Rudolf von Habsburg, Sinnbild einer Epoche
Rudolf von Habsburg: Politik und Sitten der Zeit
Der intelligente, liberal eingestellte und sensible Kronprinz Rudolf (1858 – 1889) galt als der Liebling der Völker des Habsburgerreichs. Sein Leben kann in vielerlei Hinsicht als exemplarisch für die Zeit zwischen 1848 und dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs gelesen werden. Der Kampf zwischen neuen politischen Ideen und Althergebrachtem, die Begeisterung für Wissenschaft, Kunst und Kultur sowie Sitten und Moral, der auch in Innsbruck Gesellschaft und Alltag prägte, spiegeln sich in der Figur des Sohnes Kaiser Franz Josefs I. wider. Der allergrößte Teil der Innsbrucker hatte nicht die materiellen Möglichkeiten oder den Status eines Habsburgers, die Moden und Strömungen, unter denen sie lebten, waren aber dieselben.
Das Innsbrucker Großbürgertum eiferte diesem Ideal nach, so wie Rudolf sich stets als Teil dieses Großbürgertums sah. Er galt als belesen und gebildet und interessierte sich ganz im Zeitgeist für ein breites Spektrum an Themen. Er sprach neben Griechisch und Latein auch Französisch, Ungarisch, Tschechisch und Kroatisch. Als Privatier widmete er sich dem Verfassen von Presseartikeln, der Wissenschaft und dem Reisen durch die Länder der Monarchie. Er veranlasste die Herausgabe des Kronprinzenwerks, einer naturwissenschaftlichen Enzyklopädie. 1893 erschien Band 13, der das Kronland Tirol behandelte.
Auch politisch war er Neuem gegenüber aufgeschlossen. Rudolf verfasste liberale Artikel im "Neuen Wiener Tagblatt" unter einem Pseudonym. Er wollte unter anderem Grund- und Bodenreformen vorantreiben durch stärkere Besteuerung der Großgrundbesitzer und den einzelnen Nationalitäten des Habsburgerreichs mehr Rechte zugestehen. Besonders im konservativen, ländlichen Tirol und unter Militärs war er sehr unbeliebt. Bei den liberal gesinnten Innsbruckern hingegen galt er als Hoffnung für eine Erneuerung der Monarchie im Sinne eines modernen, föderalen Staates. Der Rudolfsbrunnen in Innsbruck am Boznerplatz erinnert zwar nicht an den Kronprinzen, bei seiner Einweihung war er aber zugegen.
Rudolfs Privatleben war trotz, oder gerade wegen seines aristokratischen Hintergrundes, turbulent, allerdings nicht untypisch für diese Zeit, in der Eltern und Lehrer weniger nahbare Erziehungspersonen als vielmehr distanzierte Respektpersonen darstellten. Kinder wurden streng erzogen. Weder Lehrer noch Eltern schreckten vor körperlicher Züchtigung zurück, auch wenn es Grenzen, Gesetze und Regeln für den Einsatz von häuslicher Gewalt gab. Militarismus und Fokus auf die zukünftige Erwerbsarbeit verhinderten Kindheit und Jugend, wie wir sie heute kennen. Junge Männer aus der Oberschicht lebten ihre soldatischen Tagträume als bewaffnete und uniformierte Mitglieder von Studentenverbindungen aus. Auch Rudolfs frühe Jahre, als er auf Wunsch Kaiser Franz Josef eine soldatische Erziehung unter General Gondrecourt durchlaufen musste, waren wenig luxuriös. Erst nach Einschreiten seiner Mutter Elisabeth wurden Schikanen wie Wasserkuren, Exerzieren in Regen und Schnee und das Aufwecken mit Pistolenschüssen aus dem täglichen Programm des sechsjährigen Kronprinzen genommen.
Wie viele seiner Zeitgenossen fand sich auch Rudolf als Mitglied der Oberschicht in einer unglücklichen, da arrangierten Ehe wieder. Das 19. Jahrhundert war nicht das Zeitalter der Liebesheiraten, auch wenn Romantik und Biedermeierzeit gerne dahingehend gerühmt werden. Aristokraten und Mitglieder des hohen Bürgertums heirateten aus Standesdünkel und mit dem Ziel, die Dynastie zu erhalten. In der Oberschicht waren Ehefrauen nichts weiter als Schmuck ihres Gatten und Oberhaupt des Haushaltes. Erst wenn der oft ältere Ehemann verstorben war, konnten auch Witwen ihr Leben abseits dieser Rolle genießen. Dienstboten, Hausmädchen, Knechten und Mägden war die Hochzeit lange untersagt. Die Gefahr, dass sie als Vermögenslose ihre Kinder nicht ernähren konnten und damit zur Last für die Allgemeinheit wurden, war den Gemeinden zu groß. Diese Doppelmoral von Aristokratie und Großbürgertum gegenüber dem Pofl führte dazu, dass illegale Abtreibungen, volle Waisenhäuser und Kinder, die bei Verwandten am Land anstatt bei ihren Eltern aufwuchsen, vor allem in den Städten gelebter Alltag waren.
Zeit seines Lebens war auch Rudolf dem schönen Geschlecht außerhalb der Ehe nicht abgeneigt. In seinen letzten Lebensmonaten unterhielt Rudolf eine Affäre mit der als besonders schön geltenden Mary Vetsera, einem erst 17 Jahre alten Mädchen aus reichem ungarischem Adel. Er war zu dieser Zeit von Depressionen, Gonorrhö, Alkohol- und Morphiumsucht bereits schwer gezeichnet. Am 30. Januar 1889 traf sich Rudolf mit Vetsera, nachdem er die Nacht zuvor mit seiner Langzeitgeliebten, der Prostituierten Maria „Mizzi“ Kaspar, verbracht hatte. Unter nie vollständig geklärten Umständen tötete er zuerst die junge Frau und dann sich selbst mit einem Schuss in den Kopf. Von der Familie Habsburg wurde der Selbstmord nie anerkannt. Zita (1892 – 1989), die Witwe des letzten Kaisers Karl, sprach noch in den 1980ern von einem Mordanschlag. Wie Rudolf hielten es auch viele seiner Untertanen. Zwar konnte sich kaum jemand rühmen, eine ungarische Adelige als Gespielin für sich zu beanspruchen, eine Liebhaberin, so waren die Sitten nicht so, wie es Pfarrer täglich von der Kanzel predigten. Ehemänner tobten sich sexuell bei Affären mit Dienstmädchen, Geliebten und Prostituierten aus.
Die Diskussion um die Beisetzung des Thronfolgers und seiner Geliebten zeigte die christliche Zweigesichtigkeit Doppelmoral der Gesellschaft des Habsburgerreiches. Dem wirtschaftlichen Liberalismus der Eliten stand das konservative und streng katholische gesellschaftliche Leitbild gegenüber. Aufklärung und bürgerliche Freiheiten trafen auf Frömmigkeit und eine neue Konfessionalisierung durch die Staatskirchen. Neubauten von Kirchen gingen mit dem Bevölkerungswachstum durch die Decke, wie die Neue Höttinger Pfarrkirche oder die Pfarrkirche St. Nikolaus in Innsbruck zeigen. Die Tiroler Glasmalerei- und Mosaikanstalt konnte sich über volle Auftragsbücher freuen. Es ist kein Zufall, dass der Kaisertitel seine größte Beliebtheit unter den europäischen Herrschern zwischen der Französischen Revolution und dem Ersten Weltkrieg hatte. Selbstmord galt als schwere Sünde und verhinderte eigentlich ein christliches Begräbnis. Vetsera wurde am Friedhof in Heiligenkreuz bei Mayerling in einem kleinen Grab an der Friedhofsmauer unauffällig beigesetzt, während Rudolf nach kaiserlicher Intervention beim Papst ein Staatsbegräbnis erhielt und seine letzte Ruhe in der Kapuzinergruft in Wien erhielt.
Sehenswürdigkeiten dazu…
Gasthaus Weisses Kreuz
Herzog-Friedrich-Straße 31
Rudolfsbrunnen
Boznerplatz