Die Reformation in Tirol
Die Reformation in Tirol
Die Reformation mag aus heutiger Sicht eine Glaubensangelegenheit gewesen sein. Betrachtet man den Glauben aber als einen essentiellen Baustein des Alltags und der Identität der Zeitgenossen, erkennt man, dass sie nur ein Ausdruck für vieles war, was sich im Umbruch befand. Die religiöse Reformation, die sich zwischen dem 15. und dem 17. Jahrhundert blutig entlud, war eine gesamtgesellschaftliche Zäsur ähnlich den Jahren 1848 oder 1968. Die Mehrzahl der Menschen mag davon oberflächlich unberührt geblieben sein, trotzdem veränderte sich in der Folge dieser Revolutionen vieles für alle. Der damit einhergehende soziale und politische Wandel machte auch vor dem Heiligen Land Tirol nicht Halt.
Um 1500 begannen neue Entdeckungen und Denkansätze das Ende des Mittelalters einzuläuten. Künstler, Gelehrte und Kleriker begannen überall in Europa Hierarchien, Ordnung und Legitimationen zu hinterfragen. Mit den theologischen Reformatoren des 15. und 16. Jahrhunderts begann das Feudalsystem, das Kirche und Adel über Volk und Bürgerschaft sah, brüchig zu werden. Der böhmische Geistliche Jan Hus hatte im 15. Jahrhundert als einer der ersten in Festlandeuropa die Allmacht des Papstes angezweifelt und wurde dafür am Konzil von Konstanz am Scheiterhaufen verbannt. In Frankreich und der Schweiz war es Jean Calvin (1509 – 1564), im Heiligen Römischen Reich Martin Luther (1483 – 1546) und Thomas Müntzer (1489 – 1525), die die Römische Kirche im 16. Jahrhundert herausforderten.
In Tirol waren im frühen 16. Jahrhundert vor allem die Bergwerkstädte Hall und Schwaz die Zentren der Reformation. Viele Knappen kamen aus Sachsen und brachten ihre Vorstellungen von Glauben und Kirche von dort mit. Die alte Liturgie mit Predigten in unverständlichem Latein entsprach diesen Vorstellungen nicht. Prediger wie Dr. Jacob Strauß wiegelten die Menschen mit lutherischem Gedankengut, das auch Kritik an Klerus und Herrschaftssystem beinhaltete, auf.
Diese Religionskrise führte auch im Profanen außerhalb der Kirchen zu Problemen. Glaube und Weltliches waren keine getrennten Sphären. Waren die Knappen unzufrieden mit der Seelsorge, streikten sie. Die öffentliche Ordnung war in Gefahr, nicht nur dadurch, dass die Bergleute das Recht hatten, Waffen zu tragen. Sie waren untereinander gut verknüpft. Ein Generalstreik konnte eine Wirtschaftskrise auslösen. Fugger und Habsburger, Kapital und politische Macht, waren sehr bedacht darauf, es nicht so weit kommen zu lassen und räumten den Bergleuten Sonderrechte ein.
Nicht nur die Bergleute, auch die progressiven Teile des Bürgertums und des Adels interessierten sich für die neue Art, seinen Glauben, der wichtiger Teil des Lifestyles war, zu leben. Die neuen Lehren waren ein Symbol für das neue Selbstverständnis und die gesellschaftliche Bedeutung, die Handwerker, Facharbeiter und Unternehmer in dieser aufstrebenden Branche gegenüber dem alten System der Feudalherren hatten.
Ferdinand I. und seine Nachfolger konnten die Reformation in Tirol erfolgreich zurückdrängen. Die Religionsmandate mit ihren etlichen Verboten waren zwar mit ein Grund für die Bauernkriege, langfristig und mit vielen Zwangsmaßnahmen fruchtete die landesfürstliche Strategie. Machtpolitik mag ein Grund gewesen sein, tatsächlich waren die regierenden Habsburger aber fromme Menschen, die zumindest zu einem großen Teil aus Überzeugung für den Katholizismus eintraten. Ferdinand II. beschrieb seine Motive mit den Worten:
„…aus eingebung Gotes und seines Hayligen Geistes Inspiration. Alles zu ehre des aller höchsten aus ainem Rechen inprünstigen zu der heyligen Catholischen Alleinsseligmachenden Religion tragenden eyfer.“
Es waren vor allem Priester des Jesuitenordens, die abtrünnige Gemeinden und Bürger vom reformierten Glauben zurück in den Schoß der katholischen Kirche bringen sollten. Den Anfang machten Reformmaßnahmen wie die bessere Ausbildung des Klerus. Konkubinat und Postenschacherei sollten abgeschafft werden. Priester und Bischöfe sollten sich weniger um Weltliches, als vielmehr um das Seelenheil ihrer Schäfchen kümmern. Da diese Maßnahme allerdings nicht von heute auf morgen umsetzbar war, tüchtige Priester mussten erst gefunden und erzogen werden, kamen Zwangsmaßnahmen dazu. Der Besitz protestantischer Bücher und Flugblätter stand unter Strafe. Dabei galt: je niederer der Stand des Bürgers, desto schwerer die Bestrafung. Adelige, Berater und Schlüsselarbeitskräfte konnten oft diskret ihrem protestantischen Glauben nachgehen. Unter Ferdinand II. mussten Untertanten zu Ostern die Beichte ablegen. Der Pfarrer legte eine Liste mit den Namen derer an, die ihrer Pflicht nachkamen. Wer trotz mehrmaliger Ermahnung nicht im Beichtstuhl erschien, konnte des Landes verwiesen werden.
Im 17. Jahrhundert setzte man in Österreich sogenannte Religionsreformationskommissionen ein. Fanden diese „Missionare“ protestantisch orientierte Pfarrer oder Untertanen, die verbotene Lektüre besaßen, wurden sie verhaftet und des Landes verwiesen und nicht selten ihre Häuser samt allem Hab und Gut in Brand gesetzt. Protestantische Beamte konnten ihren Beruf nicht ausüben. Sie mussten entweder konvertieren oder emigrieren. Besonders sture Untertanen wurden öffentlich angekettet. Maximilian III. ließ von einer eigenen Religionsagenterei vor allem Handwerker und Händler kontrollieren. Sie mussten zur Beglaubigung ihrer katholischen Sinneshaltung regelmäßig Beichtzettel abliefern.
Unter Maria Theresia im 18. Jahrhundert wurden Tiroler Protestanten in weit entlegene Teile des Habsburgerreichs zwangsweise umgesiedelt. Die Umsiedlungen bedeuteten aber nicht nur für die betroffenen Bürger ein Problem. Arbeitskraft und die Anzahl der Untertanen waren in den modernen Staatswesen wichtige Merkmale der Entwicklung. Damit stand vor dem Problem, das man heute als Braindrain bezeichnet. Kompetenzen und militärische Power gingen im Namen des Herrn verloren.
1781 erließ der aufgeklärte Kaiser Joseph II. auch aus diesem Grund das Toleranzpatent, das den Bau von protestantischen Kirchen erlaubte, wenn auch an Bedingungen gebunden. So durften diese Bethäuser keine Türme oder sonstigen baulichen Besonderheiten aufweisen. Sogar straßenseitige Fenster waren verboten. In Tirol kam es zu Widerständen gegen das Toleranzpatent, man fürchtete um die guten Sitten und wollte fremdartige Religionen, Zwietracht und Unruhen aller Art vermeiden. Konvertierten Untertanen wurden Dinge wie Ehe und ein Begräbnis auf katholischen Friedhöfen verwehrt.
Bis heute gilt Tirol als selbsternanntes „Heiliges Land“, wobei sich heilig explizit auf den katholischen Glauben bezieht. Noch 1837 wurden Protestanten aus dem Zillertal abgeschoben. Die Nachfahren der sogenannten Zillertaler Inklinanten, die unter behördlichem Druck auswanderten, leben bis heute in Deutschland. Nach und nach hielt die Toleranz zwar Einzug im Kaiserreich und in den Ländern, die Zusammengehörigkeit von Obrigkeit und katholischer Kirche biss sich aber weit ins 20. Jahrhundert in vielen Lebensbereiche, zum Beispiel der Schulbildung, fest. Als während der Verfassungsverhandlungen von 1848 bekannt wurde, dass für die gesamte Monarchie freie Ausübung der Religion geplant war, war die öffentliche Empörung in Tirol riesig. Mehr als 120.000 Unterschriften wurden nach Medienkampagnen gegen diese Liberalisierung des Glaubens gesammelt. 1861 erließ Kaiser Franz Josef das Protestantenpatent, das der evangelischen Kirche mehr oder minder die gleichen Rechte wie die katholische Kirche. Die Tiroler Bevölkerung ließ sich in ihrer Beharrungsfähigkeit auch nicht vom kaiserlichen Protestantenpatent von ihrer Intoleranz abbringen. Das Argument lautete, dass es in Tirol ohnehin keine Andersgläubigen gäbe, es daher auch keiner Toleranz gegenüber Nichtkatholiken bedurfte. Erst 1876 kam es zur Gründung einer offiziellen evangelischen Pfarrgemeinde in Innsbruck.
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