Universitätsstadt Innsbruck
Universitätsstadt Innsbruck
1669 gilt als das offizielle Gründungsjahr einer der wichtigsten Institutionen der Innsbrucker Stadtgeschichte. Am 15. Oktober gab Kaiser Leopold I. den Tirolern das Privileg des „Haller Salzaufschlags“, der es ermöglichte die begehrte Handelsware stärker zu besteuern und damit den Universitätsbetrieb zu finanzieren. Die Universität ging aus der Lateinschule hervor, die von den Jesuiten etwas mehr als hundert Jahre zuvor unter Ferdinand I. gegründet worden war. Der Schwerpunkt am Gymnasium lag auf der humanistischen Bildung. Latein und Griechisch waren Schwerpunkte im Unterricht. Wissenschaftliche Bücher wurden in der Frühen Neuzeit noch immer auf Latein verfasst. Auch für höhere Posten im öffentlichen Dienst war Latein Voraussetzung. Die Universität brachte neue Ausbildungsmöglichkeiten nach Innsbruck. Die erste Fakultät, die den Lehrbetrieb aufnahm, war die Philosophie. Theologie, Recht und Medizin folgten kurz darauf. Als Papst Innozenz XI. der Universität 1677 seinen Segen gab, war der Betrieb schon voll angelaufen und Studenten aus Tirol und anderen Ländern tummelten sich in Innsbruck. Ein Studium dauerte für gewöhnlich sieben Jahre, bevor sich der Absolvent als Zeichen seines Status als Doktor einen Ring über den Finger streifen durfte. In den ersten beiden Jahren musste jeder Student der Philosophie widmen, bevor er sich für ein Gebiet entschied. Zum geisteswissenschaftlichen Unterricht kamen Kirchendienste, Theateraufführungen, Musizieren und praktische Dinge wie Fechten und Reiten, die im Leben eines gebildeten jungen Mannes nicht fehlen durften.
Die Universität war aber mehr als ein Bildungsinstitut. Studenten und Professoren veränderten das soziale Gefüge der Stadt. Bei gesellschaftlichen Anlässen wie Prozessionen stachen Abordnungen wie die Congregation der heiligen Jungfrau, die sich aus Mitgliedern der jesuitisch geprägten Universität speiste, hervor. Die Professoren pflegten in ihren je nach Fachgebiet verschiedenartigen Samtmänteln aufzutreten, die Studenten mit den Schwertern, die sie tragen durften. Die Akademiker sprachen auch auf Deutsch anders als die einheimische Bevölkerung, offizielles wurde ohnehin meist auf Latein erledigt. 1665 hatte Innsbruck den Rang einer Residenzstadt verloren und hatte damit an Prestige und Glanz verloren. Der Universitätsbetrieb machte diese Degradierung etwas wett, blieb die Aristokratie so zumindest in Form von Studenten erhalten. Work hard, play hard galt auch damals als Motto. Der von den Professoren streng überwachte studentische Alltag in Aula und den Hörsälen wurde von einem bunten Mix aus feuchtfröhlicher Abendunterhaltung, Ausflügen in die Umgebung Innsbrucks, Musizieren, kirchlichen Prozessionen und Theateraufführungen aufgelockert. Das Zusammentreffen privilegierter Jugendlicher mit Bürgern, Dienstboten und Handwerkern lief nicht immer reibungsfrei ab. Unter den anfangs knapp 300 Studenten fanden sich viele Söhne aus Adelshäusern wieder. Die jungen Männer traten, anders als die streng und sittlich gekleideten Einwohner Innsbrucks, bunt und keck nach der Art mittelalterlicher Gecken in Erscheinung. Sie sprachen in einer Art und Weise miteinander, die Uneingeweihten als vollkommen lächerlich erscheinen musste. Bei den Studenten handelte es sich trotz ihres gesellschaftlichen Ranges häufig genug auch nicht um strebsame Musterschüler, sondern um junge Burschen, die einen gewissen Lebensstil und Status gewohnt waren. So begaben sich im Januar 1674 „nit allein zu nächtlicher Zeit Ungelegenheiten, Rumores und ungereimte Handlungen“ und es wurden „Studenten der Universität angetroffen, die allerlei verbotene Waffen wie Feuerrohr, Pistolen, Terzerol, Stilett, Säbel, Messer…“ bei sich hatten. Die der Oberschicht entstammenden Teenager waren es gewohnt, Waffen zu tragen und auch zu benutzen. Ehrverletzungen konnten, ähnlich wie beim Militär, auch in studentischen Kreisen zu Duellen führen. Besonders in Paarung mit Alkohol waren Ausschreitungen nicht ungewöhnlich.
Das exzentrische Verhalten der jungen Männer führte immer wieder zu skurrilen Problemen untereinander und mit den nicht-akademischen Innsbruckern. Studenten war es zum Beispiel verboten, über den Durst zu trinken. Geschah dies doch in einer der Wirtschaften Innsbrucks, so wurde der junge Delinquent ermahnt. Konnte oder wollte er die Rechnung nicht begleichen, konnte der geschädigte Wirt bei Gericht keine Anzeige einbringen, da der Ausschank alkoholischer Getränke über die Maßen an die Studentenschaft verboten war. Um den jungen Eliten Herr zu werden, bedurfte es eines eigenen Rechtssystems. Studenten unterlagen bis zu einem gewissen Grad dem Universitätsrecht unterlagen, das vom Stadtrecht losgelöst war. Um das Recht durchzusetzen, stellte das Rektorat eine eigene Truppe aus. Die Scharwache war mit Hellebarden bewaffnet und sollte die Rumores der Studenten so gut als möglich verhindern. Sechs Mann hatten Tag und Nacht bewaffneten Dienst, um die Ordnung aufrecht zu erhalten. Die Kosten dafür teilten sich die Stadt Innsbruck und die Universität. Es gab auch einen eigenen Carcer, um Übeltäter bei Wasser und Brot zu verwahren. Freiheitsentzug, Geldbußen und sogar Landesverweise konnten von der Universität ausgesprochen werden. Nur für die Blutgerichtsbarkeit musste die Landesregierung angerufen werden.
Die Universität war auch sonst durch ihre Geschichte hindurch ein Politikum. Der Name Leopold-Franzens-Universität geht auf die beiden Kaiser Leopold und Franz zurück, unter denen sie jeweils gegründet wurde. Zweimal wurde die Universität zu einem Lyzeum herabgestuft oder gar ganz abgeschafft. Kaiser Josef II. schloss die Pforten ebenso wie die bayerische Verwaltung während der Napoleonischen Kriege. Die jesuitisch geprägten und Studenten und Professoren waren ihnen suspekt und wurden aus dem Bildungssektor verband. Kaiser Franz I., der in der Restauration wieder mehr auf der traditionell katholischen Linie der Habsburger war, nahm 1826 die Neugründung vor. Unter Beobachtung blieb die Universität aber auch im Polizeistaat Metternichs weiterhin. Im Vormärz waren es nationalistisch und liberal gesinnte Kräfte, die man fürchtete. Die geheime Staatspolizei war nicht nur in den Hörsälen, sondern auch sonst in den studentischen Kreisen präsent, um problematisches Gedankengut junger Aufwiegler möglichst früh im Keim zu ersticken.
Die Industrialisierung und die damit einhergehenden neuen wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Spielregeln veränderten den Universitätsbetrieb. Ganz im Geist der Zeit beschäftigte sich die Eröffnungsrede des Dekans der philosophischen Fakultät Prof. Dr. Joachim Suppan (1794 – 1864), mit einem praktischen Problem der Physik, damit „eine genauere Kenntnis der so wichtigen und nützlichen Erfindung der Dampfmaschine auch für die vaterländische Industrie, wo dieselbe bisher noch keine Anwendung hat,“ erreicht werde. Dass Supan neben seinen Abschlüssen in Philosophie und Mathematik auch geweihter Priester war, zeigt den Einfluss, den die Kirche auch im 19. Jahrhundert auf das Bildungswesen hatte. Wie sehr die Universität neben der Kirche der staatlichen Obrigkeit verbunden war, zeigt Supans abschließende Ermahnung in Richtung der Studenten, „dereinst dem Vaterlande durch Kenntnis und Tugend ersprießliche Dienste zu leisten“.
Die Nationalitätenkonflikte der späten Monarchie spiegelten sich ebenfalls in der Universitätsgeschichte wider. Das 19. Jahrhundert war das Zeitalter des Vereinswesens, im Fall der Universität der Studentenverbindungen. Im Falle Innsbruck waren es vor allem Probleme zwischen deutschsprachigen und italienischsprachigen Studenten, die immer wieder zu Problemen führten und ihren Höhepunkt in den Fatti di Innsbruck fanden. Deutschnational gesinnte Studenten spielten auch in weiterer Folge eine Hauptrolle an der Universität. Viele der jungen Männer waren im habsburgischen Großreich aufgewachsen und hatten im Ersten Weltkrieg gedient. Die junge Republik Österreich lag unter den jungen Akademikern nicht im Trend. Die Begeisterung flog teils dem als modern und dynamisch wirkenden faschistischen Italien und später dem nationalsozialistischen Deutschland zu. Mit dem Anschluss an das Deutsche Reiche 1938 wurde die Universität ein weiteres Mal umbenannt. Nach dem Krieg wurde aus der Deutschen Alpenuniversität wieder die Leopold-Franzens-Universität.
Die Universität war wie so vieles dem Standesdenken ihrer jeweiligen Zeit unterworfen. Frauen und Söhnen von Handwerksfamilien war das Studium an der Universität lange nicht gestattet. Das änderte sich erst in der Zeit nach der Monarchie. Den ersten weiblichen Doktor der Juristerei der Universität feierte man gar erst fünf Jahre nach der Entstehung der Republik. Die Presse notierte:
„Am kommenden Samstag wird an der Innsbrucker Universität Fräulein Mitzi Fischer zum Doktor iuris promoviert. Fräulein Fischer ist eine gebürtige Wienerin. In Wien absolvierte sie auch das Gymnasium. Nach der Reifeprüfung oblag sie dem juristischen Studium der Universität Innsbruck. Die zukünftige Doktorin hat sämtliche Prüfungen mit Auszeichnungen absolviert, müßte also nach dem früheren Brauche sub auspiciis imperatoris promovieren. Jedenfalls ist Fräulein Fischer die erste Dame, die sich an der Innsbrucker Universität den juristischen Doktortitel erwirbt.“
Erstaunlich ruhig verhielten sich die Studenten in Innsbruck in den Wendejahren 1848 und 1968 an der Universität. Während in anderen europäischen Städten die Studenten Treiber des Wandels waren, blieb man in Innsbruck unaufgeregt. Es gab in den späten 1960ern und 70ern zwar einzelne Gruppen wie die Kommunistische Gruppe Innsbruck, das Komitee für Solidarität mit Vietnam, die sozialistische VSStÖ oder die liberal-katholische Aktion innerhalb der ÖH, zu einer Massenbewegung kam es nicht. Während in Paris Pflastersteine flogen, gab man sich in Innsbruck mit Boykotten und Sit-ins zufrieden. Der allergrößte Teil der Studenten entstammte der Oberschicht und hatte die Matura in einem katholisch orientierten Gymnasium absolviert. Beethovens Weisheit, dass „solange der Österreicher noch braun´s Bier und Würstel hat, revoltiert er nicht,“ traf zu. Nur wenige Studenten konnten sich für Solidarität mit Vietnam, Mao Zedong und Fidel Castro begeistern. Wer wollte schon die eigene Karriere aufs Spiel setzen, in einem Land, das von der Dreifaltigkeit aus Tiroler Tageszeitung, Bischof Paulus Rusch und dem Landtag mit absoluter Mehrheit der ÖVP dominiert wurde? Wer es trotzdem wagte, aufsässige Flugblätter oder linke Literatur zu verbreiten, musste mit medialer Diffamierung, einer Rüge durch das Rektorat oder gar dem Besuch der Staatsgewalt rechnen. Kritisiert wurden nur selten die Professoren, die im 20. Jahrhundert häufig noch Distanziertheit und den unnahbaren Nimbus der Frühen Neuzeit versprühten oder kaum Hehl aus ihrer politischen Gesinnung machten. Eher war die mangelhafte Ausstattung der bescheidenen Lehrsäle für die stets zunehmende Anzahl an Studenten. Die große Veränderung in den Universitäten wurde in Österreich nicht erkämpft, sondern gewählt. Unter Bundeskanzler Bruno Kreisky fielen die die Studiengebühren. Bildung wurde für eine größere Anzahl junger Menschen leist- und vorstellbar. Die Zahl der Studenten an österreichischen Hochschulen stieg dadurch zwischen 1968 und 1974 von 50.000 auf über 73.000 Menschen an.
Trotz aller Widrigkeiten und Kuriositäten durch die Jahrhunderte genoss die Universität Innsbruck seit ihren Anfangstagen meist einen sehr guten Ruf. Lehrende und Studierende sorgten im 20. und 21. Jahrhundert mehrfach für aufsehenerregende Leistungen in der Forschung. Victor Franz Hess wurde für seine Verdienste rund um die Erforschung der kosmischen Strahlung den Nobelpreis für Physik. Auch der Quantenphysiker Anton Zeilinger war an der Universität Innsbruck tätig, wenn auch nicht im Jahr 2022 bei seiner Verleihung. Den Nobelpreis für Chemie erhielten auch die Professoren Fritz Pregl, Adolf Windaus und Hans Fischer, wobei auch sie nicht mehr in Innsbruck tätig waren. Die Universitätsklinik erbrachte sowohl in Forschung und Ausbildung wie auch in der täglichen Versorgung der Stadt sehr gute Leistungen und zählt zu den Aushängeschildern Innsbrucks.
Nicht nur in intellektueller und wirtschaftlicher Hinsicht ist die Universität wichtig für die Stadt. 30.000 Studierende bevölkern und prägen das Leben zwischen Nordkette und Patscherkofel. Die Zeit, in der junge Aristokraten in bunten Klamotten bei Prozessionen ausfällig werden, sind vorüber. Mittlerweile sind sie eher auf den Skipisten und Mountainbike-Trails zu finden. Das größte Problem, das die jungen Damen und Herren verursachen, sind auch keine Pogrome gegenüber nicht-deutschen Bevölkerungsgruppen. Ein großer Teil der Studierenden des 21. Jahrhunderts kommt selbst aus dem Ausland und treibt die Preise am Wohnungsmarkt seit den 1970erJahren auf Rekordhöhe. Im Oktober 1972 kam es zur Besetzung des Hexenhauses, einer leerstehenden Immobilie der Universität in der Schöpfstraße 24, die kurzerhand von einer Handvoll Studenten okkupiert wurde. Innsbruck gilt als die teuerste Landeshauptstadt, was Wohnraum betrifft, der Leerstand von Immobilien ist mehr als 50 Jahre nach der Hausbesetzung noch immer ein drängendes Problem. Wie sehr die Studierenden Innsbruck beleben, merkt man erst, wenn die Auswärtigen zwischen den einzelnen Semestern in ihre Heimat zurückkehren. Zehntausende beleben nicht nur das Nachtleben, sondern verpassen der Kleinstadt auch fast 400 Jahre nach der Gründung internationales Flair und hippe Urbanität.
Sehenswürdigkeiten dazu…
Verbindungshaus Austria
Josef-Hirn-Straße
Pfarre Mariahilf
Dr.-Sigismund-Epp-Weg
Johanneskirche
Bischof-Reinhold-Stecher-Platz
Universität Innsbruck
Innrain 52
Jesuitenkirche & Palais Pfeifersberg
Karl-Rahner-Platz / Sillgasse 6