Saggen & Kohlstatt

Wissenswertes zum Saggen und zur Kohlstatt

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts breitete sich Innsbruck nach allen Richtungen hin aus. Vergleicht man Karten des Jahres 1880 mit Karten des Jahres 1930 kann man das Wachstum des Viertels, das von einer Biegung des Inn, der Sill und den Viaduktbögen der Eisenbahn bis heute begrenzt wird, erkennen. Bereits 1453 wurde das Gebiet teilweise der Stadt einverleibt. 1495 erwarb Maximilian I. den Teil, der bis heute als Kohlstatt bekannt ist, um hier die Rüstungsindustrie anzukurbeln. Rund um das Zeughaus entwickelte sich ein frühes Industriegebiet. Die Kohlstatt und Dreiheiligen zwischen der Stadt Innsbruck und dem ländlichen Pradl bildeten das Arbeitergrätzel der ersten Industrialisierung im 16. Jahrhundert. Der Name Kohlstatt rührt von den Köhlern, die für die Herstellung der Kohle zuständig waren, mit der die Öfen des Zeughauses betrieben wurden. Anders als bäuerliche Schichten oder die in Gilden organisierten Handwerker der Stadt, handelte es sich um eine frühe Form der Arbeiterschaft und deren Familien. Nicht nur einfache Arbeiter, auch Techniker und Gießer waren hier beschäftigt, hochqualifizierte und begehrte Schlüsselarbeitskräfte. Der Sillkanal versorgte die Industriebetriebe der Kohlstaat mit Wasser, über die gepflasterte Silbergasse war der Fertigungsort mit der Stadt verbunden. Neben den stinkenden und schmutzigen Betrieben war hier am Stadtrand auch das Siechen- und Brestenhaus angesiedelt. Als sich unter Maria Theresia das stehende Heer etablierte, benötigte man Platz für militärische Zwecke. Die freie Fläche nach Norden hin und die ehemaligen Produktionsstätten in Dreiheiligen waren perfekt dafür geeignet. Im 18. Jahrhundert wurde aus einem Adelspalais neben dem Kapuzinerkloster die Klosterkaserne samt Exerzierplatz. Heute befinden sich hier das Fennerareal und die Polizeidirektion.

Anders präsentierte sich zeitgleich der Südwesten des heutigen Saggen. Rund um die Auen östlich des entstanden beginnend mit der Regierungszeit Ferdinands II. Lusthäuser, Gärten und Menagerien samt Löwenhaus. Der Hofgarten nahm im Fischerei- und Jagdrevier der Tiroler Landesfürsten seinen Ausgang. Nördlich davon erstreckten sich Wiesen und Felder. Ihren Namen erhielt die Gegend auf Grund der Lage. Eingeklemmt zwischen Inn und Sill erinnerte der Landspitz ohne Ausgang die Menschen an einen Sack. 1581 ließ Ferdinand II. eine Brücke errichten, um Hall und Innsbruck über Mühlau für Mitglieder des Hofs und Staatsgäste zu verbinden. 1643 öffnete man die Mühlauerbrücke für den Handelsverkehr als zollpflichtigen, aber öffentlich nutzbaren Verkehrsweg. Aus dem einbahnartigen Sack war eine beliebte Einfahrt geworden, der Name Saggen aber blieb erhalten. Nachdem die alte Holzbrücke immer wieder von Hochwassern zerstört wurde, beschloss man eine stabile Variante zu errichten. 1843 wurde die Kettenbrücke errichtet. Zwei hohe Tortürme ragten gut sichtbar in den Himmel. Dazwischen spannten sich tonnenschwere Ketten über 75 m Länge. Die Kettenbrücke galt als die teuerste ihrer Art im gesamten Habsburgerreich und wurde zur Attraktion und beliebten Postkartenmotiv.

Zwischen 1830 und 1870 stieg die Einwohnerzahl der Stadt von 12.000 auf 17.000. Studenten, Soldaten und Arbeiter aus allen Teilen des Reiches sowie Zuzüglern auf der Suche nach Arbeit aus dem Umland begannen Innsbruck wachsen zu lassen. Pradl und Wilten, damals noch eigenständige Gemeinden, wurden von der Industrialisierung erfasst. Bäuerliches Leben samt Vieh, das auf den Straßen durch diese Dörfer getrieben wurde, mischte sich mit der neu zugezogenen Arbeiterschaft. Der Saggen hingegen blieb bis in die 1880er fast gänzlich unverbaut, bevor er zum Viertel für gehobenes, bürgerliches Wohnen und Entertainment wurde. In den ersten gut zehn Jahren entstanden vor allem Villen, bevor der Stadtrat die Losung ausgab, östlich der Claudiastraße nur noch Wohnblöcke zu errichten. Am 24. Februar 1900 notierten die Innsbrucker Nachrichten:

Im östlichen Stadterweiterungs-Gebiet am Saggen scheint sich in diesem Jahre eine außerordentlich rege Bauthätigkeit entwickeln zu wollen. Abgesehen davon, daß im Teile für geschlossene Bauweise 9 Gebäude, im Cottage vier Villen im Baue sind und noch in diesem Jahr vollendet werden, ist die weitere Erbauung von 6 Häusern, darunter zwei ausgedehnten Eckwohngebäuden am Claudiaplatz und in der Adolf-Pichlerstraße in sicherer Aussicht.

Neben der Besiedelung entstanden zwischen der Kettenbrücke und den Bahnviadukten Innsbrucks Freizeiteinrichtungen. Das Panoramagebäude, das Riesenrundgemälde und die erste Sportanlage der Stadt mit Radrennbahn, Boxring und Tennisplätzen waren ebenso Teil des Saggen wie die kurz nach 1900 eröffnete Hungerburgbahn. Diese Infrastruktur war nicht mehr von der Aristokratie ins Leben gerufen worden und ihr damit exklusiv vorbehalten wie die Gärten, Paläste und Jagdreviere vergangener Zeiten. Auch die Paläste des Saggen, das Waisenhaus und das Greisenasyl im klassizistischen Stil wurden vom wohlhabenden Privatier Johann von Sieberer gestiftet, nicht von der Kirche oder dem Adel. Die Straßen wurden vom größtenteils deutschnationalen, bildungsbürgerlichen Publikum getauft. Haydn, Bruckner, Schubert, Stifter, Goethe, Schiller, Wagner und Mozart standen Pate für die neuen Straßenzüge. In den Kulturschaffenden, nach denen die Straßen benannt wurden, sollten sich die gemeinsame Geschichte, Kultur und nationale Einheit des Deutschen Reichs und des Kaiserreichs Österreich sowie die Machtverhältnisse im Gemeinderat unter Bürgermeister Greil widerspiegeln.

Heute gilt der Saggen in der Wahrnehmung der meisten Innsbrucker vor allem als altehrwürdiges Nobelviertel Innsbrucks und lässt den Geist der Belle Epoque erahnen. Für den nordwestlichen Teil zwischen Hofgarten und Messe, wo mit ganz wenigen Ausnahmen kaum Geschäfte oder Gastwirtschaften zu finden sind, trifft das zu. Das ist aber nur ein Gesicht des Viertels. Zählt man Dreiheiligen und den Pradler Saggen hinzu, offenbart sich ein kontrastreiches Grätzl. Anfang des 20. Jahrhunderts entstand am Sillspitz der Schlachthof. Östlich des Bahnviadukts wurde mit dem Schlachthofblock in den 1920er Jahren eine der größten Wohnanlagen für Arbeiter errichtet. Der östliche Teil entlang der Viaduktbögen der Ing.-Etzel-Straße und die Messehalle, der sogenannte Blocksaggen, hat sich über die letzten Jahrzehnte zum Ausgehviertel entwickelt. Während im ehemaligen Arbeiterviertel Wilten mittlerweile vor allem Studenten in WGs hausen, ist der Saggen zum Viertel der Kfz-Mechaniker, Barflies und Hipster geworden.