Andreas Hofer und die Tiroler Erhebung von 1809

Wandfresko Speckbacher Hofer in Mutters
Andreas Hofer und die Tiroler Erhebung von 1809

Die Zeit der Napoleonischen Kriege bescherte dem Land Tirol ein nationales Epos und mit Andreas Hofer einen Helden, dessen Glanz bis in die heutige Zeit strahlt. Subtrahiert man allerdings die sorgsam konstruierte Legende vom Tiroler Aufstand gegen die Fremdherrschaft, war die Zeit vor und nach 1809 ein dunkles Kapitel in der Innsbrucker Stadtgeschichte, geprägt von wirtschaftlichen Nöten, Kriegsverheerung und mehreren Plünderungen. Das Königreich Bayern war während der Napoleonischen Kriege mit Frankreich verbündet und konnte in mehreren Auseinandersetzungen zwischen 1796 und 1805 das Land Tirol von den Habsburgern übernehmen. Innsbruck war nicht mehr Hauptstadt eines Kronlandes, sondern nur noch eine von vielen Kreishauptstädten der Verwaltungseinheit Innkreis. Einnahmen aus Maut und Zoll sowie auf das Haller Salz verließen das Land Richtung Norden. Die britische Kolonialsperre gegen Napoleon hatte zur Folge, dass der stets florierende und Wohlstand bringende Innsbrucker Fernhandel und das Transportwesen als Wirtschaftszweige einbrachen. Innsbrucker Bürger mussten bayerische Soldaten in ihren Häusern einquartieren. Die Aufhebung der Tiroler Landesregierung, des Guberniums und des Tiroler Landtags bedeuteten aber nicht nur den Verlust von Status, sondern auch von Arbeitsplätzen und finanziellen Mitteln. Ganz vom Geist der Aufklärung, der Vernunft und der Französischen Revolution beseelt, machten sich die neuen Landesherren daran, die althergebrachte Ordnung umzukrempeln. Während die Stadt, wie es zu jeder Zeit ist, unter dem Kriegstreiben finanziell litt, eröffneten sich gesellschaftspolitisch durch den Umbruch neue Möglichkeiten. Der Krieg ist der Vater aller Dinge, vielen Bürgern kam der frische Wind nicht ungelegen. Moderne Gesetze wie die Gassen-Säuberungs-Ordnung oder eine verpflichtende Pockenimpfung sollten Sauberkeit und Gesundheit in der Stadt zuträglich sein. Zu Anfang des 19. Jahrhunderts verstarb noch immer eine beträchtliche Anzahl von Menschen an Krankheiten, die auf mangelnde Hygiene und verseuchtem Trinkwasser zurückzuführen waren. Ein neues Steuersystem wurde eingeführt und die Befugnisse des Adels weiter verringert. Die bayerische Verwaltung erlaubt das 1797 verbotene Vereinswesen wieder. Auch das Zurückdrängen der Kirche aus dem Bildungswesen gefiel liberalen Innsbruckern. So wurde der Benediktinerpater und spätere Mitbegründer des Musikvereins Innsbrucks Martin Goller wurde nach Innsbruck berufen, um die musikalische Ausbildung zu forcieren.

Diese Reformen behagten einem großen Teil der Tiroler Bevölkerung nicht. Die Durchführung katholischer Prozessionen und religiöser Feste fielen dem aufklärerischen Programm der neuen Landesherren zum Opfer. Die Unzufriedenheit wuchs stetig. Der Funke, der das Pulverfass zur Explosion brachte, war die Aushebung junger Männer zum Dienst in der bayrisch-napoleonischen Armee, obwohl Tiroler seit dem Landlibell, einem Gesetz Kaiser Maximilians, nur für die Verteidigung der eigenen Grenzen herangezogen werden durften. Am 10. April kam es bei einer Aushebung in Axams bei Innsbruck zu einem Tumult, der schließlich zu einem Aufstand führte. Für Gott, Kaiser und Vaterland kamen Abteilungen der Tiroler Landesverteidigung zusammen, um den kleinen Armeeteil und die Verwaltungsbeamten der Bayern aus Innsbruck zu vertreiben. Angeführt wurden die Schützen von Andreas Hofer (1767 – 1810), einen Wirt, Wein- und Pferdehändler aus dem Südtiroler Passeiertal bei Meran. Ihm zur Seite standen nicht nur weitere Tiroler wie Pater Haspinger, Peter Mayr und Josef Speckbacher, sondern im Hintergrund auch der Habsburger Erzherzog Johann.

In Innsbruck angekommen plünderten die Schützen nicht nur offizielle Einrichtungen. Wie bereits beim Bauernaufstand unter Michael Gaismair war der Heldenmut nicht nur von Adrenalin, sondern auch von Alkohol beflügelt. Der wilde Mob war für die Stadt wohl schädlicher als die bayrischen Verwalter seit 1805. Vor allem gegen bürgerliche Damen und den kleinen jüdischen Bevölkerungsanteil Innsbrucks kam es zu heftigen Ausschreitungen der „Befreier“.

Im Juli 1809 hatten Bayern und Franzosen die Kontrolle über Innsbruck nach dem mit den Habsburgern geschlossenen Frieden von Znaim, der vielen bis heute als Wiener Verrat am Land Tirol gilt, zurückerlangt. Was nun folgte, war das, was als Tiroler Erhebung unter Andreas Hofer, der mittlerweile das Oberkommando über die Tiroler Landesverteidigung übernommen hatte, in die Geschichtsbücher eingehen sollte. Insgesamt drei Mal konnten die Tiroler Aufständischen den Sieg vom Schlachtfeld tragen. Besonders bekannt ist die 3. Schlacht im August 1809 am Berg Isel. „Innsbruck sieht und hört, was es noch nie gehört und gesehen: eine Schlacht von 40.000 Kombattanten…“ Für kurze Zeit war Andreas Hofer in Ermangelung regulärer Tatsachen Oberkommandant Tirols, auch für zivile Angelegenheiten. Finanziell änderte sich die missliche Lage Innsbrucks nicht. Anstelle der bayerischen und französischen Soldaten mussten die Stadtbürger nun ihre Landsleute aus dem Bauernregiment beherbergen und verköstigen und Abgaben für die neue Landesregierung entrichten. Besonders die liberalen und vermögenden Eliten der Stadt waren nicht glücklich mit den neuen Stadtherren. Die von ihm als Landeskommandant erlassenen Verordnungen erinnern eher an einen Gottesstaat als ein Gesetzwerk des 19. Jahrhunderts. Frauen durften nur noch züchtig verhüllt auf die Straße gehen, Tanzveranstaltungen wurden verboten und freizügige Denkmäler wie die am Leopoldsbrunnen zu besichtigenden Nymphen wurden aus dem öffentlichen Raum verbannt. Bildungsagenden sollten wieder an den Klerus gehen. Liberale und Intellektuelle wurden verhaftet, dafür wurde das Rosenkranzbeten zum Gebot.

Am Ende gab es im Herbst 1809 in der vierten und letzten Schlacht am Berg Isel eine empfindliche Niederlage gegen die französische Übermacht. Die Regierung in Wien hatte die Tiroler Aufständischen vor allem als taktischen Prellbock im Krieg gegen Napoleon benutzt. Bereits zuvor hatte der Kaiser das Land Tirol offiziell im Friedensvertrag von Schönbrunn wieder abtreten müssen. Innsbruck war zwischen 1810 und 1814 wieder unter bayrischer Verwaltung. Auch die Bevölkerung war nur noch mäßig motiviert, Krieg zu führen. Wilten wurde von den Kampfhandlungen stark in Mitleidenschaft gezogen. Das Dorf schrumpfte von über 1000 Einwohnern auf knapp 700. Hofer selbst war zu dieser Zeit bereits ein von der Belastung dem Alkohol gezeichneter Mann. Er wurde gefangengenommen und am 20. Januar 1810 in Mantua hingerichtet. Zu allem Überfluss wurde das Land geteilt. Das Etschtal und das Trentino wurden Teil des von Napoleon aus dem Boden gestampften Königreich Italien, das Pustertal wurde den französisch kontrollierten Illyrischen Provinzen angeschlossen.

Der „Freiheitskampf“ symbolisiert bis heute für das Tiroler Selbstverständnis. Lange Zeit galt Andreas Hofer als unumstrittener Held und als Prototyp des wehrhaften, vaterlandstreuen und standhaften Tirolers. Der Underdog, der sich gegen die fremde Übermacht und unheilige Sitten wehrte. Tatsächlich war Hofer wohl ein charismatischer Anführer, ein politisch aber unbegabter und konservativ-klerikaler, simpler Geist. Seine Taktik bei der 3. Schlacht am Berg Isel „Grad nit aufferlassen tiat sie“ (Ann.: Ihr dürft sie nur nicht heraufkommen lassen) fasst sein Wesen wohl ganz gut zusammen.

In konservativen Kreisen Tirols wie den Schützen wird Hofer unkritisch und kultisch verehrt. Das Tiroler Schützenwesen ist gelebtes Brauchtum, das sich zwar modernisiert hat, in vielen dunklen Winkeln aber noch reaktionär ausgerichtet ist. Wiltener, Amraser, Pradler und Höttinger Schützen marschieren immer noch einträchtig neben Klerus, Trachtenvereinen und Marschmusikkapellen bei kirchlichen Prozessionen und schießen in die Luft, um alles Übel von Tirol und der katholischen Kirche fernzuhalten.

Über die Stadt verteilt erinnern viele Denkmäler an das Jahr 1809. Die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts erfuhr eine Heroisierung der Kämpfer, die als deutsches Bollwerk gegen fremde Völkerschaften charakterisiert wurden. Der Berg Isel wurde der Stadt für die Verehrung der Freiheitskämpfer vom Stift Wilten, der katholischen Instanz Innsbrucks, zur Verfügung gestellt. Andreas Hofer und seinen Mitstreitern Josef Speckbacher, Peter Mayer, Pater Haspinger und Kajetan Sweth wurden im Stadtteil Wilten, das in der Zeit des großdeutsch-liberal dominierten Gemeinderats 1904 zu Innsbruck kam und lange unter der Verwaltung des Stiftes gestanden hatte, Straßennamen gewidmet. Das kurze Rote Gassl im alten Kern von Wilten erinnert an die Tiroler Schützen, die, in ihnen wohl fälschlich nachgesagten roten Uniformen, dem siegreichen Feldherrn Hofer nach dem Sieg in der zweiten Berg Isel Schlacht an dieser Stelle in Massen gehuldigt haben sollen.

In Tirol wird Andreas Hofer bis heute gerne für alle möglichen Initiativen und Pläne vor den Karren gespannt. Vor allem im Nationalismus des 19. Jahrhunderts berief man sich immer wieder auf den verklärten Helden Andreas Hofer. Hofer wurde über Gemälde, Flugblätter und Schauspiele zur Ikone stilisiert. Aber auch heute noch kann man das Konterfei des Oberschützen sehen, wenn sich Tiroler gegen unliebsame Maßnahmen der Bundesregierung, den Transitbestimmungen der EU oder der FC Wacker gegen auswärtige Fußballvereine zur Wehr setzen. Das Motto lautet dann „Mannder, s´isch Zeit!“. Die Legende vom wehrfähigen Tiroler Bauern, der unter Tags das Feld bestellt und sich abends am Schießstand zum Scharfschützen und Verteidiger der Heimat ausbilden lässt, wird immer wieder gerne aus der Schublade geholt zur Stärkung der „echten“ Tiroler Identität. Die Feiern zum Todestag Andreas Hofers am 20. Februar locken bis heute regelmäßig Menschenmassen aus allen Landesteilen Tirols in die Stadt. 

Erst in den letzten Jahrzehnten setzte eine kritische Betrachtung des erzkonservativen und mit seiner Aufgabe als Tiroler Landeskommandanten wohl überforderten Schützenhauptmanns ein, der angestachelt von Teilen der Habsburger und der katholischen Kirche nicht nur Franzosen und Bayern, sondern auch das liberale Gedankengut der Aufklärung vehement aus Tirol fernhalten wollte.

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