Innsbruck – Stadt der Bürokraten und Beamten
Innsbruck - Stadt der Bürokraten und Beamten
Innsbruck brüstet sich voll Stolz seiner vielen Titulierungen. Universitätsstadt, Österreichs Hauptstadt des Sportes oder Heimat des weltbesten Krankenhauses. Wirft man einen Blick auf die Liste der größten Arbeitgeber der Region oder in die Geschichte, ist Innsbruck vor allem eins: Beamtenstadt. Universität und Landeskrankenhaus sind die größten singulären Arbeitgeber. Rechnet man aber die öffentlichen Bediensteten aller Ebenen, Stadt, Land und Bund zusammen und nimmt die ausgelagerten Unternehmen im Besitz der öffentlichen Hand wie die ÖBB, TIWAG oder die Innsbrucker Kommunalbetriebe hinzu sowie Lehrer und Polizei, sind die Beamten klar in der Überzahl. Spätestens seit der Übersiedlung der landesfürstlichen Residenz unter Friedrich IV. machte die Beamtenschaft nicht nur einen beträchtlichen quantitativen Teil der Bürgerschaft aus, sie bestimmt die Geschicke der Stadt in einflussreicher, wenn auch unauffälliger Manier. Bis heute sind es Beamten, die den Laden am Laufen halten. Sie setzen Gesetze durch, kümmern sich um die Planung und Instandhaltung von Infrastruktur, machen eifrig Aufzeichnungen über die Bevölkerung, um Steuern ein- und Soldaten auszuheben.
Die erste nennenswerte Bürokratie kam wohl mit dem Imperium Romanum. Den Römern folgten die Brüder des Stiftes Wilten im Mittelalter. Die schreibkundigen Männer verwalteten nicht nur die herzoglichen und eigenen Besitztümer durch ihre Urbare und hoben die Abgaben bei den bäuerlichen Untertanen ein, sondern legten Taufmatrikel, Heiratsverzeichnisse und Sterbebücher an. Die Feudalherrschaft erforderte zwar einen Panoramablick über das, was sich innerhalb ihres Herrschaftsbereichs abspielte, vor allem in der Stadt war das Leben aber eher von den Beschränkungen der Zünfte als von denen der Obrigkeit bestimmt. Es gab Gesetze, aber keine Polizei, Steuern aber kein Finanzamt. Städtische Infrastruktur war praktisch nicht vorhanden, schließlich gab es weder fließend Wasser, elektrischen Strom, Kanalisation, städtische Kindergarten, ein Arbeitsamt oder eine Krankenkasse. Die zur Stadt erhobene Gemeinde Innsbruck wurde lange von einem Stadtrichter, ab dem 14. Jahrhundert von einem Bürgermeister mit Gemeinderat regiert. Es handelte sich dabei nicht um hauptberufliche Beamte, sondern Mitglieder der städtischen Elite.
Im 15. Jahrhundert wurden Berufswelt und Gesellschaft differenzierter, die Heere größer und die Steuerbelastungen höher. Das traditionelle Gewohnheitsrecht wurde vom modernen, für Unkundige schwerer durchschaubaren Römischen Recht abgelöst. Mit der Stadt wuchs auch der Beamtenapparat. Hofstaat, Verwaltung, Zoll, Steuern, Fernhandel und Finanzwirtschaft benötigten schreibkundiges Personal. Wenn überhaupt kamen die Bürger mit diesen fremden Beamten nur in unangenehmen Situationen in Berührung. Besonders straff wurden die Zügel von Maximilian I. angezogen. Seine zentral beschlossenen Gesetze wurden von den Reichskreisen lokal umgesetzt. Die besoldeten Beamten durchdrangen das Leben des Einzelnen in einer Art und Weise, die es im Mittelalter so nicht gab.
Zu allem Übel kamen die Beamten oft aus dem Ausland. Besonders Italiener und Burgunder waren gefragte Schlüsselarbeitskräfte, die aber mit der einheimischen Bevölkerung fremdelten. Nicht nur sprachen sie oft kein Deutsch, sie konnten lesen und schreiben, waren Angestellte und keine untertänigen Landwirten und hatten mehr Geld zur Verfügung. Sie kleideten sich anders, hatten andere Sitten und aßen andere Speisen. Anders als der Landesfürst beriefen sie sich nicht auf Gott, sondern auf von Menschen geschriebene, von der Antike und der Vernunft inspirierte Regelwerke. Je nach Mode, Sitte und Moralvorstellung der Zeit, änderten sich die Gesetze. So wie Naturschutz oder Tempolimits auf Autobahnen heute immer wieder zur Diskussion gestellt werden obwohl sie Sinn machen, wurden damals Verbote von Ausspucken, Entsorgung des Nachttopfes, Holzbauten und Viehhaltung innerhalb der Stadtmauern kritisch gesehen, obwohl sie Hygiene und Sicherheit drastisch erhöhten.
War es lange Sitte gewesen, dass Bürger sich in Abwesenheit des Regenten gewisse Freiheiten bei der Holzschlägerung, dem Bauwesen, der Jagd und der Fischerei herausnahmen, war die Bürokratie immer anwesend. Während der Landesfürst als guter Vater seiner Untertanen gesehen wurde und Bischöfe und Äbte zwar strenge Grundherren waren, aber als Gegenleistung zumindest Seelenheil anbieten konnten, erschienen die neue Amtsgewalt anonym, abgehoben, gesichtslos, fremd und distanziert. Die Verhandlungsbasis, die man im direkten Kontakt als Untertan mit seinem Grundherrn hatte, wurde vom gnadenlosen Gesetz beerdigt, zumindest wenn man keine Bestechungsgelder bezahlen konnte oder niemand in höherer Position kannte. Als der unbedingte Glaube an den immer korrupter werdenden Klerus zu bröckeln begann und Ferdinand I. den Spanier Salamanca als obersten Finanzverwalter des Landes einsetzte, verwandelte sich das unterschwellige unzufriedene Brodeln 1525 in eine offene Rebellion. Die Untertanen forderten nicht die Absetzung des Fürsten, sondern eine Veränderung der Herrschaft des Klerus und der fremdländischen Beamtenschaft. Auch im 17. Jahrhundert war es mit Wilhelm Biener der oberste Beamte des Landes, dessen Kopf rollte und nicht der des Landesherrn.
Dabei barg die Bürokratie, die Herrschaft der Verwaltung, durchaus auch Vorteile für die Untertanen. Sie setzte fixe Regeln dort ein, wo oft Willkür herrschte. Das über unterschiedliche Territorien harmonisierte Gesetz war berechenbarer. Und man konnte mit etwas Glück und Talent auch ohne dem Adel anzugehören sozial durch den Dienst für die öffentliche Hand sozial aufsteigen. Michael Gaismair, einer der Anführer der Rebellion von 1525, war als Sohn eines Bergwerksunternehmers vor seiner Karriere als Revolutionär in Diensten des Landeshauptmanns gestanden.
Die nächste Modernisierung der Verwaltung erfolgte im 18. Jahrhundert. Unter den aufgeklärten, absolutistischen Monarchen Maria Theresia und Josef II. wehte ein neuer Wind bis hin zur Kommunalebene. Innsbruck erhielt erstmals eine Polizei. Die Stadtverwaltung wurde 1784 modernisiert. Anstelle des alten Stadtrats mit Gemein regierte nun ein von einem Rat, vor allem aber von Beamten unterstützter Bürgermeister. Dieser Magistrat bestand aus besoldeten Experten, die zwar immer noch vorwiegend aus Mitgliedern des Kleinadels bestanden, sich nun aber durch Prüfungen für die Ausübung ihres Amtes qualifizieren mussten. Die Bürokratie erhielt auf operativer politischer Ebene mehr Macht. Während der Bürgermeisterposten zeitlich begrenzt war, kamen Beamte in den Genuss einer lebenslangen, unkündbaren Stellung. Diese Pragmatisierung und ein neuerlicher Schwall an neuen, oftmals den Traditionen widersprechenden Gesetzen, verstärkten den Ruf der Beamten, abgehoben und bürgerfern zu sein. Als mit der bayerischen Besetzung Tirols das Element des ausländischen, noch dazu nach französischem Vorbild, dazukam, brach 1809 erneut ein Aufstand aus. Die Massenaushebung junger Männer für den Militärdienst, eine Reglementierung des religiösen Lebens und eine Impfpflicht, durchgesetzt von bayerischen Beamten, war zu viel für die Tiroler Seelenlandschaft.
Nach 1809 hielt die Bürokratie im Rahmen der Industrialisierung und neuen Technologien in immer mehr Lebensbereichen Einzug. Nicht nur das Staatswesen über Steuern und Militär, auch Universität, Schulen, Bauwesen, Eisenbahn, Post und Institutionen wie die Kammer für Handel und Gewerbe bedurften Verwaltungsmitarbeitern. Die Stadt wuchs was Einwohner und Unternehmen anbelangte. Neue Infrastruktur wie Gas, Kanalisation und Elektrizität und neue Vorstellungen was Hygiene, Lebensmittelkontrolle, Gesundheit und Bildung anbelangte, verlangten nach neuen Mitarbeitern im Stadtmagistrat. Das alte Rathaus in der Altstadt wurde zu klein. Eine angedachte Erweiterung erwies sich als unmöglich. 1897 übersiedelten die Beamten in das Neue Rathaus in der Maria-Theresien-Straße. Die Tiroler Landesregierung mit den diversen Ämtern fand 1905 im Palais Fugger-Taxis für kurze Zeit eine neue Heimstätte, bevor sie ins Gauhaus am Landhausplatz zog.
Als 1918 die Monarchie zusammenbrach, war der Übergang nicht nahtlos, dank der Strukturen verlief er aber unvorstellbar glatt. Es war aber nicht mehr der Kaiser, der die Last des Staates trug, sondern eine Heerschar an Staatsbediensteten und Hütern der Ordnung, die für Wasser, Strom und ein funktionierendes Eisenbahnnetz sorgten. Mit Eduard Klingler und Theodor Prachensky hinterließen zwei Bauamtsleiter in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ihre bis heute gut sichtbaren Spuren im Innsbrucker Stadtbild. Die Republik übernahm mit Agenden wie dem öffentlichen Wohnbau, dem Arbeitsamt, dem Bildungswesen, der städtischen Infrastruktur, Straßenbau, öffentlichem Verkehr bis hin zu Meldewesen und Hochzeit mehr oder minder alle Aufgaben des täglichen Lebens von Monarchie und Kirche. Wer sich also beim nächsten Besuch im Neuen Rathaus über überbordendes Beamtentum und quälend langsame Bürokratie ärgert, dem sei in Erinnerung gerufen, dass der Wohlfahrtsstaat in Person seiner Staatsdiener von der Wiege bis zur Bahre das soziale Auskommen und öffentliche Infrastruktur Tausender Menschen meist unbemerkt managet.
Sehenswürdigkeiten dazu…
Palais Fugger-Taxis
Maria-Theresienstraße 45
Landhausplatz & Tiroler Landhaus
Eduard-Wallnöfer-Platz
ÖBB Verwaltungsgebäude
Claudiastraße 2
Stift Wilten
Klostergasse 7
Claudiana – Altes Regierungsgebäude
Herzog-Friedrich-Straße 3
Stadtturm & Altes Rathaus
Herzog-Friedrich-Straße 21