Zeughaus
Zeughausgasse 1
Wissenswert
Der Beginn des 16. Jahrhunderts war ein Wendepunkt in der Stadtgeschichte. Das Goldene Dachl mag das bekannteste zu dieser Zeit entstandene Gebäude sein, wesentlich größeren Einfluss auf das Leben der Zeitgenossen hatte allerdings das Zeughaus. Zwischen 1500 und 1506 ließ Kaiser Maximilian I. von Jörg Kölderer dieses Arsenal im heutigen Stadtteil Saggen errichten. Vor allem die großen Kanonen der Artillerie, die im ausgehenden 15. Jahrhundert zunahm, konnten nicht im zu kleinen alten Zeughaus in der Andechsburg gelagert werden. Das Äußere Zeughaus war das größte Waffenlager des Heiligen Römischen Reichs und umfasste Ausrüstung und Kanonen für bis zu 30.000 Soldaten. Hofmaler Jörg Kölderer hielt es bildlich in seinen Zeugbüchern fest.
Unter Maximilian entwickelte sich die bewegliche und leichte Artillerie, die die Kriegsführung in Europa revolutionieren sollte. Innsbruck war dank seiner Lage zwischen den Kriegsschauplätzen in Norditalien und der Schweiz strategisch optimal gelegen, um hier nicht nur ein Lager, sondern auch die Waffenproduktion des Reiches anzusiedeln. Durch die Anlage samt frühindustrieller Fertigung war die kleine Stadt zum Zentrum der Rüstungsindustrie der Frühen Neuzeit im deutschsprachigen Raum geworden.
Der Innenhof wurde von einer zweistöckigen, burgähnlichen Anlage umschlossen. Rund um das Hauptgebäude gab es etliche kleinere Arbeitsgebäude. Bis ins 18. Jahrhundert umgab ein Wassergraben das Zeughaus. Die Waffenkammer selbst war das Zentrum eines großen Industriekomplexes. Ein paar Kilometer weiter östlich wurde ab 1511 eine Erweiterung des Zeughauses im heutigen Weyrerareal in Mühlau eingerichtet.
Das Zeughaus war Wirtschaftsmotor und wichtiger Arbeitgeber der Stadt. Die frühe Industrialisierung, die sich in der Kohlstatt abspielte, hatte massiven Zuzug und Einwohnerwachstum zur Folge. Mit den Arbeitskräften kamen aber nicht nur ein quantitatives Wachstum in die Stadt, es entstand eine gänzlich neue Bevölkerungsschicht. Betrachtet man die Entwicklung der Kohlstatt, der Heimat der Arbeiter und die Finanzierung der kaiserlichen Politik durch die Augsburger Fugger, erhält man ein Bild des frühen Kapitalismus. Obwohl Kaiser Maximilian große Erfolge bei der Reichserweiterung durch gewitzte Heiratspolitik für die Dynastie der Habsburger errang, war er doch auch ein eifriger Kriegsherr. Seine Anleihen wurden durch den Kriegskreislauf gespeist, der bereits zu einem Wirtschaftsfaktor geworden war. Auch abseits der Front in den Fertigungsstätten beeinflusste er die Lebensumstände der Menschen.
Bis 1918 wurde das Zeughaus als Kaserne genutzt. Wer einmal um das Gebäude herumflaniert, findet auf der Ostseite nicht nur die gotische Hintertür, sondern auch weitere interessante Gebäude. Die flachen, um einen Innenhof gruppierten Häuser erinnern noch an die Nutzung als Kaserne.
Heute beheimatet das Zeughaus ein Museum mit wechselnden Ausstellungen und der Dauerausstellung zur Kulturgeschichte Tirols. Rund um das Zeughaus entstanden große Wohnblöcke. Die Gebäude der ehemaligen Kaserne werden von einem Kindergarten benutzt. Im 1.600 Quadratmeter großen Innenhof finden laufend unterschiedliche Veranstaltungen statt.
Maximilian I. und seine Zeit
Maximilian zählt zu den bedeutendsten Persönlichkeiten der europäischen und der Innsbrucker Stadtgeschichte. Über Tirol soll der passionierte Jäger gesagt haben: "Tirol ist ein grober Bauernkittel, der aber gut wärmt." Er machte Innsbruck in seiner Regierungszeit zu einem der wichtigsten Zentren des Heiligen Römischen Reichs. „Wer immer sich im Leben kein Gedächtnis macht, der hat nach seinem Tod kein Gedächtnis und derselbe Mensch wird mit dem Glockenton vergessen.“ Dieser Angst wirkte Maximilian höchst erfolgreich aktiv entgegen. Unter ihm spielten Propaganda, Bild und Medien eine immer stärkere Rolle, bedingt auch durch den aufkeimenden Buchdruck. Maximilian nutzte Kunst und Kultur, um sich präsent zu halten. So hielt er sich eine Reichskantorei, eine Musikkapelle, die vor allem bei öffentlichen Auftritten und Empfängen internationaler Gesandter zum Einsatz kam. Er ließ einen wahren Personenkult mit Münzen, Büchern, Druckschriften und Gemälden rund um sich selbst veranstalten.
Bei aller Romantik, die der Liebhaber höfischer Traditionen und des Rittertums pflegte, war er ein kühler Machtpolitiker. Unter ihm entstanden politische Institutionen wie der Reichstag, Reichshofrat und das Reichskammergericht, die das Verhältnis von Untertanen, Landesherr und Monarchie streng regelten. Die zentral beschlossenen Gesetze wurden von den Reichskreisen lokal umgesetzt. Besoldete Beamten durchdrangen das Leben des Einzelnen in einer Art und Weise, die es im Mittelalter nicht gab. Bei den Tiroler Bauern war Maximilian zu Lebzeiten unbeliebt. Er beschnitt in einem wahren Furor an neuen Gesetzen die bäuerlichen Rechte der Allmende. Holzschlag, Jagd und Fischerei wurden dem Landesherrn unterstellt und waren kein Allgemeingut mehr. Das hatte negative Auswirkungen auf die bäuerliche Selbstversorgung. Fleisch und Fisch, im Mittelalter für lange Zeit ein Teil des Speiseplans gewesen, nun wurde dieser Genuss zum Luxus. Es war um 1500, dass aus Jägern Wilderer wurden.
Zur Einschränkung in der Selbstversorgung gesellten sich neue Abgaben. Es war immer schon üblich gewesen, dass Landesfürsten im Kriegsfall die Bevölkerung mit zusätzlichen Steuern belasteten. Maximilians Kriegsführung unterschied sich zu den mittelalterlichen Konflikten. Die Hilfstruppen und ihre adeligen, ritterlich kämpfenden Grundherren wurden durch Söldner, die mit den modernen Feuerwaffen umzugehen verstanden, ergänzt oder ganz ersetzt.
Diese neue Art ins Feld zu ziehen, verschlang Unsummen. Als die Erträge aus den landesfürstlichen Besitzungen wie Münz-, Markt-, Bergwerks-, und Zollregal nicht mehr ausreichten, wurden die einzelnen Bevölkerungsgruppen je nach Stand und Vermögen besteuert, jedoch war die Steuer noch weit entfernt von unserem heutigen ausdifferenzierten System und brachten dementsprechend Ungerechtigkeit und Unmut mit sich.
Ein Beispiel für eine Abgabe war Maximilians Gemeiner Pfennig. Die Vermögenssteuer betrug zwischen 0,1 und 0,5% des Vermögens, war aber mit 1 Gulden gedeckelt. Juden mussten unabhängig von ihrem Vermögen eine Kopfsteuer von 1 Gulden bezahlen. Erstmals wurden auch Fürsten zur Kasse gebeten, bezahlten aber durch die Deckelung maximal gleich viel wie ein mittelständischer Jude. Verkündung und Exekution der Steuer unterlagen Prälaten, Pfarrern und weltlichen Herrn. Pfarrer mussten an drei Sonntagen die Steuer von der Kanzel herunter verkünden, die Beiträge gemeinsam mit Vertretern der Gerichte einsammeln und im Reichssteuerregister anlegen.
Schnell begriff man, dass diese Art der Steuereinhebung nicht funktionierte. Es bedurfte eines modernen Systems und Steuermodells. Eine kollegiale Kammer, das Regiment, wachte zentral über die Länder Tirol und Vorderösterreich nach dem modernen Vorbild der Burgunder Finanzwirtschaft, die Maximilian in seiner Zeit in den Niederlanden kennengelernt hatte. Innsbruck wurde zum Finanz- und Buchhaltungszentrum für die österreichischen Länder. Die Raitkammer und die Hauskammer befanden sich im Neuhof, wo heute das Goldene Dachl über die Altstadt residiert. 1496 wurden die alle finanziellen Mittel der österreichischen Erbländer in der Schatzkammer in Innsbruck gebündelt. Vorsitzender der Hofkammer war der Brixner Bischof Melchior von Meckau, der mehr und mehr die Fugger als Kreditgeber miteinbezog. Beamten wie Jakob Villinger (1480 - 1529) wickelten in der italienisch geprägten Form der doppelten Buchhaltung den Geldverkehr mit Bankhäusern aus ganz Europa ab und probierten den kaiserlichen Finanzhaushalt in Zaum zu halten. Talentierte Kleinadelige und Bürger, studierte Juristen und ausgebildete Beamten lösten den Hochadel in bestimmender Funktion ab. Finanzexperten aus Burgund hatten die kaufmännische Leiter des Regiments über. Die Übergänge zwischen Finanz- und anderen Feldern wie Kriegsplanung und Innenpolitik waren fließend, was der neuen Beamtenschicht große Macht verlieh.
War es bisher üblich, dass das Gleichgewicht zwischen Landesfürsten, Kirche, Grundherr und Untertan aus Beitrag und militärischem Schutz bestand, wurde dieses System nun durch Zwang von der Obrigkeit durchgesetzt. Maximilian argumentierte, dass es Pflicht jedes Christenmenschen, egal welchen Standes, sei, das Heilige Römische Reich gegen äußere Feinde zu verteidigen. Die Aufzeichnungen rund um die Streitereien zwischen König, Adel, Klerus, Bauern und Städten um die Abgabenleistung erinnerten schon vor Maximilian stark an heutige politische Diskussion um das Thema der gesellschaftlichen Umverteilung. Der große Unterschied und Bruch zwischen dem ausgehenden 15. Jahrhundert und den vorhergegangenen Jahrhunderten entstand dadurch, dass dank des modernen Beamtenapparats diese Steuern nun auch exekutiert und eingetrieben werden konnten. Der Vergleich mit der Registrierkassenpflicht, der Besteuerung von Trinkgeldern in der Gastronomie und der Diskussion um die Abschaffung des Bargeldes drängt sich auf.
Das Kapital folgte der politischen Bedeutung ebenfalls nach Innsbruck. Während seiner Regentschaft beschäftigte Maximilian 350 Räte, die ihm zur Seite standen. Knapp ein Viertel dieser hochbezahlten Räte stammte aus Tirol. Gesandte und Politiker aus ganz Europa bis zum osmanischen Reich sowie Adelige ließen sich ihren Wohnsitz in Innsbruck bauen oder übernachteten in den Wirtshäusern der Stadt. Ähnlich wie Big Money aus Ölgeschäften heute Fachkräfte aller Art nach Dubai lockt, zogen das Schwazer Silber und die daran hängende Finanzwirtschaft damals Experten aller Art nach Innsbruck, einer kleinen Stadt inmitten der unwirtlichen Alpen.
Innsbruck veränderte sich unter Maximilian Regentschaft baulich und infrastrukturell wie nie zuvor. Neben dem repräsentativen Goldenen Dachl ließ er die Hofburg umgestalten, begann mit dem Bau der Hofkirche und erschuf mit dem Innsbrucker Zeughaus Europas führende Waffenschmiede. Die Straßen durch die Altstadt wurden für das feine Volk des Hofstaats befestigt und gepflastert. 1499 ließ Maximilian die Salvatorikapelle, ein Spital für notleidende Innsbrucker, die keinen Anspruch auf einen Platz im Stadtspital hatten, renovieren und erweitern. Eine moderne Wasserleitung von der Nordkette in die Stadt verbesserte die Trinkwasserversorgung, Hygiene und Sicherheit. Maximilian ließ den Handelsweg im heutigen Mariahilf verlegen und verbesserte die Wasserversorgung der Stadt. Eine Feuerordnung für die Stadt Innsbruck folgte 1510. Maximilian begann auch an den Privilegien des Stiftes Wilten, dem größten Grundherrn im heutigen Stadtgebiet, zu sägen. Infrastruktur im Besitz des Klosters wie Mühle, Säge und Sillkanal sollten stärker unter landesfürstliche Kontrolle kommen.
Der kaiserliche Hof und die wohlhabende Beamtenschaft, die in Innsbruck ansässig waren, transformierte Aussehen und Attitüde Innsbrucks. Maximilian hatte die distinguierte höfische Kultur Burgunds seiner ersten Ehefrau nach Mitteleuropa eingeführt. Kulturell war es vor allem seine zweite Ehefrau Bianca Maria Sforza, die Innsbruck förderte. Nicht nur die königliche Hochzeit fand hier statt, sie residierte auch lange Zeit hier, war die Stadt doch näher an ihrer Heimat Mailand als die anderen Residenzen Maximilians. Sie brachte ihren gesamten Hofstaat aus der Renaissancemetropole mit in die deutschen Länder nördlich der Alpen. Kunst Unterhaltung in allen Formen blühten auf.
Innsbruck wurde unter Maximilian aber nicht nur kulturell zu einem Zentrum des Reiches, auch wirtschaftlich brummte die Stadt. Unter anderem war Innsbruck Zentrale des Postdienstes im Kaiserreich. Die Familie Thurn und Taxis erhielt das Monopol auf diesen wichtigen Dienst und wählte Innsbruck als Zentrale ihrer privaten Reichspost. In der Waffenherstellung konnte Maximilian auf das Fachwissen der Büchsenmeister aufbauen, die sich bereits unter seinem Vorgänger Siegmund in den Gießereien in Hötting etabliert hatten. Der berühmteste von ihnen war Peter „Löffler“ Laiminger. Die Geschichte der Löfflers ist im Roman Der Meister des siebten Siegels lesenswert verarbeitet. Die Fugger unterhielten eine Kontorei in Innsbruck. Neben seiner ihm gerne unterstellten Liebe für die Tiroler Natur waren ihm die Kostbarkeiten wie das Haller Salz und das Schwazer Silber mindestens ebenso teuer und nützlich. Seinen aufwändigen Hofstaat, die Wahl zum König durch die Kurfürsten und den acht Jahre dauernden Krieg gegen die Republik Venedig finanzierte sich Maximilian unter anderem durch Verpfändung der Bodenschätze des Landes.
Auch die strategisch günstige Lage Innsbrucks nahe an den italienischen Kriegsschauplätzen machte die Stadt so interessant für den Kaiser. Viele Tiroler mussten auf den Schlachtfeldern den kaiserlichen Willen durchsetzen, anstatt die heimischen Felder zu bestellen. Das änderte sich erst in den letzten Regierungsjahren. Maximilian gestand 1511 den Tirolern im Tiroler Landlibell, einer Art Verfassung zu, dass sie als Soldaten nur für den Krieg zur Verteidigung des eigenen Landes herangezogen werden dürfen. Ebenfalls geregelt wurde in diesem Dokument die Einhebung von Sondersteuern im Kriegsfall.
Maximilians Wirken in Innsbruck zu fassen, ist schwierig. Liebesbekundungen eines Kaisers schmeicheln natürlich der Volksseele bis heute. Seine materielle Hinterlassenschaft mit den vielen Prunkbauten verstärken dieses positive Image. Er machte Innsbruck zu einer kaiserlichen Residenzstadt und trieb die Modernisierung der Infrastruktur voran. Innsbruck wurde dank dem Zeughaus zum Zentrum der Rüstungsindustrie, die Schatzkammer des Reiches und wuchs wirtschaftlich und räumlich. Die Schulden, die er dafür aufnahm und das Landesvermögen, das er an die Fugger verpfändete, prägten Tirol nach seinem Tod mindestens ebenso wie die strengen Gesetze, die er der einfachen Bevölkerung verordnete. 5 Millionen Gulden soll er an Schulden hinterlassen haben, einen Betrag, den seine österreichischen Besitzungen in 20 Jahren erwirtschaften konnten. Die ausständigen Zahlungen ruinierten nach seinem Tod viele Betriebe und Dienstleute, die auf den kaiserlichen Versprechungen sitzen blieben. Frühneuzeitliche Herrscher waren nicht an die Verbindlichkeiten ihrer Vorgänger gebunden. Eine Ausnahme bildeten die Vereinbarungen mit den Fuggern, hingen daran doch Pfandrechte.
In den Legenden über den Kaiser sind die harten Zeiten nicht so präsent wie das Goldene Dachl und die in der Schule gelernten Soft Facts. 2019 überschlug man sich mit den Feierlichkeiten zum 500. Todestag des für Innsbruck wohl wichtigsten Habsburgers unter dem Motto „Tiroler im Herzen, Europäer im Geiste“. Der Wiener wurde wohlwollend eingebürgert. Salzburg hat Mozart, Innsbruck Maximilian, einen Kaiser, den Tiroler passend zur gewünschten Identität Innsbrucks als rauen Gesellen, der am liebsten in den Bergen ist, angepasst haben. Sein markantes Gesicht prangt heute auf allerhand Konsumartikeln, vom Käse bis zum Skilift steht der Kaiser für allerhand Profanes Pate. Lediglich für politische Agenden lässt er sich weniger gut vor den Karren spannen als Andreas Hofer. Wahrscheinlich ist es für den Durchschnittsbürger einfacher, sich mit einem revolutionären Wirt zu identifizieren als mit einem Kaiser.
Jakob Fugger: der reichste Mann der Geschichte
Es gibt wohl kaum eine ungekrönte Person, die größeren Einfluss auf die Geschichte Europas bis ins 20. Jahrhundert hatte als Jakob Fugger (1459 - 1525). Nicht nur deckt sich seine Lebenszeit mit der Kaiser Maximilians, die Schicksale der beiden Männer hingen eng aneinander. Auch die Geschichte Tirols wurde vom bedeutendsten Finanzmagnaten seiner Zeit bestimmt.
Jakob Fugger entstammte einer Augsburger Kaufmannsfamilie. Die Ankunft des Stammvaters der Familie wurde im Steuerbuch Augsburgs unter „Fucker advenit“ vermerkt. Im 15. Jahrhundert entstand nach und nach ein Fugger´sches Handelsnetzwerk aus Faktoreien. Die Kaufleute gründeten für ihr Textilunternehmen Faktoreien in Venedig, Bozen, Mailand, Nürnberg, Frankfurt, Brügge und Antwerpen. Faktoreien waren ein multifunktioneller Mix aus Verkaufsfläche, Finanzniederlassung, Pferdestation, Lagerhaus, Post- und Nachrichtenstelle und diplomatischer Vertretung. Dieses System war aus Norditalien über die Alpen geschwappt. In der Region zwischen Florenz, Venedig und Mailand war eine frühe Form des Finanzkapitalismus entstanden. Das Bankwesen begann im Spätmittelalter hier seinen Siegeszug durch Europa. Kaufleute, die nicht Unmengen an Bargeld mit sich führen wollten, benötigten sogenannte Wechsel, um ihre Transaktionen durchführen zu können. In den bedeutenden Handelsstädten begannen sie deshalb Kontoreien aufzubauen. Auch in Innsbruck hatten italienische Finanzinstitute seit dem Hochmittelalter Niederlassungen.
Jakob und seine Brüder handelten in guter Familientradition zuerst ebenfalls Baumwolle mit den wohlhabenden norditalienischen Städten. In Venedig, dem Finanzzentrum des östlichen Mittelmeerraumes, lernte Jakob Fugger die Kunst der doppelten Buchführung und die Feinheiten der fortschrittlichen italienischen Finanzwirtschaft kennen. Er erkannte, dass mit Geldgeschäften und Krediten mehr zu verdienen war als mit Baumwolle. Die Monarchen und Aristokraten Europas finanzierten ihren Hofstaat und Kriege im Mittelalter über den Zehnten. Diese Abgabe wurde von den Bauern innerhalb des Feudalsystems geleistet. Besonders die Kriegsführung war, angetrieben durch moderne Schusswaffen, im 15. Jahrhundert immer kostspieliger geworden. Deshalb reichte der Zehent oft nicht mehr aus. Die Legitimation als Stellvertreter Gottes auf Erden hatte für Monarchen bis hierher funktioniert, um 1500 begannen klingende Münze und Zinsen in Form des Finanzkapitalismus langsam, aber sicher Gott als letztgültige Instanz abzulösen.
Die Verbindung Jakob Fuggers mit dem Hause Habsburg und im Speziellen mit Tirol begann sich 1487 zu intensivieren. Der Tiroler Landesfürst Siegmund unterlag in einer kriegerischen Auseinandersetzung der Republik Venedig. Um seine Schulden gegenüber der Mittelmeermacht in Höhe von 100.000 Gulden zu bezahlen, lieh er sich Geld von den Fuggern. Dafür stellte er Schuldscheine aus, die er durch die Verpfändung der Schwazer Silbermine an seine Kreditgeber deckte. Schwaz war vor der Erschließung der amerikanischen Silberminen die größte der Welt. Die Fugger verkauften das Schwazer Silber an die Münze Hall, deren Betreiber sie ebenfalls waren, und liehen diese Münzen wiederum Herzog Siegmund. Ein Kreislauf der besonderen Art war geboren.
Damit endete der politische Einfluss der Fugger auf die Weltpolitik aber nicht. Als 1490 die Tiroler Landstände Siegmund wegen seines desaströsen Geschäftsgebarens absetzten, folgte ihm Maximilian I. als Landesfürst Tirols nach. Fugger war klug genug auf den neuen Landesfürsten zu setzen. Das Wort Kredit, zurückgehend auf das lateinische credere, also glauben, zeigt sich in dieser Wahl. Fugger glaubte an einen mächtigen Maximilian als sein bestes Asset. Er finanzierte 1493 die Wahl Maximilians zum Kaiser des Heiligen Römischen Reiches und sicherte sich damit seinen Einfluss und eine Erhebung in den Adelsstand. Fugger war es auch, der die Wiener Doppelhochzeit, Maximilians Meisterstück der Heiratspolitik, sponsorte, womit Ungarn ein Teil des Habsburgerreiches wurde. Als Maximilian 1519 starb, wiederholte Fugger dies und ließ über seine Finanzkraft Maximilians Enkel Karl V. zum Kaiser wählen. Ein Kredit von 540.000 Gulden ging von den Fuggern an die Habsburger, um damit Werbe- und Bestechungsgelder zu begleichen. Karl V. räumte Fugger dafür Rechte an Bergwerken in Spanien und Südamerika ein, auf denen Sklaven unter menschenverachtenden Bedingungen zu arbeiteten, um dieses Rad an Ausbeutung und Korruption am Laufen zu halten
Geschätzte zwei Millionen Gulden an Krediten räumten die Fugger den Habsburgern allein zwischen 1487 und 1525 ein. Ein Gulden entsprach 60 Kronen. Ein Tagelöhner verdiente zu dieser Zeit etwa 6 Kronen. Man hätte mit dieser Summe knapp 55.000 Menschen für ein Jahr täglich beschäftigen können. Ein großer Teil dieser Schulden wurde mit Nutzungsrechten an Tiroler Assets und erhöhten Steuern beglichen. Es wird geschätzt, dass das Finanzimperium Fuggers zum Zeitpunkt seines Todes etwa 50% des Staatshaushalt Tirols abwickelten und 10% der Vermögenswerte des Heiligen Römischen Reiches besaßen. Seine Beamten verwalteten Minen in Tirol, Tschechien, der Slowakei und Spanien, finanzierten Handelsexpeditionen in der gesamten damals bekannten Welt und zahlreiche Kriege in Europa. Manchem Historiker gilt Jakob Fugger als der reichste Mann der Weltgeschichte. Wie hoch sein Vermögen war, ist schwer in heutige Maßstäbe umzurechnen. Als die FAZ 2016 einen Versuch unternahm, kam sie auf 300 Milliarden Dollar. Jakob Fugger war wie Maximilian I. gleichzeitig Machtmensch und gebildeter, frommer Katholik. Korruption, Ausbeutung, die Finanzierung von Kriegen und aus Gottesfurcht und Angst vor dem Fegefeuer die Fuggerei, die erste Sozialsiedlung der Welt in Augsburg, zu gründen, schloss sich nicht aus.
In Innsbruck erinnern das Palais Fugger-Taxis sowie eine kleine Gasse zwischen Maria-Theresien-Straße und Landhausplatz an die Fugger. Auf die Art und Weise, wie die Kaufmannsdynastie zu Reichtum kam, wird nicht hingewiesen.
Innsbrucks Industrielle Revolutionen
Im 15. Jahrhundert begann sich in Innsbruck eine erste frühe Form der Industrialisierung zu entwickeln. Glocken- und Waffengießer wie die Löfflers errichteten in Hötting, Mühlau und Dreiheiligen Betriebe, die zu den führenden Werken ihrer Zeit gehörten. Unternehmer waren zwar nicht von edlem Blut, sie hatten aber oft mehr Kapital zur Verfügung als die Aristokratie. Die alten Hierarchien bestanden zwar noch, begannen aber zumindest etwas brüchig zu werden. Die Industrie änderten nicht nur die Spielregeln im Sozialen durch den Zuzug neuer Arbeitskräfte und ihrer Familien, sie hatte auch Einfluss auf die Erscheinung Innsbrucks. Die Arbeiter waren, anders als die Bauern, keines Herren Untertanen. Sie brachten neue Mode mit und kleideten sich anders. Kapital von außerhalb kam in die Stadt. Wohnhäuser und Kirchen für die neu zugezogenen Untertanen entstanden. Die großen Werkstätten veränderten den Geruch und den Klang der Stadt. Die Hüttenwerke waren laut, der Rauch der Öfen verpestete die Luft.
Die zweite Welle der Industrialisierung erfolgte im Verhältnis zu anderen europäischen Regionen in Innsbruck spät. Das Kleine Handwerk, die bäuerliche Herstellung von allerlei Gebrauchsgegenständen vor allem im weniger arbeitsintensiven Winter, und die ehemaligen in Zünften organisierten Handwerksbetriebe der Stadt gerieten unter den Errungenschaften der modernen Warenherstellung unter Druck. In St. Nikolaus, Wilten, Mühlau und Pradl entstanden entlang des Mühlbaches und des Sillkanals moderne Fabriken. Viele innovative Betriebsgründer kamen von außerhalb Innsbrucks. Im heutigen Haus Innstraße 23 gründete der aus der Lausitz nach Innsbrucker übersiedelte Peter Walde 1777 sein Unternehmen, in dem aus Fett gewonnene Produkte wie Talglichter und Seifen hergestellt wurden. Acht Generationen später besteht Walde als eines der ältesten Familienunternehmen Österreichs noch immer. Im denkmalgeschützten Stammhaus mit gotischem Gewölbe kann man heute das Ergebnis der jahrhundertelangen Tradition in Seifen- und Kerzenform kaufen. 1838 kam die Spinnmaschine über die Dornbirner Firma Herrburger & Rhomberg über den Arlberg nach Pradl. H&R hatte ein Grundstück an den Sillgründen erworben. Der Platz eignete sich dank der Wasserkraft des Flusses ideal für die schweren Maschinen der Textilindustrie. Neben der traditionellen Schafwolle wurde nun auch Baumwolle verarbeitet.
Wie 400 Jahre zuvor veränderte auch die Zweite Industrielle Revolution die Stadt nachhaltig. Stadtteile wie Mühlau, Pradl und Wilten wuchsen rasant. Die Betriebe standen oft mitten in den Wohngebieten. Über 20 Betriebe nutzten den Sillkanal um 1900. Der Lärm und die Abgase der Motoren waren für die Anrainer die Hölle, wie ein Zeitungsartikel aus dem Jahr 1912 zeigt:
„Entrüstung ruft bei den Bewohnern des nächst dem Hauptbahnhofe gelegenen Stadtteiles der seit einiger Zeit in der hibler´schen Feigenkaffeefabrik aufgestellte Explosionsmotor hervor. Der Lärm, welchen diese Maschine fast den ganzen Tag ununterbrochen verbreitet, stört die ganz Umgebung in der empfindlichsten Weise und muß die umliegenden Wohnungen entwerten. In den am Bahnhofplatze liegenden Hotels sind die früher so gesuchten und beliebten Gartenzimmer kaum mehr zu vermieten. Noch schlimmer als der ruhestörende Lärm aber ist der Qualm und Gestank der neuen Maschine…“
Auch so mancher Angehörige des Kleinadels investierte das Geld der Grundentlastung von 1848 in Industrie und Wirtschaft. Der steigende Arbeitskräftebedarf wurde von ehemaligen Knechten und Landwirten ohne Land gedeckt. Während sich die neue vermögende Unternehmerklasse Villen in Wilten, Pradl und dem Saggen bauen ließ und mittlere Angestellte in Wohnhäusern in denselben Vierteln wohnten, waren die Arbeiter in Arbeiterwohnheimen und Massenunterkünften untergebracht. Die einen sorgten in Betrieben wie dem Gaswerk, dem Steinbruch oder in einer der Fabriken für den Wohlstand, während ihn die anderen konsumierten. Schichten von 12 Stunden in engen, lauten und rußigen Bedingungen forderten den Arbeitern alles ab. Zu einem Verbot der Kinderarbeit kam es erst ab den 1840er Jahren. Frauen verdienten nur einen Bruchteil dessen, was Männer bekamen. Die Arbeiter wohnten oft in von ihren Arbeitgebern errichteten Mietskasernen und waren ihnen mangels eines Arbeitsrechtes auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Es gab weder Sozial- noch Arbeitslosenversicherungen. Wer nicht arbeiten konnte, war auf die Wohlfahrtseinrichtungen seines Heimatortes angewiesen. Angemerkt sei, dass sich dieser für uns furchterregende Alltag der Arbeiter nicht von den Arbeitsbedingungen in den Dörfern unterschied, sondern sich daraus entwickelte. Auch in der Landwirtschaft waren Kinderarbeit, Ungleichheit und prekäre Arbeitsverhältnisse die Regel.
Die Industrialisierung betraf aber nicht nur den materiellen Alltag. Innsbruck erfuhr eine Gentrifizierung wie man sie heute in angesagten Großstadtvierteln wie dem Prenzlauer Berg in Berlin beobachten kann. Der Wechsel vom bäuerlichen Leben des Dorfes in die Stadt beinhaltete mehr als einen örtlichen Wechsel. Wie die Menschen die Verstädterung des ehemals ländlichen Bereichs erlebten, lässt uns der Innsbrucker Schriftsteller Josef Leitgeb in einem seiner Texte wissen:
„…viel fremdes, billig gekleidetes Volk, in wachsenden Wohnblocks zusammengedrängt, morgens, mittags und abends die Straßen füllend, wenn es zur Arbeit ging oder von ihr kam, aus Werkstätten, Läden, Fabriken, vom Bahndienst, die Gesichter oft blaß und vorzeitig alternd, in Haltung, Sprache und Kleidung nichts Persönliches mehr, sondern ein Allgemeines, massenhaft Wiederholtes und Wiederholbares: städtischer Arbeitsmensch. Bahnhof und Gaswerk erschienen als Kern dieser neuen, unsäglich fremden Landschaft.“
Für viele Innsbrucker kam es nach dem Revolutionsjahr 1848 und den neuen wirtschaftlichen Gegebenheiten zu einer Verbürgerlichung. Geschichten, von Menschen, die mit Fleiß, Glück, Talent und etwas finanzieller Starthilfe aufstiegen, gab es immer wieder. Bekannte Innsbrucker Beispiele außerhalb der Hotellerie und Gastronomie, die bis heute existieren sind die Tiroler Glasmalerei, der Lebensmittelhandel Hörtnagl oder die Seifenfabrik Walde. Erfolgreiche Unternehmer übernahmen die einstige Rolle der adeligen Grundherren. Gemeinsam mit den zahlreichen Akademikern bildeten sie eine neue Schicht, die auch politisch mehr und mehr Einfluss gewann. Beda Weber schrieb dazu 1851:
„Ihre gesellschaftlichen Kreise sind ohne Zwang, es verräth sich schon deutlich etwas Großstädtisches, das man anderwärts in Tirol nicht so leicht antrifft."
Auch die Arbeiter verbürgerlichten. War der Grundherr am Land noch Herr über das Privatleben seiner Knechte und Mägde und konnte bis zur Sexualität über die Freigabe zur Ehe über deren Lebenswandel bestimmen, waren die Arbeiter nun individuell zumindest etwas freier. Sie wurden zwar nur schlecht bezahlt, immerhin erhielten sie aber nun ihren eigenen Lohn anstelle von Kost und Logis und konnten ihre Privatangelegenheiten für sich regeln ohne grundherrschaftliche Vormundschaft.
Innsbruck ist keine traditionelle Arbeiterstadt. Zur Bildung einer bedeutenden Arbeiterbewegung wie in Wien kam es in Tirol trotzdem nie. Innsbruck war immer schon vorwiegend Handels- und Universitätsstadt. Zwar gab es Sozialdemokraten und eine Handvoll Kommunisten, die Zahl der Arbeiter war aber immer zu klein, um wirklich etwas zu bewegen. Maiaufmärsche werden vom Großteil der Menschen maximal wegen billiger Schnitzel und Freibier besucht. Auch sonst gibt es kaum Erinnerungsorte an die Industrialisierung und die Errungenschaften der Arbeiterschaft. In der St.-Nikolaus-Gasse und in vielen Mietzinshäusern in Wilten und Pradl haben sich vereinzelt Häuser erhalten, die einen Eindruck vom Alltag der Innsbrucker Arbeiterschaft geben.