Der Nord-Süd-Korridor war damit aber noch unvollendet. Erste seriöse Erwägungen zur Brennerbahn wurden 1847 angestellt. Die Auseinandersetzungen südlich des Brenners und die geschäftliche Notwendigkeit der Verbindung der beiden Landesteile riefen 1854 die Permanente Central-Befestigungs-Commission auf den Plan. Durch den Verlust der Lombardei nach dem Krieg mit Frankreich und Sardinien-Piemont 1859 verzögerte sich im politisch instabil gewordenen Norditalien das Projekt. Aus der k.k. privilegierten südlichen Staats-, Lombardisch-, Venetianisch- und Zentral-italienischen Eisenbahngesellschaft musste 1860 die k.k. privilegierte Südbahngesellschaft werden, um mit den Detailplanungen zu starten. Im Folgejahr begann das Mastermind hinter dieser herausragenden infrastrukturellen Leistung der Zeit, Ing. Carl von Etzel (1812 – 1865), das Gelände zu vermessen und konkrete Pläne für die Anlage der Schienen zu erstellen. Der Planer war von den Investoren der privaten Gesellschaft angehalten, möglichst sparsam und ohne große Viadukte und Brücken auszukommen.  Entgegen älterer Überlegungen Carl Ritter von Ghegas die Steigung hinauf auf die Passhöhe in 1370 m Seehöhe durch einen Start der Strecke in Hall abzufedern, erarbeitete Etzel den Plan, der Innsbruck miteinschloss, gemeinsam mit seinem Bauleiter Achilles Thommen und erkor die Sillschlucht als beste Route aus. Damit sparte er nicht nur sieben Kilometer Streckenlänge und viel Geld, sondern sicherte Innsbruck auch den wichtigen Status als Verkehrsknotenpunkt. Das alpine Gelände, Muren, Schneestürme und Hochwasser waren große Herausforderungen im Bau. Flussläufe mussten verlegt, Felsen gesprengt, Erdbauten gegraben und Mauern errichtet werden, um der alpinen Streckenführung Herr zu werden. Die ärgsten Probleme bereitete aber der 1866 ausgebrochene Krieg in Italien. Besonders patriotische deutschsprachige Arbeiter weigerten sich, mit dem „Feind“ zu arbeiten. 14.000 italienischsprachige Arbeiter mussten entlassen werden, bevor die Arbeiten weitergehen konnten. Trotzdem konnte die höchst gelegene reguläre Eisenbahnstrecke der W mit ihren 22 aus dem Fels gesprengten Tunneln in bemerkenswert kurzer Bauzeit fertiggestellt werden. Wie viele Männer bei der Arbeit an der Brennerbahn Gesundheit und Leben ließen, ist nicht bekannt.

Die Eröffnung ging bemerkenswert unspektakulär über die Bühne. Viele Menschen waren sich nicht sicher, ob ihnen die technische Neuerung gefällt oder nicht. Wirtschaftszweige wie das Rodfuhrwesen und die Poststationen entlang der Brennerstrecke waren dem Untergang geweiht, wie das Sterben der Flößerei nach der Eröffnung der Bahnlinie ins Unterland gezeigt hatte. Schon während der Bauarbeiten war es zu Protesten der Bauern, die ob des drohenden Imports landwirtschaftlicher Güter um ihren Gewinn fürchteten, gekommen. Auf eine Feier wurde, wie bereits zuvor der Bau der Bahnstrecke, von der Weltpolitik beeinflusst. Wegen der Hinrichtung des ehemaligen Kaisers Maximilians von Mexiko, dem Bruder Franz Josef I., vor einem revolutionären Kriegsgericht, war Österreich in Staatstrauer. Man verzichtete man auf einen großen, dem Projekt eigentlich würdigen Staatsakt. Anstelle einer priesterlichen Weihe und festlicher Taufe spendete die Südbahngesellschaft 6000 Gulden an den Armenfonds. Auch in den Innsbrucker Nachrichten findet sich kein Wort über die Revolution im Verkehrswesen, sieht man von der Meldung des letzten Eilwagens über den Brenner und der Veröffentlichung des Fahrplans der Südbahn ab.

(Der letzte Eilwagen). Gestern Abends halb 8 Uhr fuhr der letzte Eilwagen nach Südtirol von hier ab. Der älteste Postillon in Innsbruck lenkte die Rosse, sein Hut war mit Trauer umflort, und der Wagen zur letzten Fahrt mit Zweigen von Trauerweiden geschmückt. Zwei Schützen, die nach Matrei fuhren, waren die einzigen Passagiere, welche dem Eilwagen die letzte Ehre erwiesen. Schon 1797 in den letzten Tagen war es auf der schönen, sonst so belebten und nun verödeten Straße auffallend tod.

Bis zur Eröffnung der Bahnlinie über den Brenner am 24. August 1867 war Innsbruck ein Kopfbahnhof mit regionaler Bedeutung. Mit der neuen, spektakulären Brennerbahn über die Alpen waren der nördliche und südliche Landesteil sowie Deutschland und Italien verbunden. Die Alpen hatten ihren trennenden Charakter und ihren Schrecken für den Transit verloren, zumindest ein klein wenig. Das zweite Hindernis, das zur Landeseinheit überwunden werden musste, war der Arlberg. Erste Pläne einer Bahnlinie, die die Region um den Bodensee mit dem Rest der Donaumonarchie verbinden würde, gab es bereits 1847, immer wieder wurde das Projekt aber zurückgestellt. 1871 kam es wegen durch Exportverbote von Lebensmitteln auf Grund des deutsch-französischen Krieges zu einer Hungersnot in Vorarlberg, weil Nahrungsmittel nicht schnell genug vom Osten des Riesenreiches in den äußersten Westen geliefert werden konnten. Die Wirtschaftskrise von 1873 verzögerte den Bau trotzdem erneut. Erst sieben Jahre später fiel der Beschluss im Parlament, die Bahnlinie zu realisieren. Im selben Jahr begannen östlich und westlich des Arlbergmassivs die komplizierten Bauarbeiten. 38 Wildbäche und 54 Lawinengefahrstellen mussten mit 3100 Bauwerken bei prekären Wetterverhältnissen im alpinen Gelände verbaut werden. Die bemerkenswerteste Leistung war der zehn Kilometer lange Tunnel, der zwei Gleise führt.

Am 30. Juni 1883 fuhr der letzte Transport der Post mit dem Pferdewagen in feierlichem Trauerflor von Innsbruck nach Landeck. Tags darauf erledigte die Eisenbahn diesen Dienst. Mit der Eröffnung der Eisenbahn von Innsbruck nach Landeck und der endgültigen Fertigstellung der Arlbergbahn bis Bludenz 1884 inklusive dem Tunneldurchschlag durch den Arlberg war Innsbruck endgültig wieder zum Verkehrsknotenpunkt zwischen Deutschland und Italien, Frankreich, der Schweiz und Wien geworden. 1904 wurde die Stubaitalbahn, 1912 die Mittenwaldbahn eröffnet. Beide Projekte plante Josef Riehl (1842 – 1917).

Die Eisenbahn war das am direktesten spürbare Merkmal des Fortschritts für einen großen Teil der Bevölkerung. Die Bahnviadukte, die aus Höttinger Breccie aus dem nahen Steinbruch errichtet wurden, setzten der Stadt im Osten Richtung Pradl ein physisches und sichtbares Ende. Aber nicht nur aus einer rein technischen Perspektive veränderte die Bahn das Land. Sie brachte einen immensen gesellschaftlichen Wandel. Die Bahnhöfe entlang der Linie belebten die Orte immens. Der Bahnhofsvorplatz in Innsbruck wurde zu einem der neuen Zentren der Stadt. Arbeitskräfte, Studenten, Soldaten und Touristen strömten in großer Zahl in die Stadt und brachten neue Lebensentwürfe und Ideen mit. Nicht allen war diese Entwicklung allerdings recht. Die Schifffahrt am Inn, bis dahin ein wichtiger Verkehrsweg, kam beinahe umgehend zum Erliegen. Der ohnehin nach 1848 schwer gerupfte Kleinadel und besonders strenge Kleriker befürchteten den Kollaps der heimischen Landwirtschaft und den endgültigen Sittenverfall durch die Fremden in der Stadt.

Bis 1870 stieg die Einwohnerzahl Innsbrucks vor allem wegen der Wirtschaftsimpulse, die die Bahn brachte von 12.000 auf 17.000 Menschen. Lokale Produzenten profitieren von der Möglichkeit der kostengünstigen und schnellen Warenein- und Ausfuhren. Der Arbeitsmarkt veränderte sich. Vor der Eröffnung der Bahnlinien waren 9 von 10 Tirolern in der Landwirtschaft tätig. Mit der Eröffnung der Brennerbahn sank dieser Wert auf unter 70%.

Für den Tourismus war die Bahn Gold wert. Es war nun möglich, die abgelegene und exotische Bergwelt der Alpen Tirols zu erreichen. Kurorte wie Igls und ganze Täler wie das Stubaital, aber auch der Innsbrucker Stadtverkehr profitierten von der Entwicklung der Bahn. 1904 Jahre später verband die Stubaitalbahn als erste österreichische Bahn mit Wechselstrom das Seitental mit der Hauptstadt. Am 24.12.1904 wurden 780.000 Kronen, umgerechnet etwa 6 Millionen Euro, als Kapitalstock für die Straßenbahnlinie 1 gezeichnet. Im Sommer des Folgejahres verband die Linie die neuen Stadtteile Pradl und Wilten mit dem Saggen und der Innenstadt. Drei Jahre später eröffnete mit der Line 3 die nächste innerstädtische Verbindung des öffentlichen Verkehrs, die erst 1942 nach dem Anschluss von Amras an Innsbruck bis ins abgelegene Dorf führte.

Das neue Verkehrsmittel trug zur gesellschaftlichen Demokratisierung und Verbürgerlichung bei. Nicht nur für wohlhabende Touristen, auch für Untertanen, die nicht der Upper Class angehörten, wurden mit der Bahn Ausflüge in die Umgebung möglich. Neue Lebensmittel veränderten den Speiseplan der Menschen. Erste Kaufhäuser entstanden mit dem Erscheinen von Konsumartikeln, die vorher nicht verfügbar waren. Das Erscheinungsbild der Innsbrucker wandelte sich mit neuer, modischer Kleidung, die für viele zum ersten Mal erschwinglich wurde. Der Warentransport auf dem Inn erhielt den endgültigen Todesstoß. In den 1870er Jahren wurde der letzte Floßabladeplatz der Stadt an der Stelle, an der sich heute der Waltherpark in St. Nikolaus befindet, geschlossen.

Die Bundesbahndirektion der K.u.K. General-Direction der österreichischen Staatsbahnen in Innsbruck war eine von nur drei Direktionen in Cisleithanien. Neue soziale Schichten entstanden durch die Bahn als Arbeitgeber. Es bedurfte Menschen aller Bevölkerungsschichten, um den Bahnbetrieb am Laufen zu halten. Arbeiter und Handwerker konnten bei der Bahn, ähnlich wie in der staatlichen Verwaltung oder dem Militär, sozial aufsteigen. Neue Berufe wie Bahnwärter, Schaffner, Heizer oder Lokführer entstanden. Bei der Bahn zu arbeiten, brachte ein gewisses Prestige mit sich. Nicht nur war man ein Teil der modernsten Branche der Zeit, die Titel und Uniformen machten aus Angestellten und Arbeitern Respektpersonen.

Die Bahn war auch von großer Bedeutung für das Militär. Schon 1866 bei der Schlacht von Königgrätz zwischen Österreich und Preußen war zu sehen, wie wichtig der Truppentransport in Zukunft sein würde. Österreich war bis 1918 ein Riesenreich, das sich von Vorarlberg und Tirol im Südwesten bis nach Galizien, einem Gebiet im heutigen Polen und der Ukraine im Osten erstreckte. Um die unruhige Südgrenze zum neuen Nachbarn, dem Königreich Italien zu verstärken, bedurfte es der Brennerbahn. Auch im Ersten Weltkrieg waren Tiroler Soldaten in den ersten Kriegsjahren bis zur Kriegserklärung Italiens an Österreich in Galizien im Einsatz. Als es zur Öffnung der Frontlinie in Südtirol kam, war die Bahn wichtig, um Truppen schnell vom Osten des Reiches an die Südfront bewegen zu können.

An Carl von Etzel, der die Eröffnung der Brennerbahn nicht mehr erlebte, erinnert heute die Ing.-Etzel-Straße im Saggen entlang der Bahnviadukte. An Josef Riehl erinnert die Dr. -Ing.-Riehl-Straße in Wilten in der Nähe des Westbahnhofs. Auch Achilles Thommen ist eine Straße gewidmet. Als Spaziergänger oder Radfahrer kann man die Karwendelbrücke in der Höttinger Au einen Stock unter der Karwendelbahn überqueren und das Stahlfachwerk bewundern. Einen guten Eindruck vom Goldenen Zeitalter der Eisenbahn erhält man bei einem Besuch des ÖBB-Verwaltungsgebäudes im Saggen oder beim denkmalgeschützten Westbahnhof in Wilten. In den Viaduktbögen im Saggen kann man in einer der vielen Kneipen überdacht von der Geschichte das Nachtleben Innsbrucks genießen.

Der Erste Weltkrieg

Beinahe hätte nicht Gavrilo Princip, sondern ein Innsbrucker Student die Geschicke der Welt verändert. Es ist dem Zufall zu verdanken, dass der 20 Jahre alte Serbe im Jahr 1913 gestoppt wurde, weil er mit dem geplanten Attentat auf den Thronfolger vor einer Kellnerin prahlte. Erst als es tatsächlich zu den die Welt verändernden Schüssen in Sarajevo kam, erschien ein Artikel in den Medien dazu. Welche Auswirkungen der daraufhin ausgebrochene Erste Weltkrieg auf die Welt und den Alltag der Menschen haben sollte, war nach dem tatsächlichen Attentat auf Franz Ferdinand am 28. Juni nicht absehbar. Zwei Tage nach der Ermordung des Habsburgers in Sarajewo war aber in den Innsbrucker Nachrichten bereits prophetisches zu lesen: „Wir sind an einem Wendepunkte – vielleicht an dem Wendepunkte“ – der Geschicke dieses Reiches angelangt“.

Auch in Innsbruck war die Begeisterung für den Krieg 1914 groß gewesen. Vom „Gott, Kaiser und Vaterland“ der Zeit angetrieben, begrüßten die Menschen den Angriff auf Serbien zum allergrößten Teil einhellig. Politiker, Klerus und Presse stimmten in den allgemeinen Jubel mit ein. Neben dem kaiserlichen Appell „An meine Völker“, der in allen Medien des Reiches erschien, druckten die Innsbrucker Nachrichten am 29. Juli, dem Tag nach der Kriegserklärung Österreich-Ungarns an Serbien einen Artikel rund um die Einnahme Belgrads durch Prinz Eugen im Jahr 1717. Der Ton in den Medien war feierlich, wenn auch nicht ganz ohne böse Vorahnung auf das, was kommen sollte.

„Der Appell des Kaisers an seine Völker wird tief ergreifen. Der innere Hader ist verstummt und die Spekulationen unserer Feinde aus Unruhen und ähnliche Dinge sind jämmerlich zu Schanden geworden. In alter und vielbewährter Treue stehen vor allem auch diesmal die Deutschen zu Kaiser und Reich: auch diesmal bereit, mit ihrem Blute für Dynastie und Vaterland einzustehen. Wir gehen schweren Tagen entgegen; niemand kann auch nur ahnen, was uns das Schicksal bescheiden wird, was es Europa, was es der Welt bescheiden wird. Wir können nur mit unserem alten Kaiser auf unsere Kraft und auf Gott vertrauen und die Zuversicht hegen, daß, wenn wir einig find und zusammenhalten, uns der Sieg beschieden sein muß, denn wir wollten den Krieg nicht und unsere Sache ist die der Gerechtigkeit!“

Besonders „verdient“ machten sich bei der Kriegstreiberei Theologen wie Joseph Seeber (1856 – 1919) und Anton Müllner alias Bruder Willram (1870 – 1919) die mit ihren Predigten und Schriften wie „Das blutige Jahr“ den Krieg zu einem Kreuzzug gegen Frankreich und Italien erhoben.

Viele Innsbrucker meldeten sich freiwillig für den Feldzug gegen Serbien, von dem man dachte, er wäre eine Angelegenheit weniger Wochen oder Monate. Von außerhalb der Stadt kam eine so große Anzahl an Freiwilligen zu den Stellungskommissionen, dass Innsbruck beinahe aus allen Nähten platzte. Wie anders es kommen sollte, konnte keiner ahnen. Schon nach den ersten Schlachten im fernen Galizien war klar, dass es keine Sache von Monaten werden würde. Kaiserjäger und andere Tiroler Truppen wurden regelrecht verheizt. Schlechte Ausrüstung, mangelnder Nachschub und die katastrophale des Oberkommandos unter Konrad von Hötzendorf brachten Tausenden den Tod oder in Kriegsgefangenschaft, wo Hunger, Misshandlung und Zwangsarbeit warteten.

1915 trat das Königreich Italien an der Seite Frankreichs und Englands in den Krieg ein. Damit ging die Front quer durch das damalige Tirol. Vom Ortler im Westen über den nördlichen Gardasee bis zu den Sextener Dolomiten fanden die Gefechte des Gebirgskriegs statt. Innsbruck war nicht direkt von den Kampfhandlungen betroffen. Zumindest hören konnte man das Kriegsgeschehen aber bis in die Landeshauptstadt, wie in der Zeitung vom 7. Juli 1915 zu lesen war:

„Bald nach Beginn der Feindseligkeiten der Italiener konnte man in der Gegend der Serlesspitze deutlich Kanonendonner wahrnehmen, der von einem der Kampfplätze im Süden Tirols kam, wahrscheinlich von der Vielgereuter Hochebene. In den letzten Tagen ist nun in Innsbruck selbst und im Nordosten der Stadt unzweifelhaft der Schall von Geschützdonner festgestellt worden, einzelne starke Schläge, die dumpf, nicht rollend und tönend über den Brenner herüberklangen. Eine Täuschung ist ausgeschlossen. In Innsbruck selbst ist der Donner der Kanonen schwerer festzustellen, weil hier der Lärm zu groß ist, es wurde aber doch einmal abends ungefähr um 9 Uhr, als einigermaßen Ruhe herrschte, dieser unzweifelhafte von unseren Mörsern herrührender Donner gehört.“

Bis zur Verlegung regulärer Truppen von der Ostfront an die Tiroler Landesgrenzen hing die Landesverteidigung an den Standschützen, einer Truppe, die aus Männern unter 21, über 42 oder mit Untauglichkeit für den regulären Militärdienst bestand. Die Opferzahlen waren dementsprechend hoch.

Die Front war zwar relativ weit von Innsbruck entfernt, der Krieg drang aber auch ins zivile Leben ein. Diese Erfahrung der totalen Einbeziehung der gesamten Gesellschaft war für die Menschen neu. In der Höttinger Au wurden Baracken zur Unterbringung von Kriegsgefangenen errichtet. Verwundetentransporte brachten eine so große Zahl grauenhaft Verletzter, dass viele eigentlich zivile Gebäude wie die sich gerade im Bau befindliche Universitätsbibliothek oder Schloss Ambras in Militärspitäler umfunktioniert wurden. Um der großen Zahl an Gefallenen Herr zu werden, wurde der Militärfriedhof Pradl angelegt. Ein Vorgänger der Straßenbahnlinie 3 wurde eingerichtet, um die Verwundeten vom Bahnhof ins neue Garnisonsspital, die heutige Conradkaserne in Pradl, bringen zu können.

Mit dem Kriegsende rückte auch die Front näher. Im Februar 1918 schaffte es die italienische Luftwaffe, drei Bomben auf Innsbruck abzuwerfen. In diesem Winter, der als Hungerwinter in die europäische Geschichte einging, machte sich auch der Mangel bemerkbar. Die Versorgung erfolgte in den letzten Kriegsjahren über Bezugsscheine. 500 g Fleisch, 60 g Butter und 2 kg Kartoffel waren die Basiskost pro Person – pro Woche, wohlgemerkt. Auf Archivbildern kann man die langen Schlangen verzweifelter und hungriger Menschen vor den Lebensmittelläden sehen. Immer wieder kam es zu Protesten und Streiks. Politiker, Gewerkschafter, Arbeiter und Kriegsheimkehrer sahen ihre Chance auf Umbruch gekommen. Unter dem Motto Friede, Brot und Wahlrecht vereinten sich unterschiedlichste Parteien im Widerstand gegen den Krieg. Zu dieser Zeit war den meisten Menschen schon klar, dass der Krieg verloren war, und welches Schicksal Tirol erwarten würde, wie dieser Artikel vom 6. Oktober 1918 zeigt:

 „Aeußere und innere Feinde würfeln heute um das Land Andreas Hofers. Der letzte Wurf ist noch grausamer; schändlicher ist noch nie ein freies Land geschachert worden. Das Blut unserer Väter, Söhne und Brüder ist umsonst geflossen, wenn dieser schändliche Plan Wirklichkeit werden soll. Der letzte Wurf ist noch nicht getan. Darum auf Tiroler, zum Tiroler Volkstag in Brixen am 13. Oktober 1918 (nächsten Sonntag). Deutscher Boden muß deutsch bleiben, Tiroler Boden muß tirolisch bleiben. Tiroler entscheidet selbst über Eure Zukunft!

Am 4. November vereinbarten Österreich-Ungarn und das Königreich Italien schließlich einen Waffenstillstand. Damit verbunden war das Recht der Alliierten Gebiete der Monarchie zu besetzen. Bereits am nächsten Tag rückten bayerische Truppen in Innsbruck ein. Der österreichische Verbündete Deutschland befand sich noch im Krieg mit Italien und hatte Angst, die Front könnte nach Nordtirol näher an das Deutsche Reich verlegt werden. Zum großen Glück für Innsbruck und die Umgebung kapitulierte aber auch Deutschland eine Woche später am 11. November. So blieben die großen Kampfhandlungen zwischen regulären Armeen außen vor.

Trotzdem war Innsbruck in Gefahr. Gewaltige Kolonnen an militärischen Kraftfahrzeugen, Züge voller Soldaten und tausende ausgezehrte Soldaten, die sich zu Fuß auf den Heimweg von der Front machten, passierten die Stadt. Die Stadt musste nicht nur die eigenen Bürger in Zaum halten, die Verpflegung garantieren, sondern sich auch vor Plünderungen schützen. Um die öffentliche Ordnung aufrecht zu erhalten, bildete der Tiroler Nationalrat am 5. November eine Volkswehr aus Schülern, Studenten, Arbeitern und Bürgern. Am 23. November 1918 besetzten italienische Truppen die Stadt und das Umland. Der beschwichtigende Aufruf an die Innsbrucker von Bürgermeister Greil, die Stadt ohne Aufruhr zu übergeben, hatte Erfolg. Es kam zwar zu vereinzelten Ausschreitungen, Hungerkrawallen und Plünderungen, bewaffnete Auseinandersetzungen mit den Besatzungstruppen oder gar eine bolschewistische Revolution wie in München gab es aber nicht.

Über 1200 Innsbrucker verloren auf den Schlachtfeldern und in Lazaretten ihr Leben, über 600 wurden verwundet. Erinnerungsorte an den Ersten Weltkrieg und seine Opfer finden sich in Innsbruck vor allem an Kirchen und Friedhöfen. Das Kaiserjägermuseum am Berg Isel zeigt Uniformen, Waffen und Bilder des Schlachtgeschehens. Den beiden Theologen Anton Müllner und Josef Seeber sind in Innsbruck Straßennamen gewidmet. Auch nach dem Oberbefehlshaber der k.u.k Armee an der Südfront, Erzherzog Eugen, wurde eine Straße benannt. Vor dem Hofgarten befindet sich ein Denkmal für den erfolglosen Feldherren. An die italienische Besatzung erinnert der östliche Teil des Amraser Militärfriedhofs.