Alter Militärfriedhof Pradl

Anzengruberstraße

Nordkette Innsbruck

Der alte Militärfriedhof in Pradl liegt heute mitten in einem ruhigen Wohlgebiet zwischen der Anzengruberstraße und der Resselstraße. Bis ins 20. Jahrhundert allerdings war diese Zone zwischen den Amras und Pradl noch kaum besiedelt. Die Anlage des Friedhofs erfolgte 1831 auf Geheiß des kaiserlichen Hofkriegsrates, der Vorgängerorganisation des K.u.K. Kriegsministeriums. 25 Jahre zuvor hatte sich das Kaiserreich Österreich während der napoleonischen Kriege unter Kaiser Franz I. von Habsburg gegründet, nachdem innerhalb des Heiligen Römischen Reiches keine Einigkeit mit den anderen deutschen Einzelstaaten erzielt werden konnte. Seit den Zeiten Maria Theresias hatte sich die Bedeutung des Militärs verändert. Für die Untertanen ergaben sich durch den Militärdienst gänzlich neue Karrierechancen. Ansehen und Bedeutung der Soldaten und Offiziere in der Bevölkerung waren eine ganz andere als heute, wo beim überwiegenden Teil der Menschen der Militärdienst als lästige Pflicht wahrgenommen wird. Bedenkt man, dass die zuständige Stelle heute nicht mehr Hofkriegsrat sondern Verteidigungsministerium heißt, kann man erahnen, wie sehr sich die Vorstellungen rund um Krieg und Militär seither gewandelt haben. 1844 wurde die Mauer um den Friedhof errichtet, nachdem zuvor lediglich ein Wall die Gräber schützte. Auch die Kapelle wurde in diesem Jahr errichtet. Während des 1. Weltkriegs wurde der Pradler Friedhof zu klein für die Anzahl der Opfer, weshalb der Militärfriedhof in Amras neu angelegt wurde. Seit 1918 steht der Friedhof im Besitz der Republik Österreich. 1933 wurde die Anlage unter Denkmalschutz gestellt. Die erhaltenen Grabsteine reichen weit in der Zeit zurück. Wer einen Spaziergang durch den alten Pradler Militärfriedhof unternimmt, entdeckt nicht nur interessant gestaltete Gräber, sondern auch sich durch die Zeit wandelnde Formulierungen für den lange Zeit romantisch verklärten „Heldentod“ für Gott, Kaiser und Vaterland.

1796 - 1866: Vom Herzen Jesu bis Königgrätz

Die Zeit zwischen der Französischen Revolution, den darauffolgenden Koalitionskriegen und der Schlacht bei Königgrätz von 1866 war für das Habsburgerreich eine kriegerische Periode, die mit der Neuordnung Europas und einem Bedeutungsverlust des Kaiserreichs Österreich endete. In den Jahren 1796 - 1815 tobten in Europa die napoleonischen Kriege. Nach der Französischen Revolution hatten die Monarchien Europas der Französischen Republik den Krieg erklärt. Die Angst ging um, dass sich der Wahlspruch der Revolution „Liberté, Égalité, Fraternité“ in Europa ausbreiten könnte und weitere Monarchen bei Aufständen ihren Kopf verlieren könnten. Ein junger General namens Napoleon Bonaparte, erst 1804 krönte er sich zum Kaiser, war mit seiner italienischen Armee im Rahmen der Koalitionskriege über die Alpen vorgerückt und traf dort auf die österreichischen Truppen, die Norditalien beherrschten. Es war nicht nur ein Krieg um Territorium und Macht, es war ein Kampf der Systeme. Die Truppen der revolutionären Republik Frankreich trafen auf die Habsburger, ein etabliertes und konservatives Fürstengeschlecht. Tirol war damals nach Süden hin bis ins heutige Trentino ein geeintes Fürstentum und somit direkte Front. Die regulären österreichischen Truppen verloren in den Jahren 1796 und 1797 mehrere Schlachten in Norditalien und mussten sich im Frieden von Campoformio den französischen Truppen ergeben. Tiroler Schützen waren dabei am Kampfgeschehen beteiligt, um die Landesgrenzen im heutigen Italien gegen die einrückenden Franzosen zu verteidigen. Die 1796 offiziell gegründete Höttinger Schützenkompanie war damals zum Beispiel Teil des Landsturms. Der Herz-Jesu-Kult, wonach Tiroler Schützen einen Bund mit dem Herzen Jesu in aussichtsloser Lage geschlossen hatten und trotz Unterzahl siegreich aus einer Schlacht hervorgingen, geht auf diese Jahre zurück. Neben der Gnadenmutter Cranachs ist die Darstellung des Herzen Jesu wohl das beliebteste christliche Motiv im ländlichen Raum und prangt auf der Fassade unzähliger Bauernhäuser. Eine andere Legende des Jahres 1796 rankt sich um eine junge Frau aus dem Dorf Spinges. Katharina Lanz, die als die Jungfrau von Spinges in die Landesgeschichte als identitätsstiftende Nationalheldin einging, soll die beinahe geschlagenen Truppen mit ihrem herrischen Auftreten in der Schlacht solcherart motiviert haben, dass sie schlussendlich den Sieg über die französische Übermacht davontragen konnten. Je nach Darstellung soll sie mit einer Mistgabel, einem Dreschflegel oder einer Sense ähnlich der französischen Jungfrau von Orleans den Truppen Napoleons das Fürchten gelehrt haben. Teile des Tiroler Selbstverständnisses rund um die Schützen und das Nationalgefühl, eine selbstständige und von Gott auserwählte Nation zu sein, die zufällig der Republik Österreich angehängt wurde, geht auf diese Legenden zurück. Nationalisten zu beiden Seiten des Brenners bedienen sich noch heute der Jungfrau von Spinges, dem Herzen Jesu und Andreas Hofers, um ihre Anliegen publikumstauglich anzubringen. 1805 übernahmen Frankreich und gemeinsam mit ihren bayerischen Verbündeten nach mehreren Niederlagen des österreichischen Heeres auf den Schlachtfeldern Europas die Verwaltung Tirols in Innsbruck. Zwar konnten die Tiroler Truppen unter Andreas Hofer (99) kleinere Erfolge feiern, erst nach Ende der Napoleonischen Kriege wurde Tirol wieder ein Teil des Habsburgerreiches. In und um Innsbruck kam es immer wieder zu Gefechten. Stadt und Bevölkerung wurden bei jedem Machtwechsel zwischen bayerisch-französischer Besatzung und Tiroler „Befreier“ in Mitleidenschaft gezogen. Das leerstehende Schloss Ambras, Innsbruck wurde ja zentral und nicht mehr von einem Landesfürsten regiert, wurde zu einem Lazarett umgewandelt.

Die Neuordnung Europas am Wiener Kongress brachte nicht nur territoriale, sondern auch verteidigungspolitische Änderungen. Die Tiroler Schützen wurden zwar nicht aufgelöst, kamen aber unter Beobachtung der Staatspolizei unter Kanzler Metternich. 1816 wurde aus dem Tiroler Jägerkorps das k.k. Tiroler Kaiserjägerregiment. In den Kriegsjahren 1848, 1859 und 1866 kam es in Italien zu den italienischen Befreiungs- und Einigungskriegen, in denen Österreich probierte seine italienischen Reichsteile Lombardei und Venetien gegen das sich neu formende Königreich Italien zu verteidigen. Innsbruck war als Garnisonsstadt ein wichtiger Versorgungsposten, obwohl die Front recht weit entfernt war. Das Tiroler Kaiserjägerregiment war in allen wichtigen Schlachten dieser Kriegsjahre beteiligt. Zur wohl bekanntesten, der Schlacht von Solferino, kam es 1859 in der Nähe des Gardasees, bei der Österreich gegen das Königreich Piemont-Sardinien und Frankreich ins Feld zog. Der Schriftsteller Joseph Roth beschreibt diese Schlacht auf den ersten Seiten seines lesenswerten Klassikers Radetzkymarsch.

„In der Schlacht bei Solferino befehligte er (Anm.: Leutnant Trotta) als Leutnant der Infanterie einen Zug. Seit einer halben Stunde war das Gefecht im Gange. Drei Schritte vor sich sah er die weißen Rücken seiner Soldaten. Die erste Reihe seines Zuges kniete, die zweite stand. Heiter waren alle und sicher des Sieges. Sie hatten ausgiebig gegessen und Branntwein getrunken, auf Kosten und zu Ehren des Kaisers, der seit gestern im Felde war. Hier und dort fiel einer aus der Reihe. Trotta sprang flugs in jede Lücke und schoß aus den verwaisten Gewehren der Toten und Verwundeten.“

Das 19. Jahrhundert war das Zeitalter des Militarismus. Die Kriege wurden sehr brutal geführt, waren aber bei weitem noch nicht die totalen Kriege, die im 20. Jahrhundert auch große Teile der Zivilbevölkerung in Mitleidenschaft ziehen würden. Es waren meist Feldschlachten zwischen großen Armeen. Was zu Problemen und hohen Opferzahlen führte, war die für die fortgeschrittene Waffentechnik eigentlich überholte Soldatenehre im Feld, die sich zumindest in den Anfangsjahren des Ersten Weltkriegs noch halten sollten. Auf Grund des hohen Blutzolls entschloss sich der Augenzeuge der Schlacht Henry Durant das Rote Kreuz zu gründen. In weiterer Folge kam es 1863 zur Genfer Konvention, in der eine Art Kriegsrecht begründet wurde.

Das Jahr 1866 stellte eine entscheidende Zäsur der österreichischen Geschichte dar. In Italien verlor das Kaiserreich Österreich Venetien und die Lombardei. Preußen und Österreich, ehemals vereint im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation (73) kämpften gleichzeitig um die Vorherrschaft im Deutschen Bund, aus dem das Deutsche Reich unter preußischer Führung als neuer Nationalstaat später hervorging. Preußen wollte das Kaisertum Österreich aus dem Bund deutscher Einzelstaaten zu drängen. Zwar gewann man die Schlachten gegen das Königreich Italien und seine Verbündeten, in Königgrätz ging aber der kurze als Bruderkrieg später in die Geschichte eingegangene Kampf gegen Preußen verloren. Der Grund war die technische Überlegenheit der mit Zündnadelgewehren ausgestatteten preußischen Armee, die auf die mit Vorderladern bewaffneten Soldaten Österreichs trafen. Während die österreichischen Soldaten ihre Gewehre vorne im Stehen laden mussten, konnten die preußischen Soldaten sie aus der Deckung wie Pappfiguren abschießen. Der Kampf dauerte nur wenige Stunden, forderte aber vor allem auf österreichischer Seite viele Todesopfer. Das Königreich Italien war in den Einigungskriegen zwischen 1848 und 1871 der Einheit mit Ausnahme des päpstlichen Rom und des Trentino, dem alten Süd- oder Welschtirol, nähergekommen. Nach dem Zerfall des Heiligen Römischen Reiches von 1806 war das Jahr 1866 dies der zweite Schritt, der Österreich einem nach Ost- und Südosteuropa orientierten multinationalen Großreich näherbrachte. Der Ausgleich mit Ungarn 1867 vollendete die Genese hin zur k.u.k. Monarchie Österreich-Ungarn unter der Personalunion Kaiser Franz Josef I.

Innsbrucker Soldaten waren in die Kampfhandlungen bei der Sicherung der Landesgrenzen und auf den Schlachtfeldern außerhalb Tirols beteiligt. Innsbruck besitzt einige Erinnerungsorte, die noch auf diese Kriege hinweisen. Sie befinden sich nicht in der Innenstadt, sondern an den Randgebieten. Neben dem Tummelplatz und dem Militärfriedhof Pradl wird am Berg Isel im Kaiserjägermuseum und durch eine etwas hinter dem Parkplatz abgelegene Steinsäule erinnert. Es handelt sich mit Ausnahme eines Museums nicht um eigens errichtete Denkmäler, sondern um Begräbnisstätten. Königgrätz gilt bis heute als einer der Schlüsselmomente österreichischer Geschichte. Für Innsbruck bedeutete diese Entwicklung, dass man endgültig zu einer Stadt an der westlichen Peripherie geworden war. Der Hang zur sogenannten großdeutschen Lösung, also einer Staatlichkeit mit dem Deutschen Reich gemeinsam gegenüber dem alleinstehenden Kaisertum Österreich, war in Tirol stärker ausgeprägt als im restlichen Österreich. Unter anderem war Bürgermeister Wilhelm Greil ein Verfechter einer deutschnationalen Lösung, die sich mehr nach Norden als in die östlichen Teile der Monarchie orientierte. Auf vielen Bauwerken in Innsbruck, zum Beispiel am Andreas-Hofer-Denkmal am Berg Isel oder an der Krypta am Pradler Friedhof findet sich der Eichelkranz als Symbol dieser Einstellung bis heute.

Der Erste Weltkrieg und die Zeit danach

Auch in Innsbruck war die Begeisterung für den Krieg 1914 groß gewesen. Vom Nationalismus der Zeit angetrieben, begrüßten Bauernsöhne und Studenten den Krieg zum allergrößten Teil einhellig. Klerus und Presse stimmten in den allgemeinen Jubel mit ein und heizten die Sache weiter an. Besonders „verdient“ machten sich dabei auch Theologen wie Joseph Seeber (1856 – 1919) und Anton Müllner alias Bruder Willram (1870 – 1919) die mit ihren konservativen und xenophoben Predigten und Schriften den Krieg zu einem Kreuzzug erhoben. Die Lektüre des Gedichtbandes „Das blutige Jahr“ Müllners macht es unverständlich, warum in Innsbruck immer noch eine Straße nach ihm benannt ist. Der Krieg wurde am 28. Juli in allen Sprachen des Vielvölkerreichs Österreich-Ungarns auch in Innsbruck proklamiert. Viele Innsbrucker meldeten sich freiwillig für den Feldzug gegen Serbien, von dem man dachte, er wäre eine Angelegenheit weniger Wochen oder Monate. Von außerhalb der Stadt kam eine so große Anzahl an Freiwilligen zu den Stellungskommissionen, dass Innsbruck beinahe aus allen Nähten platzte. Wie anders es kommen sollte, konnte keiner ahnen. Schon nach den ersten Schlachten im fernen Galizien war klar, dass es keine Sache von Monaten werden würde. Auch der Glanz des Heldenhaften am Schlachtfeld blätterte schnell ab. Mit dem Eintritt Italiens in den Ersten Weltkrieg 1915 ging die Front quer durch das damalige Tirol. Vom Ortler im Westen über den nördlichen Gardasee bis zu den Sextener Dolomiten fanden die Gefechte des sogenannten Gebirgskriegs statt. Die Kriegsführung hatte wenig mit soldatischer Ehre und den Vorstellungen, die man bei Kriegseintritt hatte, zu tun. Die Überreste der Befestigungen entlang der Frontlinie, die sich vom Isonzo quer über den Alpenbogen spannte, geben schauerlichen Einblick in den Kriegsalltag. Neben dem Artilleriefeuer waren es Kälte, Krankheit, Hunger und Lawinen, die viele Todesopfer forderten. Innsbruck war direkt nicht von den Kampfhandlungen betroffen. Zumindest hören konnte man das Kriegsgeschehen aber bis in die Landeshauptstadt, wie in der Zeitung vom 7. Juli 1915 zu lesen war:

„Bald nach Beginn der Feindseligkeiten der Italiener konnte man in der Gegend der Serlesspitze deutlich Kanonendonner wahrnehmen, der von einem der Kampfplätze im Süden Tirols kam, wahrscheinlich von der Vielgereuter Hochebene. In den letzten Tagen ist nun in Innsbruck selbst und im Nordosten der Stadt unzweifelhaft der Schall von Geschützdonner festgestellt worden, einzelne starke Schläge, die dumpf, nicht rollend und tönend über den Brenner herüberklangen. Eine Täuschung ist ausgeschlossen. In Innsbruck selbst ist der Donner der Kanonen schwerer festzustellen, weil hier der Lärm zu groß ist, es wurde aber doch einmal abends ungefähr um 9 Uhr, als einigermaßen Ruhe herrschte, dieser unzweifelhafte von unseren Mörsern herrührender Donner gehört.“

Bis zur Verlegung regulärer Truppen von der Ostfront hing die Landesverteidigung an den Standschützen, einer Truppe, die aus Männern unter 21, über 42 oder mit Untauglichkeit für den regulären Militärdienst bestand. Täglich trafen wenig erbauliche Neuigkeiten der Front, Särge und Kriegsgefangene ein. Verwundetentransporte luden Menschenmaterial für die Lazarette im Hinterland ab. Die Männer waren teilweise fürchterlich entstellt, wie man auf Fotos aus den Lazaretten sehen kann. Um der Gefallenen Herr zu werden, wurde der Militärfriedhof Pradl angelegt. Die Bevölkerung litt unter dem Mangel, vor allem im letzten Winter, der als Hungerwinter in die Geschichte Europas einging. Die Versorgung erfolgte in den letzten Kriegsjahren über Bezugsscheine. 500 g Fleisch, 60 g Butter und 2 kg Kartoffel waren die Basiskost pro Person – pro Woche, wohlgemerkt. Auf Archivbildern kann man die langen Schlangen verzweifelter und hungriger Menschen vor den Lebensmittelläden sehen. Im Oktober 1918 kam es zu Fliegeralarm, Schaden entstand keiner. Zu dieser Zeit war den meisten Menschen schon klar, dass der Krieg verloren war, und welches Schicksal Tirol erwarten würde, wie dieser Artikel vom 6. Oktober 1918 zeigt:

 „Aeußere und innere Feinde würfeln heute um das Land Andreas Hofers. Der letzte Wurf ist noch grausamer; schändlicher ist noch nie ein freies Land geschachert worden. Das Blut unserer Väter, Söhne und Brüder ist umsonst geflossen, wenn dieser schändliche Plan Wirklichkeit werden soll. Der letzte Wurf ist noch nicht getan. Darum auf Tiroler, zum Tiroler Volkstag in Brixen am 13. Oktober 1918 (nächsten Sonntag). Deutscher Boden muß deutsch bleiben, Tiroler Boden muß tirolisch bleiben. Tiroler entscheidet selbst über Eure Zukunft!

Am 4. November vereinbarten Österreich-Ungarn und das Königreich Italien schließlich einen Waffenstillstand. Damit verbunden war das Recht der Alliierten Gebiete der Monarchie zu besetzen. Bereits am nächsten Tag rückten bayerische Truppen in Innsbruck ein. Der österreichische Verbündete Deutschland befand sich noch im Krieg mit Italien und hatte Angst, die Front könnte nach Nordtirol näher an das Deutsche Reich verlegt werden. Zum großen Glück für Innsbruck und die Umgebung kapitulierte aber auch Deutschland eine Woche später am 11. November. So blieben die großen Kampfhandlungen zwischen regulären Armeen außen vor. Trotzdem war Innsbruck in Gefahr. Die aufgelösten Truppen der K.u.K. Armee begaben sich ungeordnet auf den Rückzug von der Italienfront. Hunderttausende Soldaten strömten von Italien unkontrolliert nach Norden auf dem Weg nach Hause. Um die öffentliche Ordnung aufrecht zu erhalten, bildeten sich nicht staatliche Wehrgruppen aus Schülern, Studenten, Arbeitern und Bürgern. Die Stadt musste nicht nur die eigenen Bürger in Zaum halten, die Verpflegung garantieren, sondern sich auch vor Plünderungen schützen. Gewaltige Kolonnen an militärischen Kraftfahrzeugen, Züge voller Soldaten und tausende ausgezehrte Soldaten, die sich zu Fuß auf den Heimweg von der Front machten, passierten Innsbruck. Die spanische Grippe breitete sich aus und forderte viele Todesopfer. Am 23. November besetzten italienische Truppen die Stadt und das Umland. Der beschwichtigende Aufruf an die Innsbrucker Bürger von Bürgermeister Greil (105), die Stadt ohne Aufruhr an die Italiener zu übergeben, hatte Erfolg. Es kam kaum zu Ausschreitungen. Der Militärfriedhof in Amras imit den Herrschaftssymbolen der Savoyer, des italienischen Königshauses, ist ein Herrschaftszeichen, das an die italienische Besetzung der ersten Nachkriegszeit erinnert.

Die Republik Deutschösterreich war zwar ausgerufen, wie es mit Tirol weitergehen sollte, war niemandem klar. Die Monarchie, die über Jahrhunderte den Alltag der Menschen begleitete, gab es nicht mehr. Sogar die ältesten waren unter der Regierung Kaiser Franz Josefs mit dem Vielvölkerreich der Donaumonarchie aufgewachsen. Die Sozialdemokraten setzten ein Monarchie- Adelsprädikatsverbot samt einem Gesetz, das Mitgliedern der Familie Habsburg den Aufenthalt in Österreich verbot, so sie sich nicht von ihren Titeln offiziell trennten, durch Das war für viele Zeitgenossen eine unfassbare Zäsur. Otto von Habsburg hatte noch lange Zeit eine beträchtliche Anhängerschaft innerhalb der Christlich-sozialen Partei, dem Vorgänger der heutigen ÖVP. Der Demokratie räumte man kaum ein eine geeignete Regierungsform zu sein, vor allem nicht in den Landgemeinden, die streng katholisch orientiert waren.  Als Österreicher fühlte man sich kaum, zumal der kleinen Restrepublik des alten Kaiserreichs nicht besonders hohe Erfolgschancen eingeräumt wurden. Nach den Friedensverhandlungen in Paris war es klar, dass Südtirol ein Teil Italiens sein würde. Tirol war zweigeteilt. Viele Menschen zu beiden Seiten des Brenners fühlten sich verraten. Man hatte den Krieg zwar bei Weitem nicht gewonnen, als Verlierer gegenüber Italien sah man sich aber auch nicht. Ein Heer an arbeits- und perspektivenlosen Kriegsheimkehrern schloss sich in den verschiedenen paramilitärischen Gruppen zusammen, zuerst um die öffentliche Ordnung aufrechtzuerhalten, später vor allem, um politisch anders Gepolte zu bekämpfen. Aus diesen Truppen sollten sich später die verschiedenen Spielarten der Heimwehren bilden, den paramilitärischen Truppen, die den Austrofaschismus Dollfuß´ (109) ermöglichten. Der Anschluss an Deutschland erhielt einen Zuspruch von 98% in Tirol, kam aber nie zustande. Auch eine eigene Republik mit Bayern stand im Raum. Die wirtschaftlichen Aussichten in Innsbruck waren miserabel. Demokratie war nach Jahrhunderten der Monarchie für viele keine wünschenswerte Herrschaftsform. Viele Menschen, besonders Beamten und Mitarbeiter im öffentlichen Dienst, hatten ihre Arbeit verloren. Der Fremdenverkehr war inexistent. Die südlich des Brenners gelegenen Teile des ehemaligen Kronlandes Tirols waren entgegen den Versprechungen des amerikanischen Präsidenten Wilson Italien zugeschlagen worden. Erst 1923, mit der Währungssanierung unter Kanzler Ignaz Seipel begann sich Österreich und damit Innsbruck langsam zu erholen, zumindest wirtschaftlich. Mitte der 1920er Jahre wurden in Innsbruck neue Wohnsiedlungen wie der Pembaurblock (58) Theodor Prachenskys (108) in Pradl und Infrastruktur wie die Sportanlagen am Tivoli und das Hallenbad Amraserstraße errichtet, die die neuen sozialen und politischen Gegebenheiten in Innsbruck als Teil der Republik Österreich widerspiegeln.