Petrus Canisius und die Jesuiten
Petrus Canisius und die Jesuiten
Franziskaner, Prämonstratenser, Karmeliten, Serviten, Kapuziner, Ursulinen. Wer Innsbruck besucht, spaziert, meist unbewusst, an vielen Klöstern vorbei. Der politisch und gesellschaftlich wohl einflussreichste Orden in der Geschichte der Stadt ab dem 16. Jahrhundert waren die Jesuiten. Die „Soldaten Christi“ wurden vom spanischen Adeligen Ignatius von Loyola (1491 – 1556) 1540 gegründet. Loyola war ein sittenstrenger Reformator und einflussreicher Kirchenpolitiker, der Zugang zu den höchsten Zirkeln der Macht seiner Zeit hatte. Er wollte die Kirche verändern, anders als Luther aber nicht ohne den Papst als Oberhaupt. Auch eine Auflösung des Eigentums der Klöster stand nicht am Programm. Erneuerung des Glaubens von oben nach unten anstatt Zerstörung der bestehenden Ordnung war die Devise der Societas Jesu.
Der Orden gewann schnell an Einfluss. Aus dem militärischen Bereich übernommene Organisation und Struktur, die Verbindung humanistischer Lehren und katholischer Traditionen, ein Faible für Wissenschaft und Bildung in Kombination mit einer mystisch anmutende Volksfrömmigkeit machten sie für viele Menschen, die vom mittelalterlichen Sittenverfall des Klerus enttäuscht waren, attraktiv. Die Jesuiten waren mit diesen Merkmalen am Puls einer Zeit, die von neuen politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Strukturen geprägt war. Sie nutzten wie protestantische Reformatoren geschickt das neue Medium Buchdruck, um ihre Schriften zu verbreiten. Man könnte sagen, sie waren die konfessionelle Fortsetzung der gesellschaftlichen Durchdringung durch den Staat, New Media und der doppelten Buchhaltung.
Die politische Situation war zur Mitte des 16. Jahrhunderts verfahren und krisenreich. Italien war nach den Kriegen zwischen Frankreich und den Habsburgern arg in Mitleidenschaft gezogen. Große Handelskonzerne wie die Fugger und die Welser gewannen immer mehr Einfluss. Die deutschen Länder hatten unter den Bauernkriegen gelitten. Die Inflation bedrohte und die vielen technischen Neuerungen der Zeit um 1500 machten vielen Menschen Angst. Wie aber sollte man den Zorn Gottes ob der Verfehlungen der Renaissancepäpste und das drohende Ende der Welt abwenden, wenn nicht durch sittliche Besserung moralisches Leben nach den Lehren Christi?
Ein eifriger Förderer der Jesuiten in Tirol war Landesfürst und spätere Kaiser Ferdinand I. Er war wie Ignatius von Loyola in Spanien aufgewachsen. Mit den Sitten der Deutschen und der in Spanien nicht existenten Reformationsbewegung hatte er ebenso seine Schwierigkeiten wie mit der Sprache. Die Tiroler Bevölkerung auf der anderen Seite fremdelte mit ihrem Landesfürsten, den man mit seinem fremdländischen Hofstaat leicht mit einer Besatzungsmacht verwechseln konnte. Ein verbindendes Element zwischen den beiden Welten war die römische Kirche, speziell der moderne Jesuitenorden.
Der wahrscheinlich bedeutendste jesuitische Theologe war Petrus Canisius (1521 – 1597). Er wuchs als Peter Kanis in einem Haushalt der gehobenen Mittelschicht in den Niederlanden auf. Sein Vater war Bürgermeister von Nimwegen. Bereits in früher Jugend machte der spätere Kirchenstratege erste Erfahrungen mit der hohen Politik und lernte höfisches Benehmen, bevor er nach Köln ging, um zu studieren. Canisius war der das erste Ordensmitglied auf dem Gebiet des Heiligen Römischen Reiches. Der intelligente und gebildete junge Mann legte eine steile Karriere hin. Ferdinand berief ihn nach Wien, wo er als bischöflicher Administrator und an der Universität für Ordnung sorgen sollte. Eine seiner Haupttätigkeiten an der Uni neben Lehre und Forschung war das Ausfindigmachen und Verhören des Protestantismus verdächtiger Universitätsangehöriger.
Canisius verbrachte auch einige Jahre in Innsbruck. Eigentlich hätten die Jesuiten in die fertiggestellte Hofkirche einziehen sollen, um die Chorgebete für Maximilian I. an dessen Grabstätte zu übernehmen. Dies lehnte Canisius als oberster Vertreter des Ordens nördlich der Alpen höflich, aber bestimmt ab. Für Ferdinand verfasste er eine Gebetsanleitung, um den Fürsten auf den rechten Weg zu bringen. 1563 schaffte es der Kaiser doch noch ihn in die Alpen zu locken. Der Gelehrte sollte ihm als Berater und Consultant für einen Disput mit dem Papst während des Konzils von Trient beistehen. Im Oktober 1571 erfuhr die Kirchengemeinde Wiltens aus seinem Mund vom Sieg der päpstlich-kaiserlichen Flotte gegen die Osmanen bei Lepanto. Von der Kanzel herab verkündete Canisius den Triumph der christlichen Streitkräfte gegen die drohende Heidengefahr in der größten Seeschlacht der Geschichte im Stil eines katholischen Nachrichtensprechers.
Als Hofprediger war Canisius Berater der Aristokratie, seine fromme Begeisterung machte ihn aber auch zum Kirchenmann für die Massen. Im Auftrag des Herrn, oder besser gesagt seiner weltlichen und kirchlichen Herren, reiste er quer durch Europa. Wie Martin Luther schaute auch er „dem Volk aufs Maul“. Man darf nicht vergessen, dass Gehen für die meisten Menschen die vorrangige Art des Reisens darstellte. Canisius soll über 100.000 Kilometer zwischen den Niederlanden, Rom und Polen zurückgelegt haben. Unterwegs übernachtete er meist in einfachen Gasthöfen. Er wusste, wie wichtig es war, die Landbevölkerung hinter sich zu bringen. Während seine Brüder im fernen Indien missionierten, missionierte er gegen den Protestantismus in den deutschen Ländern. Er erkannte, dass Predigten auf Latein nicht geeignet waren, um Bauern, Knechte und Mägde gegen die Bedrohung der römischen Kirche durch Luthers Protestantismus zu immunisieren. Mit seinem Katechismus verfasste Petrus Canisius eine wichtige deutschsprachige Ideensammlung im katholischen Kampf gegen die Reformation, der schnell in alle europäischen Sprachen übersetzt und lange als Leitfaden der katholischen Kirche galt. Für unterschiedliche Audiences wurden zwischen 1555 und 1558 drei verschieden komplexe Varianten des Werkes geschaffen. Findige Herausgeber schufen für Analphabeten einen Bilderkatechismus, um die Ideen der Kirche unters Volk zu bringen. Canisius nutzte auch das neue Medium des Flugblattes, um möglichst viele Menschen zu erreichen. Seine Schriften waren gemeinsam mit denen Luthers wahrscheinlich die meistgelesenen des 16. Jahrhunderts. Bis weit ins 19. Jahrhundert, in manchen Regionen sogar bis nach dem 2. Weltkrieg, war der Kanisi, wie der Katechismus liebevoll genannt wurde, das einflussreichste religiös-philosophische Werk in Tirol.
Die stärkste und nachhaltigste Säule im Kampf gegen die Reformatoren aber war die Bildung. Canisius sah viele Bischöfe und Politiker als korrupt, moralisch verdorben und sündhaft. Anstatt sie aber auszumerzen, sollten sie sich unter den Fittichen der Soldaten Jesu bessern. Die Jesuiten setzten durch die Eröffnung neuer Kollegien auf eine bessere Ausbildung der Beamtenschaft, des Adels und des Klerus und höhere moralische, an den christlichen Wurzeln ausgerichtete Maßstäbe im Kirchenalltag. Zu diesem Zweck gründeten sie im ganzen Reich Kollegien. Protestantische Länder und Städte hatten begonnen Deutsche Schulen, Akademien und Gymnasien zu installieren. Möglichst viele Untertanen sollten lesen können, um Frömmigkeit und Seelenheil in der individuellen und unmittelbaren Bibellektüre zu finden. Die Jesuiten hingegen konzentrierten sich auf die Elitenbildung und erlangten so nachhaltigen Einfluss in den Machtzentren der katholischen Staaten.
Die Jesuiten gründeten in Innsbruck die Lateinschule, aus der später die Universität hervorgehen sollte. Das neue Bildungsinstitut hatte große Auswirkungen auf die Stadtentwicklung. Hier wurde die Intelligenzia ausgebildet, die Innsbrucks Aufstieg zum Verwaltungs- und Wirtschaftsstandort ermöglichte. Unter Josef II. kam es zu einer Unterbrechung ihrer Tätigkeit. Er entmachtete und enteignete kirchliche Orden, darunter auch die von ihm wenig geliebten Jesuiten. Die Universität Innsbruck wurde unter ihm 1781 zu einem Lyzeum zurückgestuft. Erst 1838 wurden die Jesuiten wieder nach Innsbruck berufen. Neben Lehrstühlen an der Universität hatten sie das Theresianum, ein Gymnasium für die Aristokratie, in leitender Funktion über.
Durch dieses Netz aus einflussreichen Posten und Bildungssystem wuchs der Orden rasch an und schaffte es während der Gegenreformation ein besonderes Verhältnis zu den Habsburgern aufzubauen. Vielen Mitgliedern der Dynastie ist in ihrem Herrschen und Tun der Einfluss des Ordens anzumerken, bei dem sie ihre Bildung genossen. Jesuiten wie Bartholomäus Viller oder Wilhelm Lamormaini waren als Beichtväter und Berater der Habsburger in der Frühen Neuzeit politisch einflussreich. Nicht umsonst sind die Jesuiten heute noch die Widersacher der Freimaurer in unzähligen Verschwörungstheorien und Romanen und gelten vielen als neuzeitliches Äquivalent des James-Bond-Bösewichts. Sie waren Forschung, Wissenssammlung und Bildung gegenüber sehr aufgeschlossen und wollten die Welt im Sinne der christlichen Schöpfung zu verstehen lernen. Das machte sie für Katholiken zu einem hippen Gegenpol sowohl zu den verstaubten bestehenden Orden wie auch den Protestanten. Glaube und Empirie verbanden sich zu einer Art vormodernen Wissenschaft, die Natur und Physik zu erklären versucht. Die Sammlung Ferdinands II. auf Schloss Ambras zeugt vom Forschungsdrang der Zeit ebenso wie die heute absurd anmutenden alchemistischen Experimente, die Kaiser Matthias (1557 – 1619) durchführte.
Bei aller Liebe für das Rationale kehrte unter den Jesuiten aber auch das Mystische wieder in den Kirchenalltag zurück. Passionsspiele, Ostergräber, Prozessionen und Feiertage sollten die strengen Glaubensgrundsätze in Schauspiel und Spektakel weich verpacken. Work hard – play hard war das Motto. Die Feierlichkeiten während Prozessionen arteten oft in rauschende Feste aus, bei denen es ähnlich wie bei heutigen Zeltfesten zu Schlägereien, teils sogar zu tumultartigen und blutigen Szenen kam. Brot und Wein des Herrn wurden im Stil von Panem et Circenses (Brot und Spielen) des antiken Rom zelebriert. Petrus Canisius schrieb im Auftrag Ferdinands I. ein Buch über ein Wunder in Seefeld mit dem klingenden Namen „Von dem hoch an weitberhümpten Wunderzeichen so sich mit dem hochheiligsten Sacrament des Altars auff dem Seefeld in der fürstlichen Graffschaft Tyrol Anno 1384 zugetragen und was man sonst darbey christlich und nutzlich zu bedenken hab“, um die dortige Wallfahrt anzuheizen.
Bis heute erhielt sich dieses Prinzip der massentauglichen gesellschaftlichen Vereinnahmung. Die Marianische Kongregation, in Innsbruck als MK bekannt, war eines der größten Jugendzentren Europas. Sie kann in einem modernen Sinn durchaus in der Tradition der sanften Einführung in den Glauben und die Erziehung der Jugend durch die Kirche gesehen werden.
Der Jesuitenorden war, ganz dem Volksglauben verpflichtet, auch überaus motiviert, wenn es um Verfolgung von Hexen und Andersgläubigen ging. Petrus Canisius war einer der Vordenker der frühneuzeitlichen Hexenjagd:
„Überall bestraft man die Hexen, welche merkwürdig sich mehren…. Sie beneiden die Kinder um die Gnade der Taufe und berauben sie derselben. Kindesmörderinnen befinden sich unter ihnen in großer Zahl… Man sah früher niemals in Deutschland die Leute so sehr dem Teufel ergeben und verschrieben…“
Auch als Exorzist, vor allem bei vom Virus des Protestantismus befallenen adeligen Damen, machte er auf sich aufmerksam. Canisius nutzte die Aufmerksamkeit, die Hexen und vom Teufel besessene im Volk auf sich zogen, um die Macht der katholischen Kirche anzupreisen.
Auch in der Missionierung von Heiden in der damals erst kürzlich entdeckten Neuen Welt in Amerika und in Asien taten sich die Jesuiten eifrig hervor. Der Heilige Franz Xaver, einer der ersten Mitstreiter Ignatius´ von Loyola, starb auf Missionsreise in China. In einer Seitenkapelle der Innsbrucker Jesuitenkirche ist diesem Soldaten Christi ein Altar geweiht.
Die Jesuiten halten bis heute ihre Hand über Innsbruck. Der Aufenthalt Petrus Canisius machte die Stadt im 16. Jahrhundert zu einem der theologischen Zentren der deutschsprachigen Welt. Sein Auftreten als Prediger und Gelehrter in der Stadt wäre mit einem Lehrauftrag Albert Einsteins an der Universität in den 1930er Jahren vergleichbar. Als Innsbruck 1964 unter dem Jesuiten Paulus Rusch zur eigenen Diözese wurde, erkor man Petrus Canisius zu ihrem Patron. Am Karl-Rahner-Platz befindet sich heute nicht nur die Jesuitenkirche, sondern auch die Theologische Fakultät der Universität Innsbruck. Im Saggen gehört das Collegium Canisianum den Jesuiten. Auch die MK ist noch immer in der Jugendarbeit tätig.
Sehenswürdigkeiten dazu…
Universität Innsbruck
Innrain 52
Collegium Canisianum
Tschurtschenthalerstraße 7
Jesuitenkirche & Palais Pfeifersberg
Karl-Rahner-Platz / Sillgasse 6